> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟱𝟭

Fio sieht mich an, als hätte ich ihr gerade gesagt, dass es draußen rote Schneeflocken schneit.

„Bitte sag doch was", flehe ich.

„Ich weißt nicht, was ich sagen soll." Sie hebt ihre Kakaotasse an den Mund und trinkt einen Schluck, während ich sie ungeduldig ansehe. „Und... und er ist es wirklich?"

Ich nicke.

„Wow. Das... das ist wirklich unglaublich." An ihrer Stimme kann ich deutlich erkennen, dass sie nicht gerade begeistert und eher besorgt ist.
Da hat sie recht. Die vergangenen Monate in ein paar Sätzen zusammenzufassen, kam mir vor, als hätte ich ihr den Plot eines neuen Filmes erklärt.

„Und... er weiß nicht mehr, was er dir angetan hat?", fragt meine beste Freundin vorsichtig.

„Wenn du es so sagst, klingt es viel schlimmer als es war."

Ungläubig zieht sie ihre Augenbrauen hoch. „Es war schlimm für dich, Avery. Alle haben dich ausgelacht", erinnert sie mich. Natürlich habe ich das nicht vergessen, aber irgendwie fällt es mir schwer, mein altes Bild mit dem neuen Bild, das ich von Blake habe zu vereinen. „Natürlich. Du hast dich wieder von ihm um den Finger wickeln lassen."

„Habe ich nicht!" Fiona seufzt. „Ehrlich! Er ist nicht mehr so."

„Avery..."

„Wirklich! Er ist kein Idiot. Er ist total nett und lustig und man kann sich sehr gut mit ihm unterhalten. Weißt du, einmal..."

„Du liebst ihn", unterbricht meine beste Freundin mich in einem sachlichen Ton,

Ertappt halte ich inne. „Was?"

„Du liebst Blake."

Ich will etwas erwidern, aber ich weiß nicht was. Es abzustreiten ist unnötig, da es stimmt. Ich senke den Blick auf die weiße Tasse vor mir und fahre mit meinem Zeigefinder den Henkel nach.

„Aber er liebt dich nicht?" Es klingt mehr nach einer Frage als nach einer Feststellung.

„Nein", flüstere ich und schließe die Augen in der Hoffnung, meine aufkommenden Tränen zurückzuhalten.

„Bist du dir sicher?"

„Ja, ich bin mir sicher, Fiona. Ich liebe Blake, aber er liebt mich nicht. Ist es das, was du hören wolltest? Dass ich mich schon wieder in ihn verliebt habe? Dass Blake Parker anscheinend immer das einzige männliche Wesen auf der Welt sein wird, das ich lieben werde? Dass er meine Gefühle nie erwidern wird, weil ich ich bin und niemand anderes?"
Wow. Diese Gedanken haben sich jetzt schon seit Wochen in mir angestaut. Sie endlich laut auszusprechen fühlt sich an, als hätte ich eine Last abgeworfen und könnte endlich wieder ruhig atmen. Trotzdem wird mir jetzt erst so richtig klar, wie tief der Gedanke in mir verankert ist, dass ich niemals gut genug für ihn oder jemand anderes sein werde.

Erschrocken mustert meine beste Freundin mich. „Hey." Sie rückt mit ihrem Stuhl näher zu mir und nimmt mich in ihre Arme. „Warum hast du mir nie etwas gesagt?"

„Ich wollte es nicht. Ich wollte nicht, dass es wieder passiert." Das zuzugeben ist schon peinlich genug, doch jetzt laufen mir auch noch Tränen über die Wangen. „Manchmal hasse ich ihn, doch dann fällt mir ein, dass ich das gar nicht kann. Ich kann ihn einfach nicht hassen, Fio. Es geht nicht."

Sie zieht sich zurück und redet sanft auf mich ein. „Ich weiß. Das konntest  du nie." Meine beste Freundin lächelt mich zurückhaltend an, doch ich kann es nicht erwidern. „Wir wär's, wenn wir gleich einen Film gucken? Du darfst auch aussuchen, welchen."

*

Wir sind zurück zu meiner Tante gefahren, weil bei Fiona Zuhause gerade ihre ganze Familie zu Besuch ist und sie der Meinung ist, dass wir Ruhe brauchen. Deswegen sitzen wir gerade in meinem Gästezimmer und gucken uns Jurassic Park an. Mir war egal, für welchen Film wir uns entscheiden. Hauptsache, es handelt sich dabei nicht um einen Liebesfilm oder einen Marvel-Film. Als ich das sagte, warf Fiona mir nur einen kurzen Blick zu, hat dazu aber nichts gesagt. Ich bin mir sicher, dass sie sich den Grund denken kann.

„Es tut mir leid, dass ich einen schlechte beste Freundin war", murmle ich irgendwann und schaue vom Bildschirm zu ihr rüber.

Fiona nimmt die Fernbedienung und pausiert den Film. Mit einem Schmunzeln dreht sie sich zu mir. „Schon okay. Jetzt weiß ich wenigstens, warum du mit deinen Gedanken ständig woanders bist."

Ich seufze. „Was ist denn zwischen dir und Trevor passiert?" Ich muss das Thema wechseln, sonst schreie ich auch noch in die Kissen meiner Tante.

Fios Miene verändert sich und sie wendet ihren Blick ab. „Keine Ahnung. Ich dachte, die ganze Sache wäre aufregender gewesen, aber das war es nicht. Am Anfang schon, aber irgendwann hat er sich keine Mühe mehr gegeben und ich war nicht einmal enttäuscht. Ich glaube, tief in mir wusste ich schon, dass es nichts werden würde. Aber wir hatten trotzdem schöne Wochen. Ich mag ihn trotzdem noch, keine Frage, aber ich glaube, ich war in meine Vorstellung von ihm verliebt und nicht in ihn selbst."

