⚠️Triggerwarnung: psychische Gewalt ⚠️

Die Luft war total angespannt, als ich den Raum betreten hatte. Blicke, die intensiver nicht hätten sein können und mir zeigten, dass ich nicht erwünscht war. Ganz zu schweigen von der Stille, die plötzlich wieder herrschte, nur weil ich hier war, ohne einen bösen Gedanken zu haben, dass ich etwas Falsches vorhatte. Aber das war genau das, was ich immer tat; alles, was ich tat war falsch, wenn man nach der Reaktion meiner Mutter urteilte. Ich hörte, wie sie tief nach Luft schnappte, mich von oben bis unten ansah und das keineswegs im Positiven. Den Anruf hatte sie allem Anschein nach abrupt beendet, als sie meine Schritte im Flur hörte und hatte das Telefon vor sich auf den Tisch gelegt, als würde sie mir irgendetwas verheimlichen, was sie mit der anderen Person auf der Leitung erzählt hatte. Mir wurde sogar ein wenig schlecht, was ich darin überspielte, dass ich mich räusperte und dann einfach nach der Glasflasche, die mittig auf dem Wohnzimmertisch stand, griff. Auch hier verfolgten ihre Augen jede kleinste Bewegung meinerseits, während in mir das dringende Bedürfnis aufstieß gegen sie zu schießen, was ihr absurdes Verhalten schon wieder sollte. Doch würde es einer Genugtuung gleichen, die ich mir keineswegs aussetzen wollte. Sie würde Wege finden, um mich zu erniedrigen, wenn sie das nicht sowieso schon tat und am Ende war ich wieder die Person, die daran zu nagen hatte, weil alles letztlich meine Schuld war.

„Papa kommt gleich.", raunte sie mir entgegen, als würde sie mir damit sagen wollen, dass ich hierbleiben sollte. Es war nicht ihretwegen, sondern weil sie einfach nur zeigen wollte, wie in ihrem Kopf eine heile Familie aussah. Dass man Zeit gemeinsam verbringen sollte, reden sollte und glücklich sein sollte. Aber wir waren schon längst alles andere als heil. Wir waren zerbrochen, verstaubt, hässlich, aber keine Vorzeigefamilie. Besonders nicht dann, wenn es mit dem Umgang mit mir anging. Daran sollte man sich keineswegs ein Beispiel nehmen.

„Und dann schweigt ihr euch wieder an und verlangt von mir, dass alles super ist. Ich soll reden und so tun, als wäre alles total schön.", ratterte ich herunter und sah ihr direkt in die Augen. Sofort sah ich, wie sie ihren Mund spitzte, was ein deutliches Zeichen war, dass sie von meinen Worten nicht angetan war. Alles andere als das. „Aber so funktioniert eine Familie nicht. Das weißt du und du gibst mir die Schuld. An allem, obwohl ich gerade einmal dreizehn war, als das alles passiert war. Dabei bist du der wahre Versager von uns beiden... Und trotzdem gibst du mir die Schuld. Eigentlich wolltest du mich nie."

Genau im selben Moment öffnete sich die Wohnungstür, mein Vater trat ein und es war auch das Zeichen, dass sie mich nicht anschreien konnte, wenn sie denn wollte. Sie musste das gute Image bewahren. Zwar war sie mir auch in Anwesenheit meines Vaters laut geworden, aber das war keine Regelmäßigkeit, als wenn er auf Arbeit war. Und leider kam dieser spätabends nach Hause. Ich sah ihn quasi nie und irgendwie tat es mir immer leid. Meine Zeit musste ich mit meiner Mutter zu bringen, die mir zig Gründe gab, wieso ich falsch war, während mein Vater der ruhige Part der Familie war. Er redete nie, aber wenn er es tat, hatte es eine viel stärkere Kraft auf einen. So empfand ich es jedenfalls.

„Ich hätte dich damals abtreiben sollen! Du bist so eine Schande, Felix." Mittlerweile traf mich dieser Satz nicht mehr allzu sehr, weil er mit der Häufigkeit auch an Bedeutung verloren hatte. Natürlich bereute sie es, dass ich charakterlich mehr nach meinem Vater kam, schon seit dem ich klein war, ein Papa-Kind gewesen bin, während meine Schwester das Mama-Kind war, was sie verloren hatte und sich eigentlich einen Ersatz wünschte. Aber ich war keineswegs dazu da eine Lücke zu füllen, nur weil sie mit dem Kontaktabbruch meiner Schwester entstanden war und meine Mutter damit nicht zurechtkam. Zwar hielten sie mittlerweile unregelmäßigen Kontakt und wenn sie telefonierten oder sie zu Besuch war, würde es zwischen den beiden immer zum Streit kommen. Nur würde es trotz der ganzen Versuche keineswegs wie früher werden. Und indirekt war es auch die Schuld meiner Mutter, wieso sich ihre beiden Kinder von ihnen abgewandt haben. Solang ich aber hier lebte, würde ich wohl auf alle Ewigkeit damit konfrontiert werden und als eine Art Stressball fungieren. Vor allem dann, wenn sie sich stritten. Für einen kurzen Moment schien alles gut, aber sobald sie sich davon erholt hatte, war sie ganz die alte. Und ich hatte es mehr als nur satt.

