> 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝟭𝟰
Seit Wochen habe ich mich nicht mehr so gut gefühlt wie heute. Endlich habe ich Blake Parker die Stirn geboten. Ich! Wer hätte gedacht, dass ich dazu jemals in der Lage sein würde?
„Sorry, dass ich dich gestern nicht mehr zurückgerufen habe", meldet sich Fiona mit einem bedauernden Tonfall am Telefon. „Ich war erst spät Zuhause und wollte dich nicht mehr wecken."
„Ach, kein Problem. Es war ja nichts Wichtiges", erwidere ich daraufhin gelassen.
Am anderen Ende der Leitung ist es kurz still. Ich setze mich auf. „Fio?"
„Ja, ich bin da. Du klingst so ungewöhnlich ruhig. Bist du... bist du high oder so?", fragt sie verunsichert.
Ich muss ein Kichern unterdrücken. „Nein, keine Sorge. Ich habe keine Drogen genommen. Ich habe heute nur jemandem die Stirn geboten, der es seit langem verdient hat", erwidere ich.
Fionas überraschter Ton ist kaum zu überhören. „Du?!"
„Ja, ich. Ist das denn so unglaubwürdig?" Klar, ich bin eine ruhige Person, die Konfrontationen für gewöhnlich aus dem Weg geht und jemandem wirklich meine Meinung zu sagen, habe ich mich auch nie wirklich getraut, aber bei Blake ist das irgendwie anders. Ich habe mir versprochen, dass er mich nicht noch ein zweites Mal bloßstellen wird.
„Na ja, ein bisschen schon", druckst meine beste Freundin herum. „Solange du nicht wie Amy McHaron wirst, ist es okay."
Fionas Sorge ist lächerlich. Als ob ich genauso hinterhältig werde wie Amy. Ich würde niemals die Schwächen anderer zu meinen Gunsten ausnutzen.
Gerade will ich etwas erwidern, als mir bewusst wird, dass ich genau das getan habe. Seufzend schließe ich die Augen und lasse mich rückwärts auf mein Kissen fallen. Was habe ich mir nur dabei gedacht, das, was Blake mich unfreiwillig hat miterleben lassen, gegen ihn zu verwenden, obwohl ich doch versprochen habe, es für mich zu behalten? Auch, wenn ich nicht verstehe, warum er daraus so ein großes Geheimnis macht. Tatsache ist jedoch, dass ich so nicht besser bin als Amy McHaron. Und ich weiß nicht, wie ich mich in den wenigen Wochen, in denen ich nun hier bin, so ins Negative verändern konnte.
„Avery? Bist du noch dran?"
„Was? Äh ja. Sorry. Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch eine Aufgabe erledigen muss", weiche ich aus.
„Okay? Du kannst immer mit mir reden, Ave. Das weißt du doch, oder?"
Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil ich zum ersten Mal meine beste Freundin anlüge. „Ja, ich weiß. Danke, aber ich muss jetzt Schluss machen. Bis dann." Eigentlich hätte ich bis Sonntag gesagt, aber gerade bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich am Sonntag mit ihr skypen kann.
Am nächsten Tag in der Schule ist alles wie immer, außer dass Blake mir aus dem Weg geht und ignoriert, als wäre ich gar nicht da. Doch wenn sich unsere Blicke dann doch mal kur treffen, kann ich eine gewisse Kälte darin erkennen, die mir eine Gänsehaut über die Arme jagt und mir ein schlechtes Gewissen gibt. Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass ich mit meinen Worten gestern echt Mist gebaut habe.
*
Am Wochenende sind die Parkers wieder bei uns zum Essen eingeladen. Mom macht ihre beliebten Teigtaschen, was mich vermuten lässt, dass sie und Maggie Parker mittlerweile wirklich beste Freundinnen geworden sind.
Alle, die bisher von Moms mit Gemüse und Fleisch gefüllten Teigtaschen probiert haben, waren davon begeistert. Dad und ich freuen uns immer sehr, wenn Mom sie macht, nur leider gibt es die nicht so oft, weil diese eben ziemlich zeitaufwendig sind. Aber sie nimmt sich die Zeit, sie für unser Essen mit den Nachbarn zu machen. Jetzt fehlt nur noch ein Partnershirt und die perfekte Nachbarschaftsfreundschaft ist fertig.
