> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟰𝟭

Sonntagvormittag klingelt mein Handy und ich denke zuerst, dass es wieder Blake ist, doch er ist es nicht. Ein kleiner Funken Enttäuschung durchfährt mich, doch als ich sehe, dass es Fiona ist, verfliegt dieser und verändert sich in Aufregung. Ohne weiter nachzudenken, nehme ich das Gespräch an. „Hallo?"

„Hey, Avery", sagt sie am anderen Ende der Leitung. In ihrer Stimme schwingt Schuldbewusstsein mit.

„Hey, Fiona."

Daraufhin herrscht erst einmal Stille. Gerade möchte ich die fragen, ob etwas passiert ist, als sie leise weiterspricht. „Es tut mir leid."

Gebannt höre ich zu und habe keine Ahnung, was ich antworten soll. Fiona räuspert sich und spricht lauter. „Es tut mir leid, dass ich wütend auf dich war. Dass ich dir keine richtige Chance gegeben habe, es zu erklären und deine Nachrichten ignoriert habe."

Ich brauche einen Moment, um das Gesagte einzuordnen. Fio spricht weiter. „Gott, Avery, ich fühle mich so dumm. Ich war einfach nur traurig und wütend, weil ich mich auf unsere gemeinsamen Tage gefreut habe."

„Ist schon okay. Das habe ich mich auch, aber..." Ich seufze. „Unser Umzug hierher war nicht gerade billig, weißt du? Ich wollte ja wirklich kommen, aber Erica, Adam und Leah waren in Miami, ich durfte nicht alleine fahren und..."

„Schon gut. Ich verstehe es", unterbricht sie mich. Ein erleichtertes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. „Bitte lass und das vergessen. Dass wir die letzten Wochen nicht miteinander gesprochen haben, war wirklich ein Albtraum für mich."

„Für mich auch."

„Kommst du runter, Avery? Maggie, Ashton und Blake sind jeden Moment hier", ruft Mom von unten. Durch Fios Anruf habe ich das komplett vergessen. „Ja, ich komme gleich", gebe ich zurück und halte mir dabei das Handy etwas weg. „Hör mal, Fio, unsere Nachbarn kommen gleich zum Essen zu uns. Wie wär's, wenn wir heute Abend nochmal reden?"

„Ja, natürlich. Ich habe dir noch einiges zu erzählen."

„Ich freue mich. Bis dann." Ich lege auf und gehe mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen nach unten.

*

„Was ist heute eigentlich los mit dir? Du siehst genauso aus, wie letztens, als ich dir erzählt habe, dass es noch einen dritten Teil von Spider-Man mit Tom Holland geben wird", merkt Blake an, während er die Teller abtrocknet, die ich ihm sauber auf die Spüle lege.

Ich werde ihm einen Blick. „Haha. Wirklich witzig."

„Komm schon, Avers. Warum hast du gute Laune? Lass mich doch Anteil daran haben."

„Okay. Ich habe mich wieder mit meiner besten Freundin vertragen."

Blake zieht eine Augenbraue hoch. „Ihr hattet Streit?"

Ich seufze. „Ja... vor Thanksgiving. Aber wir haben es geklärt."

Blake erwidert mein Lächeln. „Sehr gut."

Eine Weile spülen wir in einem angenehmen Schweigen, bis Blake die letzte Schüssel abgetrocknet hat und ich alles wieder in die Schränke geräumt habe. Gerade möchte ich wieder ins Esszimmer gehen, als Blake mich am Handgelenk zurückhält. Den elektrischen Schock, der mich durchfährt, versuche ich zu ignorieren und drehe mich um. Er steht mir ziemlich nah. Zu nah.

„Ich habe eine Idee, wie wir einer weiteren peinlichen Aktion wie gestern aus dem Weg gehen können", flüstert er mir zu und jagt eine Gänsehaut über den Körper.

„Ach ja?", frage ich mit trockenem Mund.

„Ja. Ich werde es dir später sagen." Damit zieht er sich zurück und zwinkert mir zu, ehe er die Küche verlässt.

Verwirrt und mit einem nervösen und gleichzeitig aufregenden Gefühl bleibe ich zurück.

*

Bis die Parkers nach dem Kuchen wieder gegangen sind, saß ich ungeduldig am Tisch und fragte mich, wann Blake mir endlich von seiner Idee berichten würde. Doch er tat es nicht. Auch, als sie dann nach Hause gegangen sind, sagte er mir nichts. Kurz dachte ich, das wäre alles nur in einem kurzen Tagtraum passiert, doch bevor Blake durch die Haustür trat, grinste er mir nochmal zu.

