> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟯𝟰
Den Samstag und Sonntag verbringen wir mit unserem Filmmarathon, bis wir zum Mittagessen gerufen werden und zu mir rübergehen müssen. Noch nie habe ich so schnell meinen Teller leer gegessen. Ich will unbedingt den nächsten Film gucken. Als ich mir die letzte Bohne in den Mund schiebe, blicke ich auf und sehe, wie alle am Tisch mich anstarren. Peinlich berührt schlucke ich runter und spüle mit Wasser nach. „Es war wir immer sehr lecker, Mom", sage ich mit einem Lächeln.
Doch Mom verengt ihre Augen. „Weißt du überhaupt, was du gegessen hast? So wie du geschlungen hast, wage ich das zu bezweifeln."
Oh je. Sie ist wütend. Wenn jemand ihr Essen nicht würdigt, ist sie das immer. Mom akzeptiert jede Meinung. Egal, ob jemand ihr Essen mag oder nicht, sie nimmt diese an. Aber sie hasst es, wenn man es nicht genießt. Essen und besonders gutes Essen sei keine Selbstverständlichkeit.
Beschämt senke ich meinen Blick auf den leeren Teller vor mir, als ich ein leises Kichern höre und verwirrt aufschaue. Blake beißt sich auf die Lippe, um einen lauten Lacher zu unterdrücken. Ich schaue ihn möglichst vernichtend an, doch das bringt ihn endgültig aus der Fassung.
Maggie dreht sich zu ihrem Sohn und stupst ihn leicht mit den Ellbogen an. „Das ist nicht lustig, Blake! Du schlingst genauso", erwidert sie tadelt sie, doch es nützt nichts; er lacht einfach weiter. Es klingt so herzlich und ehrlich, dass ich nicht anders kann und mitlachen muss.
„Was ist denn mit euch los?", fragt Dad, doch wir können nicht antworten.
„Wahrscheinlich saßen sie zu lange vor dem Bildschirm", antwortet Mom.
„Nein. Ich war die ganze Zeit bei ihnen und drehe nicht durch", steuert Ash bei.
Blake und lachen weiter. Ich weiß nicht mal, warum wir lachen; so lustig war das überhaupt nicht. Aber es ist das erste Mal seit langem, dass ich vor Lachen Bauchschmerzen bekomme.
Als wir und dann endlich wieder beruhigt haben, sollen wir den Abwasch machen und dürfen unseren Filmmarathon nicht fortsetzen. Unsere Eltern sind der Meinung, dass wir mal etwas frische Luft brauchen, um unser Gehirn zu durchlüften. Genau deshalb sitzen wir jetzt auf Blakes Dach, seinem Lieblingsplatz.
„Tja, das Mittagessen war wohl..."
„.. ein Disaster", beende ich seinen Satz und wir beide müssen wieder lachen.
„Ja. Kurz dachte ich, dass deine Mom dir noch einen Teller vorsetzen wird, den du dann noch Genuss essen sollst."
Ich rolle mit den Augen. „Das hätte sie zu hundert Prozent gemacht, wenn ihr nicht da gewesen wärt."
„Du hast aber auch so schnell gegessen, dass ich dachte, du würdest gar nicht mehr zu Atem kommen", erwidert er belustigt.
Ich stoße ihm spielerisch gegen in die Seite. „Hör auf." Im Nachhinein ist mir peinlich, wie schnell ich alles gegessen habe. Das ist absolut nicht meine Art und schlimmer ist, dass die Parkers dabei waren.
„Jetzt kenne ich wenigstens dein wahres Ich, Avery Harrison." Seine Stimme klingt so ernst, dass mir das Herz beinahe in die Hose rutscht. „Mann, Avers, das war doch nur ein Witz. Du guckst do, als hätte ich dich bei etwas verbotenem erwischt", lacht Blake. Er hat mich wieder Avers genannt. „Verschweigst du mir etwas?"
Ich schlucke und zwinge mich zu Lächeln. „Natürlich nicht."
Vielsagend zieht Blake beide Augenbrauen hoch. „Werden wir ja sehen", sagt er und zwinkert mir zu.
