26 | Silas' Zuhause

Wir brauchten länger als gedacht, da wir durch den Verkehr und unzählige Ampeln immer wieder aufgehalten wurden. Es nervte vor allem Silas, obwohl er es fast jeden Tag damit zu tun hatte. Ich fand es jedoch amüsant, wie man sich über so etwas aufregen konnte.
Mit einem Kopfschütteln und einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, wandte ich mich ab und beobachtete den Sonnenuntergang, der die Stadt in rot-goldene Farbtöne tränkte. Es war einfach wunderschön.

"So, da wären wir in der Junggesellenbude", meinte Silas plötzlich trocken. Ich hatte nicht mal bemerkt, dass wir bereits angekommen waren.

"Junggesellen?", wiederholte ich nur und warf einen Blick aus dem Fenster und erkannte ein kleines Haus mit Garten, neben dem sich zusätzlich noch eine Garage befand, welche geschlossen war.

"Ich wohne alleine hier." Er schnallte sich ab, ehe er dann ausstieg.
"Kommst du?"

"Eh... ja davon bin ich ausgegangen. Ich habe mich nur über das "jung" gewundert", meinte ich mit einem unschuldigen Blick und Schulterzucken, während ich auch aus dem Wagen hüpfte.

"Hey!", rief er gespielt empört.
"Pass bloß auf, sonst nehme ich dir noch später die Faltencreme weg", grinste er und ging anschließend zur Haustür, vor der ein kleiner Abtreter lag.
Ich verengte die Augen und starrte dessen breiten Rücken an.
"Ha-ha. Wer ist hier denn bitte der Ältere?", schoss ich trotzig zurück.
"Glaub mir, bei mir ist alles straff. Sogar der Po."
Als er das mit dieser Leichtigkeit sagte, verschluckte ich mich fast und lief rot an, weswegen ich mich dazu entschied, zu diesem Thema zu schweigen, bevor er noch irgendetwas heraushaute.

Ich folgte ihm, als er aufschloss und anschließend in sein Haus hereinging.
"Willkommen in meinem Reich", präsentierte er den ordentlichen Flur und das Wohnzimmer, von dem man in die Küche schauen könnte.

"Schick... Ziemlich sauber für einen Typen", kommentierte ich das Ganze, während ich mich gründlich umsah.
Silas grinste breit.
"Nicht gedacht, hm? Aber naja, viel halte ich mich hier ja eh nicht auf."
"Wo denn sonst?", fragte ich verwirrt, worauf ich ein Schulterzucken quittierte.
"Entweder bei der Arbeit, in einem Fastfoodladen oder im Park. Hauptsächlich aber ersteres", erzählte er mir mit einem Schmunzeln.

Fast Food? Wen wollte er eigentlich verarschen? Ich schüttelte den Kopf und zwang mich dazu, den Blick von seinem muskulösen Körper abzuwenden, der unter diesem Anzug leider völlig versteckt war.

"Hm... also, rechts von uns ist das Wohnzimmer, aber das hast du bestimmt schon bemerkt. Am Ende des Flurs befindet sich links das Bad und rechts mein Arbeitszimmer. Die Treppe hinauf ist mein Schlafzimmer und gleich nebenan das Gästezimmer. Fühl dich hier wie Zuhause." Er lächelte mich an.

Ich nickte leicht, während er redete und versuchte mir dabei alles einzuprägen.
"Danke." Dann lief ich den Flur entlang und bog links ab Richtung Küche, in der ich mein restliches Essen auf den rechteckigen Tisch abstellte, der für nur eine Person ziemlich groß war. Ich ließ meinen Blick durch die Küche schweifen, wobei mir auffiel, dass in der Spüle noch dreckiges Geschirr lag. Vielleicht war er ja doch nicht so sauber. Ich musste schmunzeln und drehte mich anschließend zu Silas um, der mir gefolgt war und sich ein Glas aus einem Schrank nahm.
"Willst du auch etwas trinken?"

