∭ Kapitel 18 ∭
Yoongi bekam Angst.
Er wollte weg, wollte nicht weiter von den restlichen sechs Anwesenden durchschaut werden. Er wollte raus und sein normales Leben weiter führen. Wenn man es denn als normal bezeichnen konnte, wenn man eine Phobie gegen soziale Interaktionen hatte und entgegen der eigenen Sehnsucht am liebsten vor jedem einzelnen Menschen schreiend wegrennen wollte.
Er wollte einfach vergessen, wie sehr Jimin ihm ans Herz gewachsen war. Er wollte nicht wahr haben, dass er sich noch nie in seinem Leben so um jemanden gesorgt hatte. Er konnte selbst nicht glauben, dass er sich noch nie so so unbeschwert gefühlt hatte, weil er sich mit einem praktisch Fremden in den Armen gelegen hatte. Ganz zu schweigen davon, dass er sich nicht entsinnen konnte, dass er jemals lachend im Arm eines anderen gelegen hatte.
Und deswegen blieb ihm nichts anderes übrig, als seine mürrische Maske wieder aufzusetzen. Er brauchte diesen Schutz jetzt dringender als jemals zuvor. Sonst würde er auf der Stelle durchdrehen.
Yoongi war viel zu sehr in seinen Gedanken versunken, um die anderen noch wahrzunehmen. Er konnte einfach nicht auf Jimins Frage antworten, auch wenn er noch immer dessen hoffnungsvoll fragenden Blick auf sich spürte.
"Und wie das stimmt! Er hat hier rumgeflucht, den Männern am Notruf sonstwas angedroht, wenn sie nicht bald Hilfe schicken würden, und uns alle von dir weggeschubst, weil er sich lieber selber um dich kümmern wollte", mischte sich Jungkook ein, und beantwortete damit Jimins schüchterne Frage anstelle vom völlig überforderten Yoongi.
Taehyung nickte zustimmend und sah Jimin mit dem selben aufmunternden Lächeln an wie der Sportstudent, ehe er sich seufzend zu Yoongi drehte.
"Kookie hat Recht. Mann Yoongi. Wieso hast du so ne Angst, das zuzugeben? Da ist doch nichts Schlimmes bei", fragte Tae frustriert.
Er hatte sich die ganze Zeit nicht von Jungkooks Seite wegbewegt, und war nun dazu übergegangen, den Sportstudenten noch mehr für sich zu beschlagnahmen, indem er seine Arme um den kräftigen Arm von Jungkook legte und sich zufrieden und entspannt an ihn schmiegte. Taehyung blieb es nicht verborgen, wie Jungkook dadurch kurz erschrocken zu ihm gesehen hatte, ehe seine Wangen einen leicht rosafarbenen Ton annahmen und er verlegen lächelte.
Jungkooks Gedanken rotierten. Es schien ihn nicht zu stören, genauso wenig, wie die Male davor, wenn Taehyung nach der Nähe des Jüngeren gesucht hatte. Aber warum sollte es ihn auch stören? Jungkook hatte sich mittlerweile eingestanden, dass er Taehyung wirklich anziehend fand und seine Nähe genoss. Er hatte akzeptiert, dass sein Herz sich bald überschlug und alles andere ausblendete, wenn der Schwarzhaarige ihn mit seinem Blick fesselte. Hatte es darüber hinaus einfach hingenommen, dass Taehyung der erste war, der in ihm einen Sturm der Gefühle hinauf beschwören konnte und das mit einem simplen Lächeln oder einer Umarmung. Warum sollte er sich gegen etwas wehren, das sooo schön war?
Doch Jungkook war nicht der einzige, in dem in diesem Moment ein Sturm tobte.
