-Kapitel 35-

**Celine's POV**

•••

Unfähig mein Gegenüber anzuschauen, starrte ich die graue Wand an, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Mein Leben war ein einziges Schauspiel.

Nichts entsprach der Realität.

Es war nur das Fundament einer weit reichenden Lüge, welche sich immer weiter ausbreitete, bis ich sie von der Wahrheit nicht mehr unterscheiden konnte. In meinem Herzen bildete sich eine Leere, welche mich spüren ließ, dass alles, was mir meine Gedanken soeben gezeigt hatten, die Wahrheit war.

Sie war nie da gewesen.

Genau vor 6 Jahren ist sie verschwunden. Jedoch nicht einfach in eine andere Stadt oder Land, wo sie ein freudigen und sorgenloses Leben führen konnte. Nein, sie ist in den Himmel eingedrungen.

All die Hoffnung, dass ich sie wieder sehen würde, all die Briefe welche ich vergeblich an sie geschrieben hatte, lösten sich in Luft auf. Man kann jetzt behaupten, dass ich es schon immer gewusst hatte.

Aber habe ich das wirklich?

Wusste ich wirklich, dass sie über die ganzen Jahre nicht mehr unter uns Lebenden weilte?

Wie in aller Welt konnte ich so einen grausamen Schlüsselmoment nur aus meinem Gedächtnis verbannen?

Am liebsten würde ich einfach aufwachen wollen. Vor meiner Mutter, welche am Bettrand auf mich wartete und mir mitteile, dass ich einen schrecklichen Albtraum hatte. Wie sehr ich es mir nur wünschte.

Wie als wäre meine Seele an jedem anderen Ort als hier, schaute ich in Chans schockierte Augen.

„Sie ist tot"

, sagte ich monoton und biss mir auf meine Unterlippe. Jetzt zu weinen, wäre mehr als nur Zeitverschwendung.

"Sie?"

Chan setzte sich gegenüber von mir hin und musterte mich ungläubig. Ich wollte nicht reden, ich wollte nichts mehr fühlen.

Ich wollte nicht mehr existieren.

Doch ehe ich meinen Gedanken fortsetzten konnte, schreckte ich auf, als ich mich wieder in unsere derzeitige Lage versetzte.

„Felix! Wir müssen ihn finden!"

Auch wenn mir völlig schwindelig war, stand ich ruckartig auf und rannte, ohne auch nur Chan Beachtung zuschenken nach draußen. Ich darf mein eigenes Drama nicht in den Vordergrund rücken. Mein bester Freund war vielleicht in Lebensgefahr und es war meine Pflicht sicherzustellen, dass ihm nichts fehlte. Chan holte mich jedoch schnell ein und riss mich zurück.

"Du kannst nicht einfach am Tag auf die Straße rennen. Was ist mit deinem Vater? Ich kann nicht zulassen, dass er dich wieder wegsperrt!"

Weder die Gefahr, in die ich mich gerade begab noch Chans Argumente, brachten mich dazu jetzt einen Rückzieher zu machen.

"Felix ist unser Freund und ich werde jetzt zu ihm gehen. Egal, was es kostet"

, sagte ich kalt und riss mich wieder von ihm los. Ich rann so schnell ich konnte. Auch wenn mir jeden Moment sie Luft ausgehen würde, ich durfte nicht anhalten.

Kurz bevor sich die Türen der Bahn schließen konnten sprangen ich und Chan noch hinein. Ich ließ mich auf den Boden sinken, um wieder etwas Luft zu bekommen.

"Ist mit Ihnen alles in Ordnung?"

, fragte mich eine etwas ältere Frau, welche ebenfalls mit der Bahn fuhr und mich irritiert anstarrte.

"Ich bin nur zu schnell gerannt, mir geht es gut"

, gab ich kurzatmig zurück und betete dafür, dass die Bahn ein schnelleres Tempo annehmen würde. Wir hätten verdammt nochmal zurück zu Felix gehen sollen.

Wir hatten ihn alleine gelassen und dies würde ich mir niemals verzeihen können. Ich konnte nichts anderen mehr tun als ungeduldig aus dem Fenster zu starren. Es sind noch mindestens drei Minuten bis zu Felix und diese vergingen jedoch wie Stunden.

Stunden an denen ich einfach nur hoffen konnte dass es den Rothaarigen gut ging und dass er zuhause an seiner Konsole saß und einen schwierigen Boss besiegte. So wie wir ihn alle kannten.

Ich versuchte positiv zu denken. Vielleicht hatte er uns einfach nur reinlegen wollen, damit wir wieder als Dreiergespann zusammen waren. Gedanken, wie diese, ließen mir wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern sodass auch die unangenehmen Bauchschmerzen Geschichte waren.

Langsam richtete ich mich wieder auf, da die unzähligen Blicke der Passagiere mir allmählich auf den Geist gingen. Kurz darauf meldeten sich auch schon die Lautsprecher der Bahn, welche ich diesmal klar und deutlich verstand.

