8 | Dr. Donavan & Literatur

Silas lief hinter uns her und versicherte mir kurz mit einem Nicken, dass er weiterhin folgen und nicht weggehen würde, als ich ihm einen besorgten Blick über die Schulter zuwarf.

Seufzend schaute ich wieder nach vorne. Ich fühlte mich total lächerlich und unwohl, wieder hier sein zu müssen, obwohl es mir ja eigentlich egal sein konnte. Doch das war es aber leider nicht. Mir bedeuteten Meinungen und Gedanken anderer mehr, als ich mir je zugestehen würde und manchmal trieb mich das auch in den Wahnsinn.

Den Kopf langsam schüttelnd, sah ich zu, wie der Wärter an die Tür des Behandlungszimmers klopfte. Einen kurzen Moment später öffnete Dr. Donavan die Tür.
"Hallo, wie kann ich he-", setzte sie an, doch als sie mich erblickte, hielt sie inne.
"Sie schon wieder?", fragte sie und zog dabei die gezupften Augenbrauen nach oben.
"Ach du-- kommen Sie schnell rein." Sie ging zur Seite, sodass ich eintreten konnte.

Der Wärter folgte uns, positionierte sich an der Tür und klärte Davina dann über die Situation auf.
Währenddessen blickte ich grimmig drein, was auf Silas eher amüsant, anstatt bedrohlich wirkte.

"Okay, ich verstehe", sprach Dr. Donavan schließlich und musterte mich nebenbei.
"Warten Sie vor der Tür?", bat sie den Wärter dann, welcher ein kurzes Nicken von sich gab und sich sofort aus dem Staub machte.
Ich schaute ihm überrascht hinterher, lenkte meine Aufmerksamkeit dann aber auf Silas und wurde infolgedessen etwas rot, da ich nicht wollte, dass er es auf diese Weise erfuhr.

"Was ist wirklich passiert?", fragte Dr. Donavan und führte mich derweil sanft auf die Liege zu, wo ich mich schließlich setzte.

Sie fing vorsichtig an, meine Wunde zu desinfizieren bzw. zu säubern, weshalb ich kurz zusammenzuckte.
"Was meinen Sie?", fragte ich schließlich mit Absicht leise.

"Ich weiß so langsam, dass die Wärter hier Dinge zusammenreimen, damit sie im gutem Licht stehen. Und ich glaube, das tat der eine hier gerade auch", murmelte sie und konzentrierte sich zugleich auf ihr Tun.
"Ich mag die Wachen nicht. Aber das bleibt unter uns", sagte sie leise und grinste. Indes zeigte sie eine Reihe strahlend weißer Zähne.

Ich aber seufzte und sah deprimiert weg, wobei mein angeschwollenes rechtes Auge nur noch einen Schlitz geöffnet war.
"Nein, hat er nicht. Er hat vielleicht vergessen, dass sie mir in den Bauch getreten haben, aber mehr auch nicht", murmelte ich und legte die sonst so glatte Stirn in Falten. Mir war gerade nicht zum Lächeln zumute, vor allem weil Silas hier war.

"Getreten? Darf ich dir den Overall ausziehen und mir deinen Bauch anschauen?", fragte Dr. Donavan vorsichtig. Silas warf mir darauffolgend einen fragenden Blick zu.
"Soll ich kurz raus? Oder mich umdrehen?"

Ich verkrampfte sofort und entgegnete beiden mit einem energischen Kopfschütteln, wobei ich mich zusätzlich an der Liege festkrallte.
"Nein!"
Niemals würde ich mich vor anderen ausziehen. Da konnten sie lange darauf warten und träumen.

Über das Gesicht der jungen Ärztin huschte ein Anflug von Erschrockenheit. Jedoch kriegte sie sich schnell wieder ein und versuchte es auf eine andere Art und Weise.
"Okay, in Ordnung. Kannst du mir denn beschreiben, wie die Wunden dort aussehen? Und tut es sehr weh? Vor allem auch beim Atmen?"

"Alex, lass sie doch einen kurzen Blick darauf werfen. Sie hat die Schweigepflicht", meldete sich Silas wieder zu Wort.

"Es... gibt keine Wunden", meinte ich leise und schluckte. Bloß etliche hässliche Narben!
Ich schüttelt den Kopf bei ihren weiteren Fragen. Doch nachdem ich Silas gehört hatte, spannte ich mich erneut an.
"Nein! Ich will nicht-- ich-"

"Schon gut, ich bin nur die Unterstützung und sie die Ärztin." Er hob abwehrend die Hände, setzte sich dann auf einen Stuhl und nahm einen Stift in die Hand, um damit zu spielen.

