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Am zweiundzwanzigsten Januar saß ich in meinem Büro und ging noch mal meinen Tagesplan durch. Das tat ich in Ruhe, bis meine Tür geöffnet wurde, was mich nach oben blicken ließ. Als ich das Gesicht meines Vorgesetzten, Herrn Lee, sah, stand ich schnell auf. "Guten Morgen", begrüßte ich ihn.
"Guten Morgen", erwiderte er gut gelaunt. "Sie erinnern sich sicherlich an unser Gespräch von letzter Woche?
Oh ja, das tue ich. Herr Lee hat sich zu mir gesetzt, als ich friedlich am Essen war und hat dann angefangen darüber zu reden, dass ich einen guten Job mache. Das war auch schön, aber dann sagte er, dass ich doch super dafür wäre, andere Ärzte auszubilden. Ich konnte natürlich nicht sagen, dass ich eigentlich keinen Bock darauf habe, also meinte ich etwas in Richtung, dass ich ja selbst erst seit einigen Monaten als Arzt arbeite. Ihn hat das nicht interessiert und das Gespräch hat damit geendet, dass er mich dazu bekommen hat u sagen, dass ich jemand aufnehmen kann, wenn es sonst wirklich keinen anderen gibt.
"...ja, daran erinnere ich mich."
"Gut! Nun, der Grund für das Gespräch war, dass ich schon jemand hatte, den ich gerne in Ihre Obhut geben würde."
Mir fiel es schwer, ein Lächeln aufrecht zu halten. Es ist nicht so, dass ich junge Leute hasse- Warte nein, das ist es. Junge Leute, damit meine ich alle Leute, die jünger als ich sind, sind schrecklich und ich hasse sie. Vor allem Medizinstudenten. Denken, sie seien die schlausten. Und ich weiß das, weil ich so war. Nein, auf jemanden, der mich wahrscheinlich bei jeder Kleinigkeit beurteilt, habe ich keinen Bock.
"Komm rein!", sagte Herr Kim nach hinten gerichtet.
Ich seufzte und sah zu, wie jemand in mein Büro kam.
...okay. Vielleicht, ganz vielleicht, ist nicht jeder jüngere ein Stück scheiße. Wie ich darauf komme? Nun, der Mann, der gerade vor mir steht, sieht aus, wie aus einem Magazin, das "die heißesten Männer Koreas" heißt.
"Guten Tag", begrüßte er mich und verbeugte sich 90 Grad.
Respektvoll ist er auch noch! "Guten Tag", erwiderte ich lächelnd.
"Weiteres besprechen wir beim Mittagessen, okay? Fürs Erste; holen sie ihn einfach mit, zeigen Sie ihm den Alltag hier."
"Werde ich tun."
Herr Lee verabschiedete sich von uns beiden, dann ging er und schloss die Tür. Jetzt standen wir in Zweisamkeit in meinem Büro. "Also, wie heißt du?", fragte ich und setzte mich, deutete auf den Stuhl vor meinen Schreibtisch, auf den er sich dann auch setzte.
"Kim Namjoon."
"Und in welchem Semester bist du?"
"Oh, ich bin fertig. Das hier ist mein einjähriges Praktikum."
"Wie alt bist du?", frage ich, denn er sah jung aus. Zu jung.
"Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt."
"...fünfundzwanzig? Und ich habe gedacht, mit siebenundzwanzig wäre ich gut dabei. Wie ist das überhaupt möglich."
"Ich bin hochbegabt."
Ja, ich hasse junge Leute. Namjoon hat Glück, dass er so ein gutaussehendes Gesicht hat, sonst hätte sich mein vorheriger Gedanke vielleicht auf meinem Gesicht gezeigt. Aber stattdessen lächelte ich ihn nur an, auch wenn es etwas gezwungen war. "Nun, dann erwarte ich viel von dir."
Er nickte heftig. "Ich werde mein Bestes geben!"
Okay, er ist doch echt süß.
Ich nahm eine Akte, die auf meinem Tisch lag und gab sie ihm. "Den Patienten habe ich gestern bekommen. Park Jimin, siebzehn Jahre alt. Er hat hohes Fieber, Halluzinationen, geweitete Pupillen und Hautrötungen dort, wo sich die Blutgefäße besonders nah an der Oberfläche befinden."