Ich bin so wütend auf mich, dass ich weinen könnte. Meine beste Freundin macht gerade ihre erste Trennung durch und ich schmachte Blake hinterher und kriege gar nichts mehr von der Welt mit. Schon wieder.

„Hey." Fiona legt mir eine Hand aufs Bein. „Es ist wirklich okay. So schlimm war es nicht und Kayla hat mich ein bisschen abgelenkt."

Ruckartig setze ich mich auf. „Kayla Murray?"
Als ich noch zur Hanford Highschool ging, war sie sehr gut mit Amy McHeron befreundet. Warum hängt Fiona plötzlich mit ihr ab?

„Ja. Sie ist seit den Sommerferien nicht mehr mit Amy befreundet und da du nicht mehr da bist, hat sie sich im Unterricht auf den freien Tisch neben mich gesetzt. Tja und irgendwie haben wir uns recht schnell angefreundet."
Unglaublich. Nicht, dass jemand mit Fio befreundet sein will, aber dass es ausgerechnet Kayla Murray ist. „Sie ist gar nicht so, wie sie immer mit Amy war, Ave. Sie ist wirklich total nett", berichtet sie.

„Jetzt fühle ich mich noch mieser", erwidere ich schuldbewusst. „Ich freue mich wirklich, dass du mit ihr befreundet bist, aber... aber ich hätte für dich da sein sollen, Fio."

„Lass uns das vergessen. Wir können es sowieso nicht mehr rückgängig machen, sondern uns nur bessern." Sie nimmt ihre Hand von meinem Bein und stützt ihr Kinn in ihren Handflächen ab. „Gibt es denn bei dir noch etwas, das ich als beste Freundin noch wissen müsste?"

Mit zusammengepressten Lippen wende ich meinen Blick ab und möchte nach der Fernbedienung greifen, doch Fio kommt mir zuvor. „Nein, Avery! Du musst dich irgendwann auch mal deinen Gefühlen stellen."
Klar. Ich habe ja gesehen, wohin mich das gebracht hat. „Damit meine ich nicht, dass du direkt losrennen und es in die Welt schreien musst. Es einfach mal auszusprechen und wahrzunehmen kann manchmal schon helfen."
Ich spüre ihren Blick auf mir, meide es jedoch, sie anzusehen. „Sonst platzt du irgendwann wieder, so wie im Café vorhin."

Ich schließe meine Augen und seufze schwer. „Ich bin in Blake verliebt." Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. Es so direkt auszusprechen ist noch peinlicher, als heimlich mit damit rumzulaufen.

„Fühlt sich doch sofort besser an, oder?" In Fios Stimme kann ich ein Grinsen hören.

Ich öffne meine Augen wieder und sehe sie an. „Nein."

„Was willst du jetzt machen?"

Gute Frage. Ich muss noch mindestens eineinhalb Jahre mit ihm in meiner Nähe leben, bevor wir aufs College gehen. Eineinhalb Jahre, in denen ich so tun muss, als würde ich ihn nicht ständig  in meine Arme schließen und küssen wollen. Eineinhalb Jahre, in denen ich die beste Freundin spielen muss und ihm vielleicht sogar – und ich bete, dass es nicht so sein wird – bei Dates mit anderen Mädchen zusehen muss. Ich kann mich bereits alleine auf seinem Dach sitzen sehen, während er mit einer anderen in ihrem Zimmer sitzt und die beiden weiß ich nicht was machen. Morgens würden wir sie noch abholen und ich müsste hinten sitzen, weil sie nun einmal seine Freundin ist und man seine Freundin nicht hinten sitzen lässt, damit seine Nachbarin vorne sitzen kann. Oder ich muss sogar wieder den Bus nehmen. Ich will mir nicht einmal vorstellen, wie wir alle gemeinsam an unserem Tisch sitzen. Nein. Das halte ich nicht aus. Da kann er mir sofort mein Herz rausreißen und es zertreten. Ich spüre, wie meine Augen anfangen zu brennen und wische mit meinem Ärmel schnell darüber.

„Avery..."

Doch weiter kommt sie nicht, weil meine Zimmertür aufgerissen wird und meine Cousine Leah plötzlich im Zimmer steht. „Hey. Ich soll euch sagen, dass... woah, wer ist gestorben?" Sie blickt zwischen Fio und mir hin und her.

Ich bin viel zu sehr in meinem Blake-Gedankenstrudel vertieft, dass ich kaum eine angemessene Antwort finde. Doch zum Glück ist meine beste Freundin noch hier und lässt mich nicht hängen. „Niemand. Wir gucken gerade nur einen traurigen Film."

Leah sieht zum Fernseher und runzelt die Stirn. „Jurassic Park ist ein trauriger Film für euch?"

„Ja. So, wie diese Tiere gehalten werden... und die Menschen von ihnen gefressen werden und... und die Kinder darunter leiden...", stammelt Fiona, doch sie kann es nicht retten.

„Wie auch immer", unterbricht meine Cousine sie. „Das Essen ist fertig." Schon verschwindet sie wieder.

„Mir ist nichts Besseres eingefallen." Fio dreht sich mit einem gequälten Grinsen zu mir.

„Wenigstens hast du etwas gesagt. Danke."

Wir stehen auf und sie umarmt mich. „Zerbrich dir nicht allzu sehr den Kopf darüber."

„Ich versuche es."

„Wir finden eine Losung, Ave."

Mit einem aufgesetzten Lächeln verabschieden wir uns voneinander und ich gehe zu meiner Familie ins Esszimmer.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top