> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟮𝟬
Brianna und ich haben abgesprochen, dass wir uns vor Spielbeginn vor dem Schulgebäude treffen und uns dann gemeinsam einen Platz auf der Tribüne suchen, damit wir uns in der Menge nicht verlieren.
Ich bin gemeinsam mit Mom, Dad, Mrs Parker und Ashton hierher gefahren. Das war nicht die angenehmste Lösung, weil wir uns zu dritt auf die Rückbank quetschen mussten, aber ich bin froh, dass wir endlich da sind. Das war die wahrscheinlich längste Fahrt zur Schule, die ich je hatte. Als wir ausgestiegen sind, war mein komplettes linkes Bein eingeschlafen und ich wäre fast auf den Bordstein gefallen, weil ich es kurz nicht mehr fühlen konnte.
Zum Glück haben Bri und ich vorher ausgemacht, dass ich von heute auf morgen bei ihr übernachte, sodass ich mich bei der Rückfahrt nicht schon wieder zu den anderen quetschen muss.
„Hey", begrüße ich sie, als ich mit meinem Rucksack auf sie zugehe. Brianna erwidert meine Begrüßung und führt mich zu ihrem Auto, damit ich meine Sachen in den Kofferraum legen kann. Danach machen wir uns auf den Weg zu Tribüne. Bri zieht mich in eine Masse von Schülern, die genau in die gleiche Richtung gehen. Ich bin froh, dass sie mich am Arm festhält, sonst würde ich sie in diesem ganzen Chaos höchstwahrscheinlich verlieren.
Von allen Seiten strömen Schüler unserer Schule, der gegnerischen Mannschaft und Eltern. Immer wieder werde ich von anderen angerempelt oder laufe versehentlich gegen andere. Sich durch diese Menge zu schlagen fühlt sich an wie ein Kampf und ich bin mehr als erleichtert, als wir es endlich geschafft haben und freie Platze in der Mitte der Tribüne finden. Von hier aus haben wir einen guten Blick über das gesamte Spielfeld. Das einzige Problem darin, mitten in der Menge zu sitzen ist, dass es wirklich sehr laut ist, aber was habe ich bei einem Footballspiel auch anderes erwartet?
Als ich das letzte Mal bei einem Spiel war, saßen Fiona und ich ganz vorne, damit wir – na ja, eigentlich nur ich – einen guten Blick auf die Spieler – eigentlich nur Blake, weil die anderes mir egal waren – haben konnten. Jetzt nehme ich zum ersten Mal wirklich die Stimmung um mich herum wahr. Alle hier sind aufgeregt und aufgedreht. Die meisten Schüler tragen die Farben unserer Schule – schwarz und weiß – und jubeln bereits. Eine Reihe von Mädchen, die vorne sitzen, tragen Footballtrikots. Wahrscheinlich wollen sie damit zeigen, dass sie ihre Freunde unterstützen. Schließlich muss nicht jeder Footballspieler mit einer Cheerleaderin zusammen sein.
Im nächsten Moment wird es noch lauter und alle um uns herum stehen auf. Bri und ich folgen dieser Bewegung und wir schauen uns die Show der Cheerleader an. Das hat mich nie wirklich interessiert, aber es ist trotzdem ziemlich unterhaltsam. Nachdem sie fertig sind, laufen die Footballspieler aufs Feld und die Menge applaudiert.
Ich weiß ungefähr, wer für unsere Schule spielt, da es Blakes Freunde sind und ich alle zusammen immer in der Schule sehe.
„Siehst du die Nummer 21? Das ist Conor. Blake ist genau daneben, die Nummer..."
„19", beende ich Bris Satz. Sie muss es gar nicht erst sagen. Irgendwas in mir wusste, dass er seine Nummer tragen würde.
Überrascht sieht meine Freundin mich an. „Ja. Hat er dir das gesagt? Oder kannst du die Namen von hier aus lesen?" Bri dreht sich wieder dem Spielfeld zu und versucht die Nachnamen der Spieler auf ihren Trikots zu lesen.
„Er hat es mal erwähnt", lüge ich gekonnt und fühle mich schuldig, dass ich sie belüge und es nicht einmal bereue.
„Ach so." Zum Glück ist das Thema damit abgeschlossen, weil das Spiel beginnt.