Namjoon las über die Akte, die er in seiner Hand hielt, weshalb ich geduldig wartete. Dann sah er auf. "Das hört sich nicht gut an", meinte er. "Was hat er?"
"In der kurzen Zeit, die ich nun schon hier arbeite, habe ich gelernt, dass man erstmal vom harmlosesten ausgehen sollte. Das bringt einen selber und auch die Familienangehörigen erstmal zur Ruhe, anstatt zur Panik und bei neun von zehn Fällen stimmt es sogar. Also gehe ich jetzt erstmal davon aus, der er eine starke, starke Grippe hat."
"Stimmt. In seltenen Fällen tauchen Halluzinationen auf und das Fieber stimmt auch. Aber was ist mit den Pupillen? Das spricht doch eher dafür, dass er etwas genommen hat", dachte er laut nach.
"Korrekt. Wir werden ihn heute fragen, ob er Drogen zu sich genommen hat. Oft will man das ja nicht sofort preisgeben." Namjoon nickte, sagte nichts mehr. Ich stand also auf und mit Namjoon neben mir gingen wir durch die weißen Flure des Krankenhauses, bis wir zu dem Zimmer kamen, in dem Jimin lag. "Egal was kommt", sagte ich ihm, bevor wir eintraten, "du bist der Arzt. Nicht mehr, nicht weniger." Er nickte wieder. Ich klopfte an die Tür und öffnete sie dann auch.
Sobald wir im Zimmer waren, bot uns eine Szene, die ich wirklich nicht erwartet habe. Jimins Mutter war nicht mehr da, aber auf demselben Stuhl wie gestern saß der Freund, sein Oberkörper auf der Matratze abgelegt und wohl am Schlafen. Jimin schlief auch, ohne Decke über sich. Die hatte sein Freund. Logisch, wenn man bedenkt, dass es Jimin wohl sehr heiß ist.
"Wie wecken wir sie?", fragte Namjoon mich leise.
"Professionell", antwortete ich und ging zur linken Seite des Bettes, wo gestern Jimins Mutter stand. Jetzt sah ich, dass die beiden Jungs schon wieder Händchen hielten. Der Verband um die Hand des Freundes fiel mir wieder auf. Dann sah ich aber, dass sich auch ein Verband um Jimins Hand befand, den ich gestern wohl nicht bemerkt habe. Seine Hände waren ja auch wirklich nicht meine Priorität. Aber jetzt... Automatisch blickte ich zu Jimins Hand auf meiner Seite. Auch diese war mit einem Verband verbunden.
Komisch.
Ich legte meine Hand an Jimins Schulter und drückte leicht zu, schüttelte ihn minimal. Das reichte, um einen der beiden zu wecken. Den Freund. Dieser setzte sich auf und sah sich verwirrt um, dann hielt er kurz Augenkontakt mit mir, ehe er gähnte. Jetzt fiel mir auf, dass er immer noch die Kleidung von gestern trug. Ob er überhaupt nach Hause gegangen ist? Bei Jimin ist das anders. Er trägt die Kleidung des Krankenhauses. Diese sieht aus, wie ein Schlafanzug, in stylisch weißer Farbe. Das Rot seiner Haut wirkte so extremer.
"Würdest du deinen Freund wecken?", fragte ich den jungen Mann.
Dieser nickte und weckte seinen Freund sanft, aber effektiv. "Yoongi, was ist?", gähnte Jimin. Ah, der Freund heißt Yoongi. Yoongi murmelte etwas, was ich nicht verstand, aber Jimin sah dann zu mir, überraschter Blick. "Oh, hallo."
"Guten Morgen. Wie geht es dir? Haben die Medikamente etwas bewirkt?"
Er nickte bestätigend. "Ja, ich fühle mich wirklich besser." Kurz hielt er inne und sah dann wieder unsicher aus. "Besser, aber nicht gut", nuschelte er gerade noch so, dass ich es hören konnte.
Ich nahm das Infrarot-Thermometer aus meiner Tasche des Kittels und wollte gerade schon Jimins Fieber messen, da erinnerte ich mich an Namjoon, der am Ende des Bettes stand. "Das ist Kim Namjoon, er ist- er ist mein Lehrling. Wäre es okay, wenn er dein Fieber misst?" Jimin nickte.
Namjoon kam motiviert und erledigte die einfache Aufgabe sofort. "Achtunddreißig Komma vier", las er vor und gab mir das Thermometer wieder. Ich steckte es ein und sah ihn zufrieden an, dann Jimin.
