-Kapitel 19-

**Chan's POV**

Schweigsam liefen wir nebeneinander her. Sogar Felix hatte es das Wort verschlagen. In der Ferne konnte man die Sonne hinter den Gebäuden kaum noch sehen.

Ich warf einige flüchtige Blick zu Celine doch sie starrte nur Löcher in den Boden. Worüber sie wohl gerade nachdachte?

Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen um ihr zu zeigen, dass alles wieder gut werden würde. Diese kurzen Erinnerungsverluste mussten sie wirklich belasten.

Das konnte ich ihr ansehen. Ob es vielleicht jemals dazu kommen würde, dass sie das alles hier vergessen würde? Würde sie sogar mich vergessen?

Dieser Gedanke führte dazu, dass ich innerlich zusammenzuckte. Wieso passierten solche schrecklichen Dinge nur den wundervollsten Menschen? Meine erste Intuition war es einfach von meinen Freunden zu fliehen, um alleine wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Doch in dieser Situation wäre es mehr als respektlos. Ich musste für sie da sein, auch wenn es mehr oder weniger indirekt war. Diese Stille zwischen uns war sehr ungewohnt, so ungewohnt, dass ich mich einige Male zur Seite drehen musste um sicherzustellen, dass sie immer noch in meiner Begleitschaft war.

„Ich möchte nicht nachhause.."

, sagte Celine in einer sehr leisen Tonlage. Ihr Ausdruck veränderte sich hierbei überhaupt nicht. Ich konnte verstehen, dass sie nicht zu ihrem Tyrann von Vater zurückkehren wollte.

Wollten wir nicht alle einfach die Straße weitergehen und uns überraschen lassen was der Weg ins Ungewisse für uns bereit hält?

„A-aber es ist schon spät. Wir sollten wirklich alle unseren Nachhauseweg antreten. Schließlich ist morgen Schule."

Solche reifen Worte waren eine Seltenheit bei Felix. Aber er hatte Recht. Es wäre sicherlich die klügere Option einfach die positiven Erlebnisse des heutigen Tages in den Sinn zu rufen und durch die Hölle, die man auch als Zuhause bezeichnen konnte zu gehen. Celine ging es da sicherlich ähnlich.

„Ich will nicht zu meinem Vater. Wenn es sein muss schlaf ich auf einer Parkbank"

, sagte sie energisch und man konnte klar und deutlich hören, dass sie es ernst meinte.

„Dann übernachte ich mit dir im Park"

, sagte ich und bereute sofort meine schroffe Aussage.

„Übernachtungsparty im März. Was für eine großartige Idee. Also ich werde euch Morgen nicht vom Boden abkratzen, wenn ihr festgefroren seid"

, lachte Felix. Doch Celine blieb ruhig wie zuvor.

„Felix hat recht. Es wäre nicht die klügste Idee. Bist du dir sicher, dass du nicht nach Hause möchtest?"

Sie nickte langsam und starrte mich darauf hin mit einen anflehenden Gesichtsausdruck an. Ihre Augen waren von ihren Tränen getränkt und es würde sicherlich nicht mehr lange dauern bis sie erneut zu weinen anfing.

Sie tat mir unendlich Leid. Doch selbst ich war in dieser Situation ratlos. Ich würde es niemals riskieren sie mit zu mir nachhause zu nehmen. Weiß Gott was mein Vater wieder praktizierte.

„Du kannst bei mir schlafen"

, sagte Felix aus dem nicht. Woraufhin wir ruckartig den Kopf hoben.

„N-nicht so wir ihr das meint..Ich...Ich wohne alleine seit einem halben Jahr und im Notfall hätte ich noch ein Sofa im Wohnzimmer. Aber du brauchst doch Morgen deine Schulsachen...."

Sofort ging sie auf ihn zu und schloss ihn die Arme. Ein ungewöhnlichen Gefühl machte sich in mir breit. Sie konnte doch nicht einfach bei ihm übernachten. Schließlich kannten sie sich kaum.

„Mein Vater sollte am Morgen schon bei der Arbeit sein sodass ich meine Schulsachen morgen einfach holen gehen kann. Danke Felix, du bist echt ein Lebensretter."

