//ANGRIFF DER RIESEN//
DA SITZEN WIR nun – mitten in der Wildnis. Einer Wildnis, von der vorher niemand auch nur geahnt hatte, dass sie existieren würde, so kurz hinter der Grenze des bescheidenen Örtchens Groß Wiesenstedt. Dort drüben wird das Lagerfeuer, das unsere vier Freunde angezündet haben immer kleiner und es kommt, wie es aussieht wieder Bewegung in ihre müden Knochen. Susi ist die Erste, die sich erhebt, um zurück zum Ufer des Flusses zu gehen, der eigentlich ein Flüsschen hätte sein sollen. Wir schleichen mal vorsichtig etwas näher, damit wir hören können, was Max seiner Freundin hinterherruft.
»He, Susi! Geh nicht zu nah ans Wasser, vielleicht kommt das Vieh wieder und schnappt dich.«
»Das würde dir ja ganz recht kommen«, antwortet Susi und man kann ihren Unmut noch immer deutlich heraushören. »Vergiss aber nicht, Superman schnell alles filmen zu lassen, anstatt mir zu helfen.«
»Spider-Man ist bestimmt noch in der Nähe, also keine Sorge«, ist sich Max sicher und schmunzelt zufrieden in sich hinein. »Was suchst du eigentlich da die ganze Zeit?«
Das frage ich mich auch. Susi beäugt akribisch die Stelle, an der sie vor etwa einer Stunde von der menschlichen Spinne an Land gezogen wurden.
»Wie wäre es zum Beispiel mit deiner alten Kurbel-Kamera aus dem Museum, Max Superschlau?«
»Vergiss das olle Ding! Das ist nicht halb so viel wert, wie der Film, den wir hier gerade drehen.« Max' Optimismus ist weiterhin unerschütterlich.
Susi jedoch sucht weiter, wird geradezu nervös. Hat sie auch etwas Wertvolles verloren?
»Was suchst denn du noch? Komm wieder her. Das Paddelboot sehen wir auch nicht wieder. Wir müssen zu Fuß weitergehen und sehen, was es hier noch alles für medienwirksame Viecher gibt.« Max steht auf und beginnt das Lager zu räumen.
»Schon gut, ich hab ihn gefunden«, ruft Susi erleichtert und hebt etwas Glänzendes aus dem schlammigen Flussufer.
»Ist das etwa dieser nutzlose Ring, den du letztens gefunden hast? Was willst du denn noch damit?«
»Vielleicht ist der Goldwert ja mit der alten Kamera zu vergleichen, wenn wir Glück haben.« Susi hat noch immer miese Laune, wenn es um Max und seinen Film geht, aber seit sie ihren Ring wiedergefunden hat, kann man zumindest wieder ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht erkennen.
Ob der Ring etwas mit dem Auftauchen des urzeitlichen Riesenkrokodils zu tun hatte, wollt ihr wissen? Das kann ich mir nicht vorstellen! Zauberringe gibt es doch nur in Büchern und Filmen. Seid nicht albern!
»Hast du wenigstens den kleinsten Gedanken daran verschwendet, dich zu fragen, wo wir hier überhaupt sind, Maximilian Winter?«, rüffelt Susi ihren Freund, als sie zum Camp zurückkehrt.
»Normalerweise müsste ein paar hundert Meter weiter Eichenstedt liegen, dachte ich«, antwortet Max und kratzt sich nachdenklich am Kinn.
»Ja, eben. Normalerweise.« Susi kramt eine Jacke aus Max' Rucksack, den er zum Glück bei dem Überfall des Kroko-Monsters nicht verloren hat, und zieht sie sich über. »Aber das alles hier ist nicht normal. Nichts daran. Nicht der plötzlich gewaltige amazonasgleiche Fluss. Nicht die dschungelartige Vegetation überall. Nicht das riesige Krokodil, das uns fast gefressen hätte und auch nicht Spider-Man, der aus dem Nichts angeschwungen kam, um uns zu retten. Von dem Elb, dem Zwerg und dem Widdergott sowie deinem kryptonischen Kameramann einmal abgesehen. Wie erklärst du dir das alles?«
Schweigen erfüllt die fremdartige Landschaft, bevor Max antwortet.
»Gar nicht«, sagt er schließlich.
