02 🩸 Tod der roten Rose
,,Es ist viel zu früh", klagte ich verschlafen und rieb mir die Augen. Jemand zog die Vorhänge auseinander und hieß die ersten Sonnenstrahlen des Tages willkommen. Murrend verschwand ich unter meiner Decke, die plötzlich wie von Zauberhand einen Meter über mir schwebte.
,,Erste Lektion. Unterricht beginnt um acht", verkündete eine hellwache Hope Mikaelson. War es erlaubt ungebeten in fremde Zimmer zu platzen?
Gähnend tippte ich auf den Wecker. ,,Schön für dich, aber das ist noch über eine Stunde hin."
,,Richtig. Frühstück um sieben. Mr Saltzman hielt es für eine gute Idee, wenn ich dir den Speisesaal und den Weg zu den Klassenzimmern zeige. Das hier..." Hope legte einen Stapel dunkelblauer und weißer Oberteile, Blusen, Röcke und Hosen auf das Bett. ,,... wurde von der Schule bereitgestellt. Du hattest ja kein Gepäck dabei."
,,Schön. Würdest du dann draußen warten, damit ich mich umziehen kann?"
,,Du hast 5 Minuten."
Großzügig.
Ich stolperte ins Badezimmer und versuchte mein dunkles Haar ansehnlich zu machen. Eine Ladung Wasser ins Gesicht weckte mich entgültig auf und die Kleidung der Schule passte weitgehend. Ich betrachtete mein Spiegelbild und schnaubte. Furchtbar! Ich sah wie ein braves Schulmädchen aus!
Immer noch müde folgte ich Hope in den Speisesaal. ,,Willkommen in der Hölle", murmelte ich beim Anblick der vielen plappernden Teenager. Ironischerweise kam ich direkt aus der Hölle. Die Seelen, die dort gequält wurden, durchlebten oft ihre schlimmsten Erinnerungen wieder und wieder. Davon war ich zwar weit entfernt, aber ich wollte nicht so weit gehen zu behaupten, dass ich mich wohlfühlte.
Da mein Magen knurrte schnappte ich mir ein Tablett, belud es mit Brötchen, Ei und Marmelade und setzte mich zu Hope. Die Tribridin sah nicht sonderlich glücklich aus, als sie eine der wenigen freien Plätze neben zwei Mädchen auswählte.
,,Mein Kleid für Miss Mystic Falls muss perfekt sein, Josie. Dad meint, ich soll mich an Mums Schrank bedienen anstatt eine Menge Geld auszugeben, aber ganz ehrlich... Ich werde auf keinen Fall mit demselben Kleid zur Wahl antreten, in der sie gewonnen hat. Es würde sich einfach nicht wie mein eigener Sieg anfühlen, verstehst du?", plapperte eine redselige Blondine ohne Punkt und Komma auf ihr Gegenüber ein.
,,Mhm..." , antwortete die Brünette ab und an, aber sie erweckte nicht den Eindruck, als hörte sie wirklich interessiert zu. ,,Kauf dir doch ein neues Kleid."
,,Dad will mir kein Geld leihen. Mum wird erst in drei Tagen wieder zurückkommen. Der Wettbewerb ist nächste Woche. Das ist eine Vollkatastrophe!"
Ich gähnte. Wie waren Menschen dazu in der Lage um diese Uhrzeit derart belanglosen Kram zu diskutieren? Es war lächerlich.
,,Lizzie, Liebes. Bist du mal wieder so sehr auf dich selbst fixiert, dass du nicht einmal bemerkst, dass deine Schwester dir gar nicht richtig zuhört?" Die Besitzerin der gespielt lieblichen Stimme setzte sich zwischen die braunhaarige Josie und mich.
,,Ich höre zu", verteidigte Josie ihre angebliche gedankliche Abwesenheit und funkelte ihre neue Nebensitzerin genervt an.
,,Wer hat dich denn gefragt?", fragte Lizzie augenrollend.
Ungerührt richtete der Neuankömmling ihren Blick auf Hope. ,,Hab gehört, Mr Saltzman hat dich gestern Abend wieder damit beauftragt, die Heldin zu spielen. Wie geht's dem Eindringling, den du verjagen solltest?"
Es war offensichtlich, dass versucht wurde, die vorherrschenden Spannungen zum eskalieren zu bringen. Seelenruhig kaute ich meinen Toast zuende und trank den mittlerweile lauwarmen Kaffee. Das Essen schmeckte eigentlich sehr passabel.
,,Dad hat WAS?", rief Lizzie ein bisschen zu laut. Sämtliche Mitschüler blickten in unsere Richtung.
,,Das war keine große Sache, Liz", meinte Hope. ,,Cassie hat die Klingel nicht gefunden."
Die Erwähnung meines Namens lenkte die Aufmerksamkeit nun final auf mich. ,,Das Tor zu öffnen war einfach. Wer hätte denn ahnen können, dass Miss Superpower hier gleich versucht, mich mit einem Zauber niederzustrecken?"
,,Ich kann nicht fassen, dass Dad schon wieder Hope gefragt hat, anstatt uns", hing Lizzie immer noch beim vorigen Thema fest. Anscheinend waren das die Töchter des Schulleiters.
Josie seufzte. ,,Er hatte bestimmt einen Grund dafür."
,,Sicher. Genau wie letzte Woche, als Hope geholfen hat, diesen Werwolf abzufangen. Oder am Dienstag. Dad hat ihr eine Traininseinheit gegeben... einfach so."