„Auch wenn du mich hättest abtreiben wollen, ist Papa immer noch glücklich, dass ich hier bin. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig bis ich volljährig bin. Aber ich werde immer irgendwie die Familie zusammenhalten. Das hast du mir damals immer gesagt, als ich klein war, nicht? Du siehst mich nur als Klebstoff der Familie, weil du alles zerstörst, was dir in die Finger gerät. Hab' ich recht, Mama?"

Sie wusste ganz genau, dass ich sie nie freiwillig so nennen würde, außer wenn sie mich an die Grenzen trieb. Und hier waren wir; an der Grenze, kurz bevor ich meinen Verstand verlor. In meinem Kopf stauten sich so viele Dinge an. Worte, die ich ihr an den Kopf knallen würde, damit sie sieht, wie sehr es wehtat mit solchen Aussagen konfrontiert zu werden. Aber am Ende blieben sie in mir. Es war klüger, ich wollte keineswegs einen Streit provozieren, weil ich wusste, wie enttäuscht mein Vater sein würde. Immerhin reichte es in meinen Augen, dass er dieses Biest vor Jahren geheiratet hatte und im schlimmsten Fall bis zu seinem Lebensende mit ihr zusammen verbringen musste.

„Es tut mir leid, dass ich nie das Kind bin, wie du dir es gewünscht hast. Ich war immer nur die zweite Wahl, weil ich nicht so funktioniere, wie du es mir vorgibst. Aber trotzdem hab ich ein Recht auf Leben, auch wenn du es mir immer wieder wegnehmen möchtest." Auf meinen Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab, auch wenn es noch so sehr wehtat und sie meinem Vater sagen würde, was ich ihr an den Kopf geworfen habe. Das tat sie immer, um mich in ein schlechtes Licht zu rücken, um ihn zu überzeugen, dass sie das Opfer in der ganzen Geschichte war. Wobei ich nie wirklich die Rolle eines Opfers einnehmen wollte. Zwar litt ich stillschweigend für mich allein, erzählte niemandem davon, weil ich am Ende zu hören bekam, dass meine eigene Mutter es doch nicht so meinte und ich mich dementsprechend auch nicht anstellen sollte.

„Du hättest doch nur wie Rachel sein müssen!", hauchte sie. Ich wusste ganz genau, dass sie in Tränen ausbricht, sobald ich wieder in mein Zimmer ging. Mein Vater würde sie aufmuntern und ich war derjenige, der sie wieder einmal zum Weinen gebracht hatte. Aber am Ende schaute niemand, wie es mir ging. Hauptsache ich lächelte, lachte und war so laut, wie ich es immer war. Nur war ich noch lauter, um auf mich aufmerksam zu machen, was jeder anders deutete, als es in Wirklichkeit war. Mir ging es beschissen, anstatt gut und eigentlich habe ich mir schon immer gewünscht von meiner Mutter akzeptiert und geliebt zu werden, wie die meisten meiner Freunde es von ihren Müttern wurden. Stattdessen wurde ich mit Blicken, Worten und Taten vernichtet. Ich bekam an allem schuld und so absurd es war, am Ende glaubte ich das auch noch. Und das war das Schlimme an der ganzen Sache.

Schon als kleines Kind hatte ich zu spüren bekommen, dass meine Mutter mehr auf meine Schwester fokussiert war. Ich hatte damals nie verstanden, wieso das so war. Ob es an mir lag oder ob ich einfach nur sensibel war und es mir einbildete, dass ihre Aufmerksamkeit nicht auf mir lag. Mein Vater versuchte mir da schon immer irgendwie herauszuhelfen. Wenn ich enttäuscht schien, rief er nach mir, schenkte mir seine Aufmerksamkeit, beschäftigte sich mit mir und wenn Rachel dann auf uns beide zu lief, wandte ich mich ab. Ich hatte Angst, dass sie mir auch noch ihn wegnehmen würde und ich am Ende vollkommen allein war. Mit der Zeit wurde mir aber bewusst, dass er seine beiden Kinder gleich liebte und er keinesfalls so war, wie unsere Mutter. Leider konnte er aber das Verhältnis zwischen meiner Schwester und mir nie heilen. Ich sah sie keinesfalls als Konkurrenz, viel eher als Feind, der mich in ein Loch stürzen konnte, wenn ich nicht auf mich Acht gab. Somit hatten wir nie ein gutes Verhältnis. Wir waren wie Fremde, nur dass wir die gleichen Eltern hatten. Sie interessierte sich nie für mich, ich interessierte mich nie für sie. Und das war auch eine weitere Sache, die mir meine Mutter an den Kopf warf: Es war meine Schuld, warum wir kein Geschwisterverhältnis hatten. Ich hatte sie immer von mir abgestoßen und mich als Opfer hingestellt, obwohl sie für mich da sein wollte. Tatsächlich sah ich aber nie einen wirklichen Versuch, dass sie mir helfen wollte

„Du solltest anfangen deine Kinder gleich zu lieben. Aber du machst einfach den gleichen Fehler wie deine Mutter. Du favorisierst ein Kind und gerade du warst das Kind, welches nicht gemocht wurde." Und mit den Worten ließ ich von ihr ab, schwand in mein Zimmer und hoffte, dass mich mein Vater nicht bemerkte, als ich an ihm vorbeischlich.

