𝐈 | moments
YEAR ONE
Es gab viele Momente im Leben, die einzigartig sind. Momente, für die man alles geben würde, sie noch einmal zu durchleben. Dein erster Kuss, die erste Liebe. Diese eine Nacht am Lagerfeuer mit deinen Freunden. Dein Geschwisterkind das erste Mal im Arm zu halten, das erste Mal das Meer zu sehen.
In der Zaubererwelt war für die meisten der erste dieser Augenblicke ganz klar: als Erstklässler durch Hogwarts' Tore zu schreiten. Das Schloss, das für die meisten im Laufe der Jahre zu einem Zuhause wurde, das schon so vielen jungen Zauberlehrlingen half, die Magie zu entfachen, die in ihnen steckte.
Auch für Albus Potter war es eine unvergessliche Erinnerung.
Er bekam den Mund vor Staunen gar nicht mehr zu, als er am ersten September von Hagrid angeführt die Eingangshalle betrat, neben ihm seine Cousine Rose. Sie schien jedoch gar nicht ganz so begeistert zu sein: viel mehr begutachtete sie mit konzentriert zusammengekniffenen Augen ihre Umgebung, als wolle sie sich jedes Detail einprägen.
Im Zug hatte sie Albus davon erzählt, dass das Schloss so groß war, das Erstklässler sich häufig verliefen. Solch eine Schmach würde Rose Granger-Weasley natürlich nicht über sich ergehen lassen, und deshalb hatte sie sich vorgenommen, alle Wege und Korridore perfekt auswendig zu lernen. Den halbherzigen Protest ihres Cousins, dass das praktisch unmöglich war, hatte sie geflissentlich ignoriert.
"Warte doch wenigstens, bis wir einsortiert wurden.", murmelte Albus ihr genervt zu, sobald sie vor den Toren der großen Halle zum Stehen gekommen waren.
"Nein.", zischte sie zurück und versuchte anscheinend angestrengt herauszufinden, wohin der Korridor zu ihrer Rechten führte.
Dann jedoch begann Professor Sprout zu sprechen und schlagartig richtete sich Rose kerzengerade auf und starrte sie an. Wenn ihr etwas wichtiger war als sich nicht zu verlaufen, dann waren es die Lehrer.
Sprout erzählte nur davon, dass sie nun eingeteilt werden würden. Nichts, dass Albus nicht bereits von seinem Vater und seinem großen Bruder wusste. Er war alles andere als entspannt wegen der Einteilung; zwar hatte ihm James mehrmals versichert, dass er nach Gryffindor kommen würde wie bisher jeder in seiner Familie, und doch wurde er das Gefühl nicht los, dass er dort nicht hinpasste.
Das mulmige Gefühl in seinem Magen wurde mit jedem Schritt in die große Halle stärker. Ganz im Gegensatz zu ihm hatte Rose ihre Brust ausgestreckt und marschierte voller Stolz neben ihm her - sie wusste, was sie erwartete. Gryffindor, vielleicht auch Ravenclaw. Allerdings war Gryffindor wahrscheinlicher, jedenfalls vermutete das Albus.
Nachdem die Schulregeln von Professor McGonagall verlesen wurden, begann die Einteilung.
Attwell, Clarence. Hufflepuff.
Baileigh, Cassandra. Ravenclaw.
Die Liste ging weiter. Die Häuser bejubelten ihre neuen Mitschüler, die sich manchmal verschreckt, manchmal stolz und manchmal gleichgültig an die jeweiligen Tische setzten.
Granger-Weasley, Rose.
"Wünsch mir Glück.", zischte sie Albus zu. Aber er wusste, das würde sie nicht brauchen.
Knapp eine halbe Minute schien der Hut nachzudenken, die Stille unterbrochen von dem Getuschel der anderen Schüler. Die Tochter der Zaubereiministerin war schließlich nicht unbekannt für sie, aber Rose schien die Aufmerksamkeit zu genießen. Albus versuchte, sie zu ignorieren.
"Gryffindor!", rief der Hut dann durch die Halle und der Tisch der Löwen applaudierte besonders laut. Albus sah, wie James sich über den Tisch lehnte und seinem Cousin Fred ein High Five gab.
Es wurden ein paar weitere Leute aufgerufen, bis - Malfoy, Scorpius.
Das Getuschel in der Halle schwoll an, Malfoy war auch kein unbekannter Name. Allerdings weniger im guten Sinne bekannt.