Zum ersten Mal seit der Geschichte mit dem Riesenrat konnte ich ihr breites, zauberhaftes Lächeln wieder sehen.

„Gar kein Problem. Aber sicher, dass du nicht in Schwierigkeiten kommen wirst?"

Sie verschränkte ihre Arme. War ihr kalt? Sollte ich ihr meine Jacke geben? Doch aus einem unerklärlichen Grund tat ich dies nicht.

„Mein Vater lässt mich Wochen lang alleine. Nicht mal als ich im Krankenhaus war, hat es ihn gejuckt. Für ihn bin ich doch nur eine Last. Wahrscheinlich hat er es nicht einmal mitbekommen, dass ich nicht im Haus bin"

,sagte sie kalt.

„Aber vergessen wir das Mal ganz schnell. Lass uns gehen."

Sie ging voraus um sich nach einigen Sekunden wieder umzudrehen, da sie keinen blassen Schimmer hatte wo unser rothaariger Freund wohnte. Grinsend lief Felix auf sie zu.

„Komm nimm meine Hand, damit wir dich ja nicht verlieren. Wenn du weiterhin geradeaus gehst wirst du niemals ankommen."

Ohne zu zögern nahm sie seine Hand an und sie kamen zusammen wieder auf mich zu. Sie an seiner Hand zu sehen, ließ mich unruhig werden. Auch wenn Felix eigentlich ein ganz netter Kerl ist, sollte er sie nicht als sein Objekt beanspruchen.

Schließlich ist sie ein freier Mensch und muss nicht ständig an ihm kleben. Auch wenn ich eigentlich nicht der Typ dafür war, hatte ich das verlangen Felix eine reinzuhauen.

„Beruhige dich Chan. Felix ist dein Freund."

, sprach ich mir ins Gewissen. Ich überdramatisierte wieder alles und interpretierte zu viel in eine Sache hinein.

„Ja lass uns gehen. Es ist schon sehr spät"

, sagte Felix. Mir blieb nichts anderes übrig als den beiden hinterher zu laufen. Ohne die Beiden bei ihrem Gespräch zu unterbrechen, wanderten meine Blick über den dunklen Nachthimmel, welcher schon einige funkelnde Sterne vorweisen konnte.

Es war schwer ihr wunderschönes, helles Lachen aus meinem Gehör zu verdrängen. Ich sehnte mich nach den lustigen und spaßigen Ereignissen zwischen uns.

Nach den einigen negativen Vorfällen, schien es schwer für sie sich richtig zu öffnen. Sie wird immer verschlossener. Ob sie wirklich ihre ganze Vergangenheit verdrängt hatte oder ob sie es mir einfach nicht erzählen wollte, war die große Frage, die ich nicht beantworten konnte. 

Trotz allem wollte ich ihr helfen. Ich wollte ihr helfen sich zu Öffnung und ich wollte ihr helfen über ihre Vergangenheit klar zu werden.

Sie hatte das Recht alles zu erfahren und alles hinter sich zu lassen um einen neuen Lebensschritt ohne ihre größte Angst, die Vergangenheit, zu beginnen. Nach einem langen Prozess des Nachdenkens, konnte ich sehen wie meine Freunde langsamer wurden und letztendlich zum Stillstand kamen.

„Ich wohne im sechsten Stock"

, sagte er und zeigte auf ein großes weißes Gebäude. Es sah relativ modern aus und befand sich auch in der reicheren Gegend Seouls.

Wenn ich mich nicht irrte, war es nicht sehr weit entfernt von Celines Wohnung. Felixs Wohnung konnte man wohl kaum mit dem Loch vergleichen indem ich zurzeit wohnte. Doch wenigstens konnte ich beruhigt sein, dass Celine nicht in einer zu schrecklichen Gegend übernachten würde.

Der Gedanke daran, dass ich sie gleich mit Felix alleine lassen würde, ließ meine Adern gefrieren. Wie zuvor konnte ich mich immer noch nicht mit dem Gedanken anfreunden.

„Ich werde gehen. Pass auf dich auf, Celine."

Bevor ich mich wegdrehte nickte ich meinen Kumpel nochmal dankend zu. Als ich noch ein letztes Mal zurückschaute, waren sie bereits nicht mehr da. 