*
Blake hat auf keinen Fall gelogen. Sie sind wirklich gut und er ist – wie auch nicht anders erwartet – der Star. Da ich heute zum ersten Mal wirklich auf das Spiel und nicht nur auf ihn geachtet habe, fällt mir auf, wie gut er eigentlich spielt. Seine Würfe sind unglaublich und werden fast immer gefangen und seine Spielzüge sind überaus klug. Man merkt, wie unsere Mannschaft als Team zusammenarbeitet und das zu sehen, erfüllt mich mit einer Art Stolz. Ich kann kaum wegsehen, so spannend ist es. Auch mein Dad ist anscheinend wieder in seiner Jugend. Er steht mit Mom, Mrs Parker und Ashton an der Seite der Tribüne und ich glaube, ihn sogar aus all dem Gejubel raus hören zu können. Von außen betrachtet sieht es so aus, als würde ein Vater seinen Sohn anfeuern, nur dass Blake nicht sein Sohn und er auch nicht dessen Dad ist.
Meine Mom steht neben Blakes Mom, die ihren Blick die ganze Zeit auf das Spielfeld gerichtet hält. Mrs Parker hat beide Hände auf die Ashtons Schultern gelegt und hält ihn dicht an sich. Aus der Entfernung kann ich ihren Gesichtsausdruck zwar nicht erkennen, aber ich bin mir sicher, dass er Stolz ausstrahlt. Ashtons breites Grinsen kann ich sogar bis hier erkennen. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass er stolzer ist als mein Dad und seine Mom zusammen. Immer wieder winkt er seinem Bruder zu, klatscht und jubelt. Er trägt sogar ein T-Shirt mit der Nummer 19, Blakes Nummer. Es sieht selbstgemacht aus, aber das ist ihm egal. Ashton trägt es mich herausgestreckter Brust. Ich kann nicht anders und muss lächeln. Es ist schön, zu sehen, wie sehr er seinen großen Bruder bewundert.
„WUHUU!" Mit einem lauten Schrei beginnt die Menge zu jubeln und ich reagiere gerade noch im richtigen Moment, um zu sehen, wie Blake den entscheidenden Touchdown macht und uns den Sieg holt. Die letzten Sekunden der Uhr laufen ab und das Spiel ist vorbei. Alle stehen auf und schreien noch lauter. Bri und ich ebenfalls.
Auf dem Feld beglückwünscht sich unser Team gegenseitig, während sie die Helme ausziehen und näher auf die Tribüne zukommen. Meine Augen treffen sofort auf Blakes lächelndes Gesicht, bevor dieser zu seiner Familie wandert. Nein, Moment. Es war nur ein Zufall, dass er ausgerechnet meinen Blick begegnet ist. Aus der Entfernung könnte er jeden in meiner Nähe angeschaut haben. Sowas passiert auf Konzerten ja auch ständig. Zu viel Interpretation und zu wenig Realität. Trotzdem ist es schön zu sehen, dass er sein ehrliches Lächeln zeigt, welches ihm verdammt gut steht. So sieht man wohl aus, wenn man, den Moment lebt und etwas Wichtiges geschafft hat. Verschwitzt, aber glücklich.
Ich habe gar nicht bemerkt, dass sich die Tribüne immer weiter leert, bis Bri an meinem Ärmel zupft. „Kommt du mit, die anderen zu beglückwünschen?", fragt sie lächelnd. Auch sie ist stolz auf die anderen, ganz besonders auf Conor, der Blakes Pässe echt gut gefangen hat.
Ich stimme zu und wir gehen von der Tribüne runter aufs Spielfeld, wo sich bereits einige Schüler mit den Spielern unterhalten.
Irgendwann verlassen sie das Feld und gehen in die Umkleide, außer Blake und Conor. Die beiden kommen breit grinsend auf und zu und ich bemerke, wie mein Herz beginnt, schneller zu schlagen.
„Toll gemacht, Bruder", sagt Brianna stolz und umarmt Conir, der so tut, als würde ihn diese Umarmung nerven, aber ich sehe an seinen Blick, dass er sich darüber freut.
Blake bleibt vor mir stehen und grinst mich triumphierend an. „Habe ich es dir nicht gesagt?"
Ich schlucke. Von nahmen sieht in diesem Trikot sogar noch besser aus als von weitem. Mit einer schnellen Handbewegung fährt er sich durch die Haare und streicht die Strähnen, sie ihm feucht in die Stirn hängen zurück.
„Ja, das hast du", gebe ich atemlos zurück und räuspere mich.
Sein Grinsen wird breiter und selbstgefälliger.
„Glückwunsch, Blake." Ich versuche wieder an Selbstsicherheit zu gewinnen und lächle ihn an.
„Vielen Dank, Avery." Er schaut mich weiter an, was die Nervosität in mir ansteigen lässt.
„Willst du jetzt auch noch eine Umarmung, oder was?", frage ich aus Spaß, um diese Situation aufzulockern, doch meine Stimme klingt viel zu abfällig, als würde ich lieber Würmer essen, als Blake zu umarmen.
