> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟱𝟬

Es ist der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien. Morgen fahren wir zurück nach Hanford und werden dort Weihnachten und Silvester verbringen. Ich freue mich, endlich wieder mit Fiona reden zu können und sie wirklich zu sehen, ohne dass zwei Bildschirme zwischen uns sind. In letzter Zeit haben wir nicht so oft miteinander geschrieben oder telefoniert, aber das wird sich hoffentlich wieder ändern. Das macht mich zwar ein wenig nervös, aber dafür haben wir uns in den nächsten Tagen umso mehr zu erzählen. Andererseits bedeutet mein Besuch auch, dass ich zwei Wochen nicht hier sein werde.

Meine Augen schweifen nach links. Blakes Blick liegt konzentriert auf der Straße, während All Time Low im Hintergrund singt. „Wir fahren morgen zu unserer Familie." Keine Ahnung, warum ich das gerade gesagt habe. Wahrscheinlich weiß er es sowieso schon. Trotzdem interessiert mich seine Reaktion.

„Ich weiß." Mehr sagt er dazu nicht, bis wir am Parkplatz der Schule ankommen. „Ich werde dich vermissen, Avers."

Mein Kopf dreht sich so schnell in seiner Richtung wie mein Herz gerade schlägt.   „Was?", hauche ich. Meine Stimme ist plötzlich wie weggeblasen.

„Es wird komisch sein, wenn ich zwei Wochen alleine auf unserem Dach sitzen muss und wir nicht miteinander reden werden." Er meint es wirklich ernst.

„Na ja, wir können ja telefonieren", schlage ich vor und bereue es sofort, nicht einfach den Mund gehalten zu haben. Warum habe ich das gesagt?

„Jeden Abend?" Blake zuckt mit den Schultern. „Warum nicht. Es ist doch irgendwie unser Ritual, oder?" Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Zu einem wirklich schönen Lächeln. Unwillkürlich muss ich daran denken, dass ich seine Lippen schon einmal geküsst habe und wünsche mir, es in diesem Moment wieder zu tun.

„Avery?"

„Ja. Sorry." Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger ist es für mich, in seiner Nähe einen klaren Gedanken zu fassen. Es ist fast schon so wie damals. „Ein Ritual muss man natürlich so gut es geht einhalten."

„Allerdings. Wir finden schon eine Lösung."
Mein Herz pocht so laut gegen meinen Brustkorb, dass ich glaube, er kann es ebenfalls hören. „Conor ist nämlich nicht da und der Rest des Teams ist auch bei seiner Familie. Man sollte meinen, dass wenigstens einer von meinen Freunden hierbleibt, aber nein. Anscheinend gibt es in Belview nur zwei Generationen von Familien." Autsch. Ich versuche den Schmerz in meiner Brust zu ignorieren und lächle ihn weg. Gut zu wissen, dass ich für ihn die letzte Anlaufstelle zu sein scheine, während ich ihn gegen meinen Willen wirklich vermissen werde.

*

Während der Fahrt nach Hanford rede ich mir immer wieder ein, dass ich Fio bald wiedersehen werde. Meine beste Freundin, der ich alles anvertraue, bis auf die Tatsache, dass ich sehr gut mit dem Blake Parker befreundet bin, in den ich mich ebenfalls unglaublich verliebt habe. Schon wieder. Oder immer noch. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Oh Mann. Bisher habe ich ihn nicht mal mit nur einem Wort erwähnt. Also wird es an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen, so wie ich es schon von Anfang an vorhatte. Nur wie gehe ich das am besten an, ohne dass sie sauer wird?
Seufzend lehne ich meinen Kopf an die Fensterscheibe und betrachte die vorbeiziehende Landschaft.

„Ist alles in Ordnung, Avery?", fragt Mom und dreht sich auf dem Beifahrersitz zu mir um.

„Ja, alles ist gut."

„Freust du dich, Fiona wiederzusehen?"

Ich nicke. „Ja."

„Du klingst aber nicht wirklich begeistert", bemerkt sie, woraufhin ich meine Augen verdrehe. „Soll ich etwa Freudensprünge im Auto machen?"

Auf Moms Stirn bildet sich eine Falte. „Warum bist du so zickig?"

„Ich bin nicht zickig", gebe ich trotzig zurück.
„Habt ihr beide euch gestritten? Ich dachte..."

„Haben wir nicht, Mom", unterbreche ich sie. „Es ist alles gut."

