46 | Mehlschlacht
"Hey, Kleiner", sagte Silas, der schon längst wieder aufgestanden war und den Ofen geschlossen hatte.
"Ja?" Ich erhob mich und drehte mich dabei in seine Richtung, was sich als Fehler herausstellte, da ich eine volle Ladung Mehl in mein Gesicht bekam. Meine Augen schlossen sich aus Reflex schnell, und ich wandte mich von ihm ab, als ich das Mehl von meinen Wangen und Augen wischte.
"Ey!", maulte ich schließlich empört und funkelte Silas böse an. Dieser ließ sich davon aber nicht beeindrucken, das verriet mir sein lässiges Grinsen und seine verschränkten Arme, während er an der Küchenzeile lehnte.
Ich hielt nach dem Mehl Ausschau, weil ich Rache wollte. Es stand direkt neben Silas, verdammt! Da würde ich nicht einfach so herankommen.
"Denk nicht mal daran", sprach er mit warnendem Unterton in seiner Stimme, als er meinen Blick bemerkte und durch diesen ahnte, was ich vorhatte. Ich verengte die Augen zu Schlitzen, als ich zusehen musste, wie er die Verpackung - so gemein wie er eben war - von sich wegschob.
"Komm her", befiehl er mir, als wäre es etwas normales. Doch seine Stimme war diesmal anders, dunkler. Und ich wusste nicht, ob mich sein Blick bloß warnen oder mir tatsächlich Angst machen sollte, denn er musterte mich mit nacktem, ungezügeltem Verlangen. Ich gehorchte ihm dessen ungeachtet, setzte einen Schritt vor den anderen und spürte, wie sich meine Atmung verschnellerte.
Sobald ich in seiner Reichweite war, ergriff Silas mein Handgelenk und legte seine andere Hand an meine Wange, die mit Bartstoppeln übersät war. Als er über diese mit seinem Daumen fuhr, öffneten sich meine Lippen automatisch einen kleinen Spalt. Das schien auch Silas zu bemerken, denn sein Finger wanderte über meinen Mundwinkel nach unten zu meiner Unterlippe, die er anschließend leicht herunterzog. Mein Atem beschleunigte sich weiter, sodass ich ihn irgendwann selbst gut hören konnte.
Bloß nicht in Ohnmacht fallen! Nicht umfallen, Alex. Denk einfach an-
Meine Gedanken lösten sich wie in Luft auf, als Silas sich herantastete, immer näher kam und seine Stirn anschließend an meine eigene legte, bevor er mich dann vorsichtig küsste. Ich konnte spüren, wie sich mein Herzschlag überschlug, als ich erwiderte und meine Lippen dabei fester auf die seinen presste.
Jedoch löste ich mich schon nach wenigen Sekunden wieder und entkam ihm, indem ich mich duckte und einen kleinen Schritt zur Seite tat, sodass ich an das Mehl herankam. Als ich etwas von dem fein gemahlenen Getreide in meiner Hand hielt, beschmiss ich Silas genauso, wie er es vorhin bei mir getan hatte. Ich grinste breit und schrie: "Rache ist süß! Oder trocken, wie-"
"Na warte", drohte er mir grinsend, als er vorschnellte und nach mir schnappte. Ich wich aber schnell genug und lachend aus, nahm noch mehr von dem Mehl und warf es auf seinen Oberkörper.
"Du kriegst mich nie!", rief ich, freute mich aber zu früh, als er mich plötzlich doch an meiner Hüfte packte und mich mit dem Steißbein gegen die Küchenzeile drückte, wobei ich mit einem erschrocken Laut die Packung Mehl fallen ließ.
Es schien, als würde er mich regelrecht überfallen, während er seinen Kopf senkte und seine weichen Lippen auf meine erhitzte Haut am Hals ablegte, die er anschließend liebkoste. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als mich ihm völlig hinzugeben. Dennoch wusste ich überhaupt nicht, wie mir geschah oder wo ich mit meinen Händen hinsollte, weshalb ich sie einfach auf dessen muskulöse Oberarme legte und mich an ihnen zur Sicherheit festhielt.
Er leckte, saugte und biss schließlich zu; dabei entfuhr mir ein weiterer Laut, den ich selbst noch nie gehört hatte. Jedenfalls nicht aus meinem Mund. Ich wollte mehr davon, mehr von Silas und seinen Berührungen, schämte mich aber gleichzeitig dafür, dass ich so verworfen war - ein billiger Abklatsch von Unschuld.
