6 | 37. Sitzung

Im Gefängnis gingen früh am Morgen die Lichter an und die Zellen wurden geöffnet. Alle traten heraus, um ihre morgendliche Routine zu starten, ebenso ich. Diese Planung war einfach zum Kotzen.
Ich seufzte als ich daran dachte, dass ich heute das erste Mal meinen neuen Kurs - Literatur - besuchen musste.

Nach dem Duschen und Frühstücken, ging ich zum Training, welches besser als am Tag davor verlief und hatte dann gleich am Anschluss einen weiteren Termin bei Silas. Ich hoffte, dass dieser das in meinem Gesicht einfach mal nicht kommentierte.
Als wir ankamen, klopfte einer der Wärter an die Tür, die einige Sekunden später geöffnet wurde.

Silas schaute zunächst verwirrt, doch als er mich entdeckte, fing er an zu lächeln. "Stimmt. Ganz vergessen", sagte er leise.

Ich starrte ihn an, ohne etwas zu sagen und lief tiefrot an, als ich an meine Träume von letzter Nacht denken musste und senkte den Blick, damit Silas es nicht mitbekam. Und zu meinem Glück tat er dies wirklich nicht, sondern wandte sich stattdessen dem Wärter zu, dem er einmal zunickte.
"Okay, also Handschellen ab und dann kann ich mit ihm reden", meinte er frech, während er ihnen ein falsches und provokantes Lächeln schenkte. Es war offensichtlich, dass er den Wärter nicht leiden konnte.

Der Wärter warf ihm einen verächtlichen Blick zu und setzte erst dazu an, um zu diskutieren, befreite dann aber dennoch meine Hände von den Handschellen. Ich sah ihm anschließend stirnrunzelnd nach. Oh, oh.

Nachdem die Tür geschlossen wurde, drehte ich mich zu Silas, der mich fröhlich angrinste.
"Eh... Hey?"

"Morgen", gab er nickend von sich.
"Setz dich ruhig. Oh, und überleg dir schon mal eine gute Ausrede für deine Wunde dort", meinte er trocken und deutete währenddessen mit dem Zeigefinger auf mein Gesicht.

"Ausrede? Warum sollte ich das machen?" Zwischen meinen Augen bildete sich ein kleines V. Dann nahm ich wie angeboten vor dem Schreibtisch Platz.

Silas zuckte mit den Schultern, startete den PC und setzte sich dann. Er schubste seine Tasche einfach zu Boden, nahm die Akte hervor und gähnte kurz. "Gott, ey."
Okay, alles klar.

"Ist beim Training passiert." Ich strich mir unbewusst über die Handgelenke und seufzte dann schließlich.
"Schlecht geschlafen?"

"Training? Verprügelt oder warst du einfach nur woanders mit den Gedanken?" Er bejahte letzteres, indem er nickte.
"Bekam keine innere Ruhe."

"Hab nicht aufgepasst", murmelte ich und musterte ihn erneut, diesmal aber genauer. Sein braunes Haar war etwas zerzaust, nicht so perfekt wie sonst und dessen Hemd hatte er ebenfalls noch nicht hineingesteckt.

"Solange du daraus gelernt hast, ist alles gut."
Sehr witzig. Ich schnaufte leise. Nichts war an Frustrationen gut.
"Hmh, sind wir ja schon zwei."

Silas sah von seinem Monitor auf.
"Wegen der Schmerzen?"

Anschließend schüttelte ich den Kopf, da ich wusste, dass ich wahrscheinlich total schlecht im Lügen sein würde und versuchte es deshalb auch erst gar nicht.
"Nein."

Der Sozialarbeiter sah mich betrübt an und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. "Die Alpträume?"

Muss das jetzt sein? Es war mir immer noch unangenehm, dass Silas zum Teil davon Bescheid wusste. Und nein, ich würde immer noch nicht darüber reden, ich hasste dieses Thema einfach.
Ich wich dessen intensiven Blick aus und konnte dabei spüren, wie es mich immer nervöser machte.

Nach einer Weile brach Silas das sowieso merkwürdig gewordene Schweigen.
"Du solltest mit dem Psychologen einmal darüber reden, Alex. Das kann nicht so weitergehen."

Ich verdrehte daraufhin leicht die Augen.
"Hab ich doch damals schon. Es-- es ist nicht mehr so wie vor einigen Jahren. Mir geht's gut."

"Hey, es gibt Wege, Träume zu beeinflussen", sagte er ermutigend und kassierte von mir sofort einen gereizten Blick.

"Ach ja?" Ich klang so, als wenn ich es nicht wissen wollte. "Lass es einfach."

Silas seufzte leise. "Also gut. Was nun?"

"Warum fragst du mich? Müsstest du mich nicht fragen, wie es mir geht und all dieser Mist? Und es dabei aufnehmen bzw. protokollieren? Bist du eine faule Socke geworden?", platzte ich mit der Frage heraus und schaute jedoch schnell unschuldig weg. Ups.

