> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟱𝟰
Mit klopfendem Herzen stehe ich vor Blakes Haustür und drücke auf die Klingel. Ich schaffe das. Ich kriege das hin. Er wird mich schon nicht auslachen. Nicht nochmal. Hoffe ich jedenfalls.
Ruckartig wird die Haustür aufgerissen und Blake steht vor mir. „Avers! Ich dachte, du kommst durch mein Fenster, aber Hauptsache, du bist hier." Mit aller Mühe versuche ich sein Lächeln zu erwidern, als ich ihm rein und in sein Zimmer folge. „Ash ist bei einem Freund, falls du dich fragst, wo er ist."
Ein schlechtes Gewissen überkommt mich, weil ich gar nicht an Blakes kleinen Bruder gedacht habe. „Okay." Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, die Wörter, die ich gleich aussprechen will, in meinem Kopf zu wiederholen, damit ich sie nicht vergesse und ins Stottern gerate.
Als wir sein Zimmer betreten, sehe ich bereits eine Flasche Fanta und zwei Gläser auf seinem Schreibtisch stehen. Oh Mann.
„Möchtest du etwas trinken? Du siehst gerade etwas blass aus", sagt Blake und schüttet mir etwas ins Glas, welches er mir danach überreicht.
„Danke." Ehrlich gesagt ist mit gerade so schlecht wie noch nie und die Limo macht es nicht gerade besser.
„Setzen wir uns doch."
Und schon sitze ich mit dem Jungen, in den ich verliebt bin, auf seinem Bett und muss irgendwie genau diese Wörter rauskriegen, ohne umzufallen.
„Also", beginnt Blake und ich bin froh, dass er zuerst spricht. „Wie war's?"
Gut. Erstmal ein lockerer Einstieg. Das kriege ich hin. „Toll. Es war schön, meine Familie und besonders Fiona wiederzusehen."
„Freut mich zu hören. Ihr wart in Hanford, oder?"
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Nein, das muss ich falsch verstanden haben. Mein Kopf versteht nur das, was er verstehen will. Oder in meinem Fall das, was er nicht verstehen will. „Was?"
„Hanford. Das ist doch die Stadt, in der ihr vorher gewohnt habt, oder?"
Also habe ich es doch richtig verstanden. Mist. Verdammter Mist. Damit habe ich nicht gerechnet. „Ich habe gehört, wie meine Mom mit deiner darüber geredet hat, kurz, bevor ihr gefahren sein."
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich kann nicht einmal in meinem Kopf einen annähernd vernünftigen Satz formen. Stattdessen starre ich Blake nur blöd an und ermahne mich, nicht auszustehen und wegzulaufen.
„Weißt du, wir haben vor ein paar Jahren auch da gewohnt."
Oh Gott. Die Schlinge um meinen Hals zieht sich immer weiter zu und ich befürchte, daran zu ersticken. „Ach, echt", ist das Einzige, das ich rausbekomme.
Er ist überhaupt nicht nervös. Blake sieht mich so an wie immer und scheint auf etwas zu warten, doch ich weiß nicht, was. Und dann macht es klick. Zum Glück habe ich mein Glas abgestellt. Sonst hätte ich es zu hundert Prozent fallen gelassen. „Du weißt es." Mehr als ein Flüstern kriege ich nicht heraus.
„Ich weiß es."
Ich kann ihm nicht weiter in die Augen schauen und senke meinen Blick. Er weiß es. Blake Parker erinnert sich an die 14 jährige Avery Harrison und ihren peinlichsten Moment. Oh Gott. Oh. Mein. Gott. Ich bete, dass irgendetwas passiert und unser Gespräch unterbricht, aber es passiert nichts. Als würde das Schicksal mir zuflüstern Jetzt mach schon! Stell dich deinen Ängsten.
Bevor ich die Frage stelle, die mich am meisten interessier, atme ich tief durch. „Seit wann?" Moment. Will ich das wirklich wissen?
„Kurz nachdem wir die Muffins für deinen Dad gebacken haben."
WAS?! Blake weiß es schon seit knapp zwei Monaten und hat bisher nichts gesagt? Noch nicht einmal eine kleine Andeutung hat er gemacht. Er scheint ein echt guter Schauspieler zu sein. Ich weiß nicht, ob die Tatsache, dass er es wusste und nichts gesagt hat schlimmer ist oder, dass ich anscheinend nicht bemerkt habe, dass seine Freundlichkeit vielleicht doch nur seine Schuldgefühle mir gegenüber waren.
„Als ich dich mit der Brille und den zusammengebundenen Haaren gesehen habe, hast du mich an etwas erinnert, das ich schon längst vergessen hatte. Ich dachte ständig darüber nach bis ich kurz darauf auf mein Jahrbuch gestoßen bin und beim Durchblättern dein Bild und deinen Namen gesehen habe."
Scheiße.
„Wir sind zwar vor Ende des Schuljahres weggezogen, aber die Schule hat es mir auf meinen Wunsch zugeschickt."
Oh mein Gott. Bitte lass das nur eine weitere Horrorvorstellung in meinem Traum sein. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Der Versuch, meine Tränen zurückzuhalten scheitert an meinem Gedankenkarussell, das die Szene von damals immer wieder abspielt. Bei jeder weiteren Wiederholung verschlimmert sie sich und wird grausamer.
„Avery, bitte sieh mich an."
Ich schüttle den Kopf. Auch, wenn ich ihn anschauen will, kann ich es nicht. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen, wenn ich genau weiß, dass er es weiß. Und das schon seit vielen Wochen.
„Bist du wütend auf mich?", fragt er überrascht, was meinen Kopf hochschießen lässt. „Wütend?"
„Ja, weil wir nicht darüber geredet haben."
