34 | Spätes Heimkommen

Mein Arm war schwer wie Blei, als ich zitternd vor Silas' Haustür stand und ihn zum Klingeln heben wollte. Was würde passieren, wenn er völlig ausrastete? So verhielt er sich zwar nicht, aber trotzdem wollte ich es mir keine Sekunde lang vorstellen.

Nach einigen langen Atemzügen, um mich selbst zu beruhigen und meinen Mut zu sammeln, betätigte ich schließlich den kleinen Knopf und hörte kurz darauf ein leises Geräusch, das aus dem Inneren des Hauses kam.

Es öffnete sich schnell und schwungvoll die Tür, da sie förmlich aufgerissen wurde. In ihr stand ein besorgt und zugleich panisch aussehender Silas, doch es brachte mich dennoch dazu, einen kleinen Schritt rückwärts zu gehen.

"Alex!", rief er fast schon erleichtert aus, als er einen Fuß nach dem anderen über die Türschwelle setzte, um den Abstand zwischen uns wieder zu verringern, und ich ließ es tatsächlich zu. Sein Blick analysierte meinen nassen Körper und an seinen zusammengezogenen Augenbrauen und seinem finster werdenden Gesichtsausdruck, konnte ich erkennen, dass es ihn nicht gerade erfreute, mich so zu sehen.

"Wo zur Hölle warst du?! Wir haben uns Sorgen gemacht!" Seine Stimme bebte, doch ich wusste nicht wovor. Etwa vor Wut oder wirklich nur vor ernster Besorgnis?

"E-es tut... mir leid", stammelte ich verunsichert, während ich versuchte, die Fassung zu bewahren und nicht sofort umzudrehen, um so schnell wie es nur ging, wegzurennen. Ich schluckte den Kloß und somit die Angst in meinem Hals herunter, welche mir die Luft zum Atmen nehmen wollte.

"Wen- wen meinst du mit... wir?", wollte ich dann endlich wissen, als Silas keine Anstalten mehr machte, näher auf mich zuzukommen. Vermutlich merkte er, was sein aufgebrachtes Verhalten bei mir auslöste und wollte mich deshalb nicht noch weiter verschrecken.

Mein Gegenüber schüttelte kurz den Kopf, ehe er sich frustriert durch die zerstausten Haare fuhr.
"Deinen Therapeuten und mich. Ich habe ihn angerufen, weil ich dachte, dass er vielleicht eine Ahnung hat, wo du dich hättest befinden können. Doch ich lag falsch; er war sogar genauso fassungslos wie ich."

"Aber-", setzte ich hilflos an, wurde jedoch abrupt unterbrochen.
"Was, aber? Dachtest du ernsthaft, dass wir uns keine Sorgen machen oder nicht nach dir suchen würden, nur weil du geschrieben hast, dass du wiederkommst? So leicht ist das nicht, Alexander. Du hast noch vor Kurzem versucht dich umzubringen und bist immer noch nicht auf dem richtigen Weg."

Der eindringliche Blick seiner eisblauen Augen bohrte sich in meine, doch lange konnte ich dem nicht standhalten, sodass ich meinen Kopf beschämt hängen ließ.
"T-tut mir leid. Wirklich", schniefte ich leise und niedergeschlagen. "Aber- aber ich wollte... wollte doch nur-"
Ich konnte es einfach nicht in Worte fassen und suchte nach etwas, um das Ganze wieder in Ordnung zu bringen. Es gab aber nichts, das ich ihm hätte geben oder bieten können.

"Alex? Hey, sieh mich an. Du musst dich nicht entschuldigen und dich auch nicht schlecht fühlen, ja? Wir hatten wirklich bloß Angst um dich", sagte er eine Spur ruhiger und sanfter, als er mich vorsichtig an meinem Oberarm berührte.

Ich ließ meinen Blick von seiner Hand zu dessen Gesicht wandern und nickte anschließend leicht. Um dessen Augen bildeten sich kleine Falten, als er langsam begann, mich anzulächeln.
"Okay. Und jetzt komm erstmal rein, bevor du noch krank wirst... oder sich dein Zustand noch verschlimmert, wenn du schon erkältet bist."

Stumm ging ich an ihm vorbei und in das Haus hinein, welches mich mit seiner Wärme einzuhüllen schien. Augenblicklich wollte ich diese kalte Kleidung loswerden und schaute kurz zu Silas, der mein Vorhaben bereits ahnte, da er mit einem vielsagenden Blick nickte.
"Du kannst ins Badezimmer und am besten gehst du gleich heiß duschen. Ich lege dir neue Sachen vor die Tür, die du dir dann nehmen kannst."

"Okay", gab ich leise von mir und zog dann erstmal die Schuhe aus, die ich im Flur stehen ließ. Dann machte ich mich sofort auf den Weg ins Bad, wo ich mich bis auf die blanke Haut von der Kleidung befreite.

Das warme Wasser prasselte auf meinen kalten Körper nieder und meine Hände fühlten sich dabei so an, als ob tausende Nadelstiche auf sie eintrafen. Ich hasste dieses Gefühl; es war einfach verdammt widerlich.

Nach der Dusche griff ich zu einem großen Handtuch und trocknete mich schnell ab, bevor mir wieder kalt wurde. Danach schlich ich auf Zehenspitzen zur Tür und öffnete diese leise einen kleinen Spalt. Auf dem Boden lag eine Boxershort, weiße Socken, eine schwarze Jogginghose und ein grauer Pullover.

