27 | Unruhige Nacht
Ich ging zur Kommode, aus der ich mir ein dunkelblaues T-Shirt und eine gemütliche graue Jogginghose heraussuchte. Kaum zu glauben, dass Silas mit sowas herumgerannt ist, da ich ihn ja eigentlich immer nur in dunkler Jeans und weißem Hemd sah.
Mit einem nachdenklichen Blick warf ich die Kleidungsstücke auf das Bett und fing dann erst einmal damit an, mir den Anzug auszuziehen. Als ich letztendlich nur noch in Boxershort und Socken dastand, schnappte ich mir zuerst die Jogginghose und dann das T-Shirt. Die beiden Kleidungsstücke passten perfekt, jedoch war mir die Hose ein wenig zu lang, was aber nicht wirklich überraschend war, wenn man bedachte, dass Silas ein Stückchen größer war als ich.
Anschließend nahm ich mir den Anzug und schaute mich in dem Zimmer noch einmal genauer um. Neben der Tür stand ein Schrank, den ich vorhin gar nicht bemerkt hatte. Mit gehobenen Augenbrauen ging ich zu diesem und hing dort dann Jackett, Hemd und Hose mit einem Bügel hinein. Danach drehte ich mich zum Bett um, auf dem noch immer die Medikamente lagen. Ich nahm die Tüte und lief mit dieser nach unten in die Küche, wo ich mir ein Glas aus dem Schrank suchte, um es dann kurz unter den laufenden Wasserhahn der Spüle zu halten.
Nachdem ich zwei Tabletten, das Antidepressivum und Beruhigungsmittel, eingenommen hatte, erinnerte ich mich daran, wo sich das Badezimmer befand.
In diesem angekommen, suchte ich mir eine Zahnbürste für Besucher und riss die Plastikfolie auf. Beim Zähneputzen schaute ich mich anschließend um. Das Bad war in schlichten Farbtönen gehalten, die Wände waren mit weißen Fließen verziert, der Boden war dunkelgrau und hatte - wie es schien und sich anfühlte - eine Fußbodenheizung. In einer Ecke befand sich eine Dusche mit völlig durchsichtigen Glasscheiben als Wände, in der anderen eine riesige Badewanne und auf dem Rand dieser verschiedene Duschgels. Ein Fenster gab den Blick auf den klaren Nachthimmel frei.
Als ich mich nach meiner abendlichen Routine in dem Gästezimmer ins Bett gelegt hatte, drehte ich mich auf die Seite und zog die Beine schützend an meinen Körper heran. Zusammengekauert wartete ich darauf, endlich einzuschlafen.
Irgendwann hörte ich auf zu denken und spürte, wie die Dunkelheit über mir einbrach.
Ich war mir nicht sicher, wie lange es dauerte oder wie spät es war, als ich mich panisch aufsetzte und meinen verschwommenen Blick hektisch durch das Zimmer wandern ließ. Aufgrund meiner feuchten Augen erkannte ich aber so gut wie nichts. Das war auch nicht notwendig, denn ich musste nur begreifen, dass ich mich in Sicherheit befand.
Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Haar, bemerkte dabei dass der Ansatz feucht war, und tastete schließlich mein Gesicht ab, um es auf Verletzungen zu untersuchen. Doch da war nichts, außer der Schweiß, der mir die Stirn hinunterlief. Mit der Rückseite meines Armes strich ich ihn mir weg und bemerkte erst jetzt, dass ich extrem zitterte. Tief Luft holend, um mich zu beruhigen, schlug ich die Decke zur Seite und stand langsam auf.
Verzweifelt darüber, dass ich trotz der Medikamente nicht schlafen konnte oder wollte, verließ ich das Zimmer und schleichte nach unten weiter in das Wohnzimmer. Währenddessen verfluchte ich die Tabletten, da sie immer eine gewisse Weile brauchten, um zu wirken. In meinem Fall könnte es wieder Tage oder auch bis zu einer Woche dauern, wenn ich regelmäßig an sie dachte und sie auch einnahm.
Als ich bei dieser Dunkelheit gegen etwas stieß, fuhr ich zusammen und hüpfte kurze Zeit später auf einem Bein herum.
"Au", jammerte ich leise, da ich Silas nicht wecken wollte.
Warum musste denn aber auch immer mir so etwas geschehen?
Ich schaute auf den Gegenstand, mit dem ich gerade Bekanntschaft gemacht hatte und natürlich war es ein kleiner Schrank auf dem ein Fernseher stand. Dieser sah aber anders aus als vor elf Jahren, weshalb ich mich an die Seite stellte und meinen Kopf interessiert zur Seite neigte, während ich den dünnen Bildschirm zwischen Daumen- und Zeigefinger nahm. Mit einem Kopfschütteln wandte ich mich danach wieder von dem dünnen Teil ab und wanderte weiter in die Küche, wo ich den Kühlschrank öffnete und eine Packung Milch herausnahm. Dabei stellte ich beim Schütteln fest, dass sie vollkommen leer war, was mich zum schmunzeln brachte. Hob Silas ernsthaft leere Verpackungen auf oder hatte er sie bloß in seinem hektischen Wahn vergessen?
Mit einem ahnungslosen Anheben meiner Schultern, suchte ich nach einem Mülleimer und entsorgte sie dann.
Anschließend kehrte ich in das Wohnzimmer zurück und setzte mich dort im Schneidersitz auf die lange Couch. Eine kuschelige Decke lag auf einer Armlehne, die ich mir augenblicklich griff, um mich darin einzuhüllen. Nachdem dies getan war, grinste ich kurz wie ein Idiot und nahm mir einschließend die Fernbedienung, die vor mir auf einem tiefgelegten Tisch, mit einer Schale voller verschiedener Nüsse, lag. Nach mehreren Versuchen den richtigen Knopf zum Anschalten zu finden, schluckte ich leise als ich den lauten Ton des Fernsehers hörte und machte ihn sofort leiser.