Verständnislos blicke ich ihn an. „Ich hätte damals netter sein können, das weiß ich, aber..."
„Netter zu mir sein können? Verdammt, Blake, die ganze Schule hat sich bis zu meinem Umzug über mich lustig gemacht!" So, jetzt ist es raus. Es fühlt sich überraschend gut an, das endlich ausgesprochen zu haben, doch das schlimme daran ist, dass Blake aussieht, als wüsste er von nichts. „Wieso?"
„Ist das dein Ernst?" Plötzlich überwiegt die Wut meine Scham. „Du hast dich über mich lustig gemacht, als ich dir gesagt habe, dass ich dich mag." Zum Glück ist niemand außer uns hier, denn ich habe die Kontrolle über die Lautstärke meiner Stimme verloren. Dafür bin ich viel zu aufgebracht.
Blake ist sprachlos. Er setzt immer wieder zu einer Antwort an, doch es kommt keine.
„Ich gehe", setze ich hinter und will aufstehen, doch Blake hält mich zurück. „Warte." Ich hasse, wie mich seine Berührung erneut aus dem Konzept bringt und ich mich wieder auf sein Bett sinken lasse.
„Ich wusste davon nichts", sagt er leise und ich riskiere es, ihm in die Augen zu sehen. Mit einem durchdringen Blick sieht er mich an und ich muss schlucken. „Ich wusste nicht, dass sie dich deswegen noch so lange ausgelacht haben. Diese ganze Sache war nicht einmal lustig. Ich weiß nicht, warum ich gelacht habe. Es tut mir wirklich leid, Avery." Blake hat seine Hand noch nicht von meinem Handgelenk genommen und mit jedem weiteren Wort lässt er sie runter zu meiner Hand gleiten. Hoffentlich spürt er meinen deutlich erhöhten Puls nicht. „Nein, eigentlich weiß ich, warum ich so ein Arsch war. Ich war damals echt mies drauf, als wir herausfanden, dass mein Dad sehr krank war und ich... ich war in dieser Zeit extrem wütend auf alles und diese Wut an anderen auszulassen, hat mir geholfen. So ekelhaft das auch klingt. Aber bei dir habe ich es sofort in der Sekunde bereut, als ich gesehen habe, dass du kurz davor standest zu weinen."
Wie damals versuche ich auch jetzt, mich zusammenzureißen und presse meine Lippen aufeinander.
„Genau wie jetzt. Es tut mir leid, Avery. Wirklich. Ich konnte nicht wissen, dass diese Idioten so reagieren würden. Ich wollte dir nicht einmal eine Abfuhr erteilen."
Moment. Was? „Was?"
Ein kleines Lächeln zeichnet sich auf Blakes Lippen ab. „Ich fand dich damals schon irgendwie süß. Außerdem war es echt mutig von dir, mir das ins Gesicht zu sagen." Es grenzt schon an ein Wunder, dass ich nicht schon längst von seinem Bett gefallen bin. Das hier muss ein Traum sein. Dass kann gerade nicht wirklich passieren. „Ich bezweifle zwar, dass es etwas geworden wäre, aber unter anderen Umständen hätte ich dir vielleicht eine Chance gegeben. Du musst wissen, dass mir davor noch kein Mädchen so direkt gesagt hat, dass es mich mag. Aber es war mir eine Ehre, dass du die Erste warst, die-"
Weiter kommt er nicht, denn mit einer schnellen Bewegung lehne ich mich vor und küsse ihn. Erst in diesem Moment wird mir klar, wie sehr ich Blakes weiche und nach irgendwas Süßem schmeckende Lippen vermisst habe, seit wir uns auf der Party vor Wochen das erste Mal geküsst haben. Obwohl es erst unser zweiter Kuss ist, fühlt er sich so unglaublich vertraut an, als hätten wir das schon tausend Mal gemacht. Statt sich zurückzuziehen, erwidert Blake den Kuss und legt eine Hand in meinen Nacken, was mich ein Stück näher an ihn rücken lässt. Oh mein Gott. Ich zerfließe in diesem Kuss wie Butter. Bis Blake ein kleines Seufzen entfährt, was mein Gehirn wieder anschaltet. Das ist der Moment, in dem mir klar wird, was zum Teufel ich hier eigentlich gerade tue. Ruckartig ziehe ich mich zurück und schaue nach unten auf meine Schuhe. Mein Atem geht stoßweise und mein Herz schlägt so laut, dass ich befürchte, es springt jeden Moment aus meiner Brust. Scheiße. Scheiße!
„Avery..."
„Ich muss gehen", unterbreche ich ihn schnell und springe von seinem Bett auf, sodass ich mich fast schon in der Decke verheddere. Mit schnellem Schritt laufe ich nach unten und verlasse das Haus, ohne mich noch einmal umzudrehen.
Ohne ein Wort an meine Eltern renne ich die Treppe hoch und lasse mich rückwärts auf mein Bett fallen. Doch dann ändere ich meine Meinung und drehe mich auf den Bauch, sodass ich mein Gesicht in ein Kissen pressen kann, damit niemand meinen Schrei hört.
Verdammt! Warum habe ich das getan? Jetzt ist alles endgültig vorbei. Er weiß es. Er weiß alles. Unsere Freundschaft ist beendet, weil ich meinen Mund nicht unter Kontrolle halten konnte. Aber wie konnte ich ihn auch nicht küssen? Ich meine, er hat mir gesagt, dass er mich damals süß und mutig fand. Und sein Blick dabei... Ahh! Warum kann es nicht einfach jemand anderes sein? Warum muss er es sein? Zwei Fragen, die ich mir seit Wochen stelle und auf die ich wahrscheinlich nie eine Antwort finden werde.
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