,,Übertreib es nicht. Die Sache mit Cassie war kaum der Rede wert. Und letzte Woche Dienstag warst du damit beschäftigt, dich für Miss Mystic durch die Kleider deiner Mutter zu probieren", versuchte Hope sich rauszureden. ,,Beschwer dich doch einfach bei deinem Vater, anstatt bei mir."
Mir gefiel das Schauspiel. Es flogen beinahe die Fetzen und ich fühlte mich prächtig unterhalten. Eifersucht war ein hässliches Gefühl. Die arme Lizzie glaubte wohl, dass ihr Vater Hope bevorzugte.
Lizzie stand auf, um einen filmreifen Abgang hinzulegen. Josie wandte sich an ihre Nebensitzerin. ,,Na besten Dank auch, Penelope. Hast du nichts besseres zu tun, als Lizzie zu provozieren?"
Penelope zuckte die Achseln. ,,Das waren Fakten, Jojo. Dein Zwilling reagiert nur übertrieben dramatisch darauf."
Josie folgte ihrer Schwester. Penelope hielt mir die Hand hin. ,,Josie ist meine Exfreundin. Ab und an muss man sie daran erinnern, dass sie nicht alles tun muss, was Lizzie ihr sagt."
Ich mochte Penelopes direkte, abgeklärte Art. Ich schüttelte ihre Hand. ,,Schnapp sie dir. Ich kenne euch kaum zehn Minuten und merke, dass sie auf dich abfährt."
Penelope zwinkerte. ,,Wenn sie mich wieder abweist, schuldest du mir etwas."
Ich blieb allein mit Hope zurück, die zwar vorgab zu essen, die meiste Zeit aber nur unbeteiligt in ihrem Rührei herumstocherte. ,,Warum lässt du dir das gefallen? Bist du nicht das mächstigste Wesen des Planeten oder so?", fragte ich die Tribridin.
,,Beeil dich. Der Unterricht beginnt gleich."
•••
Langweilige Stunden zogen sich wie Kaugummi dahin. In den meisten Fächern verstand ich nur Bahnhof. Ich wuchs nicht in diesem Jahrhundert auf und verstand nichts von Mathematik oder Biologie. Kurz vor dem Mittagessen fand endlich das erste interessante Fach statt: Lehre der Magie, ein Fach speziell für Hexen.
Die Lehrerin selbst weckte schon meine Aufmerksamkeit. Freya Mikaelson gehörte zur Urfamilie und war somit Hopes Tante und eine der begabtesten Hexen, die es gab.
Auf jeden Tisch tauchte ein schlichter Pflanzenkübel voller Erde auf. ,,Für diese Übung braucht ihr keinen konkreten Zauberspruch. Letzte Woche ist mir aufgefallen, dass einige sich ihrer Verbindung zur Erde immer noch nicht ganz bewusst sind. Die Verbindung zur Natur herzustellen ist als Hexe von elementarer Bedeutung. Nutzt ihr diese Hilfe nicht, werdet ihr euch früh verausgaben und daran zugrunde gehen. Wenn ihr dort draußen Großes vollbringen wollt, solltet ihr die Elemente und die Natur zu nutzen. Spürt es in eurem Herzen."
Es war lange her, dass ich versuchte, eine Verbindung zur Erde herzustellen. Die dunkle Magie, die ich vor meinem Tod nutzte, kam aus anderen Quellen. Es war die Finsternis selbst.
Die Magie, die ich genutzt hatte kannte keine Grenzen, keine Zähmung. Sie war wild und kaum zu bändigen.
Freyas Hand schwebte nur Zentimeter über der feuchten Erde. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. ,,Nur wenn ihr eins mit der Natur werdet..." Unter Freyas Fingern zuckte die Erde und ein schmaler Stängel bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche. Kleine Blätter und Dornen wuchsen an der Seite, während die Pflanze immer höher wuchs. Wie in Zeitraffer bildeten sich saftige rote Blütenblätter. Und dann öffnete die wohl schönste Rose, die ich in meinem Leben gesehen hatte, ihre Blätter. ,,... wird die Natur euch belohnen."
Ich hielt meine Hand über die feuchte Erde und stellte mir vor, Kraft aus ihr herauszuziehen. Mit verschlossenen Lidern nutzte ich die Magie, formte sie und imaginierte eine Rose. Der dünne Stängel, die geschwungenen Blätter, zarte Dornen und zu guter Letzt blutrote Blätter. Ich ließ die Magie frei, um meinen Befehl auszuführen.
,,Hör sofort auf." Freyas Stimme drang in mein Bewusstsein.
Schlagartig öffnete ich die Augen. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die zarte Rose verwelkte und von pechschwarzem, schweren Rauch umwirbelt wurde. Blütenblätter segelten hinunter und der Stängel nahm rasant an Durchmesser zu. Er wuchs breiter und breiter und die Dornen passten sich der Größe an. Eine mörderische Dornenranke quoll aus meinem Topf, der zerbarst. Die Ranke wuchs und wuchs und es kamen ständig neue Dornen nach. Lizzie Saltzman flüchtete, weil sie sich um ihren Stuhl wickelte.
Ich spürte es wieder. Die Energie, die Grenzenlosigkeit, das Gefühl purer Macht.
Es war unglaublich.
Ich lächelte.
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