-Kapitel 23-
**Chan's POV**
Das Starten eines Motors. Ein Geräusch welches uns allen sicherlich bekannt ist. Ich richtete meinen verträumten Blick aus dem Fenster und überschaute meinen gewöhnlichen Nachhauseweg, an den ich mich auch nun endlich gewöhnt hatte.
Auch, wenn Seoul wahrscheinlich nie den Titel als mein 'wahres' zuhause verliehen bekommt, scheint es ein Weg in die richtige Richtung zu sein. Vielleicht würde ich hier bis ans Ende meiner Tage leben. Vielleicht aber auch würden mich meine Wege in ein mir bislang unbekanntes Land führen.
Wir, als Menschen, können die Zukunft nicht heraufbeschwören außer man glaub vielleicht einer alten Verrückten, welche nur durch ein paar Striche auf einer Hand einem sagen konnte wie genau die Zukunft aussehen würde. Ich wollte es nicht wissen. Die Zukunft ist ein Teil des Ungewissen, dem ich bereit bin zu folgen.
Ein kleiner Widerstand an meinem Oberarm brachte mich zurück in die Realität. Ich hatte Celine versprochen sie mit zu mir nachhause zu nehmen. War es eine gute Idee? Nein, es war wahrscheinlich die dümmste Idee, die ich jemals hatte.
Aus einer kleinen Ausrede, ohne Überlegung, entstand ein großer Fehler. Zum einen stand mir die Angst im Gesicht geschrieben. Angst, dass sie mich nach dem Anblick dieses erbärmlichen Loches verlassen würde.
Celine ist im Luxus und Reichtum groß geworden. Sie kannte die ärmlichen Verhältnisse nicht und vor allem kannte sie das Rotlichtviertel Seouls nicht. Ein Ort, den man am besten niemals freiwillig besuchen sollte.
Eine Sache hatte ich jedoch bedacht. Der Tyrann oder wie man üblich sagen würde mein Erschaffer, würde heute außer Haus sein. Unter keinen Umständen würde sie ihn jemals zu Gesicht bekommen. Keine Person, die mir wichtig ist, sollte von seiner ekelhaften Existenz erfahren. Kein Mensch hatte es verdient in die toten, grausamen, kranken Augen dieser Person zu schauen.
Je mehr ich über die Situation nachdachte, desto mehr hatte ich das verlangen sie aus diesem Bus zu ziehen und wieder zurückzulaufen.
Alles nur, weil ich nicht zugeben wollte, dass ich eifersüchtig war. Eifersüchtig auf ihr gutes Verhältnis zu Felix. Doch würde es überhaupt etwas bringen, sie von ihm wegzulocken? Wenn sie Gefühle für ihn entwickelt hatte, würde nicht einmal das sie stoppen. Vielleicht aber interpretierte ich viel zu viel in eine Sache hinein, welche sich schließlich als unwahr herausstellte.
Der Lautsprecher kratze etwas Unverständliches hervor und mit einem kurzen Schielen Richtung Anzeigetafel konnte ich auch sofort ablesen, dass wir bei der nächsten Station aussteigen mussten. Musste es denn schon so weit sein?
Würde es auffallen, wenn ich einfach sitzen bleiben würde und hoffen würde, dass wir an einem besseren Ort rauskommen würden?
Doch nun steckte ich tief im Schlamassel drin und musste aus meinem dummen Fehler lernen. Ab den Moment als wir die Innenstadt verließen, nahm der Bus eine schnellere Geschwindigkeit an. Die trübe Stimmung im großen Gefährt war deutlich zu spüren. Hier saßen nun nur noch die Leute, welche zurück in ihr wahres Leben geworfen wurden.
Ein Leben voller Geldnöte, Rechnung die nicht abbezahlt werden konnten, Luftverschmutzung, Dreck. Alles zusammen konnte man auch als mein derzeitiges Zuhause abstempeln. Ein ungemütliches Gefühl erstreckte sich über meinen ganzen Körper und griff die Angst, welche ich zuvor verspürt hatte, wieder auf.
„Wir müssen gleich aussteigen"
, sagte ich mit Furcht in meiner leisen Stimme und sah von der Seite auf sie herab. Celine konnte jedoch nur mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck aus dem Fenster schauen. Es wirkte fast so, als würde sie eine ganz neue Welt entdecken.
Eine Welt, welche niemals zu ihrem Sichtfeld gehören sollte. Der ruckartige Stillstand ließ mich zusammenzucken. Kurz nachdem ich realisiert hatte, dass wir angekommen waren, stand ich auf und riss Celine mit hinaus, da ich nicht wusste, wie lang die Türen offen stehenbleiben würden.
Noch im Lauf sagte ich ganz kurz: „Hier geht's raus"
, um sie nicht all zu sehr zu erschrecken. Gerade so auf zwei Beinen landeten wir an der Bushaltestelle noch kurz, bevor sich die Türen schließen konnten. Ein kurzer Blick nach unten verriet mir, dass ich immer noch ihren Arm hielt.
Auch wenn man diesen peinlichen Moment nicht mehr rückgängig machen konnte, ließ ich sie ruckartig los. Ihre Reaktion konnte ich jedoch nicht mit ansehen, da ich mich so schnell wie es mir möglich war zur Seite gedreht hatte.
„Wahrscheinlich nicht der Ort, den du erwartet hattest"
, flüsterte ich leise und hoffte inständig ein Gespräch mit ihr anfangen zu können. Ich vergrub meine verschwitzen Hände in meiner Jackentasche und schaute hoch in den rötlichen Himmel, welcher den Abend einleitete.