Die Ärztin ließ sich von uns nicht beirren, sondern fuhr einfach fort.
"Keine Prellungen? Nichts? Sie haben dich doch getreten. Ich muss das wirklich wissen und ich behalte alles für mich, was ich sehe oder höre. Wirklich. Ich mache mich strafbar, sobald ich etwas ausplaudere."

"Mir war schlecht und schwindelig, weshalb ich auch keinen Hunger habe", sagte ich beschwichtigend und fügte den letzten Teil extra mit hinzu, da Silas vorhin noch wollte, dass ich mit ihm essen ginge.
Sie nickte langsam. "Darf ich dich wenigstens abtasten? Nur um sicher zu gehen."

Angst stieg in mir auf, weswegen ich auch nicht antworten wollte.
Nie würde ich verstehen, warum so viele Menschen kein Nein akzeptieren konnten. Ärztin hin oder her.
Außerdem würde ich mich sowieso nicht trauen, den Overall auszuziehen, wenn Silas die ganze Zeit mit im Raum war.
Die junge Frau schüttelte leicht ihren Kopf, atmete durch und widmete sich dann einfach wieder dem Auge zu.
"Du hättest sofort hierher kommen sollen, dann hätte man die Prellung vorher schon abklingen lassen können." Sie nahm eine Spritze und zog eine entzündungshemmende und schmerzlindernde Injektion auf.
"Das ist für die Schmerzen und es hilft bei der Heilung. Zudem senkt es den Druck auf deinem Auge", erklärte sie mir ruhig.

"Aber-- sie haben mich nicht gelassen", versuchte ich mich zu verteidigen und blickte sie auf eine Weise unsicher an.
"Okay", murmelte ich dann noch mit leiser Stimme.

"Nicht gelassen?!" Sie schüttelt abwertend den Kopf und fing an, ganz leise herumzufluchen.
"Die sollte man mal verprügeln und irgendwo liegen lassen", murrte sie leise.
"Entschuldigung."
Sie spritzte mir dann vorsichtig die Injektion und sah dabei konzentriert auf mein Auge.

Und als ich ganz still hielt, blieb mir nichts anderes übrig, einen vor sich hin grinsenden Silas zu beobachten. Anscheinend gefiel ihm das, was die außergewöhnliche Ärztin sagte.
Womöglich spürte er auch meinen Blick auf sich, da er seinen Kopf anhob und ihn erwiderte. Es lag etwas Stolzes darin, doch ich konnte nicht erklären weshalb. Vielleicht fühlte er sich einfach für mich verantwortlich.
Nein, das war unrealistisch.

Für mich war es aber letzten Endes einfach nur schmerzhaft, wenn Silas jeden Tag in der Nähe war und weil ich wusste, dass meine Gefühle nie erwidert werden würden.
Wie konnte man eine Person also dazu bringen, Hass gegenüber einer anderen zu empfinden, damit diese sich von der anderen entfernt?
Das war schwerer, als ich es mir gedacht hatte.

Die Ärztin nahm letztendlich noch ein Pflaster und klebte dieses auf meine Wunde.
"Am besten kommst du morgen nochmal zur Kontrolle und wenn du dann magst, schauen wir uns deinen Bauch an." Sie nahm wieder ein Kühlpad und hielt es mir schließlich hin, welches ich ihr sofort abnahm.
"Wegen dir wird noch der Vorrat bezüglich der Kühlakkus draufgehen", schmunzelte sie, was ich ein wenig belächeln musste.
"Und lass dich nicht provozieren. Das ist das, was sie wollen", sagte sie aufmunternd.
"Wenn du magst und nichts weiteres hast, bist du entlassen", fügte sie noch sanft hinzu.

"Sie fluchen gerne, hm?", fragte Silas wie aus dem Nichts amüsiert und wandte sich dann mir zu.
"Also du Invalide, morgen kommst du mir aber nicht mit einer kaputten Lippe an, klar?"

"Eh ... Ja okay, danke." Ich räusperte mich leicht und ging dann auf Silas zu. "Hmh."

"Manchmal passieren Dinge, die man mich vorhersehen kann", antwortete Dr. Donavan lässig auf Silas' Frage und sah dann nochmal zu mir.
"Dann gute Genesung und wir sehen uns morgen, okay?"