Der Braunhaarige fing an leicht zu grinsen und verschränkte die Arme.
"Vielleicht bin ich das. Aber auch nur, weil ich der Meinung bin, dass du vielleicht auf Themen selbst kommen kannst. Such dir etwas aus und wir reden. Oder wie soll das draußen ablaufen? Wartest du dann auch auf die Fragen anderer Leute, bevor du mit ihnen sprichst?" Er lehnte sich leicht vor und stützte sich auf den Ellenbogen auf.
Meinen Kopf schüttelnd, runzelte ich gleichzeitig die Stirn. Ich hielt davon recht wenig.

"Du bist aber der Sozialarbeiter", sagte ich entrüstet. "Warum? Ich muss nicht hier sein, ich brauche das alles nicht."

"Alex, du bist hier freiwillig, genau. Wenn du keine Lust auf all das hast, dann bist du hier definitiv falsch", brachte er angespannt hervor und wandte den Blick ab.
Man hätte sogar meinen können, einen Anflug von Enttäuschung in seinen Augen erkannt zu haben und ich hasste es zutiefst.

"Was? Also soll ich gehen?"
"Wie gesagt; es ist kein Muss, dass du hier bist", erwiderte er ernst.
"

Du hast meine Frage nicht beantwortet." Genervt stand ich auf und verschränkte nun selbst die Arme.
"Ich sagte nicht, du sollst gehen. Bloß ist es deine eigene Entscheidung."
"Hat sich aber so angehört", antwortete ich schnippisch und ignorierte dabei den letzten Teil seiner Aussage.

Silas atmete durch und rieb sich verzweifelt die Schläfen. "Alex, ich mach das hier nicht zum Spaß, sondern um dir zu helfen."
"Schön für dich", brummte ich leise, setzte mich dann wieder und starrte auf den Boden.

"Was ist los?"
Ich schaute kurz auf und zog eine Augenbraue fragend hoch.
"Was meinst du?"
"Du wirkst niedergeschlagen und deine Prellung am Auge lässt es nicht besser aussehen."
"Wie schon gesagt; mir geht's gut."
Er seufzte resigniert und lehnte sich wieder zurück. "Okay. Und wie lief es heute mit dem Training?"
"Na auf jeden Fall besser als gestern."
"Das glaube ich dir aufs Wort", meinte er mit einem Schmunzeln, was sich sogar zu einem leisen, amüsierten Lachen entwickelte.
"Wieso denn?" Macht er sich etwa lustig?

"Deshalb." Er deutete auf sein eigenes Auge, meinte damit aber natürlich meines. "Was genau ist eigentlich passiert?", wollte er, so neugierig wie er eben war, wissen.
Daraufhin führte ich meine Hand zum Auge und fühlte kurz, ob die Wundnahtstreifen noch klebten, und ja, das taten sie. Ich zuckte schließlich die Schultern.
"Wir waren auf den Matten. Dann hat mein Trainer mich auf den Boden geworfen und ich bin scheiße aufgekommen."

"Hm, na zumindest war es keine Prügelei", sagte er optimistisch. "Und spätestens, wenn du verheiratet bist, ist es weg."
"Schätze schon, ja", murmelte ich und runzelte anschließend die Stirn. Heiraten? Wirklich jetzt?

Silas grinste leicht und unbeschwert, da er nichts von meinen Gedanken ahnte. "Sooo, was machen wir zwei Süßen jetzt?" Er versuchte allen Ernstes lustig zu sein.

"Haben sie dir irgendwas in den Kaffee getan?" Ich wusste nicht warum, doch es gefiel mir einfach mehr, wenn sich Silas wie der alte Silas verhielt. Dieser zog nun verwirrt die Augenbrauen zusammen.
"Nein, wieso?", fragte er etwas beleidigt, während sein Blick zu der Kaffeetasse vor ihm wanderte. "Soll ich etwa wieder ernst werden?"

Verdammter Mist.
"Weiß nicht." Ich kratzte mich kurz verlegen am Nacken und blickte nach unten. "Nein ... Ganz normal", gab ich schließlich leise schluckend von mir.
"Gut, gut", lächelte er und sah schließlich zum Computer.
"Die Pläne für die Zeiten habe ich dir schon gegeben, oder?"

"Ehm-" Daraufhin fasste ich in die eine Tasche des Overalls und zog die Pläne heraus. "Sieht so aus", versicherte ich es ihm und warf nochmal einen Blick auf die Zettel, um herauszufinden, wann der Literaturkurs heute losging. Dabei zog ich sogar vor Konzentration meine eigenen Brauen zusammen.