Auch Yoongi hatte schwer damit zu kämpfen, dass sein Körper ihm längst nicht mehr gehorchte und seine sonstigen Methoden in dieser Situation nicht funktionierten. Die Phobie gewann allmählich die Oberhand und entriss ihm die Kontrolle. Er hasste es, hier drin gefangen zu sein. Er hasste es, dass er sich nicht schützen konnte. Er hasste es, dass die anderen ihn mit Leichtigkeit durchauen konnten.
Das war ihm noch nie passiert.
Bis jetzt hatten andere immer einfach hingenommen, dass er einfach grummelig war, und waren ihm freiwillig aus dem Weg gegangen. Bis jetzt hatte noch nie jemand Verständnis gezeigt für seine bekloppte Art. Sie hatten ihn einfach in Ruhe gelassen und sich schnell wieder von ihm abgewandt. Heute war alles so anders!
Und damit kam er nicht klar.
"Hört auf! Hört auf mich zu analysieren! Hört auf so zu tun, als würdet ihr verstehen, was in mir vorgeht! Einen Scheißdreck könnt ihr!", fauchte Yoongi in seiner Hilflosigkeit und in der Hoffnung, dass er einen blöden Spruch kassieren würde. Dann könnte er zurückpampen, wäre wieder einigermaßen der Alte, und die anderen würden sich wieder anderen Dingen zuwenden. Doch seine Hoffnung wurde nur eine Sekunde später von Jungkook wieder zerschlagen.
„Du hast Taehyung helfen können, weil du selbst schon mal ne Panikattacke hattest oder? Du wusstest in dem Moment ganz genau, was hilft. Was ist es, wovor du solche Angst hast?"
"Vielleicht haltet ihr auch einfach mal alle eure Schnauze und kümmert euch um euren eigenen Scheiß!", drohte Yoongi daraufhin, weil er sich immer mehr in die Ecke gedrängt fühlte. Auch wenn er sich selbst längst eingestehen musste, dass ihm Jimin wichtiger war als alle anderen, er wollte nicht, dass die Sechs davon etwas mitbekamen. Er wollte nicht belächelt werden für seine Art, wollte sich nicht dafür rechtfertigen. Und schon gar nicht wollte er, dass die Wahrheit rauskam.
Das Problem an der Sache war nur, dass Jungkook Recht hatte. Er hatte selbst schon die ein oder andere Erfahrung mit Panikattacken machen müssen und hatte aus dem Grunde gewusst, wie er Taehyung in dieser Situation helfen konnte.
Normale Menschen wären sehr erleichtert gewesen, wenn seine Mitmenschen Verständnis zeigten, sich dafür interessierten, was in einem vorging, es tollerierten, wenn man so seltsam reagierte. Doch nicht Yoongi.
In ihm schürte es die Angst vor ihrer Reaktion und ihren Gedanken zunehmend. Und er selbst verurteilte sich dafür, dass es ihn so sehr verunsicherte und er auch nach Jahren immer noch nicht in der Lage war, damit ordentlich umzugehen.
Denn die Sache war die:
Yoongi war sich durchaus bewusst, dass seine Angst nicht rational begründbar war, und in der Theorie wusste er auch, wie er darauf besser hätte reagieren können. Doch sein Körper arbeitete gegen ihn, als seien der rationale Verstand und der fühlende Körper zwei unterschiedliche Instanzen, die gegen einander ankämpften. Meistens war es sein Körper, der gewann, und Yoongi konnte einfach nur machtlos am Rande stehen und sich eingestehen, dass es nichts brachte, weiter gegen die aufkommende Panik anzukämpfen, so albern er selbst das auch fand.
Er hatte nun schon so viele Jahre darin investiert, sich halbwegs normal unter Menschen begeben zu können, seine Schutzmauer aufgebaut, damit keiner merkte, welch innerer Sturm eigentlich ständig in ihm tobte. Und es hatte sich auch wirklich schon gebessert, auch wenn er Menschenmassen noch immer mied.