Ein Junge mit weißblonden Haaren bahnte sich unsicher seinen Weg nach vorne und augenblicklich verspürte Albus Mitleid mit ihm. Er würde es hier sicher schwer haben, wenn ihn jetzt schon einige Gryffindors verächtlich anstarrten. Der Potter nahm sich fest vor, extra nett zu Scorpius zu sein. Vielleicht würden sie ihn dann in Ruhe lassen, denn schließlich würde sich ja niemand mit dem Sohn von Harry Potter anlegen wollen, oder?
"Slytherin!", rief der Hut nach einer gefühlten Ewigkeit. Scorpius sah nicht besonders überrascht aus, genauso wenig wie irgendjemand anders. Albus sah ihm nach, wie er sich auf einen Platz weit neben den anderen aus seinem Haus setzte.
Es wurde noch jemand nach Gryffindor eingeteilt und dann noch jemand nach Hufflepuff, bis sein eigener Name aufgerufen wurde. Mit zitternden Händen stieg er nach oben und setzte sich auf den Stuhl.
"Hm.", erschallte eine tiefe Stimme.
"Ich sehe sehr viel Ehrgeiz. So viel Ehrgeiz, das man ihn schon beinahe mit Sturheit gleichsetzen könnte. Du bist impulsiv, nicht wahr? Aber auch intelligent und gewitzt. Und loyal, sehr sogar. Ich denke, ich habe die perfekte Wahl für dich - SLYTHERIN!", das letzte Wort schallte durch die große Halle und was eben noch Getuschel darüber gewesen war, dass Hogwarts von nun an zwei der Potters beherbergte, war nun dröhnende Stille.
Albus konnte nicht sagen, dass er es nicht kommen sehen hatte, aber die Blicke von Rose und James wirkten trotzdem wie ein Schlag in den Magen. Er interessierte sich nicht dafür, dass ihn ganz Hogwarts anstarrte, als hätte er gerade einen Geist beschwört, aber die Enttäuschung im Gesicht seines Bruders und die Verwirrung im Gesicht seiner Cousine waren zu viel.
Er wandte den Blick vom Gryffindortisch ab und ging wie in Trance zu den Slytherins hinüber. Ohne es wirklich zu registrieren, ließ er sich neben Scorpius nieder.
"Hey!", begrüßte ihn dieser sofort mit einem Enthusiasmus, den Albus nicht erwartet hatte.
"Hi.", antwortete er ein wenig tonlos.
"Wow, ein Potter in Slytherin. Ich meine, ich hab ja erwartet, dass ich hier hinkomme, aber du?" Albus antwortete nicht.
"Tschuldige. Das war nicht gerade hilfreich. Aber sieh es positiv, vielleicht veröffentlicht der Tagesprophet morgen einen Artikel darüber!", Albus sah den blonden Jungen an und zog eine Augenbraue hoch. Scorpius' Wangen verfärbten sich leicht rosa.
"Entschuldige. Nicht hilfreich. Mein Vater hat mir extra gesagt, ich sollte nicht so viel reden - allerdings hat mir meine Mutter gesagt, dass reden gut ist, weil man so viele Freunde findet. Also - Warte, das klang total bescheuert. Könntest du vielleicht alles, was ich gesagt habe, aus deinem Gedächtnis löschen und wir beginnen nochmal von vorne?" Gegen seinen Willen musste Albus ein wenig schmunzeln und er nickte.
"Okay. Hi, ich bin Scorpius.", sagte Al's Gegenüber und streckte seine Hand aus. "Moment, du weißt ja eigentlich schon, dass ich Scorpius bin. Und ist Händeschütteln zu formell?"
Anstatt zu antworten streckte Albus seine Hand aus und schüttelte die des Malfoys.
"Hi Scorpius, ich bin Albus."
-:-
Der erste Schultag. Albus war dementsprechend nervös und wachte schon um fünf Uhr morgens auf.
Zu seinem Erstaunen waren die Gardinen bereits zur Seite gezogen und die ersten Herbstsonnenstrahlen erhellten das Zimmer. Müde blinzelte Albus und stand auf.
Scorpius kniete in seinem karierten Schlafanzug vor seinem Bett und räumte sehr sorgfältig den Inhalt seines Koffers in die Kommode. Als er bemerkte, dass Albus wach war, sah er erfreut auf.
"Guten Morgen! Hab ich dich geweckt?"
"Nein.", erwiderte Albus knapp, seine Stimme noch rau vom Schlaf.
"Enschuldige, ich stehe immer so früh auf. Macht der Gewohnheit.", erwiderte der Malfoy und öffnete nun seinen Nachttisch, um dort Bücher einzulagern.