Nachdem er meinen Hals freigegeben hatte, raunte er an meinem Ohr: "Ich hätte das schon viel früher tun sollen. Ich wusste nur nicht, wie gut und richtig sich das anfühlt", und fuhr kurz darauf mit seiner Zunge über den Rand meines Ohrs. "Ich war so dumm ... Es tut mir leid", murmelte er leise, obwohl ich ihn das schon einmal sagen gehört habe.
Bevor ich etwas dazu erwidern konnte, erstickte er meine Worte mit einem erneuten Kuss, in den er eine Menge Hingabe und eine wiederholte, aber diesmal stumme Entschuldigung steckte. Ich konnte seine Schuldgefühle fast schon schmecken, deshalb wollte ich ihn davon überzeugen, dass er sich nicht schlecht fühlen sollte. Schon gar nicht wegen jemandem wie mir.
Ich legte eine Hand an dessen Brust, versuchte ihn von mir zu drücken und keuchte dabei kraftlos seinen Namen an dessen Lippen. Er ließ sofort von mir ab, ging einen Schritt zurück und sah mich mit einem Blick an, der voller Reue und Schmerz war. Oh, Scheiße!
"War ich zu grob?", platzte es ungeduldig aus ihm heraus.
"Ich- eh, also ...", stotterte ich und versuchte nebenbei einen klaren Kopf zu bekommen, welcher aufgrund des Körperkontaktes noch wie benebelt und völlig funktionsunfähig war. "Es- es ist alles okay, ich wollte bloß sagen, dass- dass es dir nicht ... leid tun muss. Du bist ein- keine Ahnung, wie man das nennt ... eh, Spätzünder? Hast es erst jetzt erkannt und naja- Du warst ja immer nur mit ... Frauen zusammen, also-"
"Alex", unterbrach er mich mit seiner beruhigenden Stimme und ergriff dabei meine Hände, die unbewusst angefangen hatten zu zittern.
"Ich weiß. Aber habe ich wirklich nichts falsch gemacht?"
Ich schüttelte verneinend den Kopf und schaute zu ihm auf, direkt in die meeresblauen Augen, in denen ich ab sofort noch oft versinken würde.
Er atmete vor Erleichterung auf und nickte. "Okay, gut. Hast mir echt einen Schrecken eingejagt!"
"Sorry", murmelte ich verlegen, lächelte aber darüber, dass er es mit uns wirklich ernst meinte und auch wusste, was er wollte: Mich. Das war selbst für mich nicht mehr zu übersehen.
"Du hast übrigens noch Mehl im Gesicht, warte." Er murmelte letzteres gedankenverloren, als er mit gehobenen Händen wieder näher kam und mir schließlich das Mehl von den Wangen und meinem Kinn strich. Während ich so umsorgt wurde, kniff ich meine Augen zusammen und ließ ihn machen.
"Danke", sagte ich im Anschluss leise und sah lächelnd zu ihm auf. Er nickte mit einem Schmunzeln auf den Lippen und wandte sich dann den Schränken zu, aus denen er zwei Teller und Tassen holte, die er auf den Tisch stellte. Dann kümmerte er sich um die Kaffeemaschine und brachte diese mit wenigen Knopfdrücken zum Laufen.
"Willst du Milch und Zucker in deinen Kaffee?"
"Nein, ich glaube nicht."
"Mmh, ganz wie der Herr will", brummte er amüsiert vor sich hin und stellte die genannten Dinge zurück an ihre Plätze. "Sooo ... Da wir ja jetzt schon eine Weile rumblödeln, müsste der Kuchen in zwanzig Minuten fertig sein."
"Klingt gut", kommentierte ich das und lächelte leicht.
"Ja, stimmt. Aber was machen wir in dieser Zeit?" Mein Gegenüber legte seinen Kopf zur Seite und schaute mich mit einem Blick an, der mir verriet, dass er bereits eine Idee hatte.
Diesen Vorschlag wollte ich aber noch nicht hören und überlegte deswegen für mich selber, wobei ich nach oben an die mit hellbraunen Dielen ausgestattete Decke schielte. Es war gemütlich, verlieh dem Ganzen eine wärmere Wirkung, die man in einer Küche normalerweise nicht hatte.
"Ehm-- naja-"
"Mann, Alex!", sagte Silas plötzlich mit einem lauten und für mich genervt klingenden Seufzer, weshalb ich leise schlucken musste. Meine Wahrnehmung täuschte mich aber, denn er sprach mit unerwarteten Worten weiter: "Hör auf, immer so verdammt süß zu sein."
Süß? "Was? Ich, also ..." Mit so etwas hatte ich wirklich nicht gerechnet und es war mir peinlich.