"Ehm nein, danke", lehnte ich höflich ab und musste daran denken, dass ich ja gerade erst eine Cola hatte.
"Okay." Silas trank einen Schluck von seinem Wasser und stellte das Glas dann auf der Arbeitsfläche ab.
"Soooo, und jetzt?"
"Schlafen wir?", fragte ich und klang dabei völlig unschuldig, doch dann merkte ich, wie man das auch hätte deuten können und fügte deshalb noch schnell etwas hinzu, als Silas zu einem Satz ansetzen wollte.
"Also alleine... getrennt." Ich schluckte, während sich eine heiße Röte auf meinen Wangen breitmachte. Jedoch versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen, als mein Gegenüber mich belustigt anschmunzelte, was mich auf eine Weise verdammt erleichterte und auf die andere aber auch wieder schämen ließ.

"Ja, tun wir. Komm mit", forderte er mich auf und ging dann aus der Küche und zur Treppe, die sich vor dem Wohnzimmer befand. Wir gingen hoch und blieben dann vor einer Tür stehen, die aus hellem Holz hergestellt wurde. Alles in und an diesem Haus war in einem angenehmen Wechsel aus dunklem und hellem Material angefertigt worden. Gerade standen wir auf einem Boden, der mit dunklem Laminat ausgelegt wurde.

Silas deutete schließlich auf die Tür vor uns.
"Hier ist dein Zimmer. Und wie schon gesagt... Mein Zimmer ist direkt nebenan, falls etwas sein sollte."

Ich schaute zwischen den Türen hin und her und nickte leicht.
"Okay."

"Ach! Warte, ich hab noch ein paar Dinge für dich. Geh dich ruhig schon mal umsehen", sagte er schnell und huschte dann auch schon zur Treppe und diese hinunter.

Ich wollte noch etwas darauf erwidern, war dann aber doch zu langsam. Seufzend wandte ich mich der Tür zu, öffnete sie und trat dann ein.

Auf der linken Seite des Zimmers stand ein großes Bett, das jeweils links und rechts von einem kleinen Nachttisch flankiert wurde; auf dem einen stand eine kleine Leselampe. Zu meiner Rechten befand sich eine hüfthohe Kommode mit mehreren Schubfächern, von denen ich ausging, dass diese leer waren. Doch das, was die meiste Aufmerksamkeit von mir erhielt, stand an der gegenüberliegenden Wand. Ein riesiges Regal voller Bücher!
Ich setzte einen Fuß vor den anderen, bis ich vor den gesammelten Werken zum Stehen kam. Meine Finger glitten über die Titel und Autoren der Bücher, während ich meinen Kopf schief legte, um sie zu erkennen. Les Misérables. Stephen King. Tolkien. Jules Verne. Und dabei bemerkte ich nicht mal, dass ich wie ein Idiot vor mich hinlächelte.
Ich seufzte leise und wandte mich mit dem Gedanken, dass ich noch genügend Zeit hätte, mir diese Werke vorzuknöpfen, wieder ab. Dann lief ich zum Bett und setzte mich. Es war weich und angenehm, überhaupt kein Vergleich zum Gefängnis.

Silas kam die Treppe hoch und anschließend in das Zimmer hineingelaufen, während er sich den Hinterkopf rieb und dabei das Gesicht verzog.
"Um Himmels Willen", brummte er und räusperte sich dann, als er mich wie ein Häufchen Elend, auf der Bettkante sitzen saß.
Ich betrachtete ihn kurz mit zusammengezogenen Augenbrauen.
"Was ist los?"
"Nur gestoßen", meinte er lässig, obwohl ich wusste, dass es ihm peinlich war. Und bevor ich etwas dazu sagen konnte, hielt er mir eine kleine weiße Plastiktüte hin.
"Ehm, hier."

Ich nahm sie ihm ab und schaute hinein. Es befanden sich mehrere Verpackungen in ihr, weshalb ich mir eine herausnahm, um sie genauer zu betrachten. Dabei musste ich leider feststellen, dass es sich nur um meine Medikamente handelte. Ich ließ meine Schultern frustriert hängen, da ich keine Lust darauf hatte.