Meine Atmung wurde sofort schwer und ich musste einige Male blinzeln, weil ich dieses elendige Gefühl nicht einfach so von mir abschütteln konnte. Ich hasste es, doch es hielt mich fest im Griff. Ich spürte den weichen Stoff meiner Bettdecke, als ich mich niederließ und griff nach meinem Handy, um mir einzelne Bilder von meiner Schwester und mir anzusehen. Es waren wenige. Sieben, um genau zu sein. Und jedes Mal, wenn ich mich mit meiner Mutter in den Haaren hatte, fand ich mich hier wieder. Es war absurd und manchmal hegte ich einen extremen Groll auf sie. Immerhin hatte sie das kühle Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir zu einem regelrechten Eisklotz werden lassen. Ich spürte schon lang keine Liebe von ihr, weil sie mich nur als Ersatz sah. Als wäre ich nie etwas anderes gewesen. Aber ich wollte doch einfach nur akzeptiert werden. Ich wollte nicht das Ersatzkind sein, weil das Original nicht mehr da war. Ich wollte mein eigenes Original sein. Ich wollte ich sein.

Wie zu erwarten, hatte es nach einigen Minuten an meiner Tür geklopft. Mein Vater betrat mein Zimmer und als wäre ich es nicht schon gewohnt gewesen, machte ich mich nur noch mehr auf Schmerz gefasst. Wenn ich ehrlich war, konnte er mich nur noch so richtig in den Abgrund stürzen. Seine Worte hatten eine viele größere Gewichtung als die meiner Mutter, weil er mir das Gefühl gab, dass er sich um mich kümmerte, sich für mich interessierte. Auch wenn er gefühlt nie da war.

„Ich hab dir schon einmal gesagt, dass du vorsichtiger mit den Gefühlen deiner Mutter umgehen sollst... Jeden zweiten Tag, wenn ich von der Arbeit komme, sitzt sie auf der Couch und weint wegen dir..." Und schon kamen die Anschuldigungen, die er keineswegs so meinte, wie sie zunächst klangen. Oftmals hatte er einfach nur extreme Probleme, seine Wünsche und Bitten in Worte zu fassen. Und genau die gleiche Unfähigkeit hatte ich auch. „Ich weiß, es ist schwer mit ihr umzugehen, aber manchmal musst du sie einfach machen lassen und sie ignorieren. Du wirst nie ihr Lieblingskind sein, das wissen wir beide, aber du solltest deine Gefühle hintenanzustellen. Zumindest bei ihr... Es macht dich sonst kaputt, Felix." Ich wusste nicht groß, was ich darauf erwidern sollte, denn ich hörte es nicht zum ersten Mal. Keineswegs zum zweiten oder dritten Mal. Aber es war immer ein erneuter Schlag ins Gesicht, zu hören, dass man seine Gefühle hintenanstellen sollte, obwohl ich jedes Mal aufs Neue von ihr gedemütigt wurde und ich wirklich mein Bestes gab, dass dies nicht passierte. Und auch jetzt fühlte ich mich gepeinigt von ihr, obwohl ich mit meinem Vater sprach. Allein an seiner Stimme wusste ich, dass er enttäuscht war und ich wollte mir nicht ausmalen, was sie ihm erzählt hatte, um wieder als Vermittler zu fungieren. Bei dieser Familie half jedoch kein Vermittler mehr. Es war besser, wenn sie zerbrach, sich meine Eltern scheiden ließen, weil auch mein Vater nicht mehr mit ihr zurechtkam und zwischen ihnen keinerlei Liebe mehr war. Am Ende würde meine Mutter allein sein, was sie verdiente. Sie hatte es verdient diese Leere erneut zu spüren. Aber mein Vater würde es nicht zu lassen, viel zu gutmütig wie er war, sodass er wohl für immer bei ihr bleiben würde, während sie schon zig Male gesagt hatte, dass sie sich scheiden lassen wollte.

Aber sie waren noch immer verheiratet, weil sie ihr Familienbild nicht zerbrechen lassen wollte. Dabei existierte nicht einmal mehr. Es war zerrissen, verbrannt, aber es war nicht so, wie sie es sich wünschte. Und daran ging sie kaputt, weil sie der Realität nicht ins Auge sehen konnte. Sie hatte ihr Lieblingskind schon Jahre vorher verloren und ließ uns deswegen leiden. Sie gab uns die Schuld, besonders mir, weil ich nur die 2. Wahl war und deswegen musste sie mit mir vorliebnehmen.

Wie gesagt, ich war der Lückenfüller in der Familie.

„Aber bitte mach nicht den gleichen Fehler wie Rachel und lass deine Mutter im Stich... Am Ende bist du immer noch ihr Kind..."

Und am Ende würde ich vergessen werden, wenn alles wieder gut geworden war.

E N D E

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