22 | Schlechtes Gewissen
Schlechte Träume plagten mich, sodass ich meinen Kopf von der einen auf die andere Seite bewegte. Und im nächsten Moment öffnete ich meine Augen, schloss sie jedoch sofort wieder, da das grelle Licht in diesen wie kleine Messerstiche schmerzte. Wo zur Hölle war ich?
Ich musste es einfach wissen und wagte wieder einen Blick auf das, was sich vor mir befand. Es war mein eigener Körper, auf einem Bett und in einem weiß gestrichenen Raum. Meinen Kopf langsam, aber fassungslos schüttelnd, begriff ich, was geschehen sein musste. Ich war immer noch hier. Nicht mal richtig Sterben konnte ich! Aber... wie?
Als ich meinen Arm heben wollte, um mit einer Hand meinen Hals zu berühren, wurde ich von einer Nadel mit Schlauch daran gehindert und dann hörte ich es, ein Klopfen, das mir bereits verriet, wer sich hinter der Tür befand. Ich schluckte trocken, griff mit einer freien und verbundenen Hand zur Decke und zog diese schützend zu mir hoch.
Schließlich stand Silas auch schon im Zimmer und musterte mich mit feuchten Augen. Mir rutschte bei seinem Anblick das Herz in die Hose und auf einmal hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich habe ihm wehgetan.
"Warum...?", war das einzige, was er herausbrachte. Er blieb auf Abstand und beobachtet mich, als wenn er jemand fremdes ansehen würde.
Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass meine Augen ebenfalls tränig geworden waren und schaute daraufhin schnell weg, während ich mich in das Bett hineindrückte.
"Was...?", antwortete ich, hatte jedoch kaum Stimme.
"Hör auf, so zu tun, als sei nichts passiert." Nun trat er heran und schlug mit seiner Faust kurz und frustriert auf das Bettende.
"Mach das noch einmal und ich schwöre dir, ich-", drohte er und unterbrach sich selbst, als er merkte, dass ich zusammengefahren war und wie Espenlaub zitterte. Ich schob mich auf dem Bett ein Stück weiter nach oben, weg von ihm, und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Ich verstand die Mischung von Wut und Trauer nicht und wusste nicht, ob ich vor ihm Angst haben sollte oder nicht. Also schwieg ich, da ich ihn nicht noch weiter verärgern wollte.
Silas versuchte sich währenddessen zu beruhigen und schniefte sogar einmal.
"Du bist mir wichtig geworden in all den Jahren, okay? Du... bist der einzige mit dem ich normal reden kann und mit dem ich so gut gelaunt war." Er schaute mich an, so, als wenn er dadurch all die Antworten bekommen konnte, die er hören musste.
"Ich- war es wegen mir? Wegen deiner Gefühle gegenüber mir?"
Scheiße.
"Nein...", meinte ich leise und schaute auf die Bettdecke.
"Warum dann? Es war doch alles okay, Alex. Ich meine, in wenigen Wochen wärst du eh entlassen worden."
"Und?" Ich zuckte mit den Schultern, da ich nicht wusste, was ich mit mir anfangen sollte und war erstaunt, diesmal mit dem Lügen davongekommen zu sein.
Mein Gegenüber seufzte und wandte den Blick ab.
"Soll ich... wieder gehen?"
Ich schien darüber nachzudenken, nickte dann sogar schließlich.
"Muss ich dich leider enttäuschen... Ich bleibe."
"Aber... warum?" Ich verzog etwas gequält mein Gesicht.
"Ich-" Niemals würde ich es schaffen von ihm loszukommen. Verzweifelt darüber schüttelte ich den Kopf.
"Du bist mir wichtig, verstanden?"
"Na und?" Damit konnte ich einfach nichts anfangen.
"Ich brauche keinen Babysitter. Mir... mir geht's gut." Natürlich wusste ich, wie paradox das klingen musste, weil ich mich versucht hatte umzubringen.
"Hey, ich weiß es ist nicht sonderlich bedeutenswert für dich, aber ich mag dich echt, okay? Natürlich, es ist halt... nicht das, was du empfindest, aber ich war bisher immer nur mit Frauen zusammen oder hatte halt etwas mit ihnen."
Davon wollte ich nichts wissen, weil ich es sowieso schon vermutet hatte. Es aber ins Gesicht gesagt zu bekommen, machte die Sache nur noch schrecklicher und unerträglicher für mich. Mit glasigen Augen schaute ich zur Seite und tat dann einfach so, als ob es mir am Arsch vorbeigehen würde, auf wen Silas stand.
"Kannst du doch ... Mir egal." Ich schluckte leise, als mir klar wurde, wie unglaubwürdig ich mich anhörte. Doch ich versuchte irgendwie zu akzeptieren, dass er nicht schwul war.
Dann setzte ich mich leicht auf, wobei die Decke von mir rutschte. Mich nach einem Glas Wasser umsehend, lehnte ich mich zum Nachttisch herüber und ergriff es, als ich es endlich entdeckte. Anschließend führte ich es zu meinem Mund und trank einen Schluck.
"Hey, wenn du draußen bist, können wir uns ruhig öfters mal auf einen Kaffee treffen oder auf eine Pizza, was auch immer. Oder einfach nur spazieren. Ich weiß nicht..." Er atmete laut aus.
