∭ Kapitel 5 ∭

Auch etliche Minuten später versuchte Jungkook noch immer, den panischen Schwarzhaarigen zu beruhigen, der nach wie vor zitternd neben der Tür des Fahrstuhls in der Ecke klemmte. Doch alles, was bislang bei seiner Schwester beim Trösten immer geholfen hatte, wenn die mal durchdrehte, zeigte hier so gut wie keine Wirkung auf sein Gegenüber. Selbst das beruhigende Streicheln seiner Schulter blieb ohne sichtbare Verbesserung. Daher versuchte Jungkook jetzt, ob er mit etwas ganz anderem vielleicht Erfolg hatte.

Er beugte sich zu dem anderen rüber. „Hey... ich heiße Jungkook. Magst du mir verraten, wie du heißt?" Damit sorgte er zumindest dafür, dass der Schwarzhaarige ihm wenigstens das erste Mal, seit er angstvoll auf den Boden gesackt war, direkt in die Augen sah. Jungkook schluckte.

Mit der Wirkung hatte Jungkook nicht gerechnet. Die Augen des Jungen waren ziemlich groß und, wenn er sich erlauben durfte, das zu sagen, perfekt angeordnet. Sie waren genauso dunkel wie seine, doch in den Augen des Fremden fand er wesentlich mehr Tiefe. Er wusste nicht, wieso, doch er hatte mit einem Male das Gefühl, dass hinter diesem stillen Jungen wesentlich mehr steckte als ein klaustrophobischer Sonderling am völlig falschen Ort.

„T-tae... Taehyung ...", brachte er nach mehreren Anläufen schließlich hervor und entlockte Jungkook damit ein zufriedenes Lächeln. Der dachte gar nicht weiter nach sondern folgte einfach seinem Instinkt.

„Taehyung... das ist wirklich ein schöner Name, weißt du das?", brabbelte Jungkook etwas überwältigt und hätte sich im selben Moment, in dem die Worte seine Lippen verlassen hatten, ohrfeigen können für diesen dämlichen Kleinmädchen-Spruch.

Schöner Name!? Was ist denn bitte los mit mir!? Oh man, peinlicher geht's nicht, machte sich Jungkook in Gedanken über sich selber lustig, jedoch nicht lange, denn der Schwarzhaarige zog sofort wieder seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein leichter Rotschimmer hatte sich auf seine Wangen gelegt und bildete ein erstaunlichen Kontrast zu seinen sonst maskulinen Gesichtszügen.

Jetzt reiß dich aber mal zusammen hier! appellierte Jungkook an sich selbst, ehe er wieder zu dem Jungen ihm gegenüber zu sprechen begann.
„Okay Taehyung. Ich möchte, dass du mir ganz genau zuhörst, ja? Machst du das?" Ein Nicken später hatte er seine erhoffte Bestätigung und fuhr weiter fort. „Ich bin bei dir, okay? Und die anderen hier auch. Du musst da nicht alleine durch, okay?"

Jungkook erhielt ein weiteres Nicken, gefolgt von einem sehr leisen, zögerlichen „O-okay."

„Wir sollten ihn auf andere Gedanken bringen", schlug der Mann in Bordeaux vor und erntete kollektives Nicken. „Aber wie?", hinterfragte der andere Anzugträger nachdenklich.

„Wir ... könnten uns ja erstmal gegenseitig vorstellen, wenn wir hier schon zusammen feststecken", brachte der Blauhaarige seine Idee hervor und erntete dafür - wie hätte es auch anders sein können - ein abschätziges Lachen vom Meckerkopf.