"Wenn er nicht kommt, schleif ich ihn persönlich hierher", mischte sich Silas ein und sah dabei insbesondere mich kurz ernst an.
"Hmm", bejahte ich es, obwohl ich Nein meinte. Dann schaute ich zu Silas und schluckte leise.
"Aber-- wenn ich nicht will, dann will ich nicht", fing ich an zu protestieren.

"Naja, wenn es sich verschlechtert und noch mehr anschwillt, könnte es sein, dass der Druck auf dem Auge zu groß wird und das momentan so kleine Sehvermögen verschlechtert wird - und das auf Dauer. Es verschiebt zudem den Winkel des Auges."
"Und du willst ja nicht schielen, oder?", fragte Silas rhetorisch.
"Schön", brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, ballte meine Hände zu Fäusten und ging anschließend zur Tür. Wenn ich eines hasste, dann war es von allen Seiten geschulmeistert zu werden.

* * *

Als ich von dem Wärter wieder zum Zellentrakt begleitet wurde, folgte Silas uns erneut stillschweigend und stellte sich dann an die Gitterstäbe als ich mich wieder in meiner Zelle befand.
"Wirst du morgen wieder dorthin gehen?", fragte er mit einer gewissen Strenge und verschränkt dabei die Arme. Anscheinend war ich vorhin nicht überzeugend genug gewesen.
Die Augen verdrehend, gab ich jedoch nach. "Ja, bist du jetzt zufrieden?"

"Ja, bin ich", sagte Silas lächelnd. "Und ist alles gut? Also wegen der Schmerzen."
"Alles gut", versicherte ich ihm schulterzuckend. "Ich muss gleich noch zum Literaturkurs."
"Ach, stimmt. Viel Spaß dabei, Kleiner."
"Ha-ha, witzig. Aber dennoch danke."
"Kein Problem", meinte Silas grinsend.
"Ich muss jetzt los, andere Termine erledigen. Wir sehen uns dann heute Abend, ja?"
"Ehm, wieso nochmal?"
"Wegen des Essens. Du musst etwas zu dir nehmen, Alex."
"Ich ... Ich habe aber keinen Hunger", meinte ich etwas kleinlaut und senkte niedergeschlagen den Kopf.
"Alex. Du-"
"Ach, verdammt! Ja, ich weiß. Bis nachher", sagte ich schnell und stimmte somit indirekt zu, nachher in der Cafeteria zu erscheinen.
"Bis später", grinste mein Gegenüber triumphierend und machte sich dann so langsam auf den Weg zu seinem Büro.
"Sehr toll", murmelte ich vor mich hin und schüttelte den Kopf, während ich Silas hinterhersah.

Dann legte ich mich aber hin und kühlte mein Auge und das geschwollene Jochbein vom vorherigen Tag. Dabei schaute ich an die Decke und dachte über Silas nach.

* * *

Fast eine halbe Stunde lag ich einfach bloß so da, bis ich aus meiner Zelle geholt und zum Kurs gebracht wurde, wo man mich dann kurz vorstellte.
Ich runzelte die Stirn und setzte mich dann an einen Platz, welcher in der vorletzten Reihe war.

Der Raum wurde von zwei Wärtern bewacht, welche sich gegen die Wand lehnten und der brünetten und relativ jungen Lehrerin bei ihrem Vortrag über eines von Shakespeare's Büchern, verträumt zuhörten.

Alle Insassen in diesem Raum hatten ein Buch auf dem Tisch zu liegen. Ebenso ich, und sofort begann ich darin herumzublättern und kurz darauf einfach zu lesen, während ich alles um mich herum ausblendete.

Ich kratzte mich kurz am Kiefer und bekam nicht mal mit, dass ich aufgefordert wurde. Verwirrt hob ich den Kopf und sah zur Lehrerin.
"Eh, was?"
"Mr. Parker, richtig? Wissen Sie denn zufällig, zu welcher Zeit Shakespeare lebte?"
"Ja, eh- zur Zeit der Renaissance und der Reformation?", ich zuckte leicht die Schultern, da ich mir nicht sicher war, doch die Lehrerin bestätigte für alle, dass meine Antwort richtig sei.

Daraufhin nickte ich und las schließlich so lange weiter, bis der Unterricht beendet wurde. Die Wärter mussten mich beinahe mit herausschleifen, weil ich das Buch nicht aus der Hand legen wollte. Jedoch durfte ich es dann aber mitnehmen und freute mich innerlich darüber.

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