Dann lehnte ich mich mit hochgezogenen Brauen zur Seite, um um die Ecke in den Flur zu schauen. Hätte ja sein können, dass Silas die Treppe herunterspaziert kommt.
Ich lehnte mich zurück und zapfte durch die ganzen Kanäle, während ich merkte, dass meine Augenlider immer schwerer wurden. Vermutlich hatte ich zusätzlich auch noch Augenringe, da ich die letzten Tage keinen zufrieden stellenden Schlaf erfahren durfte.
"Aha, aha", hörte ich plötzlich eine verschlafene Stimme sagen, weshalb ich zusammenzuckte. Silas stand nur in einer Jogginghose gekleidet im Wohnzimmer, welche ihm locker und tief auf der Hüfte saß, sodass man den Ansatz seines Unterleibs erblicken konnte. Ich vergaß für einen kurzen Moment sogar zu atmen, als mein Blick über seine steinharten und wohlgeformten Brust- und Bauchmuskeln glitt.
Aber was war das? Ein Tattoo? Es sah so aus, als ob es von seinem Unterleib weiter nach unten in seine Hose verschwand. Mein Mund wurde staubtrocken und ich musste schwer schlucken. Nicht in Millionen Jahren hätte ich ihn für so eine Person gehalten, die auf Tattoos stand. Leider konnte ich bei dem schwachen Licht des Fernsehers nicht alles haargenau erkennen.
Silas schien mein bewunderndes Starren und Gesabber nicht zu bemerken, als er kurz gähnte und dabei die Augen schloss. Dann fuhr er sich durch das dunkelbraune, zerzauste Haar.
"Kannst du nicht schlafen?"
Ich räusperte mich und schaute vor mich auf den Boden.
"Doch... aber ich- ich will nicht", meinte ich kopfschüttelnd, und ich war mir sicher, dass man meine Nervosität heraushören konnte.
"Du willst nicht?", entgegnete er verwirrt, nachdem er zu mir herangetreten war und neben mir Platz nahm. Dabei schien ihm mein Blick auf dessen Tattoo aufzufallen, welches ich nun besser erkennen konnte. Waren das verdammte Hörner?
"Waren ziemliche Schmerzen", gab er leise lachend von sich, worauf ich leicht nickte. Ich versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren und fand, dass ich das bis jetzt ganz gut hinbekam.
Trotz alledem wunderte ich mich, was er sich genau stechen lassen hatte, doch darüber konnte man später bestimmt immer noch reden.
"Also sag schon, warum schläfst du nicht?"
Ich schwieg für eine ganze Weile und zuckte dann schließlich ganz leicht die Schultern.
"Ich... ich hab Angst", gab ich leise zu.
Silas runzelte neben mir die Stirn und rückte ein wenig näher, während er mit rauer und sanfter Stimme zugleich murmelte: "Angst? Hast du... Alpträume?"
Mir lief ein Schauer über den Rücken und eine Gänsehaut machte sich auf meinem Körper breit. Jedoch antwortete ich nicht, da es eigentlich offensichtlich war, dass ich Alpträume hatte und nicht weiter darauf eingehen würde.
"Ich könnte, also nur wenn du es willst, im Raum sein und wachen", schlug er lächelnd vor. Er war kein bisschen sauer, dass ich ihn geweckt hatte.
"Nein... geht schon." Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und fuhr mir mit der anderen peinlich berührt über den Nacken.
"Hey, ich hab kein Problem damit, wirklich nicht. Ich möchte es dir nur gemütlich machen und helfen", versicherte er mir noch einmal ausdrücklich. Er war so stur und hartnäckig.
"Ich weiß, aber..."
"Schlaf ist wichtig", erwiderte er sofort tadelnd.
"Ja, ich weiß", sagte ich nochmal und kam mir wie ein kleines Kind vor.
"Du kannst auch hier auf der Couch schlafen und ich geh in den Sessel."
"Von mir aus", gab ich schließlich seufzend nach.
"Gut, dann leg dich mal hin."
Silas stand auf und ging zum Sessel, in den er sich fallen ließ. Dann holte er von der Rückenlehne eine zweite Decke hervor und legte diese über seine Beine.
Ich ergriff derweil die Fernbedienung, machte den extrem dünnen Fernseher aus und legte mich dann auf die Seite.
"Und wenn was ist: Ich bin hier", kam es noch von Silas, als dieser entspannt ausatmete und seine Augen schloss.
Ich nickte, auch wenn er das wahrscheinlich nicht gesehen hatte, und drehte mich dann auf die andere Seite, für den Fall, dass Silas auf die Idee kam, mich heimlich anzustarren. Denn dann hätte ich erst recht nicht schlafen können.
Der Mann in dem Sessel gähnte erneut, was mich leicht lächeln ließ. Ein Wunder, dass ich überhaupt sowas wie lächeln konnte, wenn man an die Geschehnisse der letzten Tage dachte. Mir graute es bei dem bloßen Gedanken daran, weshalb ich versuchte an etwas schönes und anderes zu denken. Aber woran könnte ich schon denken?
Ich seufzte leise, wollte mich nicht selbst bemitleiden, weil es in meinen Augen schlichtweg einfach falsch war. Stattdessen lauschte ich viel lieber Silas ruhigem und stetem Atem, woraufhin ich auch wieder müde und abgelenkt wurde. Es gelang mir aufgrund dessen schneller als an einigen anderen Tagen einzuschlafen, wofür ich sehr dankbar war.
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