> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟵
„Erzähl mir alles", drängt Brianna mich nun heute schon zum zehnten Mal. Als wir uns an einen Tisch in der Mensa setzen, kann ich ihre Neugier endlich stillen.
„Ist ja gut. Komm mal wieder runter. Es war okay. Wir haben gegessen und geredet; es war nichts Besonderes", gebe ich mit einem gelassenen Schulterzucken zurück und fange an zu essen.
„Das ist alles?", fragt sie enttäuscht.
Da mein Mund gerade mit Essen voll ist, nicke ich nur und stopfe die nächste Gabel in mich rein. Was hat sie schon erwartet?
„Avery!", ruft Bri und nimmt mir die Gabel aus der Hand. Erschrocken schaue ich zu ihr auf. „Was ist denn los mit dir?" Du stopfst dich so mit Essen voll, als würdest du einer Unterhaltung mit mir aus dem Weg gehen wollen." Schuldbewusst senke ich meinen Blick. „Conor macht das auch immer, wenn er nicht reden möchte. Bei ihm bin ich es mittlerweile gewohnt, aber warum ist das bei dir plötzlich auch so?"
Ich antworte nicht.
„Was hat Blake..."
„Oh Gott, nichts! Er hat nichts gemacht, okay?!", erwidere ich zu laut, sodass sich schon einige Schüler zu und umdrehen.
Brianna mustert mich nur mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich seufze. „Na schön. Ich glaube, mein Dad hat sich in ihn verliebt."
„Okay", lacht sie. „Ich meine, ich kann's ja verstehen, jeder liebt ihn. Aber wie genau meinst du das?"
„Blake war gestern den ganzen Tag bei uns und hat mit meinem Dad alte Footballspiele geschaut und irgendwelche Taktiken besprochen." Ich bin immer noch davon genervt. Es ist ja nicht so, als hätte ich darum gebeten, Zeit mit Blake zu verbringen, aber mein Plan, ihm aus dem Weg zu gehen, scheitert kläglich. Selbst in meinem eigenen Zuhause bin ich nicht sicher vor ihm.
„Dein Dad scheint ihn wohl sehr zu mögen", gibt Bri belustigt zurück, worauf ich nur die Augen verdrehe.
„Ja, echt super", murmle ich kaum hörbar vor mich hin und nehme mir meine Gabel wieder zurück.
Alle lieben Blake Parker. Genau wie damals. Ich könnte kotzen und das liegt nicht an dem Essen, das ich gerade pausenlos verschlinge. Frustessen war leider schon immer eine Angewohnheit, die ich an mir selbst am wenigsten leiden konnte. Auch damals, nach der Sache, habe ich eine Woche lang jeden Tag eine ganze Schokoladentafel verdrückt. Zum Glück kam Fiona daraufhin auf die Idee, uns beide in einem Fitnessstudio anzumelden. Zu dieser Zeit hatte in Hanford vor kurzem ein neues Fitnessstudio eröffnet, das nur für Frauen war. Für mich war es das Beste, was hätte passieren können, da ich nämlich nicht Gefahr laufen wollte Blake oder seinen Freunden auch noch dort über den Weg zu laufen. Außerdem war es viel gesünder, meine Energie und Gefühle beim Sport auszulassen. Klar, irgendwelche Blicke von den Mädchen aus meiner Schule gab es dort auch, aber die waren auszuhalten. Und so war ich meine neuangelegten Pfunde wieder los und hatte endlich ein Ventil gefunden, all meine Wut, die ich auf Blake hatte, loszuwerden.
Vielleicht sollte ich Brianna auch mal nach einem Fitnessstudio in der Stadt fragen. Denn wenn das so weitergeht, sollte ich mir dort eine Mitgliedschaft machen lassen. Oder neue Hosen kaufen.
Als ich mit meiner Portion fertig bin, lege ich meine Gabel auf den Teller und wichen mir mit einer Serviette über den Mund.
„Du nimmst das Ganze wohl sehr persönlich, was?"