"Okay. Stell' ruhig Fragen", hörte ich ihn sagen.
Laut ausatmend, schaute ich nach einer Weile auf und wurde sogleich mit dessen breiten Grinsen konfrontiert.
"Machst du dich über mich lustig?"
Dieser Arsch!
"Nur ein wenig. Zeig mal her", sprach er belustigt, stand anschließend auf und setzte sich auf einen Stuhl neben mich, nachdem er diesen zu mir gestellt hatte.
"Ach so ist das also", sagte ich grimmig.

Dann hielt ich ihm etwas überfordert von der plötzlichen Situation, die Blätter hin und schaute anschließend etwas verstohlen zu ihm herüber. Mein Herz schlug schneller, da ich mit dieser plötzlichen Nähe überhaupt nicht klarkam.
Doch langsam verlagerte ich meine Körperhaltung etwas, um ihm besser in das Gesicht sehen zu können. Ich musterte dessen Konturen, jede Erhebung und jede Vertiefung, seine Augen und den gepflegten Bart. Mann, ich wusste ja, wie seine Augen aussahen, aber diese von Nahem zu sehen, raubte mir beinahe den Atem und den Verstand!

Silas, der natürlich nichts davon mitbekam, sah weiterhin auf die Pläne.
"Hm, ja warte, ich kann es dir deutlich markieren." Er blickte mich schließlich kurz aus intensiven blauen Augen an, welche mit dem Meer Konkurrenz führen konnten und dabei wahrscheinlich sogar gewinnen würden. Zudem knabberte er kurz auf seiner Unterlippe herum und brachte mein Blut somit fast in Wallung.

Schließlich wandte Silas sich wieder ab, erhob sich vom Stuhl und beugte sich über den Schreibtisch, um zwei Textmarker in der Schublade zu suchen.
Vollkommen verzweifelt, versuchte ich mich zusammenzureißen, erwischte mich jedoch dabei, wie ich ihm auf den Hintern starrte. Erneut schluckend, sah ich so schnell wie möglich wieder weg und schob die ineinandergefalteten Hände in meinen Schoß. Dieses verfluchte Herz.

"Aha!, rief Silas freudig aus als er fündig geworden war und setzte sich dann langsam wieder zu mir.
"So dann fangen wir mal an." Er makierte schließlich ein paar Dinge in zwei verschiedenen Farben.
"Okay, also Blau ist für Literatur und Pink für Sport."
Ich atmete durch, noch nicht ganz beruhigt, und sah ihm schließlich beim Markieren irritiert zu. "Warum ... Pink?"
"Na ich hab den Orangefarbenen nicht gefunden", gab er unschuldig zu.
"Ist nur eine Farbe", grinste er dann und hielt mir wieder die Zettel hin. "Erkennst du es?"
"Achso", meinte ich knapp und nahm ihm die Zettel aus der Hand, auf die ich einen kurzen Blick warf. "Ja."
"Sehr gut, also hat sich das schon mal geregelt", schmunzelte er und sah mich wieder so lieb an. "Noch etwas zu klären?"
"Ja, danke", sagte ich leicht nickend, biss mir kurz auf die Lippe und schüttelte dann den Kopf. Am liebsten hätte ich ihn jetzt geküsst, wenn da nicht die gewisse Angst wäre, weggestoßen zu werden und dadurch das Verhältnis zwischen ihm und mir zu zerstören. Also wandte ich den Blick wieder ab.
"Nein, kann ich dann jetzt gehen?"
"Wenn es von deiner Seite tatsächlich nichts mehr gibt, kannst du ruhig gehen", meinte er lächelnd.
"Okay." Ich nickte und stand etwas zittrig auf.
Silas ließ sich nicht anmerken, dass er es sah, als er mir die Hand hinhielt.
"Gut. Dann bis entweder heute Abend oder morgen."

Zu ihm aufblickend, fuhr ich mir mit meiner Hand am Oberschenkel entlang und räusperte mich anschließend leicht. Dann nahm ich erst dessen Hand entgehen, welche sich kräftig und warm anfühlte. Ich genoss das Gefühl.
"Eh ... Heute Abend? Warum?"
"Na vielleicht gibt es ja bis dahin Dinge, die dir noch eingefallen sind oder ich setze mich einfach wieder beim Essen zu dir."
"Ich glaube nicht ..." Ich sah ihn gezwungenermaßen ehrlich an und zuckte beim letzten Teil nur mit den Schultern. Denn eigentlich wollte ich Abstand zu ihm, in der Hoffnung, dass ich meine Gefühle wieder in den Griff bekam.
"Wir werden sehen", entgegnete Silas mir zuversichtlich und ein wenig stur und nickte letztendlich.
"Bis dann."

"Okay. Ja, bis dann." Danach ging ich auf die Tür zu, gegen die ich zweimal klopfte.
Wenige Sekunden später schaute ich in das Gesicht eines neuen Wärters, welcher nicht gerade freundlich wirkte, und bekam wie immer Handschellen um.
Dann verließ ich den Raum.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top