Tsukumogami/(付喪神)


Tsukumogami (jap. 付喪神, gelegentlich auch 九十九神; zu deutsch „Artefakt-Geister") sind Wesen des japanischen Volksglaubens. Sie stellen eine besondere Gruppe der Yōkai dar: Es handelt sich um verschiedene beseelte Gebrauchs- und Alltagsgegenstände, die zu Yōkai werden und zum Leben erwachen sollen.

Tsukumogami werden gemäß Überlieferung nach Ablauf von 100 Jahren „geboren", wenn der betroffene Gegenstand verwahrlost und/oder achtlos weggeworfen wurde. Der Glaube an ihre Existenz lässt sich bereits in Schriften der Heian-Zeit nachweisen, ihre Blütezeit erleben diese Wesen während der späten Edo-Zeit. Zu Beginn der Glaubensverbreitung, welche dem Shingon-shū (der chinesischen Tradition der Mizong-Schule) entspringt und Eingang in den Shintoismus gefunden hat, werden Tsukumogami als rachsüchtig und blutrünstig beschrieben. In späteren Schriften, besonders in jenen der Edo-Zeit, wurde der Charakter der Artefakt-Geister mehr und mehr verharmlost, bis sie etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts in zahllosen Romanen, Mangas, Filmen und sogar Kabuki-Stücken porträtiert und parodiert wurden und werden. Noch heute sind einige Tsukumogami in Japan besonders unter Kindern und Jugendlichen bekannt und beliebt.

Die Herkunft der Bezeichnung Tsukumogami und ihrer Schreibung mit den Kanji 付喪神 (wörtlich „Trauer zufügender Gott") ist nicht gesichert. Es wird allgemein angenommen, dass die verwendeten Schriftzeichen einen Gleichklang mit der Silbenfolge tsukumogami (つくもがみ) darstellen. Einerseits wurden üblicherweise, wenn chinesische Schriftzeichen zur Darstellung dieser Lautfolge verwendet wurden, die Zeichen 九十九髪 (wörtlich „Haar von 99 [Altersjahren]") gebraucht. In dieser Form geschrieben bezeichnet der Begriff poetisch das Haar eines oder einer 99-Jährigen und steht symbolisch für ein sehr langes Leben. Tsukumo wiederum ist eine Verkürzung von tsugu („nächstes") und momo („100"). Die 99 [Jahre] wurden auch gewählt, weil das Schriftzeichen 白 für „weiß" dem für „Hundert" 百 ähnelt, dem der obere Strich fehlt, der wiederum dem für „Eins" 一 gleicht.

Andererseits steht diese Silbenfolge wiederum in einem engen Zusammenhang mit einem Gedicht aus der 63. Episode des Ise Monogatari, in dem die Beziehung eines Mannes zu einer alten Frau geschildert wird. Für die Frau wird in dem Gedicht die Bezeichnung Tsukumogami verwendet, um anzudeuten, dass ihr Haar viele Jahre alt sei. Dabei ist Tsukumo wiederum ein alter Name der Zebrasimse (Scirpus tabernaemontani), deren Blütenstand an das Haar eines alten Menschen erinnert. Takako Tanaka vermutet, dass die Schreibung der Bezeichnung dieser alten Frau mit den Kanji 付喪神 aus つくも髪 (dt. „Haar von 99") entstanden ist, um durch deren Verwendung den bedrohlichen Charakter der Frau zu betonen, die auf nächtlichen Streifzügen Ariwara no Narihira schmerzhaftes Leid zufügt. In den Tsukumogami ki (siehe weiter unten im Text) wurden die Kanji 付喪神 dann zur Bezeichnung der „Artefakt-Geister" verwendet.

Noriko T. Reider vermutet, dass die Verwendung dieser Schreibung eine gezielte Anspielung auf einen chinesischen Text des 4. oder frühen 5. Jahrhunderts mit dem Titel sōu shén jì (捜神記; dt. „Auf der Suche nach Göttern") ist. Die japanische Lesung dieser Schriftzeichen lautet Sōshin ki. Die On-Lesung der Kanji 付喪神記 ist Fusōshin ki, was wiederum ein Homonym für fu Sōshin ki (dt. „Ergänzung zum Sōshin ki") ist. Inhaltlich wird diese Deutung dadurch gestützt, dass die „Artefakt-Geister" der Tsukumogami ki zunächst einen shintōistischen Schöpfergott verehren, um dann ihr Heil im Shingon-Buddhismus zu finden.

Die zweite Schreibung der „Artefakt-Geister" mit den Kanji 九十九神 (wörtlich „Gottheit von 99 [Altersjahren]") leitet sich nach Kazuhiko Komatsu daraus ab, dass 九十九髪 „Langlebigkeit" bedeutet und dass durch diese Langlebigkeit besondere Kräfte erworben wurden. Die Aussprache der Kanji 髪 (dt. „Haar") und 神 (dt. „Gottheit") ist homonym und somit lautet in beiden Fällen die Aussprache Tsukumogami. Durch die Schreibung 九十九神 werden Geistwesen symbolisiert, die durch Menschen oder Gegenstände mit sehr hohem Alter geprägt sind und zu Gespenstern werden, sobald sich durch ihr Handeln etwas Mysteriöses ereignet.