"Dein Therapeut hat sie mir den einen Tag vor der Gerichtsverhandlung gegeben. Er sagte mir halt, dass du sie nehmen sollst und auch weißt, wann und wie viel."
Er zuckte mit den Schultern und atmete leise aus.
"Ich weiß nicht hundertprozentig wofür es ist, wegen der Schweigepflicht und allem Drum und Dran, aber soweit ich es weiß, sind sie... wichtig. Ich bitte dich einfach darum, sie zu nehmen, okay?"

Ich ließ mein Antidepressivum wieder zu den anderen Medikamenten in die Tüte fallen, von denen ich ausging, dass es sich bei ihnen um das Beruhigsmittel und die Angstlöser handelte, und legte diese dann neben mich auf dem Bett ab.
"Hmh."

Silas beobachtete mich und schien kurz nachzudenken.
"Und dieses Beno... Be-"
"Benzodiazepine", half ich ihm auf die Sprünge, da ich sofort wusste, was er meinte.
"Ja, genau. Das sollst du nur für eine kurze Zeit nehmen, weil-"
"Weil sich eine psychische und körperliche Abhängigkeit entwickeln kann, ich weiß", unterbrach ich ihn leise und seufzte dann.
Silas runzelte erst die Stirn, nickte schließlich aber.
"Ja, aber ich denke, das werdet ihr bei euren Terminen dann schon selbst klären", meinte er nun etwas beleidigt und ich verstand überhaupt nicht, warum er es war, weshalb ich nur nickte.

"Okay... Das war es eigentlich." Er hob kurz seine breiten Schultern an und schaute auf mich hinab.
"Oder hast du noch Fragen?"
Ich verneinte dies, indem ich mit dem Kopf schüttelte.
"Nein."

"Okay, und... ich hab in der Kommode ein paar Sachen von mir drinnen, die du haben kannst. Sie passen mir nicht mehr und ich wusste nie so recht wohin damit. Glückwunsch, gehören dir, wenn sie dir passen", schmunzelte er leicht versöhnlich.

Ich schaute zu der Kommode, von der ich gerade eben noch gedacht hatte, dass sie wirklich leer ist, was anscheinend aber doch nicht der Fall war.
"Oh, danke!", stieß ich leise aus und musste im nächsten Moment anfangen zu lächeln, als ich daran dachte, Silas seine Sachen zu tragen.
"Zu fett geworden, was?"

"Ha-ha." Er musste grinsen und nickte dann leicht wegen meines Dankeschöns.
"Keine Ursache."
"Warte, hab ich recht gehabt?" Ich schlug mir die Hände an die Wangen und öffnete schockiert meinen Mund, was Silas überraschenderweise zum Lachen brachte.
"Hey, das hat alles seinen Grund."
Er legte eine Hand auf seinen Bauch.
"Ich weiß...", nuschelte ich und sah Lippen leckend zu, wie seine Hand über dessen Oberkörper strich, als er sie wieder sinken ließ.

"Hmh. Tob dich aus, und hey, auf dem Bett wird nicht gesprungen", sagte er auf eine übertriebene, fast schon lustige Weise, streng und hob dabei seine Hand und gleichzeitig den Zeigefinger.
Nun war ich wieder ganz da und verengte die Augen drohend zu Schlitzen.
"Witzig... ich bin kein kleines Kind mehr."
Und trotzdem fühlte es sich komisch an, weil sowas eigentlich nur ein... Vater sagen würde. Ich runzelte die Stirn, verwundert darüber, was für eine Wendung meine Gedanken nahmen.

"Ich weiß. Schlaf gut", zwinkerte er und ich biss mir leicht auf meine Unterlippe.
"Ja... du auch."
"Danke. Bis morgen dann." Er lächelte und schloss hinter sich die Tür, als er aus dem Zimmer gegangen war.

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