Als er gerade zu einer Antwort ansetzen will, kommt eine kleine Gestalt auf ihn zugelaufen, sodass er einige Schritte zurücktaumelt.
„Hey, Ash", begrüßt Blake seinen kleinen Bruder freudig und erwidert seine Umarmung.
„Blake, du warst genial! Als du... und wie die anderen... und dann hast du... Mann, das war das beste Spiel überhaupt!" Ashton ist so überwältigt, dass er kaum einen vollständigen Satz formulieren kann. Es ist süß, ihn so glücklich zu sehen. Blake freut sich ebenfalls über seine ausgesprochenen und unausgesprochenen Worte, was an seinen leuchtenden Augen zu erkennen ist.
„Ich wünschte, Dad wäre hier gewesen und hätte dich gesehen", fügt Ashton hinzu.
Plötzlich ist Blakes fröhliches Grinsen ihm wie aus dem Gesicht gewischt. Doch nach einer Sekunde ist es wieder da. Jedoch nur das aufgesetzte, nicht das echte. „Das hat er, Ash. Nur eben nicht von der Tribüne aus."
Mich überkommt das Gefühl, dass ich dieses Gespräch nicht hätte mithören sollen; dass es ein Gespräch unter Brüdern ist. Und ich stehe daneben und komme mir vor wie in der ersten Reihe eines Kinofilms. Trotzdem kann ich nicht leugnen, dass dieser Satz mich ein wenig traurig macht.
Ich höre weitere Schritte und Jubelrufe hinter mir auf uns zukommen. Meine Eltern bleiben neben mir stehen. Blakes Mom tritt auf ihren Sohn zu und nimmt ihn herzlich in die Arme. Sie flüstert ihm etwas ins Ohr und beide fangen an zu lachen. Als sie ihn wieder loslässt, tritt mein Dad auf ihn zu und umarmt ihn ebenfalls. Es wirkt wie die Zusammenführung eines Vaters mit seinem verlorenen Sohn.
Sport hat nie wirklich mein Interesse geweckt. Bei den Footballspielen war ich nur, weil... ihr wisst ja, warum. Sonst war ich nur im Fitnessstudio, aber so richtig toll fand ich es auch nicht. Ohne Fio wäre ich wahrscheinlich auch nie dort hingegangen. Klar, die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt und es gibt Mädchen, die Fußball spielen oder Softball oder eine andere Sportart. Das finde ich auch wirklich cool, aber ich bin kein sportlicher Mensch. Es ist nicht so, als wäre ich unsportlich und mein Körper nicht dafür gemacht. Es ist nur so, dass ich im Denksport besser bin als im normalen Sport. Ich lese gerne, verstehe den Inhalt von schweren Texten schnell und ich spiele gerne Klavier. Okay, manchmal gehe ich auch joggen, aber das ist eher die Ausnahme. Das klingt jetzt alles andere als interessant und eigentlich ist jeder fünfte Mensch so, aber ich mag es.
Meine Eltern haben auch nie ein Hobby von mir bemängelt. Mom gefällt es, dass ich Klavier spielen kann und hat mir damals auch den passenden Unterricht dazu ermöglicht. Dad mag es auch, aber ich glaube, insgeheim wünscht er sich, dass ich auch so sportbegeistert wäre wie er. Keine Frage, ich habe eine gute Beziehung zu ihm, aber manchmal frage ich mich, ob er sich nicht doch lieber einen Sohn statt einer Tochter gewünscht hat. Mit ihm wäre er bestimmt zu Footballspielen gegangen und hätte selbst mit ihm gespielt.
Genau daran muss ich gerade wieder denken. Es versetzt mir einen kleinen Stich, aber ich lasse mir nichts anmerken und lächle einfach weiter, als wäre nichts. Ob mein falsches Lächeln genauso hässlich ist wie das der anderen? Die Frage ist ob sie es überhaupt merken.
Ich schaue in Blakes strahlendes Gesicht, das anders wirkt als eben, als Ashton auf ihn zugelaufen ist. Er freut sich darüber, dass er meinen Vater stolz gemacht hat. Vielleicht, weil er so eine Reaktion von seinem eigenen nicht mehr bekommen wird; nicht mehr bekommen kann.
Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter und zucke zusammen. „Können wir los?", fragt Brianna.
Kurz weiß ich nicht, was sie meint und schaue sie verständnislos an, bis es mir wieder einfällt. „Ja. Ja, wir können los", antworte ich und verabschiede mich von meiner und Blakes Familie und gehe mit Bri zu ihrem Auto.
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