> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟯𝟳

„Ach komm schon, Avery. Das macht Spaß!"
Ich weiß nicht, warum Flaschendrehen mit Wahrheit oder Pflicht spaßig sein soll, aber ich möchte auch keine Spielverderberin sein. Außerdem denke ich, dass das meine Freundin perfekt ablenken kann. Also stimme ich zu. „Na gut." Alles ist besser, als weiter peinlich durch das Zimmer zu tanzen.

Auf Bris Gesicht breitet sich ein Lächeln aus und sie zieht mich zu den andern Partygästen die sich bereits in einen Kreis auf dem Boden in Sarahs Wohnzimmer gesetzt haben. Einige davon kenne ich aus der Schule, aber andere habe ich vorher noch nie gesehen. Brianna und ich setzen uns in freue Lücken. Ich finde einen Platz zwischen zwei Mädchen, wie ich beide schon mal auf dem Schulflur gesehen habe und bei denen ich mir sicher bin, dass sie in Sarahs Jahrgang sind. Obwohl ich nur ein Jahr jünger bin, fühle ich mich wie ein kleines Kind, das am Tisch der Erwachsenen sitzt. Bevor ich mir noch weiter den Kopf darüber zerbreche, dass ich mich immer weniger zugehörig fühle, beginnt auch schon das Spiel.

Je mehr Runden wir spielen, desto mehr Leute kommen dazu. Mittlerweile sitzen wir mit ungefähr 20 Leuten zusammen, bis Blake und Conor ebenfalls zu uns stoßen. Als Blake sich mir gegenüber niederlässt, lächelt er mich an und mein Unbehagen verringert sich.

Ich bin froh, bisher nur eine Frage beantwortet haben zu müssen, die mir von Bri gestellt wurde und nicht allzu privat war. All die anderen typischen Wahrheit-oder-Pflicht-Fragen wären mir viel peinlich gewesen. Mal abgesehen davon, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso nichts hätte beantworten können, hätte ich das auch noch in einem Raum voller fremder Leute zugeben müssen. Doch zum Glück bewahrte meine Freundin mich davor. Bris Frage war, welchen Star ich besonders heiß fände – also ganz ungefährlich – und meine Antwort war Tom Holland. Dafür erntete ich ein Grinsen von Blake, mit dem ich vor wenigen Tagen zuvor erst den Film Spider-Man Homecoming gesehen habe und mich zusammenreißen musste, damit ich nicht ständig loskicherte, wann immer Peter etwas Lustiges sagte oder tat. Blake hat mich den ganzen Film über – und auch noch den nächsten Morgen – damit aufgezogen. Die anderen Mädchen in unserem Kreis schienen eindeutig meiner Meinung zu sein, so eifrig wie sie mir zunickten. Daraufhin war ich Blake einen Blick zu, der sagte Siehst du? Ich bin nicht die einzige, die ihn toll findet.

Nach nur wenigen Runden zeigt die Flasche das erste Mal auf Blake und wir alle schauen gespannt zu Sarah, die Blake eine Aufgabe oder eine Frage stellen muss.

„Pflicht", antwortet Blake mit einem lässigen Lächeln.

Sarah lässt sich reichlich Zeit mit dem Aussuchen ihrer Aufgabe und schaut dabei durch die Runde, bis ihr Blick an mir hängen bleibt und sich ein Lächeln auf ihren Lippen ausbreitet. Mein Herz setzt kurz aus und ich ignoriere das ungute Gefühl, das plötzlich in mir aufkommt. Sie dreht sich wieder zu Blake und verkündet seine Pflichtaufgabe. „Blake, du musst Avery küssen. Für fünf Sekunden."

Zuerst verstehe ich es nicht ganz. Natürlich habe ich es gehört, aber in meinem Gehirn ergeben ihre Worte keinen Sinn. Das muss ein schlechter Witz sein, der kein bisschen lustig ist. Als ich den Blick in die Runde wage, sind die Stille und das vereinzelte Murmeln fast schon erdrücken und mir wird bewusst, dass sie es ernst meint. Nein! Das geht auf keinen Fall! Bitte sag nein. Diese Worte wiederholen sich mit meinem immer schneller werdenden Herzschlag, während ich Blake anschaue. Ich spüre die Blicke der anderen auf mir, aber alles, was ich nur noch wahrnehme ist, dass Blake aufgestanden ist und auf mich zukommt.