Ich bin ziemlich nervös, mit Blake an einem Tisch zu sitzen, da ich nach meiner Drohung am letzten Dienstag nicht mehr mit ihm geredet habe. Ich kann nur hoffen, dass es nicht noch unangenehm wird, als es sowieso schon ist.
Gerade lege ich das letzte Messer auf den Tisch, als es auch schon an der Tür klingelt. Dad geht hin und öffnet sie. Freundlich empfängt er unsere Gäste und führt sie schon mal an den Tisch. Ich begrüße alle mit einem Lächeln, welches Mrs Parker und Ashton auch erwidern – nur Blake nicht. Er schaut bloß finster drein. Wenn Blicke töten könnten, würde ich jetzt tot umfallen.
Um seinem Blick zu entkommen, gehe ich in die Küche und helfe Mom, die Teller mit den Teigtaschen ins Esszimmer zu tragen. Schon beginnt der schlimmste Sonntagnachmittag.
Doch Moms Essen rettet alles einigermaßen. Ich weiß nicht, was sie dieses Mal anders gemacht hat, aber sie hat sich wirklich selbst übertroffen.
„Wow, Sally! Diese Teigtaschen sind wunderbar. Wenn alles so gut schmeckt, was du kochst, dann würde ich am liebsten jeden Tag bei euch essen kommen", lacht Mrs Parker und Mom stimmt sofort mit ein. „Ach, Maggie", erwidert sie bescheiden.
„Doch, wirklich. Stimmt doch, oder Jungs?" Sie wenden sich an ihre Söhne, die nur gelichgültig auf die Teller vor sich starren und essen. Wenigstens Ashton hat den Anstand, kurz zu nicken, was seine Mutter zufrieden zu stellen scheint.
Blake hebt kein einziges Mal den Kopf. Ihm ist deutlich anzumerken, dass er gerade überall lieber wäre als hier am Tisch mit uns. Besonders mit mir. Doch Mom und Dad scheint das nicht aufzufallen; sie sind viel zu sehr mit Maggie beschäftigt. Immer wieder lasse ich meinen Blick zu Blake schweifen, in der Hoffnung, dass er einmal hochschaut, doch das tut er nicht. Obwohl ich mir mehr als sicher bin, dass er mich bemerkt.
Nach dem 15. unauffälligen Blick bemerke ich, wie Ashton mich mit leicht geneigtem Kopf mustert. Ich lächle ihn schwach an und senke meinen Blick wieder. Anscheinend habe ich ein Talent dafür, von dem männlichen Geschlecht der Familie Parker beim Anstarren erwischt zu werden. Danach traue ich mich nicht mehr, in Blakes Richtung zu gucken und ignoriere ihn genauso wie er mich.
Um uns eine Beschäftigung zu geben, verdonnert Mom Blake, Ashton und mich zum abräumen und spülen, obwohl wir eine Spülmaschine haben...
Da Ashton sich freiwillig dafür meldet, das Geschirr abzuräumen, müssen Blake und ich wohl oder übel das Geschirr spülen und abtrocknen.
Schweigend gehen wir in die Küche. Bevor wir uns absprechen, wer von uns welche Aufgabe übernimmt, schnappt Blake sich das Handtuch von der Spüle. Okay, damit steht es wohl fest.
Ich trete an das Spülbecken und lasse das Wasser ein. Während es aus dem Wasserhahn ins Becken läuft, nehme ich das Spülmittel aus dem Schrank und lasse ein paar Spritzer davon ins Wasser. Als Ashton mit den ersten Tellern kommt, beginnen wir zu spülen.
Die ganze Zeit über ist nur das Klirren des Geschirrs und Wasserplätschern zu hören, während unsere Eltern im Esszimmer gemeinsam lachen. Wenigstens haben sie ihren Spaß.
