﹝P﹞rolog

„Huhu!", rief Lucy. Ihre Stimme hallte von den Wänden zurück und ein zauberhaftes Echo entstand.

„Sch, sei nicht so laut", flüsterte Lotta und sah sie warnend an. Kichernd hielt Lucy sich ihre Hand vor ihren Mund und rannte weiter.

Erst jetzt hatte Lotta Zeit sich den Raum anzusehen. Er sah ein wenig aus, wie eine Kapelle aus dem Barock, aber alles schien restauriert worden zu sein. Die hellen Gelb- und Weißtöne strahlten richtig um die Wette, dabei war das Kloster doch schon ewig verlassen.

„Was ist da hinten?", fragte Lucy und zeigte auf eine Tür.

„Ich weiß es nicht", antwortete Lotta und kam zu ihr. Die Tür war fast unsichtbar neben dem Beichtstuhl angebracht und ganz niedrig, Lotta passte im Gegensatz zu Lucy nicht mehr im Stehen durch. Sie sah fast aus, wie eine Hundeklappe. Bei dem Gedanken grinste Lotta.

„Können wir gucken?" Lucys Augen leuchteten auf vor Neugier.

„Nein, wir wissen doch gar nicht, was dahinter ist." Außerdem hatte ihre Neugierde sie schon viel zu weit ins Innere dieses Komplexes geleitet.

„Deswegen will ich doch gucken! Biiiiitte", rief Lucy ein bisschen lauter. Der Punkt ging an Lucy. Lotta rang mit sich. Eigentlich wollte sie hier gar nicht mehr weitergehen, sondern wieder zurück zu ihren Eltern in die Kunstausstellung, damit nichts auffiel. Aber auf der anderen Seite konnte sie Lucy nicht enttäuschen und sie wollte doch auch selbst wissen, was dort dahinter lag.

„Aber wir gucken nur ganz kurz rein, dann gehen wir zurück", gab sich Lotta unter dem flehenden Blick von Lucy geschlagen und Lucy nickte fleißig. „Lass uns aber erst horchen, ob nicht jemand darin ist." Und wieder nickte Lucy fleißig, während Lotta ihr Ohr an die Tür hielt. Von drinnen kam kein Geräusch, fast als wäre dahinter nur eine Wand.

„Kann ich?", fragte Lucy mit der Hand auf der Türklinke und einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich war es sowieso nur eine alte Abstellkammer, in der es nicht viel zu sehen gab, dachte Lotta und nickte, woraufhin Lucy langsam die Tür aufmachte, auch wenn man sehen konnte, wie gerne sie sie einfach aufgerissen hätte und hineingestürmt wäre. Gebeugt lief Lotta Lucy hinterher durch die Tür und was sie dahinter sahen, verschlug ihnen beiden den Atem. Statt einer Abstellkammer voll Gerümpel erstreckten sich vor ihnen meterlange Regale, gefüllt mit Tonnen an Büchern, die sich bis kurz unter das Dach stapelten. Ganz hinten waren lange Fenster hoch unter der Decke angebracht, durch die das Sonnenlicht schien und den Staub geheimnisvoll glänzen ließ.

„Oh wow!", quietschte Lucy. Lotta ließ die Buchrücken unter ihren Fingern dahin gleiten, während sie die Titel las. ,Mein Reich, Das Leben von Alexander dem Großen' von Oscar Brown, ,Die Gedichte der Orphäer' von Tina Bert, ,Unterschied, Die Welt und wie sie sich veränderte' von Alex Fuhrer. Es waren alles unbekannte Autoren, aber alles schien sich auf die Vergangenheit zu beziehen.

Lotta kam am Ende der Reihe an und als sie um die Ecke sah, erblickte sie noch mehr Regale, alle gefüllt mit Büchern. Es verschlug ihr ein weiteres Mal den Atem, wie viel hier geschrieben stand.

Sie drehte sich zur anderen Seite, als sie merkte, dass Lucy nicht mehr neben ihr stand. „Lucy?", rief Lotta. Es kam keine Antwort. „Lucy?", rief sie etwas lauter. Ganz leise beschlich sie die Angst. Sie durfte ihre Schwester hier nicht verlieren, wie sollte sie das denn ihren Eltern erklären? Sie versuchte die Gedanken zu verdrängen und lief los, um durch die Reihen zu sehen. Mit jeder leeren Reihe wuchs ihre Anspannung. Und was ist, wenn sie nicht alleine hier waren? Schließlich kannten sie sich hier nicht aus, die Regale konnten alles Mögliche versteckt halten. Wenn sie hier nie wieder rauskamen?

Da kam plötzlich ein Kopf aus einer Reihe. „Lotta, komm her!"