„Sorry. Ich hab mich jetzt wieder unter Kontrolle", sage ich und bemühe mich um ein Lächeln.
„Und jetzt erkläre mir doch mal, wo genau das Problem liegt", möchte Bri erneut wissen, als es klingelt. Sie verdreht ihre Augen und ich muss ein Lächeln unterdrücken. Zum ersten Mal meldet sich die Schulglocke zum perfekten Zeitpunkt.
„Dir wird das Lachen noch vergehen, Avery Harrison. Ich werde doch noch zum Reden bringen." So wie es ausspricht klingt es beinahe schon wie eine Drohung. Obwohl ich Brianna noch nicht so lange kenne, bin ich mir sicher, dass sie ein ehrgeiziger Mensch ist und alles herausbekommt, was sie wissen will. Trotzdem bin ich noch diejenige, die bestimmt, wie viel sie über mich wissen darf.
*
Die restlichen Stunden, in denen ich Unterricht mit Blake habe, versuche ich ihn zu ignorieren und das funktioniert überraschend gut. Nicht, dass ich mich jemals zu sehr vom Unterricht habe ablenken lassen, aber ich möchte es auch nicht darauf ankommen lassen. Vor allem nicht, wenn er der Grund ist. Zum Glück macht er es mir aber einfacher, ihn zu ignorieren, indem er mich ebenfalls nicht beachtet und vorbildlich dem Unterricht folgt.
Die ganze Woche gehe ich ihm schon aus dem Weg und tue so, als existiere er nicht. Zwar sehe ich ihn öfter in den Schulfluren, was sich natürlich nicht vermeiden lässt, aber nicht mehr bei mir Zuhause. Wahrscheinlich hat er nach der Schule Footballtraining und deswegen keine Zeit, sich mit meinem Dad zu treffen, was mich erleichtert. Zwischen Brianna und mir kommt das Thema Blake Parker auch nicht mehr auf. Stattdessen unterhalten wir uns über andere Dinge. Es freut mich zu hören, dass wir beide Romcoms lieben. Mit Fiona ist es schwer, einen Film zu wählen, der uns beide gefällt. Sie mag romantische Filme zwar, aber sie betrachtet diese immer viel zu skeptisch und deutet immer auf irgendwelche Fehler hin. Sie bevorzugt eher Horrorfilme, die ich wiederum nicht gerne mag. Aber diese Meinungsverschiedenheit könnte niemals unsere Freundschaft ruinieren.
Je besser ich Brianna kennenlerne, desto sympathischer wirkt sie und ich spüre, dass wir sehr gute Freundinnen werden können.
Am Samstag treffen wir uns in der Stadt und Bri führt mich ein wenig herum und erzählt mir all die Dinge, die man ihrer Meinung nach noch wissen sollte. Belview ist sehr anders als Hanford. Jetzt, da ich hier viel mehr kennengelernt habe, bin ich ehrlich froh hier zu sein. Ich fühle mich hier viel wohler. Natürlich könnte man sagen, Kleinstadt ist Kleinstadt, aber Belview hat irgendwas an sich, das Harmonie austrahlt. Vielleicht sind es die kleinen Läden, mit schönen Dekofenstern oder die Ruhe in dieser Stadt oder einfach die Freundlichkeit der Menschen hier. Ich was nicht genau, was es ist, aber es gefällt mir.
Bri und ich verbringen den ganzen Tag gemeinsam in der Stadt und essen am Nachmittag in Lanny's Diner, ihrem Lieblingsrestaurant. Wir beide bestellen einen Cheeseburger mit Pommes und ich verstehe schon nach dem ersten Bissen, warum sie hier so gerne hingeht.
Ich habe ehrlich nicht erwartete, hier so schnell eine Freundin zu finden, aber mit Brianna verstehe ich mich wirklich gut. Außerdem bin ich froh, dass sie mich so viel über Blake ausfragt, sondern mit mir rumhängt, weil sie Zeit mit mir verbringen möchte und mich als Avery Harrison und nicht als Blake Parkers Nachbarin sieht.
