Chapter Three

Kai
27.09.2020, London

Mit zwei schweren Einkaufstüten in meiner Hand, schloss ich irgendwie die Haustür von mir auf und seufzte erleichtert, als das ich endlich die Beutel abstellen konnte und der schmerzhafte Balast von meiner Schulter endgültig verschwand. Meine Sneaker kickte ich einfach unordentlich in das Schuhregal, meine dicke Jacke, die man hier in England durchaus schon brauchte, hing ich an den Hacken und mein Handy zog ich kurz aus meiner Hosentasche, nur um zu gucken, ob ich eine Nachricht bekommen hatte. Wobei ich eigentlich nur wissen wollte, ob Jule mir etwas geschrieben hatte, aber ich musste seufzend feststellen, dass ich keine Nachricht von ihm bekommen hatte.

Es wäre höchstwahrscheinlich so gewesen, dass ich ihm nicht zurückgeschrieben hätte, aber trotzdem hätte mir eine Nachricht von ihm das Herz erwärmt. Es hätte mir ein breites Lächeln auf das Gesicht gezaubert, hätte mir den dunkelsten Tag erhellen können und ich hätte alle Probleme vergessen, wenn ich nur kurz eine Nachricht von Julian lesen würde. Vor allem nach dem gestrigen Schock, als ich in der Zeitung gelesen hatte, dass Julian offenbar einen kleinen Unfall beim Training gehabt hatte und aufgrund einer Gehirnerschütterung gestern nicht spielen konnte.

Ich hatte Julian das erste mal seit Tagen selber angeschrieben und hatte gefragt, ob es ihm gut ginge. Bei jeder Vibration meines Handys hatte ich gehofft, dass Julian mir geantwortet hatte, aber lange kam keine Nachricht. Lange bammelte ich und hatte wirklich Angst, dass es ihm gar nicht gut ging, aber er hatte sich am Abend gemeldet. Er hatte mir geschrieben, dass es ihm wieder gut ginge und er nächstes Spiel auch wieder einsatzfähig sein würde. Er hatte offenbar den ganzen Tag geschlafen, so hatte er es mir zumindest gesagt, aber als er Marco erwähnt hatte, konnte ich nicht verhindern, dass pure Eifersucht durch meinen Körper geströmt war. Mir gefiel es gar nicht, dass Jule so viel Zeit mit dem gebürtigen Dortmunder verbrachte, immerhin war er mein Sonnenschein, mein Engel. Ich wollte Jule bei mir haben, ich vermisste ihn so sehr und wollte einfach nur, dass er mein sein würde.

Aber ich hatte dies nunmal nicht verdient. Ich hatte Julian nicht verdient, nicht mit meinem furchtbaren Verhalten. Nicht mit meiner beschissenen Einstellung und auch nicht mit meinem egoistischen Auftreten. Ich wollte nie, dass es Jule schlecht ging, aber ich verdrängte ihn und meine Gefühle, zumindest wenn ich abgelenkt wurde, denn ansonsten kreisten meine Gedanken durchgehend um den gebürtigen Bremer. Und mein Herz schmerzte zu sehr, wenn ich an ihn dachte und daran, dass uns hunderte Kilometer trennten. Aber nicht nur die Distanz zwischen uns machte mir zu schaffen; seitdem ich in England war und Jule zurückgelassen hatte, fühlte es sich so an, als ob ein großer Teil von mir einfach zersplittert wäre und mich kaputt machte.

Die ganzen letzten Tage über hatte ich versucht mich abzulenken. Ich war Spazieren, ich hatte mit Timo einen Film-Marathon gehabt, war zu jedem Mannschaftsabend gegangen und hatte sogar damit begonnen meine Wohnung und jedes dazugehörige Zimmer ordentlich zu reinigen – was bei mir wirklich etwas bedeutete, denn normalerweise vermied ich alles was mit aufräumen zu tun hatte.

Ich räumte die Milch in den Kühlschrank und stellte die Haferflocken ordentlich neben den anderen Tüten in den Schrank. Erleichtert seufzte ich, als ich endlich fertig mit dem Einkauf war und ich mich endlich entspannt auf die Couch fallen lassen konnte.
Ich streckte alle viere von mir und drehte kurz meinen Oberkörper nach hinten, sodass er leicht knackte und ich ein erleichtertes seufzen ausstieß. Meine Muskeln entspannten sich allmählich und ich schaltete den Fernseher ein und suchte mir irgendeine Serie aus Netflix aus, auf welche ich eigentlich gar nicht achtete, denn ich war wieder mit meinem Handy beschäftigt. Ich durchsuchte die Instagram Feeds nach irgend etwas Neuem, aber ich fand nichts. Ich hatte mir alles schon angeschaut, wie in den letzten Wochen. Ich hatte absolut nichts zu tun und hätte ich heute Vormittag nicht schon Training gehabt, dann wäre ich jetzt eine Runde joggen gegangen.
Aber mein Körper weigerte sich ausdrücklich sich zu bewegen. Meine Knochen rebellierten und es war nicht verwunderlich, dass ich ein paar Minuten später auch schon eingeschlafen war.