Nachdem ich alles angezogen und meine Haare noch einmal trocken gerubbelt hatte, verließ ich das Badezimmer und lief zu Silas, der in der Küche mit irgendetwas herumhantierte. Als ich erkannte, was es war, runzelte ich leicht die Stirn.

"Hey", meinte Silas kurz, während er mein gemütliches Outfit flüchtig betrachtete. Er drückte mir eine Wärmflasche in die Hände und führte mich anschließend mit einem Tee in das Wohnzimmer, wo er mich schließlich an meiner Schulter nach unten auf die Couch drückte, weshalb ich mich gezwungenermaßen setzen musste.

Ich legte die Wärmflasche auf meinen Schoß und schaute Silas dann dabei zu, wie er die Tasse auf dem Tisch vor mir abstellte und darauf zu einer Decke griff. Diese legte er anschließend um mich herum.

"Silas? Das- das ist echt nicht nötig", wollte ich protestieren, doch er hielt mich davon ab, indem er mir ins Wort fiel.
"Doch, ist es. Ich fühle mich für dich verantwortlich. Wann verstehst du das denn endlich?"
Er zog eine verzweifelte Miene und nahm mir dann die Wärmflasche weg, welche er auf den Boden legte.
"Stell am besten deine Füße dort drauf."

Ich gehorchte sofort und blickte dann zu Silas auf, der sein Handy aus der Hosentasche zog.
"Ich nehme mir Urlaub, damit ich dir mit allem erstmal besser helfen kann. Das habe ich mir wie gesagt schon länger verdient." Er schmunzelte und rufte dann jemanden an, vermutlich beim Sekretariat des Gefängnisses. Währenddessen versuchte ich meinen Tee abzukühlen, indem ich mehrmals pustete, bis es mir endlich möglich war, ihn zu trinken.

Silas hatte derweil das Wohnzimmer verlassen, damit er das Telefonat in Ruhe führen konnte und dann kam er grinsend mit zwei Plastiktüten Tüten wieder.
"Es dauert noch, bis der Antrag bearbeitet wird, aber morgen ist ja sowieso Wochenende." Mit diesen Worten nahm er neben mir Platz und reichte mir die Tüten. In der einen befanden sich meine Medikamente, in der anderen das neu gekaufte Smartphone. Nachdenklich nahm ich mir letzteres aus der Tüte heraus.

"Ich habe mir gedacht, dass ich es dir jetzt einfach beibringen kann", erklärte er mit einem warmherzigen Lächeln, als er näher an mich heranrückte. Aufgrund dieser plötzlichen Nähe musste ich leise schlucken, versuchte mir meine Nervosität aber nicht anmerken zu lassen.

"Okay", murmelte ich, während ich an dem kleinen Karton herumfummelte und anschließend das silberne Handy herausnahm. Silas drückte nebenbei die Pre-Paid Karte aus der anderen Verpackung und hielt sie mir darauf hin. Er zeigte mir, wo man sie hineinstecken musste und erzählte, dass das Handy ohne eine sogenannte SIM-Karte sinnlos wäre.

Verwirrt, aber auch aufmerksam und neugierig, hörte ich bei seinen weiteren Erklärungen zu, als wir das technische Gerät so weit einstellten, damit ich damit etwas anfangen konnte, und bemühte mich, mir dabei alles zu merken.

Als er mir eine E-Mail erstellt und seine Telefonnummer in das Handy eingespeichert hatte, legte ich es vorerst einmal weg. Mein Kopf rauchte und schien jeden Augenblick zu explodieren.

"Ganz schön viel auf einmal, oder?", grinste Silas schelmisch, als er meinen überforderten Blick bemerkte. Ich nickte still und fuhr mir dann durch die schwarzen und mittlerweile trockenen Haare.
"Nicht schlimm, du wirst dich mit der Zeit schon hineinfinden." Er legte seine Hand auf meine Schulter und drückte sie leicht, weshalb sich meine Härchen am Nacken und meinem Arm aufrichteten.

"Du musst deine Medikamente noch nehmen."
Ich nickte bestätigend und nahm mir die Tabletten aus der Plastiktüte, diesmal von jeder Verpackung eine. Dabei glitt Silas seine Hand von meiner Schulter und ich konnte erleichterter atmen. Er hielt mir meinen mittlerweile kalten Tee hin, den ich vorhin nicht ganz ausgetrunken hatte, und mit dem ich dann meine Tabletten schluckte. Danach stellte ich die leere Tasse wieder vor mich auf dem Tisch ab und spürte Silas' Blick auf mir ruhen.

"Alles gut?", fragte er in einem sanften Ton und ich zuckte leicht mit den Schultern.
"Ich bin müde."
An meiner Stimme merkte er, dass ich es ernst meinte und ihm nicht nur etwas vormachte, weshalb er sich mit einem Nicken erhob und die Wärmflasche und Tasse in die Küche schaffte.
"Dann gehen wir jetzt lieber schlafen, es ist immerhin drei Uhr nachts."
"Okay", murmelte ich, als ich die Decke von meinem Körper zog und aufstand.

Silas gesellte sich zu mir und brachte mich nach oben zu meinem Zimmer, wo ich mich in das Bett legte.
"Schlaf gut", sagte er lächelnd, bevor er hinter sich die Tür schloss und mich zum Schlafen allein ließ, was mir bereits nach wenigen Minuten gelang.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top