„Idiot", murmle ich und schüttle schmunzelnd den Kopf.
Ein Moment der Stille breitet sich zwischen und aus, in dem wir beide unseren Gedanken nachhängen. Ich betrachte unsere Nachbarschaft und bin froh, dass dieser Platz anscheinend so versteckt ist, dass Mrs Davis nicht vor Schock vom Stuhl fällt, weil sie zwei Teenager auf dem Dach sitzen sieht.
Wenn ich an den Anfang des Schuljahres zurückdenke, hätte ich niemals gedacht, mit Blake Parker auf einem Dach zu liegen und einfach nur zu reden. Okay, generell hätte ich niemals gedacht, weder auf einem Dach zu sitzen, noch irgendwie mit Blake abzuhängen. Wie die Dinge sich doch entwickeln können.
„Ist dir kalt?", holt mich Blakes Frage aus meinen Gedanken und ich blicke wieder zu ihm.
Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich die Arme um meinen Körper geschlungen habe und leicht zittere. „Ein bisschen vielleicht" gebe ich zu. Natürlich ist es etwas kälter als sonst; schließlich ist es November. Da hätte mir klar sein sollen, dass ein T-Shirt und ein Rock nicht warm genug für draußen sind.
Gerade möchte ich aufstehen und mir eine Jacke holen, als Blake mich aufhält. Überrascht sehe ich ihn an und mache noch größere Augen, als er seine Footballjacke auszieht und sie mir hinhält. „Nimm meine. Mir ist es zu warm darin und du musst nicht extra aufstehen."
Das gerade muss der Moment sein, in dem ich aufwache und alles, was in den letzten Monaten passiert ist, sich als Traum entpuppt.
„Avery?" Verwirrt blinzle ich ihn an und strecke langsam die Hand aus, um seine Jacke entgegenzunehmen. Das passiert doch gerade nicht wirklich, oder? Blake Parker hat gerade nicht seine Jacke ausgezogen und sie mir, Avery Harrison, gegeben.
„Sie wird dich nicht wärmen können, wenn du sie nur anstarrst", sagt Blake mit einem unsicheren Lächeln.
„Ähm... ja, stimmt. Danke", flüstere ich und ziehe die Jacke an. Wie bereits erwartet ist sie mir eine Nummer z groß, aber das Gute ist, dass ich so die Ärmel über meine Hände ziehen und diese ebenfalls wärmen kann. Sobald ich dir Jacke anhabe, wird mir sofort ein bisschen wärmer. Jedoch könnte es auch daran liegen, dass ich Blakes Geste zugegebenermaßen extrem süß finde, was ein angenehmes Kribbeln in meiner Magengegend auslöst. Dabei hilft es kein bisschen, dass diese Jacke auch noch nah ihm und seinem Deo riecht. Mit aller Kraft versuche ich, die Gerüche zu ignorieren und nicht entziffern zu wollen, doch das fällt mir extrem schwer. Diese Geruchmischung ist einfach zu angenehm. Hoffentlich werde ich nicht wieder rot.
„Die Feiertage waren echt cool", wirft Blake mit einem leichten Lächeln ein, das man fast schon als schüchtern beschreiben könnte. Ich spüre, wie sich mein Herzschlag beschleunigt.
„Finde ich auch. Es, ähm... es hat mir viel Spaß gemacht", versuche ich selbstbewusst zu sagen, doch meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern. Das Gewicht von Blakes Jacke an meinem Körper ist mir mehr als bewusst. „Ich meine, ich kannte deinen Dad nicht und ich bin definitiv kein Ersatz, was ich auch absolut nicht sein will, aber ich hoffe, es war trotzdem nicht allzu schlimm, dass ich dabei war." Ich weiß, wie wichtig der Filmmarathon für Blake war. Das habe ich ihm angesehen, als wir den ersten Film eingeschoben haben. Trotzdem habe ich das Gefühl, es irgendwie rechtfertigen zu müssen.
Das Lächeln auf Blakes Lippen verblasst und er sieht mich mit einem ernsten Gesichtsausdruck an. „Schlimm? Ich bin froh, dass du dabei warst, Avery. Dad wäre sicher stolz auf mich, wenn er wüsste, dass ich dich dazu bekommen habe, Marvel zu mögen."