Lottas Gesicht erhellte sich: „Lucy! Da bist du ja!" Lucy sah sie etwas verwirrt an, aber da war sie schon in einer Umarmung von Lotta gefangen. „Man, hab ich mir Sorgen gemacht. Du darfst doch nicht einfach weglaufen, wenn wir irgendwo sind, wo wir uns nicht auskennen!"

Lucy sah sie noch immer verwirrt an, anscheinend hatte sie nicht den leisesten Plan, was sie falsch gemacht hatte. Lotta ließ sie los und schüttelte den Kopf. „Jetzt, zeig mir schon, weswegen du mich hier haben wolltest."

Sofort war Lucy wieder bei der Sache. „Hast du schon mal in eines der Bücher geguckt? Da ist gar nicht das drinnen, was drauf steht!" Sie hielt Lotta eines der Bücher geöffnet hin.

„Das sind ja Telefonbücher!", lachte Lotta. Sie erinnerte sich, dass bei vielen Filmsets Telefonbücher neu eingebunden wurden, damit sie von außen anders aussahen. „Vielleicht wurden hier Filme gedreht?", überlegte Lotta spaßhaft.

„Meinst du echt?", fragte Lucy und machte große Augen.

„Nein Quatsch." Sie verwuschelte Lucy die Haare. „Doch nicht hier. Was sollen die Leute hier? Wir sind hier im Nirgends." Nun nahm sie selbst auch eines der Bücher und tatsächlich, auch das war ein Telefonbuch. „Es ist das Selbe, wie deines. Ich frage mich, woher sie so viele Telefonbücher haben sollen. Welcher Verlag druckt denn solche Massenproduktionen? Das müssen doch sicher Tausende sein." Sie legte das Buch wieder zurück.

„Vielleicht sind es geschützte Bücher, die nur aussehen, als wären sie Telefonbücher, um unerwünschte Gäste zu v..."

„Sei leise. Was war das?" Lotta lauschte.

„Ich weiß nicht, aber auf den Büchern ist jetzt ein Siegel." Lucy stellte es so dar, als wäre es ganz normal, dass plötzlich auf den Büchern ein goldenes Schild zu sehen war, das die Aufschrift „Gesperrt" trug.

„Das ist gruselig."

„Äußerst."

Lotta sah Lucy für ihren Sarkasmus böse an. „Du bist zehn Jahre, Sarkasmus passt nicht zu deinem Alter."

Lucy streckte die Nase in die Luft. „Ist mir doch egal."

„Lass uns gehen. Ich finde das gruselig und Mama und Papa wollen wahrscheinlich auch bald gehen. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen müssen."

„Aber es ist doch gerade erst spannend geworden! Glaubst du in jedem Buch stehen Telefonnummern?"

„Erstens, es ist nicht spannend, sondern gruselig geworden und zweitens, gucken wir jetzt nicht jedes Buch dafür durch, also komm." Damit zog sie Lucy hinter sich her. Widerwillig ließ sie es zu. In Lotta machte sich das Bedürfnis breit, endlich aus dem Raum zu kommen, weswegen sie immer schneller wurde.

„Hör auf so zu ziehen! Das tut weh!"

Auf  Lucys Bitte hin verlangsamte Lotta ihren Gang ein bisschen. Aus den Augenwinkeln nahm sie fallende Bücher war, aber auf dem Boden kam keines an. Intuitiv steuerte sie schneller auf die Tür zu, als sich Platzangst in ihr breitmachte, bis sie fast dagegen gelaufen wäre.

„Pass auf, Lotta!", rief Lucy, aber Lotta hatte sich schon wieder gefangen. Sie stürmte in die Kapelle und hielt sich stolpernd an einer der Bänke fest. Nach und nach fiel all die Anspannung von ihr ab und ihr Atem beruhigte sich langsam wieder.

„Komm lass uns von hier verschwinden", sagte Lotta und lief zum vorderen Teil der Kapelle, doch Lucy folgte nicht. „Lucy, was ist, komm doch!" Lucy wollte gerade antworten, als Lotta es schon sah. „Die Tür", sagten sie beide gleichzeitig und Lucy zeigte zur Bestätigung noch einmal auf die Wand, wo eben noch die Tür gewesen war. Jetzt war sie genauso weiß gestrichen, wie der Rest.

„Lotta, ich hab Angst", rief Lucy und rannte zu ihr.

„Brauchst du nicht, die Tür tut dir nichts", sagte Lotta, aber selbst war sie mindestens genauso aufgewühlt. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und lief aus der Kapelle. Lucy folgte ihr ohne Widerrede.

『 ꆭ✍︎ 』

Geschrieben von @unicornlelo
1235 Wörter

Wer will das nächste Kapitel schreiben?

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