Je näher er mir kommt, desto schwindeliger wird mir. Kann ich eigentlich auch sagen, dass ich das nicht möchte? Oder soll ich einfach aufstehen und Übelkeit vortäuschen? Beiden wird nicht funktionieren, weil ich gerade erstens nicht sprechen und zweitens mich nicht bewegen kann. Ich bin wie erstarrt und alles spielt sich wie in Zeitlupe ab. Nein. Er wird doch nicht...

Blake lässt sich vor mir nieder und sieht mich mit einem entschuldigenden Lächeln an. Ich spüre, wie ich anfange zu zittern und hoffe, dass es niemand anderem auffällt. Er hebt seine Hände, streicht mit jeweils rechts und links eine Strähne hinters Ohr und umfasst sanft mein Gesicht. Sofort durchzuckt mich ein warmer Schauer. Mein Atem stockt, als er sich mir nähert und nur wenige Millimeter vor meinem Gesicht innehält. Zum ersten Mal erkenne ich eine kleine unscheinbare Narbe unter seiner linken Augenbraue. Am liebsten würde ich ihn fragen, woher er diese wohl hat, aber er lehnt sich näher zu mir und benebelt mein Gehirn so sehr, dass ich meine Worte vergesse.

„Keine Angst, Avers. Vertrau mir", flüstert er so leise, dass nur ich es hören kann. Ich schaue ein letztes Mal in seine warmen braunen Augen, nicke kaum merklich und schließe meine dann, als er schließlich seine Lippen auf meine legt.

Zuerst bin ich überrascht und vollkommen überfordert, weil ich nicht weiß, wohin mit meinen Händen und was ich mit meinen Lippen machen soll. Also lasse ich locker und nehme im nächsten Moment nur noch Blakes weiche Lippen und seine warmen Hände wahr. Ein starkes Kribbeln breitet sich in meiner Magengegend aus und ohne darüber nachzudenken, erwidere ich den Kuss. Ich schlinge meine Arme um seinen Nacken und ziehe ihn näher an mich.

Es ist schwer zu beschreiben, aber es ist, als würde etwas in meinem Inneren explodieren und das fühlt sich unglaublich gut an. Irgendwie richtig. Ich vergesse alles um mich herum, bis Blake sich nach einer gefühlten Ewigkeit zurückzieht und mich ansieht. Noch völlig benommen und mit starkem Herzklopfen mustere ich ihn, bis ich ein Räuspern höre, das nicht von ihm kommt. Erst da wird mir wieder bewusst, dass wir nicht alleine sind. Mein Blick wandert von Brianna, die mich mit aufgerissenen Augen mustert, zu Sarah, die anerkennend beide Augenbrauen hochzieht.

„Eigentlich sagte ich fünf Sekunden, aber ich wollte euch nicht unterbrechen", kommentiert sie und lächelt uns vielsagend an. Alle Augen sind auf uns gerichtet. Ich traue mich nicht mehr, Blake anzuschauen und habe das Gefühl, die Temperatur in diesem Zimmer ist auf mindestens 35 Grad gestiegen.

„Ich spiele nicht mehr", sagt er schließlich, steht auf und geht, ohne noch einen Blick zurück zu uns zu werfen.

Ich tue es ihm gleich, als ich meine Kraft wiedergefunden habe und fliehe auf wackeligen Beinen in den Garten. Am Pool bleibe ich stehen und schaue mich um. Zum Glück ist niemand hier draußen, also setze ich mich auf den Beckenrand und vergrabe mein Gesicht in beiden Händen.

Oh mein Gott! Ich glaube es nicht. Ich kann und möchte es einfach nicht glauben. Das gerade eben ist nicht wirklich passiert. Es war nur ein Traum, der sich ziemlich real angefühlt hat. Ist ja nicht so, als wäre das der erste dieser Art. Aber darin habe ich nie vor der halben Schule mit Blake rumgeknutscht. Oh. Mein.Gott. Was habe ich nur getan? Warum habe ich ihn nicht einfach weggestoßen? Wieso...

„Hier bist du. Ich hatte schon Angst, du wärst nach Hause gegangen, so wie du aufgesprungen bist." Bri setzt sich neben mich und legt mir sanft eine Hand auf den Rücken. „Ist alles okay?", fragt sie. Obwohl ich sie nicht ansehe, kann ich jedoch gewisse Sorge in ihrer Stimme mitschwingen hören.