**Celine's POV**

Ich sah zu wie er den Code seiner Wohnung eingab und hielt mich dabei im Hintergrund. Ein kleines Klickgeräusch wies uns drauf hin, dass wir nun die Wohnung betreten duften.

Wie ein Gentleman, ließ mich Felix als Erste eintreten. Mein erster Blick in den Eingangsbereich zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Es war genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Die Wände waren komplett in blau und weiß gehalten und an ihnen hingen einige Sport Poster und Fußballtrikots. Man trat direkt ins Wohnzimmer ein, wo sich ein großes schwarzes Sofa und ein Fachbildfernseher befand. Es war alles sehr modern, dennoch jugendlich gestaltet.

„Willkommen in meinen eigenen vier Wänden. Ein Wunder, dass es gerade mal nicht so aussieht als wäre eine Bombe explodiert."

Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen hatte, betrat ich mit langsamen Schritten, die kleine Wohnung. Durch die großen Fenster konnte man die Straßen Seouls sehen und im Hintergrund strahlte der Mond in seiner ganzen Pracht.

„Ich hole dir schnell eine Decke und ein Kissen. Mach es dir gemütlich. Meine Wohnung, ist deine Wohnung."

Mit diesem Worten verließ er das Wohnzimmer durch die Nebentür. Ich erblickte ein großes Regal mit den verschiedensten Büchern und Comics, die alle auf englisch geschrieben waren.

So wie ich hatte Felix eine Vergangenheit mit der englischen Sprache. Doch ein Blick zur linken Seite verriet, dass er keine große Leseratte war.

Die verschiedensten Konsolen und Videospiele stapelten sich unter dem großen Fernseher. Im nächsten Moment kam Felix, bepackt mit einer großen schwarzen Decke und einem Kissen, durch die Tür spaziert. Zusammen mit allem, schmiss er sich aufs Sofa und blieb darauf liegen.

„Geht es dir gut?"

, fragte ich gespielt und schmiss mich direkt neben ihn. Schon tauchte er wieder von dem großen Kissen auf und fing an zu lachen.

Mir war immer noch nicht klar, wie man nur so viel positive Energie verbreiten konnte.

„Wir sollten lieber nicht viel länger wach bleiben. Es ist schon 12:00 Uhr und morgen haben wir in der ersten Stunde Mathe."

Ich rümpfte meine Nase, schon allein bei dem Gedanken morgen wieder in die Schule zu gehen. Ich setzte mich auf und schaute wieder durch das Fenster.

„Wenn du möchtest können wir die Vorhänge auch zu machen"

, sagte er und deutete schon an, dass er im nächsten Moment aufstehen würde.

„Nein schon gut. Ich möchte den Mond sehen."

Nun schaute auch er aus dem Fenster.

„Er ist wirklich schön. Du hast recht. Naja..ich bin im Nebenzimmer wenn du mich brauchst. Das Badezimmer findest du im Gang links."

Er berührte noch ein letztes Mal meine Schulter und verschwand sogleich im Nebenzimmer. Nachdem ich den Mond lange genug gemustert hatte, breitete ich die Decke aus und platzierte das Kissen auf dem Sofa.

Als ich gerade dabei war mein Oberteil auszuziehen, wurde mir etwas bewusst.

„Ich konnte doch nicht einfach in Unterwäsche schlafen"

, ging es mir durch den Kopf. Als ich bereits beschlossen hatte in meinen unbequemen Sachen zu schlafen, öffnete sich wieder die Tür.

„Achja, hier...fang."

Reflexartig hielt ich meine Arme bereit, sodass im nächsten Moment ein langes T-Shirt in ihnen lag.

„Oh...Danke"

, antwortete ich etwa perplex und fragte mich ob Felix jetzt neuerdings Gedankenlesen konnte.

„Kein Problem, bleib nicht zu lange wach, ja?"

Als er nicht mehr im selben Raum war, entschloss ich mich doch das Badezimmer zu besuchen, da er ja jeden Moment wieder reinkommen könnte.

Dort zog ich mir Felixs riesiges Shirt an. Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass ich total fertig aussah und dringend Schlaf brauchte. Auf Felixs Sofa schlief ich schließlich, schneller als erwartet ein.

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