Zehn
Der Prozess war zwei Monate später. Es ist das erste Mal seit unserem Gespräch, dass er mit den netten Worten "Verpiss dich" beendet hat, dass wir uns sehen. Gute Erinnerung, auf jeden Fall. Hat mich gar nicht verletzt.
Er saß neben seinem Anwalt. Hinter ihm ein Team von zehn Leuten, das seine Verteidigung bildete. Geld und Mittel, sich eine gute Verteidigung zu suchen, hat er. Der Presse grinste er in die Kamera und setzte sich dann, sah sich aufgeregt umher. Er sah mich, doch sein Blick hielt nicht bei mir. Er fragte seinen Anwalt etwas, welcher daraufhin seinen Kopf schüttelte. Yoongi rollte genervt seine Augen und sah auf den Tisch vor sich.
Seine Eltern sind nicht hier. Ich denke, das könnte sein, was er gefragt hat.
Er sagte am ersten Tag nichts. Ließ von seinem Richter verkünden, er hätte nichts zu sagen. Die Staatsanwaltschaft wollte ihn am liebsten lebenslang hinter Gitter führen, immerhin ist er eine Gefahr für die Gesellschaft. Seine Verteidigung plädierte darauf, dass er nicht voll schuldfähig ist und deshalb höchstens für ein paar Termine in einer Klinik vorbeischauen muss.
Die Stimmung gegenüber der Verteidiger war von Unverständnis geprägt. Warum sollte er frei kommen? Er ist bestimmt voll schuldfähig.
Aber um ehrlich zu sein, spricht mir die These, dass er nicht ganz schuldfähig ist, irgendwie zu. Vor allem bei der Bank, sein letztes Verbrechen, schien er komplett manisch gewesen zu sein. Alles, was er tat, war krankhaft übertrieben. Vielleicht als einer der einzigen war ich, still, für seine Verteidigung. Jedenfalls in Teilen. Dass er sofort volle Freiheit, bis auf ein paar Therapiestunden, hat, ist anfechtbar.
Auch die nächsten Tage sagte er nichts.
Erst am achten Prozesstag saß er im Zeugenstand. Mit einem Schrecken realisierte ich, dass ein dunkler, rote, fast lilafarbener Strich seinen Hals entlang ging. Was ist passiert? Wurde er angegriffen?
"Sie müssen nichts sagen, jedoch würde ihre Kooperation positiv auf sie auswirken", erinnerte die Richterin ihm. Yoongi lachte. Keiner sagte mehr etwas, da jeder schon an die Lacher von ihm, die ab und zu, zu falschen Zeitpunkten, auftauchen, gewöhnt ist.
Die Staatsanwaltschaft befragte ihn erst. "Laut Berichten waren sie heute Morgen im Krankenhaus. Können Sie das erläutern?", wurde er gefragt.
"Huh? Was hat das hiermit zu tun?", fragte Yoongi und sah zur Richterin verwirrt an. "Darf das gefragt werden?"
"Bitte beantworten Sie die Frage, Herr Min", sagte die Richterin ihm.
"Pfft", er verschränkte seine Arme. "Ich hatte eine Verletzung. Also musste ich ins Krankenhaus."
Der Staatsanwalt sah in seine Mappe. "Stimmt es, dass sie heute Morgen um kurz nach sechs in ihrer Zelle aufgefunden wurden, wie sie sich mit ihrer Decke als Strick aufhängen wollten?"
Yoongi grinste und lehnte sich nach vorne. "Warum fragen Sie? Macht das Sie geil?"
"Bitte antworten Sie auf die Frage", sagte der Anwalt.
"Dann habe ich das eben ausprobiert, was ist schon dabei?"
Ich schloss meine Augen. Er wurde nicht angegriffen. Yoongi wollte sich erhängen. Warum zur Hölle fühle ich mich schuldig dafür? Nein, nein, damit habe ich nichts zu tun! Wenn, dann habe ich ihm schon mal geholfen, sich nicht umzubringen! Als er sich die noch geladene Pistole an seinen Kopf halten wollte, habe ich es geschafft, dass er das nicht tut. Genau, das habe ich! Ich bin ein guter Mensch..! Dafür muss ich nicht schuldig fühlen, wirklich nicht.
Als ich meine Augen öffneten, sahen sie sofort, wie von automatisch, an Yoongis roten Hals. Meinen Blick riss ich weg davon.
Ich habe nichts damit zu tun. Das und auch er kann mir egal sein.
"Stimmt es auch, dass Sie sich an Tag ihrer Festnahme mit ihrer Pistole in den Kopf schießen wollten? Laut Überwachungsaufnahmen sogar zweimal."
"Sagen Sie, sind Sie dumm? Warum stellen Sie solche Fragen? Erstens, das hat doch keinen anzugehen, ob ich eben mal kurz sterben wollte und zweitens sind das doch nur Punkte für meine Verteidigung? Das schreit doch danach, dass ich nicht ganz schuldfähig bin." Yoongi sah zur Richterin. "Oder spinne ich? Was sagen Sie?"
Die Richterin öffnete überfordert ihren Mund, schloss ihn dann wieder. Dann sah sie aber zum Staatsanwalt und legte ihren Kopf leicht schief. "Der Angeklagte hat recht. Kommen Sie langsam zu Ihrem Punkt."
"Wir kennen doch alle Geschichten von Leute, die sich in Haft suizidiert haben. Nun, denken wir mal nach. Bei jeden Fall, den ich davon kenne, war es ein schuldiger Täter, der dies tat!"
Yoongi lachte auf. "Das ist dein Punkt? Oh Gott, ich liebe es hier." Er sah zu seinen Anwälten. "Das alles wollten wir nicht verwenden, aber jetzt... Na, damit können wir sicherlich auch etwas anfangen, oder? Suizidversuche eins bis zehn, vielleicht der Reihe nach? Soll ich es noch mal versuchen?"
Die Staatsanwaltschaft bemerkte wohl selber, dass sie definitiv eine neue Taktik brauchten. Sie sagten nichts mehr. Dann kam seine Verteidigung. "Stimmt es, dass Sie nicht alleine gehandelt haben?", fragte sein Anwalt ihn.
Er lehnte sich näher zum Mikrofon. Mit einem Schreck stellte ich fest, dass er mich für ein paar Momente ansah. "Ja", sagte er dann und sah seinen Anwalt wieder an.
"Stimmt es, dass Sie, bis auf das letzte Mal, jedes Mal problemlos entkommen sind?"
"Ja."
"Wissen Sie, woran das liegt?"
"Ja."
"Können Sie es uns erklären?"
"Ja, gerne." Er fing an zu lächeln und hörte sich froh an. "Nun, wie hier sicherlich alle schon wissen, wurde aus irgendeinem Grund ein gewisser Herr Park immer geschickt, wenn ich irgendwo... etwas am Tun war. Jetzt würde man meinen der Held mit den meisten Erfolgen in Korea innerhalb eines Jahres würde mich ganz einfach fangen können, immerhin bin ich nur ein kleiner Bube. Aber nein", er seufzte dramatisch. "Gier hat auch unseren Helden eingenommen und schon bald war die Zusammenarbeit ein nettes Ding zwischen uns. Noch hat er nichts bekommen, denn das wäre ja zu riskant. Aber die Verabredung war, dass ich ihm in zwei Jahren die Hälfte der Sachen gebe, damit er sich ein nettes Leben aufbauen kann."
Es war mucksmäuschenstill im Gerichtssaal.
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