Ich schaue wieder aus dem Fenster, spüre jedoch weiterhin ihren Blick auf mir. Irgendwann dreht sich wortlos wieder nach vorne und es bleibt still zwischen uns, bin wir in Hanford ankommen.

„Avery Harrison", brüllt Fiona und reißt mich in eine Umarmung. „Gott du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisst habe." Sie lässt wieder von mir ab und betrachtet mich.

„Hey, Fio", erwidere ich und lächle. Sie wirkt wie immer. Keine Ahnung, warum ich dachte, dass sie sich in den letzten Monaten irgendwie verändert hat, aber das hat sie nicht. Sie ist immer noch meine beste Freundin Fiona, die ich im August zurückgelassen habe. Aber bin ich noch die Avery Harrison, die vor einigen Monaten diese Stadt verlassen hat?

„Ist alles in Ordnung?"

„Ja. Was sollte denn nicht in Ordnung sein?", gebe ich die Frage zurück.

Fio mustert mich. „Ich weiß nicht, aber..." Sie setzt ein Lächeln auf und zuckt mit den Schultern. „Egal. Wir haben ein straffes Programm. Lass uns zuerst ins Café gehen und reden. Du hast mir noch unglaublich viel zu erzählen, beste Freundin." Die letzen beiden Wörter betont sie besonders, um mur zu verdeutlichen, dass ich ihr in den letzten Monaten kaum etwas erzählt habe. Ich schlucke verziehe meine Lippen zu einem Lächeln. „Ja, natürlich. Ich freue mich schon."
Nachdem ich meine Tasche in das Gästezimmer meiner Tante gebracht habe, gebe ich meinen Eltern Bescheid, dass ich jetzt mit Fiona unterwegs bin. Sie ist mit dem Auto ihrer Eltern da, womit wir nun in die Stadt fahren. Noch hat sie kein eigenes, aber mittlerweile arbeitet sie im Kino und spart für eins. „Dann kann ich dich mal besuchen und du kannst mir dein neues Zuhause zeigen."

Ich erwidere ihr Lächeln, aber bei dem Gedanken an Blake verschwindet es wieder. Blake. Der Junge, der neben mir wohnt, mit dem ich nachts heimlich auf dem Dach sitze und einfach rede. Der Junge, mit dem ich täglich gemeinsam zur Schule fahre und dabei seine und meine Lieblingsmusik höre. Der Junge, der nicht nur mit mir Zeit verbringt, weil sonst alle beschäftigt sind, sondern...

„Avery?" Beim Klang der Stimme meiner besten Freundin zucke ich zusammen. „Wir sind da." Ich drehe mich um und erkenne, dass wir vor dem Café stehen. „Wo warst du denn mit deinen Gedanken?", fragt Fio skeptisch.

„Ähm... nirgends." Wow. Ganz klasse. Das macht sie nur noch misstrauischer.

„Avery..."

Und weil die Situation noch nicht unangenehm genug ist, muss genau in diesem Moment noch mein Handy klingeln. Ich ziehe es auch meiner Jacke heraus und sehe, dass Blake mir eine Nachricht geschrieben hat.
Telefonieren wir später noch?

„Ave?" Ruckartig stecke ich das Handy wieder ein und sehe zu Fiona.

„Gehen wir?", frage ich und schnalle mich ab.
Fio verengt ihre Augen, folgt mir jedoch. Wir gehen rein und bestellen uns jeweils einen Kakao, bevor wir uns an einen Zweiertisch im hinteren Teil des Raumes setzen. Nachdem wir unsere Jacken über die Stuhllehnen gehängt haben, sieht meine beste Freundin mich erwartungsvoll an. „Erzähl."

„Was genau willst du wissen?"

„Alles. Erzähl mir alles, was ich wissen muss."
Sie klingt wie eine Polizistin, die mich verhört. Eigentlich ist Fiona ein Mensch, der jemanden gut einschüchtern kann, aber ich bin dagegen schon lange immun. Und doch verunsichert mich ihr Blick gerade sehr.

„Wow, weißt du, Fio, es gibt da eigentlich gar nicht..."

„Fang doch damit an, mir zu sagen, wer dir die Nachricht geschrieben hat.

Ertappt verstumme ich und senke meinen Blick. Jetzt ist der perfekte Moment, einen großen Schluck von meinem Kakao zu nehmen. Fio wartet geduldig, während ihr Gesichtsausdruck jedoch alles andere als Geduld ausstrahlt.

„Bri hat mir nur schöne Feiertage gewünscht."
Warum lüge ich?

Mein Handy summt erneut. Eine weitere Nachricht. „Schau ruhig nach", sagt Fio und trinkt einen Schluck.