Seitdem liege nun auf meinem Bett und überlege, ob ich ihn anrufen oder schrieben soll, bis ich plötzlich ein lautes Geräusch höre und aufspringe. In meiner Kehle formt sich ein Schrei, doch ehe ich ihn ausstoßen kann, halte ich meine Hand davor.

„Sag mal, hast du sie noch alle?!", zische ich Blake an, der gerade wieder mein Fenster schließ, durch das er hereingekommen ist.

„Ich habe doch gesagt, ich habe eine Idee", sagt er und grinst mich an.

Am liebsten würde ich es ihm aus dem Gesicht wischen. „Ja? Ist ein Teil davon auch, mich zu traumatisieren, dass jeder Freak einfach so in mein Zimmer klettern kann?!"

„Ich bin doch kein Freak. Außerdem ist es viel schwerer, von ganz unten nach oben zu klettern als von gegenüber. Du hast es doch auch schon mehre Male getan."

„Ich bin aber nie in dein Zimmer eingebrochen!"

„Avery..." Blake verdreht die Augen.

„Was? Du hast mich zu Tode erschreckt! Warum konntest du mir nicht vorher eine Nachricht schreiben?"

„Sowas wie Hey, Avers, erschreck dich nicht, aber ich steige gleich durch dein Fenster?", fragt er belustigt und ich kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Das ist doch alles absurd.
Er setzt sich auf mein Bett. „Jetzt können wir einen Film gucken, ohne dass dein Dad mich schief anguckt."

Kurz blicke ich ihn fassungslos an und breche danach in ein hysterisches Lachen aus. Unsicher sieht Blake mich an. „Du drehst jetzt aber nicht durch, oder?"

So langsam fange ich mich wieder. „Nein. Sorry... das... das ist einfach nur eine absolut absurde Situation." Sofort muss ich an diese Szenen im Film denken, in denen der Freund des Mädchens spät abends heimlich durch ihr Fenster klettert und dann die Nacht über bei ihr bleibt, jedoch rechtzeitig wieder nach Hause geht, bevor es jemand bemerkt. Ich spüre, dass mein Gesicht heiß wird und wende mich ab.

„Da könntest du recht haben. Aber ist es nicht cool, dass wir diese Möglichkeit haben?"

„Was?" Mein Gesicht kühlt wieder etwas ab und ich sehe ihn wieder an. Das ehrliche Lächeln, das seine Mundwinkel umspielt, lässt das bekannte und ungewollte Kribbeln in meiner Magengegend wieder aufleben. Ich schlucke.

„Nicht jeder kann einfach so rüber gehen und dann mit seiner besten Freundin abhängen", sagt Blake. Autsch. Beste Freundin. Ein Stich durchfährt mich. Dieser ist noch stärker als an dem Abend, als er nach dem Kuss wortlos aufgestanden und gegangen ist. Doch das lasse och mir nicht anmerken. Also überspiele ich es mit einem Lächeln. „Ja, stimmt."

„Wenn es doch mal kälter sein sollte, könnten wir dann in deinem der in meinem Zimmer abhängen, statt auf dem Dach."

Gerade möchte ich zu einer Antwort ansetzen, als ich Schritte höre. „Du musst verschwinden." Ich gehe auf Blake zu, ziehe ihm am Arm hoch und stoße ihn etwas grob zum Fenster.

„Okay, okay. Beruhige dich. Wir haben doch nichts Verbotenes getan", erwidert er und öffnet das Fenster.

„Trotzdem. Bis dann", verabschiede ich mich schnell. Bevor Blake aus meinem Zimmer verschwindet.

Erleichtert darüber, dass er endlich weg ist, schließe ich das Fenster und lasse mich auf mein Bett fallen. Eigentlich hat er recht. Es ist schon cool, dass wir immer miteinander abhängen können, aber andererseits finde ich das ein bisschen zu viel. Ich mag Blake, aber genau darin liegt das Problem. Ehrlich gesagt, habe ich mir sowas schon immer gewünscht, weil ich das in Büchern immer toll fand, aber ich befürchte, dass dieser mehr oder weniger uneingeschränkte Zugang nicht gut sein würde. Bei dem Gedanken, wie Blake und ich uns nachts in sein Zimmer schleichen, wird mir ganz warm. Zu warm. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Sowas darf ich nicht denken. Wir sind Freunde. Das hat er mir vorhin sogar wortwörtlich gesagt. Seine beste Freundin. Obwohl ich das schon genau wusste, wünschte ich mir, er hätte es nicht gesagt. Verdammt, Avery! Komm mal klar! Es war ein Kuss; nur eine Spielaufgabe. Mehr nicht. Mehr war es nicht und mehr wird es nicht.