Lachend schmiss ich mich in die Arme von Julian und fing an, ihn mit dem weichen Hotelbett Kissen zu schlagen. Der Blonde unter mir lachte hoffnungslos und krallte sich auch ein Kissen, bevor unsere Kissenschlacht begann.
Er drehte mich mit einem Mal um, kniete nun über mir und diesmal war er derjenige, der das Kissen in das Gesicht bekam. Mein Lachen wurde dadurch zwar gedämmt, aber definitiv nicht weniger und ich zwickte Julian leicht in seine Seite, was ein hohes aufquitschen von Julian zur Folge hatte. Sofort breitete sich Wärme in meinem Herzen aus, es brachte mein Blut zum kochen und mein Körper zum Kribbeln.

Völlig außer Atem lag ich auf der weichen Matratze, direkt neben Julian, und ich hörte seinen schnellen Atem. Er versuchte, genauso wie ich, wieder ordentlich Luft zu bekommen, was durch unser Lachen wirklich schwierig war. „Du bist scheiße.", lachte Julian und haute mir auf die Schulter, was mich nur noch mehr zum Lachen brachte. „Du warst doch derjenige, der mich zuerst mit dem Kissen abgeworfen hat. Es ist deine Schuld, du Idiot.", entgegnete ich grinsend und drehte mich zur Seite um ihn anzusehen. Seine blauen Augen strahlten mir entgegen, seine helle Haut schien fast zu leuchten und sein Lächeln schickte mir eine Gänsehaut über den Körper. Meine Finger kribbelten leicht, mein Herz klopfte noch immer schneller und meine Wangen schmerzten schon fast, weil ich einfach nicht aufhören konnte zu Lächeln.

„Weißt du Kai?", fing Jule an und sah mich plötzlich viel ernster an. Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen und wartete gespannt, bis mein bester Freund anfing weiterzusprechen. Er setzte sich auf, was ihn ihm schon leicht nervös gleichtat, und schaute mir dabei immer noch in die Augen. „Du bist wirklich mein allerbester Freund und ich bin froh, dass wir uns haben. Das hört sich zwar total kitschig an, aber ich wollte das einfach mal loswerden.", sprach Julian endlich weiter und trieb mir mit seinen Worten Tränen in die Augen. Ich stieß mich sanft von der Matratze nach vorne und fiel Julian einfach um den Hals. Dies tat ich offenbar mit viel zu viel Schwung, denn Julian klappte auf den Rücken, aber das störte weder mich noch ihn, denn ich spürte seine starken Arme um meinen Rücken. Ich spürte, wie auch er mich fest an sich drückte und mir über den Rücken strich.

„Du bist auch mein bester Freund Jule und ich bin auch dankbar dafür, dass wir uns haben. Ohne dich wüsste ich gar nicht, was ich machen sollte.", erklärte ich dem Älteren und schielte kurz hoch in seine himmelblauen Augen, die mich immer wieder um den Verstand brachten.
Ich legte meinen Kopf einfach wieder auf seiner Brust ab und spürte seine Finger in meinen braunen Locken. Er kraulte leicht meinen Nacken oder massierte vorsichtig meine Kopfhaut.
Mein Körper spielte verrückt, aber meine Gedanken waren einfach ausgestellt und ich genoss das Kribbeln in meinem Körper. Ich genoss die Zeit mit Jule zusammen und war einfach nur froh, dass uns keiner störte.

Ich schreckte aus meinem Schlaf, als ich plötzlich einen lautes Klingelton hörte. Mein Herz raste vor Panik, mein Gehirn schien gar nicht richtig realisieren zu können, was plötzlich los war, denn es dauerte noch ein paar Sekunden, bevor ich checkte, dass es mein Handy war, welches mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Schnell klickte ich auf den grünen Button auf dem Display und hielt es mir an mein Ohr. „Timo?", fragte ich verschlafen und setzte mich langsam auf. „Oh hey Kai.", hörte ich seine Stimme. „Hast du geschlafen?", fragte er völlig überflüssig, denn eigentlich war es klar, dass ich bis gerade geschlafen hatte. Gähnend machte ich dies nochmal klar. „Ja hab ich.", grummelte ich. „Schuldige, dann lass ich dich mal wieder. Schlaf gut Kai.", war das letzte was ich hörte, bevor mein Landsmann auflegte und er mich fassungslos zurückließ.
Hatte er mich jetzt wirklich aus dem Schlaf gerissen, nur um direkt wieder aufzulegen? Aber es war auch typisch für Timo. Ich hätte es ihm genau das zutrauen können und es war ja auch schon etwas witzig. Zumindest hoffe ich, dass ich in ein paar Tagen darüber lachen konnte.

Ein Klingeln an meiner Haustür riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich seufzen aufstehen. War das vielleicht Timo? Ich wusste es nicht, aber es könnte wirklich er sein. Müde rieb ich mir durch die Augen, während ich durch mein Haus zur Haustür lief. Und ich dachte nach. Dachte über meinen Traum nach, welcher einen wunderschönen und prägenden Moment in der Freundschaft von Julian und mir gezeigt hatte. Wenn ich jetzt so darüber nachdachte und ich endlich diese Gefühle erklären konnte, welche ich offenbar damals schon gehabt hatte, wurde mir klar, dass dieser Moment höchstwahrscheinlich der war, in welchem Julian mehr für mich wurde als ein normaler Freund; mehr als mein bester Freund.

Noch ein letztes Mal fuhr ich durch meine Haare und wuschelte nochmals durch meine braunen Locken. Ich öffnete meine Haustür und erstarrte beinahe sofort, als ich in ein paar himmelblauer Augen schauen konnte, welche mich sogar bis in meine Träume verfolgt hatten.

„Jule?".

[1531 Wörter]

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