„Du meinst, so wie in der Grundschule!? Hallo, ich heiße Yoongi, meine Lieblingsfarbe ist grün und ich höre totaaaaal gerne Musik. Ach ja, und in meinem nächsten Leben wäre ich lieber ein Stein." Seine Stimme war unnatürlich in die Höhe gegangen, in die Länge gezogen, verächtlich verstellt und triefte nur so vor lauter Sarkasmus. "Ringelpiez mit Anfassen, heiteitei, wir haben uns alle sooooo schrecklich liiiieeeeeb!" Jeder wusste sofort, dass dieser Yoongi sich mal wieder aufs Übelste über den Blauhaarigen lustig machte und ihn damit noch weiter in seine Ecke trieb. Aber aufhalten konnte ihn so schnell keiner, dafür waren alle zu perplex.

Die Frohnatur drehte sich von Taehyung zu Yoongi und seufzte laut, so laut, dass es auch sicher jeder mitbekam, bevor er sich mal wieder mit ihm anlegte. „Oh Mann. Sag mal, wie hältst du es eigentlich mit dir selbst aus?" Yoongi sah ihn daraufhin nur wieder mit einem vernichtenden Blick an.

„Klappe. Knalltüte."

Bevor sich die beiden jedoch in den nächsten Streit reinsteigern konnten, unterbrach Jungkook sie schnell. „Also ich finde die Idee gar nicht so schlecht. Ich hab schon Lust, mehr über euch zu erfahren. Außerdem müssen wir dann nicht mehr so nette Kosenamen wie 'Knalltüte' sagen, nicht wahr, Yoongi?"

„Leck mich."

„Danke, kein Bedarf", konterte Jungkook auf die spitze Bemerkung von Yoongi nur und drehte sich wieder zu den anderen um. Doch vorher sah er nochmal zu dem schwarzhaarigen Schönling ... Sonderling ... wie auch immer. Er schenkte ihm noch ein aufmunterndes Lächeln, ließ sich wieder neben ihm nieder und sah den Blauhaarigen von unten auffordernd an. „Dann fang doch vielleicht direkt mal an und erzähl uns was über dich."

Als alle Blicke auf dem Angesprochenen lagen, versteifte er sich schlagartig und drückte sich noch näher an die kalte Metallwand des Aufzugs. Er brauchte anscheinend einen Moment, um sich zu sammeln, doch dann begann er endlich mit seiner Vorstellung.

„A-also ... ich heiße Jimin. Park Jimin. Und ... naja. Mehr weiß ich grade auch nicht zu sagen."

Jungkook überlegte kurz. Er war ja in diesem Einkaufzentrum, weil er ein Geschenk für seine Schwester besorgen wollte. Ganz sicher hatten die anderen ebenfalls etwas besonderes vor gehabt. Wer weiß? Kein Mensch steigt doch ohne Grund an einem verregneten Nachmittag zwischen viel zu viel anderen Menschen einfach so in einen Aufzug. Er fand es auf jeden Fall interessant zu erfahren, was die anderen hierher geführt hatte. Und außerdem ... Wenn sie sich nur gegenseitig die Namen nennen würden, wäre das wirklich eine sehr kurze Vorstellungsrunde. Und das wiederum würde dafür sorgen, dass die Zeit sich gleich wieder zog, wie - wie hatte Yoongi noch gleich gesagt? Ach ja - zu lang gekautes Kaugummi.

„Okay. Und warum bist du heute hier, Jimin?", fragte Jungkook salopp und hörte nur eine Sekunde später, wie Yoongi herzhaft zu lachen begann. „Scheiße man, Ihr klingt wie so ne beschissene Selbsthilfegruppe!", brachte er schließlich noch hervor. Er strapazierte damit nicht nur Jungkooks Geduld, soviel war mal ganz sicher.

„Haste Erfahrung mit, ne?", konterte Jungkook selbstsicher. Seit wann war er so selbstsicher? Und schlagfertig? Das war doch sonst nicht so seine Art. Erstaunlich. Und ungewohnt. Aber dieser griesgrämige Yoongi forderte ihn wirklich heraus.

„Vielleicht könnten wir das Kindergartenniveau dann mal wieder verlassen und einfach weiter mit unser Runde machen, hm? Was haltet ihr davon?" In der Stimme des geborenen Anführers lag Klarheit und Strenge, ähnlich wie in der Stimme eines Vaters, der zu seinen Kindern spricht, wenn er keine Widerrede duldet.