Zögernd hole ich es aus meiner Tasche und entsperre es.

Sorry, Avers. Ich wollte dich nicht direkt am ersten Tag so überfallen. Lass uns morgen reden.
Ich kann ein Lächeln nicht mehr unterdrücken, als ich zurückschreibe. Schon okay. Bis morgen.

Sofort komm ein lachender Smiley von ihm als Antwort.

„Wer ist er?", fragt Fiona gerade heraus, als ich meinen Blick hebe.

„Was?"

Ihre Miene verdunkelt sich. „Tu nicht so blöd, Avery. Ich weiß es schon längst."

Mein Herzschlag setzt einen Moment aus. Scheiße. „Was meinst du?", frage ich lahm.

„Du hast einen Freund."

„Ich habe einen was?" Verwirrt stecke ich mein Handy wieder weg.

„So wie du dich verhältst, ist es mehr als offensichtlich. Ich weiß, wie du drauf bist, wenn du verliebt bist. Nämlich genau so." Mit offenem Mund sehe ich sie an. „Ich freue mich wirklich für dich, aber du hättest es mir ruhig sagen können." Niedergeschlagen senkt sie ihren Blick. „Ich bin schließlich deine beste Freundin. Oder nicht?"

„Natürlich bist du das, aber ich habe keinen Freund", erwidere ich. „Wirklich nicht.Wenn es so wäre, hätte ich es dir schon längst gesagt."

Es dauert einen Moment, bis sie mir wieder in die Augen gucken kann. „Was ist es dann? Warum bist du dann so distanziert?"

Bin ich das? Gott, natürlich bin ich das. Ständig hänge ich mit meinen Gedanken bei Blake. Besonders in der letzten Zeit. „Es tut mir leid. Ich weiß, dass ich in der letzten Zeit keine gute und erst recht keine beste Freundin war, aber ich bessere mich. Es war alles nur... nur ein bisschen stressig."

„Ich bin nicht mehr mit Trevor zusammen", sagt sie nüchtern. „Wir haben uns getrennt."

Dasa höre ich gerade zum ersten Mal. „Was? Wann? Ich dachte, ihr wärt glücklich miteinander." Ich kann mich noch genau an unsere Gespräche erinnern, bei denen sie mir von ihren Daten vorgeschrämt hat.

Fio zuckt mit den Schultern. „Es hat nicht funktioniert." Sie senkt ihren Blick wieder und ich bemerke erst jetzt, wie viel ich eigentlich verpasst habe. Gott, warum war in der letzten Zeit nur so egoistisch? Nur, weil ich mit meinen Gefühlen für Blake nicht umgehen kann, war ich so sehr damit beschäftigt, sie zu ignorieren, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Wie paradox.

„Ich wollte es dir in Ruhe erzählen, aber du hast immer gesagt, dass du beschäftigt seist. Ehrlich gesagt, habe ich schon damit gerechnet, dass du gar nicht herkommen würdest."

Verdammt. „Es tut mir leid, Fiona." Ich strecke meine Hand aus und lege sie auf ihre. Das bewegt sie dazu, mir wieder in die Augen zu sehen. „Es tut mir wirklich leid. Ich... ich musste mir in letzter Zeit über ein paar Dinge klarwerden."

Mit großen Augen betrachtet sie mich einen Augenblick. „Oh. Okay. Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du... also, egal, wen du magst, ich bin für dich da."

Ich spüre, dass meine Hand schwitzig wird und nehme sie weg. „Woher weißt du davon?" Es ist eigentlich unmöglich, dass sie von Blake weiß.

„Ich weiß nichts, aber wie gesagt, als du damals in Blake verliebt warst, warst du auch so drauf." Bei der Erwähnung seines Namens muss ich schlucken. „Wenn du auf Bri stehst, ist das natürlich vollkommen in Ordnung." Moment, was? „Ich freue mich sogar für dich."

„Auf Bri stehen? Wieso sollte ich auf Bri stehen?" Wie kommt sie auf diese Idee?

„Du hast gesagt, dass du dir über etwas klar werden musstest und du grinst die ganze Zeit dein Handy an, wenn sie dir schreibt, da dachte ich..."

„Nein. Ich bin nicht in Bri verliebt. Sie ist eine sehr gute Freundin, aber mehr nicht."

„Oh." Verwirrt blickt Fio mich an. „Was war dann los?"

Das ist jetzt wohl der Moment, in dem ich ihr von Blake erzählen muss. Ich atme tief durch und erzähle ihr alles.

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