Doch eingesperrt zu sein mit diesen sechs jungen Männern, keine Fluchtmöglichkeit zu haben und sich zu fühlen, als sei er auf einem Präsentierteller, das war zu viel. Einfach zu viel. Genau genommen war er nicht anders als Taehyung. Nur mit dem Unterschied, dass Taehyung durch die Anwesenheit seiner Mitmenschen beruhigt wurde, während Yoongi besser damit zurecht gekommen wäre, wäre er allein in dem Aufzug stecken geblieben.
Wenn er ihre prüfenden Blicke nicht hätte auf sich spüren müssen.
Die ersten Vorboten einer Panikattacke bahnten sich bereits an, er kannte die Anzeichen immerhin genau, als ihm plötzlich etwas bewusst wurde.
Wenn er ähnlich wie Taehyung zu Anfang einfach zusammen gebrochen wäre, seinen Verstand komplett ausgeschaltet hätte, dann hätten die anderen sich um ihn gekümmert. Was zum einem seine Panik verstärkt hätte, und zum anderen, und das fand er noch viel wichtiger, hätten weder die anderen sich um Jimin weiter kümmern können, noch er selbst hätte auf den Kleinen aufpassen können.
Und was auch immer das war, diese Erkenntnis sorgte dafür, dass die Wellen seiner Angst sich langsam beruhigten.
"Danke, Yoongi", flüsterte der Blauhaarige aus heiterem Himmel, während er weiter auf dem Boden saß und zu dem mürrischen Blonden hoch sah. "Danke, dass du dich um mich gekümmert hast."
Yoongi wusste nicht, woran es genau lag. Ob an Jimins heller, weicher Stimme, an den aufrichtig dankbaren Augen oder dem herzerwärmenden Lächeln. Doch es sorgte dafür, dass sein Verstand nun komplett aussetzte. Sogar die Stimmen in seinem Kopf, die ihn sonst abfällig belächelten, verstummten. Wie ein Computer, der durch die zu vielen verarbeitenden Prozesse einfach abgestützt war. Er konnte nichts mehr denken, er nahm das beengende Gefühl in seiner Brust nicht mehr war, und auch sein Herz hämmerte nicht mehr so stark wie vorher.
Wobei ... Doch.
Aber anders. Yoongi fühlte sich, wenn er ganz ehrlich zu sich war, nicht schlecht damit. Im Gegenteil. Irgendwie machte es ihn ... glücklich ...?
Wie konnte das sein, dass er sein Herz das erste Mal auf eine andere Art als durch Panik so schnell schlagen hörte? Wieso hatte es auch ausgerechnet Jimin sein müssen, mit dem er seit nunmehr über vier Stunden hier festsaß? Wieso zeigten die anderen Verständnis für sein abwehrendes Verhalten? Wieso funktionierte seine Tarnung bei ihnen einfach nicht, wo es doch sonst über Jahre hinweg immer und überall funktioniert hatte?
"Bild dir bloß nichts darauf ein! Das hätte ich bei jedem anderen auch getan!", knurrte Yoongi abweisend, während er den verstreuten Inhalt seiner Tasche wieder einsammelte, in der Hoffnung, dass die anderen nicht mitbekamen, welchen innerlichen Kampf er gerade gegen sich selbst ausfechten musste. Er musste verstecken, wie viel ihm Jimin bedeutete, musste dafür sorgen, dass die Wahrheit nicht ans Licht kam!
Oder?
Vielleicht war es auch kein Zufall gewesen, dass er genau mit ihnen auf diesen wenigen Quadratmetern eingesperrt war. Vielleicht war das ein Zeichen, auch wenn Yoongi noch nie an so einen Blödsinn wie Fügung des Schicksals geglaubt hatte. Vielleicht hieß das, dass er seine Mauern endlich einreißen musste. Oder durfte. Oder so. Dass er sich öffnen durfte, ohne dafür verurteilt zu werden ...
Vielleicht hatte es alles einen Grund, dass er genau mit Jimin in diesem Aufzug stecken geblieben war.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top