Seine Mundwinkel zucken und es erleichtert mich, ihn wieder lächeln zu sehen.
„Wir war dein Dad so?", frage ich vorsichtig und betrachte ihn genau. Das sanfte Lächeln bleibt, aber in seinen Augen breitet sich eine Schwere aus, die erkennen lässt, wie sehr ihn der Verlust seines Dads zugesetzt hat. Ich schlucke.
„Er war einer der besten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe und das wird er auch immer bleiben. Mit ihm habe ich damals angefangen, Football zu spielen und er hat mich dazu ermutigt, in der Schulmannschaft zu spielen. Er war der Erste, der mir sagte, ich habe wirklich Talent. Als ich ihm gesagt habe, dass ich der neue Quaterback sei, war er so glücklich." Mit jeder weiteren Erinnerung wächst die Sehnsucht in seiner Stimme. „Dad kam zu jedem meiner Spiele und war sogar bei meinem ersten Tochdown dabei. Leider wurde er irgendwann sehr krank und wir mussten umziehen, weil es hier eine spezielle Klinik für die Art von Krebs gibt, die er hatte, dich sie konnten ihm nicht mehr helfen. Es war... es war kein schöner Anblick, aber ich bin froh, sagen zu können, dass ich bis zum Schluss bei ihm war." Blake legt eine Pause ein und blickt in den Garten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schlimm es für ihn gewesen sein muss, seinem eigenen Vater beim Sterben zusehen zu müssen. In meinem Hals bildet sich ein Kloß und ich spüre, wie sich meine Sicht verschleiert. Mit den langen Ärmeln von Blakes Jacke versuche ich unbemerkt über meine Augen zu reiben, doch er dreht sich wieder zu mir und lächelt.
„Ja, daran zu denken tut mir auch weh, aber ich hatte auch eine tolle Zeit mit ihm. Wegen ihm kenne ich zum Beispiel All Time Low. Das war seine Lieblingsband und Remembering Sunday war sein Lieblingslied. Als ich noch jünger war, haben wir immer ihre Alben gehört und laut mitgesungen. Alle CDs, die du in meinem Auto gesehen hast, waren seine und jetzt gehören sie mir. Genau wie das Auto selbst."
Überrascht sehe ich ihn an. Blake hat das Auto von seinem Dad bekommen, was bedeutet, dass...
„Deswegen möchtest du niemanden darin sitzen haben. Du willst die Erinnerung an deinen Vater nicht verlieren." Das ist der wahre Grund. Nicht, dass ihm das Auto zu wichtig ist und er es nicht dreckig machen möchte, sondern weil es ihm mehr bedeutet, als er zugeben möchte. Es ist nicht so wie alle sagen, was mir eigentlich auch schon vorher hätte klar sein müssen. Schließlich muss ich es wohl am besten wissen.
Blake senkt nur seinen Blick. Anscheinend habe ich einen wunden Punkt getroffen. Irgendwas in mir zieht sich zusammen. Der beliebte und perfekt Blake Parker ist gar nicht so unverwundbar, wie alle glauben. Ehrlich gesagt glaube ich sogar, dass er zum Teil noch verletzlicher ist als andere. Wäre ich nicht Avery Harrison, würde ich ihm jetzt wahrscheinlich umarmen, aber da ich das nun mal bin, traue ich mich nicht. Stattdessen stupse ich ihn leicht mit dem Ellbogen an, woraufhin er wieder zu mir sieht und ich ihn leicht anlächle. Gott, ist das peinlich. Der Junge hat seinen Vater verloren und ich verziehe eine unbeholfene Grimasse.
Doch es scheint irgendwie zu funktionieren, denn er erwidert es, was mich erleichtert.
„Danke, Avers." Schon wieder dieser Spitzname.
„Wofür?"
„Dass du immer da bist und mir zuhörst. Ich bin froh, dass ich kennengelernt habe."
Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus. Seine Worte bringen mein Herz zum klopfen, denn auch ich bin froh, endlich den wahren Blake Parker kennengelernt zu haben und ich muss zugeben, dass ich ihn mag.
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