*
Am Sonntagnachmittag skype ich wieder mit Fiona. Sie konnte es kaum erwarten, mir endlich alle Neuigkeiten zu erzählen, die ich wissen muss: Ruby Garrow und Jack Derant haben sich nah einem Jahr getrennt, weil sie ihn wohl mit seinem Cousin betrogen hat. Ode andersherum, ich habe es nicht so richtig verstanden. Die ganze Geschichte ist ziemlich verwirrend. Irgendwann verliere ich komplett den Überblick und komme gar nicht mehr mit. Fio liebt Highschool Gossip einfach zu sehr.
„Und- hey Ave, bist du noch da?", fragt sie plötzlich in ihrem Redefluss hinein.
Ich schrecke auf. „Ja, klar. Ich bin da", antworte ich automatisch, doch meine beste Freundin kennt mich zu gut.
„Was ist los?" Ihre Stimme hat einen besorgten Ton angenommen.
Ich überlege, ob ich es ihr sagen soll oder nicht. Schließlich ist sie meine beste Freundin und weiß wirklich alles über mich. Aber gerade habe ich keine Lust, über Blake zu rede, also sage ich mir, dieses Thema irgendwann anders anzusprechen. Vielleicht an Thanksgiving, wenn wir wieder zurückfahren. Ja, so mache ich das. Dieses Thema ist für ein persönliches Gespräch viel besser geeignet.
„Nichts. Bei dir scheint ja ganz schön viel los zu sein", sage ich stattdessen.
Mit einem Stirnrunzlen betrachtet sie mich durch den Bildschirm. „Ja, in einer Highschool passiert so einiges. In Kleinstädten weiß ja sowieso fast jeder alles über jeden. Du weißt ja, an der Hanford High wird Gossip großgeschrieben." Oh ja, dem kann ich nur zustimmen. „Aber nach deinen Aussagen passiert bei dir nie irgendwas. Du musst ja nichts mega Spannendes zu sagen haben. Selbst die kleinen und scheinbar unwichtigen Dinge möchte ich wissen. Das war doch immer so", erwidert sie mit einem traurigen Unterton.
Leichte Schuldgefühle steigen in mir hoch, also erzähle ich ihr von meinem Tag gestern mit Brianna und von einigen meiner Mitschüler und Mr Cunningham, der uns in der letzten Stunde erzählt hat, dass er sich an Halloween als William Shakespeare verkleiden wird.
Fiona lacht.
„Ich weiß, er ist wirklich schräg, aber er ist nicht so schlimm wie Mrs Sherry." Mrs Sherry war unsere alte Englischlehrerin. Ihr missfiel jede Antwort, die nicht ihrer eigene entsprach. Egal, ob wir unsere Interpretationen gut argumentieren konnten, sie war nie damit einverstanden. Nur ihre Interpretationen waren richtig. Ein Glück, dass ich Englisch und Literatur so sehr mag, sodass diese Lehrerin es mir nicht vermiesen konnte. Klar, Mr Cunningham ist schon etwas seltsam, aber er vergibt anscheinend faire Noten und ist immer offen für unsere Interpretationen. Im Gegenteil zu Mrs Sherry freut ihn das sogar, weil es zeigt, dass wir uns mit der Lektüre auseinandersetzen und uns eine eigene Meinung bilden.
Meine beste Freundin verdreht die Augen. „Das glaube ich dir. Jeder ist besser als die."
Ich lächle.
„Du glaubst nicht, was sie unter die letzte Analyse meiner Cousine geschrieben hat."
Meine Schuldgefühle sind verflogen und ich bin erleichtert, dass ich Fios Traurigkeit mit meiner Offenheit vertreiben konnte. Ich möchte ihr nicht das Gefühl geben, dass ich sie nicht an meinem Leben teilhaben möchte, nur, weil wir nicht mehr in einer Stadt wohnen. Dafür ist mir unsere Freundschaft zu wichtig.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top