Ich schüttle den Kopf, hebe ihn und sehe meine Freundin an.

„Was ist passiert?" Es erleichtert mich, dass sie diese Wort geflüstert und nicht laut ausgesprochen hat. In einem Flüstern kann ich mich verkriechen und verstecken. Am liebsten würde ich mein Gesicht in den Pool stecken, sodass mich niemand mehr ansehen kann. Aber leider ist das keine Lösung für... diese Situation.

„Ich weiß es nicht", antworte ich stattdessen und bin mir nicht sicher, ob es die Wahrheit oder eine Lüge ist. Ich bemerke, wie sich meine Augen mit Tränen füllen. Nein! Ich werde nicht schon wieder wegen ihm weinen.

„Das waren mehr als fünf Sekunden." Na vielen Dank auch. Auch ob ich das nicht wüsste. „Sogar deutlich mehr."

Ich senke den Blick auf meine Hände im Schoß. Warum hat er das einfach so getan?

„Wie war er?", wechselt meine Freundin das Thema du wirkt plötzlich aufgeregt. Doch ich antworte nicht. Ich presse meine Lippen aufeinander, um mich zusammenzuhalten.

„Der beste Kuss, den du jemals hattest, oder?", fragt sie als Spaß und stupst mich leicht mit der Schulter an. Stumm schließe ich meine Augen und die erste Träne bahnt sich ihren Weg meine Wange runter.

„So schlimm?" Eine kurze Stille herrscht zwischen uns, als Bri es endlich versteht. „Oh."

„Ja, oh. Vielleicht ist es nur eine dumme Teenagervorstellung, die sowieso niemals passiert wäre, aber trotzdem habe ich mir immer vorgestellt, dass mein erster Kuss mit jemandem wäre, der mich genauso sehr mag wie ich ihn. Außerdem wären es nur wir beide gewesen und nicht gleich vor den Augen der halben Schule." Obwohl es trotzdem schön war. Oh Gott, nein! Diesen Gedanken will ich gar nicht erst zulassen.

„Das ist natürlich etwas anderes", murmelt Bri. „Aber wenn es dich beruhigt, man hat es nicht gemerkt."

„Nein, das beruhigt mich kein bisschen, Brianna! Ich habe mich wie ein verängstigter Welpe gefühlt, als er plötzlich vor mir saß. Ich glaube, er hat es gemerkt und ich deswegen abgehauen", erwidere ich aufgebracht. Das ist mir alles so unendlich peinlich. Natürlich habe ich mir damals vorgestellt, wie es wohl wäre, ihn zu küssen, aber ich wollte nie, dass es wirklich passiert. Nicht so und ganz besonders nicht jetzt. „Schon wieder werde ich das Gespött der Schule sein und schon wieder ist es Blake Parkers Schuld."

Meine Stimmung hat sich von peinlich angeschlagen zu wütend verändert. Ob es anderen Leuten aus Blakes Umgebung auch so geht? Ob er ihr Leben auch ständig durcheinanderbringt, wie er meins immer wieder durcheinanderbringt? Oder verursacht er nur in meinem Leben Chaos? Dieser Junge ist der reinste Wirbelsturm und das schlimme daran ist, dass er mein Leben auf irgendeine Weise immer beeinflussen wird. Als würde ich mein Leben lang mit einem Blake-Parker-Stempel auf der Stirn rumlaufen müssen. Ich dachte vor unserem Umzug wirklich, dass ich ihn endlich loswerde, aber anscheinend ist das schlichtweg unmöglich.

„Wie meinst du das?", fragt Bri verwirrt.

Schnell drehe ich meinen Kopf in ihre Richtung und mir wird klar, dass gar nicht Fiona neben mir sitzt, sondern Brianna, die von nichts weiß.

„Scheiße", murmle ich. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals.

„Was meinst du mit schon wieder? Habe ich etwas verpasst?"

Es hat keinen Sinn, jetzt noch weiter zu lügen, also entscheide ich mich dazu, ihr die Wahrheit zu sagen. „Können wir zuerst von hier weggehen?" Ich stehe auf und Bri mustert mich kritisch, als wäre ich ein Gemälde, das sie zu analysieren versucht. Schließlich stimmt sie zu und wir gehen zu ihr nach Hause. Als wir endlich in Briannas Zimmer sind, setzen wir und auf ihr Bett und ich erzähle ihr die ganze Geschichte.

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