"Stimmt, du kannst ja nichts dafür, dass du so bist. Und-- wirst du etwa rot?"
"Eh, nein? Werde ich gar nicht", versuchte ich es abzustreiten, obwohl ich eh wusste, dass es bei so einem Sturkopf wie Silas es war, nichts brachte; es war schlichtweg auswegslos. Und die Hitze stieg mir erbarmungslos weiter in die Wangen.
"Jaja, meinen Augen kannst du nichts vormachen. Genauso wenig wie ich mir meinen Gefühlen noch etwas vorgaukeln kann. Mir-- mir wird jedes Mal schlecht, wenn ich daran denke, dass du dir wegen mir das Leben nehmen wolltest. Ich ... Das kann ich mir nie verzeihen-"
"Silas-", wollte ich ihn unterbrechen, nachdem ich den Kloß in meinem Hals heruntergeschluckt hatte. Die Wendung, die dieses Gespräch nahm, war mir unheimlich.
Der Ältere hob seine Hand, brachte mich mit dieser einzigen Geste zum Schweigen. "Nein, ich muss das loswerden, sonst dreh' ich irgendwann nochmal durch." In einer desperaten Geste, strich er sich durch die Haare und ließ seine Hand dort verweilen, bis er es nicht mehr aushielt, meinen Arm erfasste und mich an diesem zu sich heranzog. Seine starken Arme schlossen sich um meinen zerschundenen Körper, schützten ihn und ließen meine Atmung zittrig werden. Die Tränen, die sich anbahnten, brannten in meinen Augen.
"Du musst wissen, dass ich es gespürt habe. Immer, wenn wir zusammen waren, egal wo. Ich wollte es nicht-- wollte es bloß nicht ... wahrhaben, dass ich--" An meinem Hals spürte ich, wie er seinen Kopf schüttelte, da er diesen, obwohl Silas größer war, hängen ließ. Seine Hand fand sich in meinen Haaren wieder, in denen er sich hineinkrallte und mein Brustkorb drückte sich an seinen, als er seinen Arm anspannte. Er hatte Angst, das konnte man durch sein Klammern und durch die Worte deutlich spüren. Doch wovor?
Mir wurde die Luft knapp, weshalb ich vergaß, länger darüber zu grübeln. Meine Hand legte sich auf Silas seine Schulter, damit ich ihn von mir schieben konnte. "Silas-- ich-", sagte ich gepresst, um ihn aus seinen dunklen Gedanken zu holen. Zum Glück funktionierte dies und er ließ mich frei, doch seine Hand behielt er noch immer in meinen Haaren.
"Oh-", stieß er leise aus und ich konnte den Anflug eines Schmunzelns sehen, als er sich mit dem Handrücken über seine feuchten Augen strich. "Tut mir leid."
"Schon gut", beruhigte ich ihn und atmete danach tief durch, um meine Atmung zu regulieren. Doch das war völlig umsonst, denn keine Sekunde später, spürte ich Silas' Lippen auf meinen, die mir wieder den Atem raubten. Meine Knie wurden weich, sodass ich mich an dessen T-Shirt festhalten musste; meine Finger krallten sich in den grauen Stoff, doch es war mir keine große Hilfe. Silas spürte meine Ergebenheit, die er ausnutzte, um mich mit seinem Becken gegen die Wand zu pressen. Mir entfuhr dabei ein leises Keuchen, das Silas als Erlaubnis interpretierte, denn er ließ seine Zunge meine Lippen berühren, die sich automatisch einladend einen kleinen Spalt öffneten. Seine Chance ergreifend, erkundete Silas ohne Zögern meinen Mund und behielt dabei die gesamte Zeit über die Oberhand. Doch es gefiel mir, wollte es gar nicht anders, und mein Puls erhöhte sich, während mein Blut gen Süden floß.
Ich wusste nicht, wie lange wir dort standen und uns in den Küssen des anderen verloren. Mein Kopf war wie leer gefegt, das Loch in meiner Brust hingegen war verschwunden. Es wurde mit Gefühlen gefüllt, die mir zuvor nie bekannt waren.
"Ja, das fühlt sich wirklich richtig an", flüsterte er gegen meine Lippen und unterbrach somit einen Kuss von vielen, weshalb sich die Härchen auf meiner Haut aufstellten. "Und jetzt glaub mir endlich, wenn ich dir sage, dass du unglaublich süß bist und verdammt rot wirst, wenn man dir Komplimente macht, weil du damit nicht umgehen kannst."