»Gar nicht?«, wiederholt Susi seine Worte und legt ihre Stirn in tiefe Falten.
»Ich habe keine Ahnung, wie das alles möglich sein kann. Vielleicht haben wir das Tor zu einer Parallelwelt durchbrochen. Aber hätte dazu nicht dichter und gruseliger Nebel aufziehen müssen? Was denkst du denn, Susi, hm?«
»Ich hab auch keine Ahnung, was hier vorgeht, aber eines ist sicher: Wir sind hier überall aber nicht mehr in Groß Wiesenstedt. Wenn wir alles zusammengepackt haben, suchen wir den Rückweg. Ich bleibe hier keine Minute länger.«
»Auf keinen Fall!«, protestiert Max sofort lautstark. »Wir haben anscheinend eine fremde Welt entdeckt und stell dir doch nur einmal vor, was uns für Ruhm erwartet, wenn wir mit diesen Aufnahmen nach Hause zurückkehren! Wir werden reich und berühmt. STEINREICH!«, tönt Max voller Überzeugung und zeigt hektisch auf seinen Camcorder in Supermans Hand.
»Nur leider werden wir nie wieder nach Hause kommen, wenn wir hier noch weiter herumirren. Was muss denn noch alles passieren, dass du endlich wach wirst, Maximilian? Wir wären eben fast gefressen wurden! Von einem Tier, das es seit etwa 70 Millionen Jahren nicht mehr gibt, wenn das vorhin wirklich ein Deinosuchus oder etwas Ähnliches war. Was nutzt uns ein Haufen Geld, wenn wir tot sind?«, opponiert Susi und appelliert damit an das letzte Bisschen Vernunft ihres Freundes.
»Das Risiko ist es mir wert, Susanne«, spuckt Max Susis vollen Namen aus. »Und wie du gemerkt hast, haben wir einen heimlichen Beschützer«, fährt Max unbeeindruckt von den Sorgen seiner Freundin fort.
»Und wer garantiert uns, dass der wiederkommt? Ach, mach doch deinen Scheiß alleine, ich gehe jetzt jedenfalls zurück nach Hause. Auf nimmer Wiedersehen, toter Mann!«, sagt Susi, wendet sich von ihrem Freund und den wortkargen Chnum ab, um endgültig den Heimweg anzutreten.
Ich bleibe bei meiner Meinung, dass Susi recht hat und würde vorschlagen, dass wir uns ihr anschließen und einen Weg aus dieser urigen Welt finden. Hm, was hast du gesagt? Komische Geräusche aus dem Wald? Bäume bewegen sich? Was redest du da für einen ... Oh – mein – Gott!
»LAUFT!!! Ein Dinosaurier! LAUFT!!!«, schreit Susi aus voller Kehle, während sie zu ihren Freunden zurückrennt.
Kommt, Leute! Steht da nicht herum wie angewurzelt! Nehmt eure Beine in die Hand und folgt Susis Beispiel. Was heißt hier, angucken wollen? Nichts da! Wenn ihr nicht zertrampelt werden wollt, dann husch, husch!
Auch Max und die anderen scheinen eine Weile nicht zu verstehen, warum Susi, die gerade eben nicht schnell genug von hier fortkam, jetzt im Eiltempo wieder zu ihnen zurückkehrt. Doch kaum, dass sie den Grund für Susis Sinneswandel registriert hatten, liefen, beziehungsweise schwebten die Hobby-Abenteurer auch schon um ihr Leben.
Denn aus dem Urwald stapfte nichts Geringeres, als ein riesiger langhalsiger Dinosaurier. Ein Brachiosaurus, wenn ich mich nicht irre. Ein Pflanzenfresser zwar, aber dennoch von aberwitziger Größe und einem Gewicht von etwa dreißig Tonnen. Dem möchte man wahrlich nicht im Wege stehen!
Wir haben uns jetzt vom Ufer des Flusses sehr weit entfernt. Hoffentlich finden wir den Weg wieder zurück. Den Langhals scheinen wir abgehängt zu haben. Aber was haben Max und die anderen vor? Wollen sie in den nächsten Wald rein rennen, um dem Brachio zu entkommen? Aber sehen sie denn nicht, dass sich auch in diesem die Bäume bewegen? Schaut nach vorne, ihr Pfeifen! Um Himmelswillen!