"Schon mal besser als gestern. Dir wurde angewiesen, viel, viel Wasser zu trinken. Hast du das gestern noch befolgt?" Jimin sah auf die Trinkflasche, die auf einem Tisch stand, neben ihm.
"Versucht", sagte er nach kurzem Zögern. "Das Schlucken fällt mir schwer. Selbst wenn ich Wasser trinke, ist mein Mund trocken."
"Okay, versuche es weiter. Wir werden versuchen herauszufinden, wie wir dir das Schlucken erleichtern können. Währenddessen müssen wir dich noch einige Routinefragen fragen." Jimin nickte. "Hast du in den letzten Wochen Drogen eingenommen?"
"Nein", antwortete er sofort.
Ich lächelte besänftigend. "Okay. Trotzdem will ich, dass du weißt, dass wir dir versuchen zu helfen und dafür alle Informationen benötigen. Und wenn du welche genommen hast, besteht für uns eine Schweigepflicht, wenn du es uns erzählst. Also mach dir keine Sorgen, wenn-"
"Jimin nimmt keine Drogen", unterbrach Yoongi mich. Seine Stimme war geprägt von einem unzufriedenen Ton, aber er sah mich komplett neutral an. "Wir gehen auf ein sehr strenges, sehr katholisches Internat. Ich wüsste nicht einmal, wo wir Drogen herbekommen sollten, und ich denke, Jimin weiß so etwas auch nicht."
"Das stimmt", fügte Jimin leise hinzu. "Und ich habe auch keinen Drang dazu, so etwas zu nehmen."
Kurz tauschte ich einen Blick mit Namjoon aus. Sein Blick sagte mir, dass er den Kindern glaubt. Und ich musste eingestehen, dass ich ihnen auch glaube. Nur weil man im Teenager-Alter ist, heißt das nicht, dass man raucht, trinkt oder sonstige Drogen nimmt. "Okay, gut. Danke für eure Ehrlichkeit. Namjoon, haben Sie noch Fragen oder Gedanken, die Sie teilen wollen?"
Er dachte kurz nach. "Im Moment gehen wir von einer starken Grippe aus. Aber nicht alle Symptome passen, deshalb die Frage nach den Drogen. Es könnte natürlich auch sonst eine Vergiftung sein." Er sah Jimin und Yoongi an. Die beiden sahen ihn an, als wäre er ein Geist. "Hast du in den letzten Wochen etwas anderes gegessen? Deine Ernährung umgestellt? Wohin gereist und dort etwas Fremdes gegessen oder neue Kleider getragen. Hat jemand einen Grund, dir das antun zu wollen?" Ich legte meine Hand an Namjoons Arm, als Zeichen, dass er aufhören soll, zu reden. Das waren viel zu viele Fragen auf einmal und das sah man auch in Jimins Gesicht.
Jimin schüttelte seinen Kopf. "Nein. Die Nonnen kochen strickt nach Plan. Und das Essen alle. Also müssten ja auch andere vergiftet sein, oder? Und... im Internat tue ich eigentlich nur was mit Yoongi. Jeder ist da eher in sich geschlossen. Niemand hat wirklich etwas gegen andere..."
"Okay", sagte ich. "Macht euch keine zu großen Sorgen. Dein Zustand hat sich schon verbessert."
Kurz darauf waren Namjoon und ich aus dem Zimmer. "Das mit dem Gift war keine schlechte Idee", sagte ich ihm, woraufhin er mich so sehr anlächelte, dass er Grübchen bekam. Ja, verdammt süß. "Aber das waren viel zu viele Fragen und auch etwas zu panisch. Die beiden sahen aus, wie Rehe im Scheinwerferlicht. Etwas ruhiger beim nächsten Mal, okay?"
"Okay, tut mir leid." Die Grübchen waren verschwunden.
"Alles gut, kein Grund, sich zu entschuldigen", sagte ich rasch. "Und wie gesagt, die Idee war nicht schlecht. Man vergiftet sich manchmal, ohne es zu bemerken. Ich werde ein toxikologisches Panel anfertigen lassen. Dann wissen wir in einigen Stunden, ob er vergiftet worden ist."
Und somit tauchten seine Grübchen wieder auf.
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Also, eine Umfrage an alle; was sind so eure Lebenspläne?
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