„So ist es nicht...Es ist nur so, dass ich nicht wusste, dass es so einen Ort in Seoul gibt...obwohl ich nur einige Kilometer weiter weg wohne."
Ihre Stimme wurde mit jedem Wort immer leiser. Ihre Augen musterten die Umgebung bis in die letzte Ecke. Sie fühlte sich unwohl. Das war mir sehr wohl bewusst. Aber wer würde sich hier auch wohlfühlen? Wahrscheinlich nur Junkies auf LSD, die diesen Ort als Wunderland sahen.
„Lass uns einfach den nächsten Bus wieder in die Innenstadt nehmen. Es wäre das beste. Wir könnten uns in ein Café setzten und uns dort unterhalten"
, versuchte ich mich aus meiner miserablen Situation zu retten.
„Nein. Schon gut. Lass uns einfach gehen, ja?"
Sie setzte ihren ersten Schritt an und zwang mich somit indirekt ihr zu folgen. Sie ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen, um sicherzustellen, dass ich noch in ihrer Nähe war. Angst war sicher ein Teil von ihr an diesem Ort. Ich hatte den Drang sie an die Hand zu nehmen, um sie zu beschützen, so wie es auch Felix zuvor getan hatte.
Ich wollte, dass sie weiß, dass sie bei mir sicher ist. Dass ihr nichts passieren wird. Aber mein innerer Widerstand ließ mich erneut an all meinen Entscheidungen zweifeln, sodass es doch nicht dazu kam. Wann bin ich nur zu so einem Versager geworden? Nicht, dass sie denkt, dass ich ein kaltherziger Idiot bin.
„Ich frage mich, wie es ist hier groß zu werden"
, sagte sie zu mir gewannt. Ein leicht trauriger Gesichtsausdruck war dabei wohl kaum zu vermeiden. Ich atmete tief ein, bevor ich ihr eine Antwort gab.
„Ich weiß es nicht. Aber jedes Kind, dass unter diesen Umständen aufwachsen muss tut mir aus ganzem Herzen leid. Hier zieht man einfach keine Kinder groß. Hier kommen die Leute hin, die keinen Sinn mehr im Leben haben"
, sagte ich ohne genau über meine Antwort nachgedacht zu haben.
„Ich hatte beinahe vergessen, dass du gar nicht ursprünglich aus Seoul kommst. Wie kann es nur sein, dass du gar keinen Akzent hast?"
Und genau das liebte ich an ihr. Sie ging unangenehmen Gesprächen aus dem Weg, wofür ich sie sehr schätzte.
„Das gehört zu Christopher Bangs größten Geheimnissen, meine Liebe. Vielleicht weihe ich dich irgendwann mal ein"
, lachte ich mit dem Gedanken, dass es nicht wirklich ein Geheimnis gab. Ich wollte einzig und allein dieses einseitige Gespräch wieder mit Leben erfüllen. Ich stoppte abrupt, da wir beinahe an der Wohnung vorbeigelaufen wären. Ehrlich gesagt hätte ich auch nichts dagegen gehabt einfach den weg weiter fortzusetzen.
„Ich schätze, wir sind da?"
, fragte sie verwirrt und starrte mich dabei erwartungsvoll an.
„Nur herein. Der Hausmeister schließt sowieso die Türen nie ab"
, sagte ich locker, als wäre es etwas völlig normales. Sie ging langsam auf die alte Tür zu und öffnete sie unsicher. Das Erstaunen in ihrem Gesicht, dass ich bei diesem Fakt nicht gelogen hatte, war kaum zu übersehen. Ich folgte ihr direkt hinterher. Danach übernahm ich die Führung und zeigte ihr den Weg bis zu richtigen Eingangstür, die ebenfalls nicht verschlossen war.
„Wir müssen das echt nicht machen, weißt du?"
, versuchte ich mich noch ein letztes Mal herauszureden. Meine Hand ruhte dabei auf der Türklinke, welche ich so schnell wie möglich einfach wieder loslassen wollte.
„Jetzt ist keine Zeit mehr für einen Rückzieher. Mach schon auf."
Ich konnte deutlich Aufregung in ihrer Stimme hören, auch wenn ich genau wusste, dass sie innerhalb von einigen Sekunden verfliegen würde. Das Treppenhaus war tatsächlich noch mit den kaputten Boden das schönste an dieser Wohnung.
Ich drückte die Klinke herunter, ohne jegliche Erwartung und ließ uns beide einen Blick in mein Leben nach der Schule blicken. Schon direkt im Eingangsbereich lagen die ersten Zigarettenstummel und der Geruch von Rauch dominierte die frische Luft vom Treppenhaus.
Im Wohnzimmer, welches man von hier aus sehen konnte, erstreckte sich eine große Pfütze. Ehrlich gesagt wollte ich gar nicht wissen um, was es sich dabei handelte. Die Röte stieß mir ins Gesicht und mir wurde augenblicklich bewusst, welchen Anschein dieses Loch wohl auf Celine machte.
„Es war eine schlechte Idee dich hier her zu bringen. Ich schaffe dich nachhause"
, stotterte und war gerade dabei die Tür zu schließen als ich, ein kratzigen Husten wahrnahm.
„Chan bist du es?"
Es fühlte sich für eine Sekunde an, als ob mein Herz aufgehört hätte zu schlagen.
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