Ich habe nichts gegen Stille bei der Arbeit, wenn man sich konzentrieren muss, aber Stille während des Spülens ist komisch. Es fühlt sich an, als wären wir im Gefängnis als Strafe zum Spüldienst verdonnert worden.
Irgendwann wird es mir zu unangenehm und ich höre auf zu spülen und trockne mir die Hände ab. Nachdem Blake den letzten Teller von der Spüle abgetrocknet hat, stellt er ihn auf den Stapel zu den anderen. Abwartend sieht er mich an. „Da ist noch Geschirr im Wasser", kommentiert er kühl.
„Ich weiß. Was ist los mit dir?", traue ich mich endlich zu fragen.
Doch Blake geht nicht auf darauf ein und wartet kommentarlos auf weiteres Geschirr, das abgetrocknet werden muss. So langsam beginnt Wut in mir zu brodeln. „Verdammt, Blake, was ist dein Problem?"
Er hebt seinen Blick und funkelt mich böse an. Oh je. Mit einem Ruck schmeißt er das Geschirrtuch auf die Spüle. „Was mein Problem ist?", erwidert er gereizt. „Was ist dein Problem, Avery?"
Ich erschrecke über seinen Ton. Nie habe ich gewusst, wie hässlich mein Name in dem Mund eines anderen klingen kann. Plötzlich fühle ich mich wieder wie ein kleines Kind, das gerade Ärger von seinen Eltern bekommt, weil es verbotener Weise an den Süßigkeitenschrank gegangen ist.
Ich bekomme kein Wort heraus und starre ihn nur an. Blake wendet sich von mir ab und nimmt wieder das Geschirrtuch in die Hand. „Können wir jetzt weitermachen? Ich hab nämlich keine Lust, den ganzen Nachmittag mit Spülen zu verbringen", sagt er genervt.
Etwas in mir zieht sich zusammen. „Es tut mir leid, Blake", sage ich kleinlaut.
Skeptisch hebt er beide Augenbrauen. „Ja, klar. Es sah nur nicht so aus, als tat es dir leid."
Ich schlucke. Er hat recht. Ich habe meine Überlegenheit in dieser Situation genossen, aber so bin ich eigentlich nicht. Das war nicht die echte Avery Harrison. Das war die jahrelang aufgestaute Wut in mir, die zum Ausdruck kam.
„Ich weiß, aber es tut mir wirklich leid. Das war echt daneben von mir. Glaub mir, ich bin sonst nicht so."
Kurze Stille breitet sich zwischen uns aus, in der Blake mich einfach nur ansieht. „Weißt du, Avery, am Anfang war ich etwas skeptisch, was dich anging, aber es hat sich herausgestellt, dass du sogar recht nett bist. Doch jetzt bezweifle ich das. Du bist nur ein weiteres Mädchen, das sich einen Vorteil aus dem Vertrauen und den Geheimnissen anderer zieht."
Seine Worte fühlen sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Er hält mich wirklich für jemanden wie Amy McHaron.
„Blake, ich-"
„Der Nachtisch steht bereit. Ihr könnt danach weiterspülen, aber jetzt wird erst mal leckeres Tiramisu gegessen", unterbricht Dad mich, als er seinen Kopf in die Küche steckt.
„Wir kommen", gibt Blake freundlich zurück und folgt ihm zurück ins Esszimmer.
Wie angewurzelt bleibe ich stehen, schließe die Augen und atme tief durch. Ich habe es vermasselt. Mein Ziel war es nicht, eine Freundschaft zu Blake Parker aufzubauen, aber gegen ein friedliches Miteinander hätte ich nichts einzuwenden. Doch jetzt habe ich beide Chancen über Bord geworfen, weil ich Angst hatte, er würde mich wieder genauso bloßstellen wie damals. Aber vielleicht ist es möglich, dass Menschen sich ändern können. Und vielleicht ist es ebenfalls möglich, dass er sich wieder einkriegt und bemerkt, dass ich nicht so bin, wie er denkt. Obwohl es mir eigentlich egal sein sollte, was er von mir denkt, ist es das nicht.
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