»Was ist das denn schon wieder?«, kreischt Max panisch, als er sieht, was frontal auf ihn zukommt.
Vor uns steht ein zweiter Dinosaurier. Ein großer Zweibeiniger mit einem gewaltigen Schädel, aber schlankem Körperbau. Ein Tyrannosaurus ist das nicht, würde ich meinen.
»Das ist ein Giganotosaurus, glaube ich«, identifiziert Susi den hungrig aussehenden Vetter heutiger Hühner. »Den dürfte es doch auch nicht mehr geben. Das alles hier dürfte es nicht geben! Wo sind wir hier nur? Das ist alles nur deine Schuld, Max!«, stottert Susi und krallt sich an Chnums Ärmel fest.
»Er hat uns noch nicht gesehen, er will den Brachiosaurus«, stellt Max erleichtert fest.
Ich hoffe sehr, dass er damit recht hat. Apropos nicht gesehen – die vier haben uns in ihrer Panik auch noch nicht entdeckt. Lasst uns schnell dort drüben ins Gebüsch flüchten und hoffen, dass da nicht die nächste prähistorische Überraschung auf uns wartet.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ein Giganotosaurus einen Brachiosaurus überhaupt verträgt. Die beiden Arten lebten doch gar nicht zur selben Zeit und auch nicht am selben Ort«, grübelt Susi.
»Hör auf zu Klugscheißern! Lass uns einfach ganz vorsichtig aus dem Weg gehen, verflucht!«, schlägt Max zunächst vor und will sich leise davonschleichen, um nicht die Aufmerksamkeit des Raubsauriers auf sich zu lenken.
Doch dann hat er eine weitere Idee und man kann sich vorstellen, dass diese weniger mit Vernunft zu tun hat.
»Wa- wartet, Leute! Superman?! Das müssen wir unbedingt filmen. Zwei kämpfende Dinos, Wahnsinn!«, freut sich Max auf den bevorstehenden Kampf der Giganten. »Was sonst nur in der Fantasie der Menschen stattgefunden hat, werde ich der Welt in lebendigen Aufnahmen präsentieren! Das wird keine Hausaufgabe – das wird das achte Weltwunder!«
»Du bist der Wahnsinn in Person, Maximilian. Wenn du noch lauter schreist, entdeckt das Vieh uns doch noch«, ermahnt Susi vergebens ihren Freund.
Max ignoriert ihre Warnung hartnäckig und dreht sich um, um zu sehen, was der Brachiosaurus eigentlich die ganze Zeit treibt.
Ähm, ja. Den hatten wir vor lauter Schreck völlig vergessen!
»Wo ist der Brachio denn auf einmal hin?«, fragt Max schockiert, als er bemerkte, dass die langhalsige Riesenechse verschwunden war.
»Er war schlau und hat sich aus dem Staub gemacht«, stellt Susi fest. »Das würde mir zudenken geben, Max, dass ein Sauropode intelligenter ist, als du.«
»Aber wenn sein Beutetier fort ist, wen schaut der Giganoto dann die ganze Zeit so hungrig an?«, fragt Max unsicher nach und zeigt auf den Theropoden, dessen Speichel bereits aus seinem übergroßen Maul tropft.
Die Freunde schauen sich nur kurz an und schon liefen sie erneut um ihr Leben.
Hinterher, Freunde! Aber bleibt in Deckung, damit uns weder der Saurier, noch die Abenteurer entdecken!
»Los, ab in den Wald! Durch die dichten Bäume kann er uns nicht folgen«, führt Max die Truppe an.
Wie es aussieht, hat er dieses Mal eine gute Idee gehabt. Der Giganoto verringert sein Tempo und gibt ein frustriertes Knurren von sich.
Doch auf einmal stolpert der arme Chnum und fällt hin, während der hungrige Raubdinosaurier immer näher kommt.
»CHNUM!! Max, wir haben was verloren, du Ignorant!«, ruft Susi ihrem Freund zu, als sie sieht, dass der ägyptische Gott gestürzt ist.
»Auweia! Chnum. Steh doch auf! Superman, filmst du auch alles mit? Jetzt wird es richtig spannend«, befiehlt Max weiter.