Der Glaube an Tsukumogami und deren Wirken entspringt einer bestimmten Form des Buddhismus, dem Shingon-shū, ist aber auch im Shintōismus vertreten. Beide Religionen lehren, dass auch scheinbar tote Objekte jederzeit „belebt" und verwandelt werden können, weil auch sie eine Seele besitzen. Diese scheinbar toten Objekte erlangen ebenso wie Menschen, beziehungsweise die Seelen Verstorbener, mit dem Erreichen eines sehr hohen Alters übernatürliche, magische Fähigkeiten und können, wenn sie entsprechend geehrt und geachtet werden, als Kami (Geistwesen) in eine „andere Welt" wechseln. Der Glaube an die „beseelten" natürlichen Objekte wurde spätestens im Verlauf des 14. Jahrhunderts auf von Menschen hergestellte Gegenstände (Artefakte) übertragen und verbreitete sich über ganz Japan. Dem alten japanischen Volksglauben zufolge sind Tsukumogami somit Yōkai, die sich nach Ablauf von 100 Jahren entwickeln, wenn der betroffene Gegenstand nach einem langen Gebrauch nicht mit der ihm gebührenden Achtung entsorgt wurde und die dem Gegenstand innewohnende Seele nicht als Kami verehrt wird. Oder es sind in Gebrauch befindliche Gegenstände, die mindestens 100 Jahre alt sind („ihren 100. Geburtstag erreicht" haben) und nicht ihrem hohen Alter entsprechend geehrt, beziehungsweise verwahrlost, werden. In dieser Form verbreiten die Tsukumogami unter Menschen Angst und Schrecken und spielen ihren ehemaligen Besitzern üble Scherze, sind jedoch letztlich eher harmlos. Wenn diese Yōkai aber durch ein besonderes shintōistisches Ritual zu Gestaltwandlern werden und den Oni (Dämonen) vergleichbare magische Kräfte erlangen, können sie zu blutgierigen Monstern werden und an den Menschen grausame Rache für die ihnen angetane Schmach üben.

Zu den typischen Objekten, die zu Kami oder Yōkai werden können, gehören Haushaltswaren (zum Beispiel Laternen, Teekessel und Futons), Alltagsgegenstände (zum Beispiel Uhren und Regenschirme), Kleidungsstücke (zum Beispiel Mäntel und Sandalen) und Musikinstrumente (zum Beispiel Biwas, Shamisen und Gongs). Dabei ist auffällig, dass selbst die moderne Folklore stets nur handgefertigte Artefakte lebendig werden lässt, die ohne Elektrizität betrieben oder genutzt werden. Dem liegt vermutlich der Wunsch nach Rückkehr zu alten Traditionen und Werten zugrunde, wie er in Japan noch heute weit verbreitet ist.

Für gewöhnlich werden Tsukumogami als harmlose Wesen mit kindlichem Charakter beschrieben, die durch ihre Umtriebigkeit lediglich um Aufmerksamkeit heischen. Durch ihr Verhalten, das sehr an Poltergeist-Aktivitäten westlicher Kulturen erinnert, wollen Tsukumogami gemäß der Folklore ihre ehemaligen Besitzer daran erinnern, dass diese sich um ihren Hausstand und alle darin befindlichen Gegenstände und Artefakte kümmern müssen. Die eigentlichen Hauptmotive sind demzufolge Langeweile und Kummer. Vielen Tsukumogami wird nachgesagt, dass sie im besten Falle einfach das Haus verlassen und weglaufen, wenn sie weiterhin ignoriert werden.

Wenn Tsukumogami hingegen durch acht- und rücksichtslose Entsorgung seitens ihrer ehemaligen Besitzer entstehen, können sie diesen nachstellen, da sie zunächst allein von angestauter Frustration angetrieben werden. Auch soll Neid eine Rolle spielen, dieser richtet sich allerdings gegen neu erworbene Haushaltsgegenstände, welche die alten ersetzen sollten. Aus diesem Grund sollen Tsukumogami nicht selten große Verwüstungen im betroffenen Haus anrichten. Die meisten Tsukumogami spielen den Bewohnern, in deren Haushalten sie „geboren" wurden, zunächst alberne Streiche. Wurden sie hingegen schlecht behandelt, werden sie von Wut und Rachsucht angetrieben, nehmen gewalttätige Züge an und attackieren die Hausbewohner. Viele Tsukumogami sollen sich gern mit andersgestaltigen Artefaktgeistern versammeln, um dann regelrechte Partys zu feiern.
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Jap, auch dieses Kapitel ist zuende. Sayonara 🍡 bis zum nächsten Kapitel!!!

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