Ich wusste nicht, wie das funktionieren sollte, ohne dass ich jedes Mal in eine depressive Stimmung verfiel. Ich schüttelte leicht den Kopf.
"Warum?"
"Ich weiß es nicht", murmelte er. Wahrscheinlich wollte er mir wirklich bloß ein guter Freund sein.
"Ich ... ich kann nicht. Ich brauche einfach eine Pause ... und Abstand."
Silas nickte leicht, ihm stand die Traurigkeit ins Gesicht geschrieben.
"Okay dann... sollte ich mal langsam gehen."
Leise räuspernd entfernte er sich von meinem Bett und ging schließlich zur Tür.
"Pass auf dich auf."
"Warum... warum magst du mich eigentlich? Ich hab jemanden umgebracht!"
Ich schaute ihn aufgebracht an. Meine Fassungslosigkeit war nicht zu überhören.
"Und dir eine reingehauen...", fügte ich noch hinzu.
Der Angesprochene drehte sich zu mir um, als er bereits die Türklinke in der Hand hielt und zuckte dann mit den Schultern.
"Ich hab auch einige Dinge getan und bin nicht stolz darauf, aber... Du bist mir einfach sympathisch. Und als Hetero, oder was auch immer ich bin, finde ich dich auch ganz gutaussehend", ratterte er etwas verlegen herunter.
"Du hattest deine Gründe dafür."
Komischerweise interessierte es mich brennend, was das für Dinge waren, auf die Silas nicht stolz war, doch das würde ich wahrscheinlich nie erfahren. Auch seine andere Aussage, was er sei, verwirrte mich.
Außerdem konnte ich spüren, dass meine Wangen rot sein mussten.
"Ich kann es nicht fassen, dass du das einfach so leicht hinnimmst."
"Ja, naja. Ich bin halt Optimist. Weißt du ja...", meinte er und runzelte dabei nachdenklich die Stirn.
"Wenn ich jetzt scheiße bauen würde, würdest du mich doch nicht auch hassen, oder?"
"N-nein", antwortete ich zögernd. Ich könnte ihn niemals hassen.
"Siehst du." Er sah von mir zu der Tür und straffte resigniert die Schultern.
"Ich... gehe dann."
"Okay", sagte ich leise und nach einigen Sekunden, die sich aber wie eine halbe Ewigkeit anfühlten.
Dann verließ er das Zimmer und ließ mich alleine. Jedoch dauerte es keine fünf Minuten, bis mein Therapeut hereinkam.
"Alexander?"
Ich drehte mich zu ihm und betrachtete ihn kurz. Wie immer trug er einen Anzug mit Krawatte.
"Was?"
"Du hattest Glück. Massives Glück. Das Laken hatte sich gelöst, da es nicht fest genug war. Doch es reichte, dass du dein Bewusstsein verloren und jetzt verdammte Hämatome hast!"
Ich schluckte nervös, noch nie hatte ich ihn so besorgt gesehen.
"Du wurdest am Morgen von einem Wärter gefunden."
Dr. Myers zog sich einen Stuhl heran, ein Zeichen dafür, dass das hier länger dauern könnte. Er nahm Platz und bedachte mich mit einem strengen Blick.
"Wir werden die Therapie wieder aufnehmen müssen, Alexander. So geht das nicht weiter."
Schuldbewusst blickte ich woanders hin.
"Ich- ich weiß. Es... es tut mir leid-"
"Alexander. Hör auf, du musst dich nicht entschuldigen."
Ich nickte leicht, glaubte ihm aber nicht ganz.
"Da gibt es noch etwas, was du wissen musst", meinte er und nahm eine andere Sitzposition ein.
"Ich habe einen Antrag einreichen lassen auf eine vorzeitige Entlassung und psychologische Betreuung im Alltag. Es wird eine Gerichtsverhandlung stattfinden."
Ich setzte mich sofort auf und schaute ihn entsetzt an.
"W-was? Wann?"
"In wenigen Tagen, aber keine Sorge. Ich bin mir sicher, dass wir es schaffen können." Der Grauhaarige lächelte mich zuversichtlich an.
"Du bekommst sogar einen Anzug von mir", zwinkerte er.
"Ich- eh, ja wirklich?", sprachlos suchte ich nach irgendwelchen Worten und konnte mich am Ende bloß bedanken.
"Nichts zu danken", meinte er und stand wieder auf. Dann legte er mir eine Hand auf die Schulter und schaute mich mit seinen grünen Augen eindringlich an. Doch seine Lippen umspielte ein schwaches Lächeln.
"Und keine Dummheiten anstellen, ja?"
Er deutete dabei auf meine Hände, ein Zeichen dafür, dass er wusste, weshalb sie verbunden waren. Das Blut an den Wänden meiner Zelle musste wohl allen Sicherheit diesbezüglich verschafft haben.
Ich nickte aber nur, wollte nicht diskutieren und verabschiedete mich anschließend, als Dr. Myers es ebenfalls tat.
Danach drehte ich mich müde auf die linke Seite, mit dem Rücken zur Tür, und schloss anschließend müde die Augen.
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