"Mmh, okay", brachte ich mühsam hervor, noch immer atemlos von seiner besitzergreifenden Art, die bei dem ganzen Körperkontakt und Küssen immer deutlicher wurde.
"Gut." Er klang zufrieden und das war er auch, denn er lächelte breit, als ich meine Augen öffnete und in Silas seine blickte. Seine Hand, die er aus meinem schwarzen Haar löste, legte er stattdessen an meine Wange, die mit Stoppeln übersät war. Ich konnte das an mir überhaupt nicht leiden, da sie an Kleidungsstücken und auch einfach von allein, immer kratzten und störten. Mein verzogenes Gesicht verriet meinem Gegenüber meine Gedanken; dieser grinste mich belustigt an.
"Da muss sich wohl jemand wieder rasieren."
"Oh ja", stimmte ich ihm sofort zu.
"Hmh, kannst du. Aber erst später." Er tippte mir mit seinem Zeigefinger auf die Nasenspitze, wodurch ich anfing zu schmunzeln.
"Ich glaube, unser Kuchen ist fertig, Kleiner", sprach Silas nach einem kurzen Blick auf die analoge Uhr, die an der Wand befestigt war.
"Schon?"
"Tja, mit dir vergeht die Zeit eben wie im Flug", meinte er leise verträumt seufzend.
"Ist das ein Kompliment?"
"Ja, ist es, du Dummi." Mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen, drehte er sich von mir weg und schaltete dann den Ofen aus.
Silas holte das Backblech, auf dem sich der duftende Kuchen befand, mit dicken Handschuhen heraus und stellte dieses schließlich auf einen Untersetzer, den er schon vorhin auf dem Tisch platziert hatte. Dann schnitt er ihn in acht gleichgroße Stücke, nachdem er sich die Handschuhe ausgezogen hatte. "Okay, so langsam muss ich meinen "Freunden" recht geben. Welcher Typ backt schon gerne, der nicht auf Männer steht?"
"Es- naja, es gibt immer Ausnahmen", entgegnete ich ihm mit gedämpfter Stimme.
"Ja, ich weiß. Das war nur ein Scherz."
Er reichte mir meinen Teller mit einem Stück von dem Apfelkuchen, den ich vor mir abstellte.
"Aber noch nicht essen!", warnte er mich dann, als ich meine Gabel gerade in den fluffigen Teig stechen wollte.
"Oh-- warum?"
"Da muss noch Puderzucker drauf", erklärte er und holte derweil eine Verpackung und ein Sieb aus einem Schrank, in das er anschließend den Zucker tat. Er hielt es über mein Kuchenstück und klopfte mit der anderen Hand leicht dagegen, sodass weißer Schnee herunterrieselte.
"Hübsch", fand ich und neigte den Kopf fasziniert zu einer Seite; natürlich wieder zu Silas' Belustigung.
"Mehr als nur süß", murmelte dieser dann leise vor sich hin, da die Aussage bestimmt nicht an mich gerichtet war. "Weißt du, das kann einen echt verrückt machen."
"Was denn?", fragte ich nun völlig aus dem Konzept gebracht.
"Ach nichts. Iss einfach, na los", wimmelte er das Thema ab und drängte mich dann zum Probieren seines Apfelkuchens, durch den sich das Wasser in meinem Mund sammelte.
"Okay", gab ich schließlich nach, da ich wirklich keine Lust zum Nachbohren hatte.
Dann holte Silas den Kaffee, schenkte uns beiden etwas ein und nahm anschließend ebenfalls mit der Kaffeekanne Platz. Der Puderzucker hatte es Silas angetan, da er immer mehr von dem Zeug auf sein Stück tat. Ich beobachtete das Szenario mit hochgezogenen Augenbrauen, ließ es jedoch unkommentiert. Er stand wohl auf süße Sachen.
Als er meinen Blick bemerkte, runzelte er seine Stirn und starrte kurz nachdenklich auf seinen Teller. Unberührt von der Möglichkeit, Diabetes oder Zahnschmerzen zu bekommen - ja, ich übertrieb -, zuckte er mit den Schultern, griff zu seiner Gabel und fing - genauso wie ich - an zu essen.
Meine Gedanken kreisten dabei um dessen vorherigen Worte, während ich stillschweigend und genüsslich seinen köstlichen Kuchen in mich hineinschob. Als ich schließlich mit vollem Mund erstarrte und dabei vermutlich wie ein Eichhörnchen aussah, wurde mir endlich klar, was das alles bedeuten könnte. Liebte er mich etwa genau so sehr, wie ich ihn liebte?
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