"Wir sind gleich da. Alles wird gut"

, flüsterte Chan und stützte sich vom Rand ab, bereit jeden Moment aus dem Gefährt zu rennen. Ich nickte ihn kurz zu und stellte mich ebenfalls in die Nähe der Schiebetüren.

Ich bemerkte es schon über die gesamte Fahrt, dass mein Begleiter ständig die Umgebung musterte, um sicher zu stellen, dass weder mein Vater noch andere Spitzel uns auf den Fersen waren. Ich versuchte einfach den Fakt zu ignorieren, dass meine Sicherheit gefährdet war.

Darum konnte ich mich später kümmern. Jetzt hatte ich ganz andere Prioritäten. Das Verkehrsmittel kam ruckartig zum stehen, sodass ich auf die linke Seite gerissen wurde, jedoch es gerade noch so schaffte auf den Füßen stehen zu bleiben.

Ich konnte es nicht mehr abwarten bis sich die Türen endgültig öffneten. Beinahe hätte ich versucht sie mit meinen eigenen Händen zu öffnen, doch in diesem Moment gingen sie schon auf. Nachdem ich aus dem Bus sprang, wusste ich genau wo ich hinrennen musste, da ich im selben Viertel wohnte.

Aus einen mir unerklärlichen Grund bildeten sich Tränen in meinen Augen. Ich wusste zwar nicht ob sie einfach nur das Resultat des mir entgegen blasenden Windes waren oder ob sich vielleicht viel mehr dahinter verbarg.

Ich setzte einen Fuß vor den anderen, bis ich das Gefühl hatte, dass ich ohne Hilfe mich fortbewegen konnte. Aus der Entfernung konnte ich schon das große Gebäude aus Glas erblicken und genau dahinter zeigten sich schon die ersten roten Strahlen, der untergehenden Sonne an.

Die letzten Meter sprintete ich durch, mit dem Gefühl bald meinen letzten Atemzug zu tätigen. Unerwarteterweise stand die Tür sperrweit offen und ließ sofort eine Gänsehaut auf meinem Körper entstehen. Die eins so positiven Gedanken waren verflogen. Alles was ich nun fühlte war Angst um meinen Freund.

Nach der Sekunde des Schocks, raste ich auch schon in das Gebäude hinein und legte jede einzelne Stufe hinter mir. Für einen Fahrstuhl, war ich viel zu unruhig. Auch Felix Tür stand offen. All meine Adern gefroren auf einmal.

Was ist, wenn diese mysteriösen Menschen Felix umgebracht haben?

Konnte ich es aufbringen einen meiner besten Freunde tot zu sehen?

Ich drehte mich unsicher zu Chan um, welcher auch nur mit schockierter Miene dreinschauen konnte. Auch er hätte es sich nicht vorstellen können, dass die Situation so enden würde.

"Wir sollten vielleicht die Polizei informieren.."

, brachte ich leise heraus und hielt weiterhin Abstand zur Tür.

"Dafür müssen wir uns erst einmal erkundigen, wie die Lage ist...Ich werde reingehen."

Er machte einige Schritte vorwärts.

"Und wenn sie noch da drinnen sind?"

, bestand ich weiter darauf.

"Hier draußen rumstehen bringt auch nichts. Bleib du aber bitte draußen. Wer weiß, was da drin ist."

"Nein. Ich komme mit."

Ich nahm all meinen Mut zusammen und trat noch eher als Chan hinein. Schon der erste Anblick verriet mir, dass hier etwas vorgefallen war. Etliche Möbel standen auf dem Kopf oder an einer anderen Position.

Blätter, welche zuvor auf dem Schreibtisch lagen, lagen verstreut auf der gesamte Fläche der Wohnung. Kurz bevor ich das Suchen aufgeben wollte entdeckte ich einige rote Tropfen in der Ecke vom Wohnzimmer.

"Chan? Ist das?..."

"Blut...verdammt."

Chan stützte sich mit seinen Unterarmen an der Wand ab und ließ seinen Kopf senken.

„Glaubst du er ist..."

, sagte ich unruhig und musterte die Umgebung direkt am Tatort.

"Nein sonst hätten sie ihn sicher hier gelassen."

Immer wieder kam mir in den Kopf, dass es vielleicht alles niemals passiert wäre wenn wir einfach zurückgekehrt wären. Wegen uns ist Felix zum Opfer gefallen.

Alles war unsere oder wohl eher meine alleinige Schuld. Doch bevor ich anfangen wollte all meine Wut auszulassen, weckte ein kleiner Zettel meine Aufmerksamkeit.

Ich hob ich langsam auf, mit der schlimmsten Erwartung, die man sich nur vorstellen konnte. Alles, was auf diesem Zettel notiert war, war eine Adresse. Die Adresse, wo sich Felix womöglich befand...

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