💭 thirty eight

Felix genoss die Ruhe, die die Pause mit sich brachte. Allgemein bevorzugte er es, in letzter Zeit umso mehr, wenn er allein war. Nicht, weil ihm seine Gedanken einredeten, dass er genau das verdient hatte. Viel eher lag es daran, dass er die letzten Wochen und Monate verarbeiten musste, um dort weiterzumachen, wo er jetzt stand. Nicht noch einmal wollte er es riskieren, die gleichen Fehler zu machen. Er hatte aus ihnen gelernt und ein weiteres Mal von irgendeinem Menschen, wollte er sich nicht unterkriegen lassen. Auch nicht von Jisung, auch wenn dieser sowas nie im geringsten vorhatte. Nur war er eben jetzt erst einmal vorsichtiger, was seine Mitmenschen anging.

Und auch Jisung hatte dafür vollends Verständnis. Es würde einige Tage dauern, ehe sich der Australier wieder öffnen würde und vielleicht würde er dies auch nie können, wie er es früher tat. Ein Jahr war eben eine lange Zeit, in denen man sich Dinge aneignen konnte, die man wiederum nicht einfach so ablegen konnte oder zumindestens nicht für immer loswerden konnte.

Chan tauchte jetzt wieder regelmäßig im Unterricht auf. Das Rätsel um ihn verblieb jedoch verborgen und allein Hyunjin, Jisung und Felix wussten, was es mit der Abwesenheit auf sich gehabt hatte und aus welchem Grund er schon bald die Schule verlassen würde. Ein bisschen wehleidig war die Klasse schon gewesen und genauso stutzig war sie auch, weil Chan seither wie ausgewechselt schien. Er redete kaum noch, wenn tat er es eben nur mit Hyunjin. Die Sticheleien gegen irgendwelche Schüler hatten vollkommen nachgelassen und auch, dass er den Lehrern manchmal querkam, war nun Geschichte. Als wäre Chan ein völlig neuer Mensch, der in der Klasse saß und versuchte dem Unterricht aufmerksam zu folgen, was er sonst eben nie getan hatte.

Sein plötzlich ruhiges Verhalten lag jedoch nicht daran, dass er sich von nun an anstrengte ein besserer Mensch zu sein. Chan hatte einer Verhaltenstherapie im Ausland zugestimmt und so lang würde erst einmal auch verschiedene Psychopharmaka zu sich nehmen, damit er stabil blieb und nicht wieder auf Menschen losging. - Bisher hatte er sich nämlich immer dagegen geweigert, weil er der Meinung war, dass es völliger Schwachsinn war, wenn er sie nehmen würde, weil sie ja nichts brachten. - Aber nun schien er wie ein gezähmtes Raubtier, das jeder Zeit jedoch irgendwelchen Rückfällen ausgesetzt war und Unschuldige verletzen konnte.

Aber Chan ging es gerade ziemlich gut. Es war zum Teil auch der Tatsache geschuldet, dass er eben auf Medikamenten war, aber auch, weil er neuen Mut hatte, ein etwas normaleres Leben zu führen, wenn er sich genug anstrengte. Durchaus war er sich bewusst, dass er nicht einfacher werden würde, aber er musste es tun, es zumindestens versuchen, weil er sich mittlerweile bewusst war, welches Schicksal ihm erleiden würde, wenn er nicht die Bremse ziehen würde.

Ihm tat es noch nicht einmal leid, dass er wieder einmal aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen wurde, da Schulwechsel für ihn nichts sonderlich Neues waren. Er hatte keine Probleme neue Menschen kennenzulernen und weil er eben Schwierigkeiten hatte eine Bindung mit anderen aufzubauen, viel es ihm auch ebenso wenig schwer andere hinter sich zu lassen. Es klang gemein, aber wie sollte man jemanden vermissen, wenn man keine wirkliche Freundschaft zu jemanden aufgebaut hatte? Er wusste aber auch, dass er vermisst werden würde. Das hatte ihm Hyunjin gesagt und das nicht nur einmal. Auch Felix würde ihn auf irgendeine Art und Weise vermissen wollen und vielleicht würde es Jisung ihm gleichtun, obwohl sie nie wirklich gut aufeinander zu sprechen waren.

Zum Glück hatte er eben auch noch seine Pflegefamilie, die ihn nicht zurückließ. Sie würde mit ihm mitkommen wollen, auch wenn Chan zig Male gesagt hatte, dass sie das nicht brauchten und er es sicherlich auch allein gebacken bekommen würde. Nachdem sie ihm aber deutlich gesagt hatten, dass er ihr Sohn war, ihn sogar adoptieren würden, wenn sie könnten und mit ihm überall hingehen würden, damit es ihm endlich gut ging, wurde ihm bewusst, dass er doch nicht die ganze Zeit so allein war, wie er dachte. Ihm wurde bewusst, dass seine leiblichen Eltern zwar in seinem Blut steckten und er einiges von ihnen gelernt bekommen hatte, aber seine Pflegefamilie war seine zweite Familie, die ihm das gab, was er sich als kleines Kind gewünscht hatte.

Und es tat ihm unfassbar leid, dass er dieser Erkenntnis erst nach einigen anstrengenden Jahren erhalten hatte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top