//DAS ABENTEUER BEGINNT//
BEIM ERSTEN LICHT des fünften Tages sind Susi und auch der morgenmuffelige Max in aller Frühe aufgestanden, um sich auf das bevorstehende Abenteuer vorzubereiten. Ihren Eltern haben sie erzählt, dass sie zusammen mit Tobias Schwabe, einem gemeinsamen Schulfreund zu dessen Großeltern fahren wollen. Diese haben einen kleinen Bauernhof und Max und Susi waren schon öfter dort gewesen. Ihre Eltern konnten nicht wissen, dass Tobias seit gestern auf Teneriffa weilte. Für ein Alibi war er damit aber besonders gut geeignet. Denn so hatten die zwei Abenteurer den Rücken frei für die Bootsfahrt ins Ungewisse, wie Max ihre bevorstehende Unternehmung nannte. Sie wussten nicht, wann sie wiederkommen würden. Was allerdings noch seltsamer war – die angeblichen Mittelerdler hatten sich nicht wieder blicken lassen. Für Susi stand somit längst fest, dass sie alles nur geträumt hatten. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass zwei Personen den gleichen Traum haben? Ja, ich weiß. Es ist auch nicht gerade sinnvoll, zu glauben, dass Legolas und Gimli dich besuchen kommen und eine Bootsreise mit dir machen. Aber schauen wir mal und lassen uns eventuell vom Gegenteil überzeugen.
Es ist jetzt kurz nach 8 Uhr morgens und Susanne und Max treffen gerade an der vereinbarten Stelle am Eichenstedter Fluss ein. Das Wetter scheint auf ihrer Seite zu sein. Es ist nicht zu heiß an diesem Tag. Ein paar Wölkchen am Himmel sorgen für Schatten und ein laues Lüftchen weht. Der ideale Tag für eine besinnliche Flussfahrt mit Freunden.
»Ist es nicht herrliches Wetter?«, stellt auch Max fest und sieht mit seinem schweren Gepäck aus, als hätte er vor, tatsächlich ein neues Gebiet zu erforschen. Und was hat er da eigentlich für Klamotten an?
»Was schleppst du denn alles mit dir herum?«, will Susi wissen und mustert neugierig seinen komischen Rucksack.
»Das wirst du schon sehen. Ich habe da eine wirklich abgefahrene Idee. Die kannst du gar nicht bekloppt finden.« Max nickt überzeugt von sich selbst mehrmals mit dem Kopf.
»Ich finde diese Idee bekloppt. Ganz egal, was du da alles aufgebuckelt hast. Lass uns am besten gleich wieder nach Hause gehen. Wir haben diesen ganzen Mist sowieso nur geträumt. Es gibt keine Legolas und Gimli und auch kein Bo... Ach. Du. Scheiße.«
Ich bitte vielmals um Verzeihung für Susis Kraftausdrücke aber könntet ihr sehen, was sie hinter dieser Biegung dort vorne entdeckt hat, dann würdet ihr nicht anders reagieren. Na los, kommt her und schaut euch das an!
Da stehen sie! Live und in Farbe. Legolas Grünblatt und Gimli Gloins Sohn. Und neben ihnen im Wasser treibt ein kleines, selbstgebautes Boot. Da fällt man doch glatt vom Glauben ab.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte auch Max Zweifel an dieser ganzen Sache. Das würde er natürlich nie zugeben, wie ihr euch denken könnt. Aber so war es.
Vorsichtig treten die Freunde jetzt näher an den Zwerg heran, der sie mit einem breiten Lächeln begrüßt und sie überzeugt, dass der Besuch letztens kein Traum war.
»Ist es nicht ein tolles Boot? Legolas hat es gebaut. Mit meiner Hilfe natürlich«, verkündet der Bärtige mit einem dröhnenden Lachen.
Als wäre das alles nicht schon genug des Guten, taucht hinter einem Forsythienstrauch plötzlich ein riesiges Schaf auf. Nein, kein Schaf. Es ist Chnum! Der ägyptische Gott. Ich werd verrückt. Und schaut mal da oben. Da fliegt etwas. Es kommt immer näher. Ist es ein Vogel? Ist es ein Flugzeug? Es ist Superman! Das glaubt uns doch keiner, wenn wir das erzählen!
»In was für einen Film sind wir denn hier bloß hineingeraten?«, fragt sich Susi und reibt sich ungläubig die Augen, als der Kryptonier vor ihr landet.
»Film? Gut, dass du es ansprichst«, kichert Max auf einmal und zieht etwas sehr antik aussehendes aus seinem verschlissenen Rucksack.
Jetzt stellt er sich mit stolz geschwellter Brust vor seine Freunde und will offenbar eine Rede halten. Da bin ich ja mal gespannt, was er uns zu berichten hat.
»Ich begrüße euch alle und freue mich, dass ihr so zahlreich zu unserem Abenteuer erschienen seid«, beginnt er geschwollen zu reden. »Wie ihr sehen könnt, habe ich mich ein wenig verkleidet. Diese Klamotten sind dem Stil der 1930er Jahre nachempfunden und auch für Susi habe ich ein passendes Kleid dabei.« Er wirft Susi einen Fetzen zu, der sich als rüschenbesetztes beigefarbenes Kleid herausstellt. »Außerdem habe ich mir eine Kamera aus jener Zeit aus dem Museum ausgeliehen.« Er kurbelt stilecht an einer Paillard-Bolex H-16. Sei damit vorsichtig, Max!