»Er scheint sich etwas gebrochen zu haben. Ich muss ihm helfen. Chnuuuum!!«, schreit Susi, der das Leben ihres neuen mythologischen Freundes wichtiger ist, als Max' achtes Weltwunder. Ungeachtet der Gefahr rennt sie zu ihrem widderköpfigen Kameraden.
»NEIN! Susanne, bleib stehen! Giganoto wird dich fressen!«, versucht Max seine Freundin aufzuhalten, doch Susanne eilt unbeirrt weiter zu Chnum, welcher bewusstlos zu sein scheint.
Sollten wir nicht doch so langsam eingreifen und ihnen helfen? Nein, sagt ihr? Wie könnt ihr da nur tatenlos zusehen? Hm, was? Da ist noch etwas anderes im Urwald? Wo? Ach, da ist nichts. Das sind nur eure Nerven. Schaut lieber zu Susi. Sie ist so tapfer und selbstlos. Sie wird der eigentliche Star in Max' Video sein!
Sie versucht jetzt, den dämmernden Chnum hinter sich herzuziehen, doch sie ist zu schwach. Der Giganotosaurus kommt bereits gefährlich nahe. Ich ahne Schlimmes! Das kann nicht gut gehen, doch halt. Was in aller Welt ist das da drüben? Das, was ihr gemeint habt? Schön, ich hatte euch nicht geglaubt, aber jetzt traue ich meinen eigenen Augen nicht.
Als alles schon verloren zu sein scheint, kommt wie aus dem Nichts ein riesiger Gorilla aus dem Wald gesprungen und packt den Saurier mir nichts, dir nichts am Schwanz. Dieser lässt sogleich von seiner göttlichen Beute ab und wendet sich wutentbrannt dem Affen zu.
Max beobachtet alles fasziniert und wird dennoch ziemlich bleich vor Angst. »SUSANNE! LAUF!!!«, schreit er. »Film schön weiter, Superman! Halte genau drauf. Die ganze Welt muss sehen, wie dieser Riesenaffe dem Dino eins auf die Mütze gibt.« Aus diesem Jungen werde ich in dieser Geschichte nicht mehr schlau.
Chnum allerdings kommt langsam wieder zu sich und läuft jetzt zusammen mit Susanne in den sicheren Wald. Maximilian bleibt nahe dem Waldrand stehen und lässt Superman den spektakulären Kampf zwischen Dino und Riesengorilla filmen.
»Hey, Max! Steh da nicht so rum, lauf weg!«, ruft Susi ihrem Freund zu und wischt sich die Schweißperlen von der Stirn.
»Das ist der blanke Wahnsinn. Das wird die Szene des Jahres. Die ganze Welt wird Millionen bieten, um das hier sehen zu können«, träumt Max vor sich hin und nimmt keine Notiz von seiner weiteren Umgebung. »Hast du das alles drauf, wie der Dino dem Affen das Fell ausreißt und der Primat dem Saurier den Arm gebrochen hat? Hast du den Ton auch drauf, Superman? Die Menschen werden jubeln, kreischen, zahlen ...«
Susi und Chnum kommen wieder etwas näher. Die Neugierde scheint auch sie zu überwältigen und im Moment scheint keiner der Riesen sich für die Vier zu interessieren. Zu sehr sind sie mit sich selbst beschäftigt. Nun stehen sie also alle am Waldesrand und schauen voll Staunen und Angst dem Kampf der beiden Monster zu. Nach einigem Hin und Her besiegt der Gorilla schließlich den Giganotosaurus, indem er ihm das Genick bricht.
Ein widerliches Geräusch. Mir war noch nie so schlecht. Abgefahren fandet ihr das? Was stimmt mit euch nicht?
Abgefahren ist dann wohl auch das, was als Nächstes passiert. Denn der XXL-Gorilla hat unsere Abenteurer entdeckt und kommt schnurstracks auf Susi zu. Wie vom wilden Affen gebissen rennt das Mädchen tiefer in den dichten Wald, gefolgt von ihren nicht minder verängstigten Freunden. Der schwarze Riesen-Menschenaffe verfolgt sie im Eilschritt, doch aus unerfindlichen Gründen hat er jetzt angehalten und scheint sich zurückzuziehen. Die Gemeinschaft ist in Sicherheit.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es ab jetzt ruhiger werden wird ...
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