Albus antwortete nicht. Woher nahm Scorpius bitte so früh am Morgen seine Energie her?
Er erfuhr bald, dass Scorpius den ganzen Tag über so viel Energie hatte. Den ganzen Weg zu ihrer allerersten Stunde Zauberkunst plapperte er in einem Zug. Albus hörte ihm nur mit halben Ohr zu, aber das war für keinen der beiden ein Problem. Scorpius schien es nicht einmal zu bemerken, und Albus zog seinen Monolog peinlichem Schweigen vor.
Ausgerechnet ihre erste Klasse hatten sie mit den Gryffindors. Und wie es zu erwarten war lehnte Rose bereits neben dem Türrahmen, die Nase in ihrem Verwandlungsbuch. Sie war vermutlich noch früher aufgestanden als Scorpius.
"Und, hast du dich verlaufen?", begrüßte Albus sie mit einem Grinsen. Scorpius sah ihn verwirrt von der Seite an, fragte aber nicht nach.
Rose zuckte zusammen und ließ ihr Buch fallen. "Du unsäglicher Vollidiot!", schnauzte sie Albus an. "Jetzt finde ich meine Seite nicht mehr." In der Mitte des Satzes verwandelte sich ihr genervter Ton in einen milde überraschten, als sie bemerkte, dass noch jemand neben ihrem Cousin stand.
"Hi!", begrüßte sie Scorpius begeistert.
Rose sah Albus an, mit einem Blick der ganz klar sagte 'Malfoy? Im Ernst?'. Albus zuckte nur die Schultern als Antwort.
"Okay. Also, das können wir regeln." Rose schien einen Moment mit sich selbst zu ringen. "Einerseits, meine Mutter hat mir beigebracht, niemanden zu verurteilen. Andererseits, mein Vater hat mir beigebracht, dass alle Malfoys miese Frettchen sind.", murmelte sie zu sich selbst. Als Albus Scorpius einen Seitenblick zuwarf, sah dieser ein wenig verletzt aus, aber solche Dinge hatten Rose noch nie daran geändert, brutal ehrlich zu sein.
"Deshalb stellt sich mir die wichtige Frage: Wwrt?"
Scorpius sah Albus verwirrt an. "Wwrt?", fragte er in die Runde. Al verdrehte bloß die Augen über seine Cousine.
"Was würde Rowena tun.", erwiderte er resigniert, während Rose ihre Augen zusammengekniffen hatte und angestrengt nachzudenken schien.
Rowena Ravenclaw war schon von klein auf Roses Idol gewesen, seit ihre Mutter ihr die Geschichte von Hogwarts vorgelesen hatte. Auch, wenn sie von den Häusern her immer Gryffindor bevorzugt hatte, war sie der festen Überzeugung, Godric Gryffindor war es nicht würdig, als ihr Idol bezeichnet zu werden.
Albus hatte sich bereits den ein oder anderen Vortrag darüber anhören müssen, was für eine starke und kluge Frau Rowena gewesen war und was für ein Macho Godric dafür war, die kindischen Streitereien mit Salazar nicht beizulegen und dadurch den Grundstein für die jahrelange Fehde zu legen.
"Überlegt sie immer so lange?", fragte Scorpius nach einer Minute der Stille. Albus nickte nur.
"Ihr Kopf ist wie eine Rechenmaschine. Sie spielt alle möglichen Szenarien durch und kalkuliert dann das aus, das für sie am günstigsten ist."
"Ich habe mich entschieden.", sagte die Rothaarige in diesem Moment stolz und streckte Scorpius enthusiastisch ihre Hand entgegen.
"Als starke und nicht nachtragende Frau-" Albus schnaubte - was hieß hier nicht nachtragend? Sie hatte einen Monat nicht mit ihm gesprochen, als er ihrer Lieblingspuppe das falsche Kleid angezogen hatte. "Schweig. Also, als starke, selbstbewusste und nicht nachtragende Frau habe ich beschlossen, dir zu verzeihen.", verkündete sie stolz.
Erfreut schüttelte Scorpius ihre Hand. "Meine Mutter wäre stolz auf mich.", sagte sie und übertönte dabei Albus, der murmelte: "Er hat dir doch gar nichts getan, Rose."
"Verurteile nie ein Buch anhand seines Covers, stimmt's, Scorpius?", sagte sie und grinste ihr diplomatisches Grinsen, als wäre sie eine Richterin und hätte den Malfoy soeben begnadigt.
Diesen schien das jedoch nicht zu stören und er nickte stolz.
Albus seufzte.
Das konnte ja was werden.
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