Jepp. Definitiv großer Bruder qualifiziert, lachte Jungkook kurz in sich rein, ehe er wieder ernst wurde und seine Gedanken laut aussprach. „Mal im Ernst. Ich denke, dass wir alle einen bestimmten Grund haben, warum wir heute hier in diesen Aufzug gestiegen sind. Ich zum Beispiel habe mal wieder völlig die Zeit beim Training vergessen und bin eigentlich viel zu spät losgekommen. Ich muss nämlich immer noch ein Geschenk für meine Schwester kaufen, sonst reißt mir meine ganze Familie den Kopf ab. Übrigens werden Tipps für Geschenke an ältere Schwestern mit Trennungsschmerz herzlich gerne angenommen. Für morgen. Ein überfüllter Bus und ein verstopftes Kaufhaus waren im Zeitplan nicht einkalkuliert. Ganz zu schweigen von einem steckengebliebenen Fahrstuhl. Okay, Scherz beiseite. Ich fände es halt interessant zu erfahren, warum ihr hier seid."

Jungkook spürte den Blick des Schwarzhaarigen, der sich zum Glück endlich etwas beruhigt hatte, und genauso den Blick des Blauhaarigen. Er fragte sich nur, warum sie ihn so anstarrten. War es, weil er das Geschenk für seine Schwester auf den letzten Drücker besorgen wollte?

„Ey, Jungkook. Ich glaube, die Tucke flirtet grade mit dir!" Boshaft lästerte Yoongi ein weiteres Mal über Jimin. Meinte er das ernst!? Der hatte ihn angesehen, ja. Aber doch nicht so, oder?

„Ich bin keine Tucke, du Flachwichser!", konterte der Blauhaarige. Entsetzt, dass er zu solchen Worten überhaupt fähig war, starrten alle ihn an. Er war jedoch viel zu sehr damit beschäftigt, sich weiter mit Yoongi in der Wolle zu haben, um davon etwas mitzubekommen.

„Siehst aber aus wie eine!"

„Es reicht! Lass Jimin jetzt in Ruhe!", mischte sich die Frohnatur ein, während er sich vor dem grimmigen Yoongi aufbaute. Seine Handlung wurde mit einem abwertenden Grinsen quittiert.

„Ach ja? Sonst was?"

„Hau ich dir eine rein?"

Bevor Yoongi darauf antworten konnte, meldete sich nun auch der Mann in Bordeaux wieder zu Wort. „Weißt du, was witzig ist, Yoongi? Die Leute, die am meisten ihre homophoben Sprüche raushängen lassen, sind meistens genau die, die sich selbst nicht eingestehen können, selbst auf das gleiche Geschlecht zu stehen. Oder die einfach zu feige sind, das zuzugeben."

„Haste den Scheiß aus der Bravo, oder was!?", knurrte Yoongi grimmig. Jungkook beobachtete seine Reaktion genau. Und irgendwie vermutete er fast, das an den Worten doch etwas dran war, denn Yoongi reagierte irgendwie ... seltsam? Er hatte vorher nicht gewirkt, als würde er sich persönlich angegriffen fühlen. Aber jetzt?

Das Gespräch verstummte wieder, weil niemand mehr etwas dazu zu sagen wusste und Yoongi wohlweislich erstmal den Mund hielt. Der schlanke Typ zog sich zurück in "seine" Mitte des Raumes, und Jimin klappte beleidigt zu wie eine Auster.

Aber hey....

Immerhin hatten sie mittlerweile schon ganze, sensationelle acht Minuten rum gekriegt. Fehlten nur noch, im schlimmsten Fall, zweiundzwanzig weitere.

Leider waren das für Jungkook genau zweiundzwanzig Minuten zu viel.

_____________________________________

Na, lagt Ihr bisher richtig mit Euren Vermutungen?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top