»Ich verstehe immer noch Bahnhof«, unterbricht Susi die ambitionierte Vorführung ihres Freundes.
»Dann hör weiter zu. Ich spiele die Hauptrolle«, beginnt Max seinen Plan weiter zu erklären.
»Mich wundert es nicht«, tuschelt Susi mehr zu sich selbst.
»Lass mich doch ausreden! Also noch mal von vorne.« Max holt tief Luft und klopft sich bedeutungsschwer auf die Brust. »Ich bin ein Filmemacher, welcher mit seinen bisherigen Filmen keinen Erfolg hatte. Deshalb bin ich jetzt mit meiner eigenen Film-Crew losgezogen, die realen Abenteuer der Natur zu filmen«, erklärt Max und macht wieder diese Christoph-Kolumbus-Bewegung.
»Der unterschätzte, aber in Wahrheit begnadetste Filmemacher aller Zeiten, will also Enten und Bäume filmen, um seine Karriere zu retten. Na, wenn er damit mal mehr Erfolg hat«, grummelt Susi weiter vor sich hin. »Glaubst du wirklich, dass wir auf diesem kleinen Flüsschen was Geniales erleben werden?«
»Noch kannst du aussteigen«, protestierte Max. »Aber heule nachher nicht rum, wenn ich haufenweise gute Noten, Ruhm und Anerkennung ernte.«
»Ruhm und Anerkennung? Wenn wir einen Heimatfilm vor der ganzen Klasse zeigen müssen? Hohn und Spott meinst du wohl? Davon mal abgesehen – was spiele ich eigentlich für eine Rolle darin?«, will Susi wissen.
»Wenn du mich mal ausreden lassen würdest, wüsstest du es bereits. Du bist die Wissenschaftlerin, die ich zur professionellen Unterstützung arrangiert habe. Chnum ist ein alter Matrose im Ruhestand. Er soll den Kutter sicher über den reißenden Fluss schiffen. Deswegen hat er auch einen Matrosenanzug an«, erklärt Max gedankenschwer. »Schon allein seinetwegen wir der Film ein Kassenschlager.«
Kassenschlager, lieber Max? Ist es nicht nur eine Hausaufgabe?
»Kutter? Reißender Fluss? Na dann, Mast- und Kielbruch«, begegnet Susi seinen Ehrgeiz nach wie vor skeptisch und ich kann sie sehr gut verstehen, wenn ich Max so sehe.
»Ich habe Superman meine eigene Kamera gegeben, mit der er mich filmen wird, wie ich filme. Das macht den Film sicher besonders abenteuerlich«, fährt Max unbeeindruckt fort und beginnt wieder an dem antiken Gerät herumzukurbeln. »Und Legolas und Gimli kommen später als Nebencharaktere dazu, wenn dir kurz vor ...«
»Es tut uns leid. Wir hatten noch keine Gelegenheit, es euch zu sagen, aber wir können euch leider nicht begleiten«, wirft der Elb die Pläne des Max Kolumbus durcheinander. »Gandalf hat uns zu einem wichtigen Treffen mit Herrn Elrond einberufen. Wir dürfen euch nicht mehr zu den Gründen sagen. Ich hoffe, ich habt Verständnis dafür.«
»Ähm, ja. Wenn es denn so ist, was soll ich machen? Ist schon gut. Geht ihr halt. Schade um die Zusatzpunkte aber wir haben noch den Gott.«
Max lässt es sich nicht anmerken, aber seht ihr seine roten Wangen? Ich befürchte, er kocht innerlich vor Wut. Noch vor Drehbeginn zwei Hauptattraktionen zu verlieren ist aber auch ärgerlich. Nicht, dass am Ende doch nur Enten und die heimische Fauna den Inhalt des Meisterwerks dominieren.
»Dann wollen wir uns mal ins Abenteuer stürzen«, ruft Susi die Truppe zusammen. »Haben wir denn auch Rettungsboote und -ringe? Wo wir doch in einem alten Kutter auf einem gefährlichen Fluss unterwegs sind. Ha, ist das lächerlich!«,
»Sei doch nicht so pessimistisch, Susi. Benutze ein bisschen mehr deine Fantasie. Wir sollen was Kreatives auf die Beine stellen und ich war kreativ. Und jetzt, Anker lichten, wir legen ab!«, Max legt die alte Kamera vorsichtig in das Boot, ähm, Verzeihung, den Kutter und nimmt seinen Platz als Anführer der Eroberer ein.
Susanne setzt sich ihm gegenüber, genau hinter Chnum und beäugt den altehrwürdigen Schöpfergott ungläubig. Über ihnen macht sich Superman mit Max' moderne Kamera vertraut und Gimli und Legolas verabschieden sich von der illustren Truppe.
»Kaum zu glauben, dass ich da mitmache. Wir werden uns dermaßen blamieren vor der ganzen Klasse und garantiert eine 6 einfangen. Aber was tut man als gute Freundin nicht alles?« Max hat Susis Selbstgespräche zum Glück nicht gehört. Er ist bereits in seine Rolle vertieft und schaut erwartungsvoll Richtung Horizont. Was wohl dahinter liegen mag? Das, was er sich erhofft oder das, was Susi befürchtet? Nämlich nichts außer einem kleinen Fluss, Bäume, ein paar Enten und hier und da jemand, der mit seinem Hund spazieren geht.
Die Bootsfahrt geht los und wir werden bald Antworten erhalten.
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