Das Klingeln meines Handys holt mich aus meinem Gedankenstrudel. Meine beste Freundin spürt einfach, wenn ich Ablenkung brauche. „Hey, Fio", begrüße ich sie so fröhlich ich kann.

„Hey, Ave. Lass uns doch wieder skypen. Ich vermisse dein Gesicht", erwidert sie.

„Ja, okay", lache ich. Ich stehe auf und setze mich an meinen Schreibtisch, klappe meinen Laptop auf und öffne Skype. Nach wenigen Sekunden sehe ich Fiona.

„Gott, Avery! Wann haben wir das letzte Mal wochenlang nicht miteinander geredet?"

„Ich glaube noch nie." Zwischen Fio und mir herrschte noch nie so lange Funkstille. Aber wir haben uns auch noch nie belogen oder der jeweils anderen etwas vorenthalten. Das Lächeln vergeht mir und ich denke an die Party. An Blakes Kuss. An unsere Stunden auf seinem Dach. An unsere Filmnachmittage...

„Fio", beginne ich, doch sie unterbricht mich.

„Wenn du jetzt sagst, dass du an Weihnachten auch nicht kommst, nehme ich das Auto meiner Eltern und hole dich eigenhändig ab!"
Meine beste Freundin klingt so entschlossen, dass ich mir ein Grinsen nicht verkneifen kann. „Das ist mein voller Ernst, Avery!"

„Ja, ich hab's verstanden. Aber nein, wir werden an Weihnachten zu hundert Prozent nach Hanford kommen."

Erleichtert stößt Fiona Luft aus. „Na zum Glück. Wir müssen noch einiges nachholen."

Plötzlich summt mein Handy neben mir und ich schaue auf die Nachricht. Sehen wir uns gleich? schreibt Blake.

„Warum grinst du so?", holt mich die Stimme meiner besten Freundin wieder zurück.

Erschrocken hebe ich meinen Blick wieder zum Bildschirm. „Nichts", sage ich schnell und weiß sofort, dass ich mich verraten habe.

Fios Augen verengen sich. „Avery, hast du mir was zu sagen?"

Ich streiche mir eine Strähne hinters Ohr. „Äh..." Ich habe das Gefühl, nichts sagen zu müssen, weil sie bereits alles weiß.

„Oh mein Gott, was ist passiert!", ruft sie aufgeregt aus.

„Nichts ist passiert. Das war nur meine Freundin Bri, die mir ein lustiges Bild geschickt hat", versuche ich sie abzuwimmeln.
Doch natürlich reagiert Fiona nicht darauf. „So sah das aber nicht aus. Es schien eher, als hätte dir jemand besonderes geschrieben."

Ich spüre Wärme in mir aufsteigen. Das ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt für dieses Gespräch.

Wieder kommt eine Nachricht von Blake. Ich warte auf dem Dach auf dich :) Ein Smiley. Blake Parker hat mir einen Smiley geschickt.

„Was verpasse ich da eigentlich gerade in deinem Leben, beste Freundin?", tadelt Fio und verrenkt ihren Hals fast bei dem vergeblichen Versuch, auf mein Handy zu gucken.

Ich drehe es um und lächle sie an. „Du verpasst nichts, beste Freundin. Außer, dass ich gerade daran erinnert wurde, dass ich noch etwas erledigen muss."

Fiona bebt eine Augenbraue. „Avery Harrison."

„Sorry, aber wir sprechen uns später, ja? Hab eine schöne Woche." Damit lege ich auf und klappe meinen Laptop zu. Ich nehme mir mein Handy in die Hand und anteworte Blake. Bin schon unterwegs :)

Ich weiß, dass ich eine schreckliche beste Freundin bin. Gerade haben wir uns nach einem wochenlangen Streit endlich wieder vertragen und ich wimmle Fio direkt ab, weil Blake auf mich wartet. Klar, kann ich ihn immer sehen, aber er wartet auf mich. Wie könnte ich da nein sagen? Wenn es um ihn geht, ist es für mich einfach unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen.

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