𝟔. 𝐕𝐞𝐫𝐫ä𝐭𝐞𝐫
✧ 𝐋𝐈𝐋𝐘 𝐏𝐎𝐓𝐓𝐄𝐑 ✧
"𝐓𝐡𝐞 𝐬𝐚𝐝𝐝𝐞𝐬𝐭 𝐭𝐡𝐢𝐧𝐠 𝐚𝐛𝐨𝐮𝐭 𝐛𝐞𝐭𝐫𝐚𝐲𝐚𝐥 𝐢𝐬 𝐭𝐡𝐚𝐭 𝐢𝐭 𝐧𝐞𝐯𝐞𝐫 𝐜𝐨𝐦𝐞𝐬 𝐟𝐫𝐨𝐦 𝐲𝐨𝐮𝐫 𝐞𝐧𝐞𝐦𝐢𝐞𝐬."
Leider vergingen die Sommerferien viel zu schnell, als es Lily lieb gewesen wäre. Der Unterricht mit Herr Professor Kattner machte ihr Spaß, genauso wie die Deutschstunden mit einer Lehrerin namens Frau Professor Lindner. Auch sie war sehr freundlich und gestaltete den Unterricht so, dass das Deutschlernen Spaß machte.
Lilys Freunde hatten bald auf ihren Brief geantwortet. Alle waren sehr traurig und würden sie vermissen, verstanden ihre Entscheidung trotzdem. Andererseits freuten sie sich sehr, dass auch Draco das folgende Schuljahr in Österreich verbringen würde.
Die meiste Zeit verbrachten Lily und Draco gemeinsam, indem sie in ihrem kleinen Waldsee schwammen, Spaziergänge in dem Wald unternahmen oder in dem riesigen See in der Nähe der Schule schwammen. Hin und wieder übten sie das Besenfliegen, wobei Lily einen Besen ausborgte. Sie hofften nämlich, ins Team von Animagus aufgenommen zu werden um ihnen beim diesjährigen Sieg zu helfen.
Jeden Tag verbesserte sich Lilys mentaler Zustand. Anfangs brach sie beinahe täglich weinend zusammen und musste von Draco getröstet werden, aber nach der Zeit lernte Lily mit der Tatsache, dass sie eine andere Person war, umzugehen. Zwar wünschte sich die Potter immer noch ihr altes Leben zurück, aber wenigstens vermisste sie es nicht so wie am Anfang.
Eines Morgens betrat Lily den Festsaal um zu frühstücken und merkte eine angespannte Stimmung, die von den wenigen Personen im Raum ausging. Was war wohl passiert? Wieso sahen selbst die Lehrer besorgt aus? Verwirrt schritt Lily auf ihren und Dracos üblichen Tisch zu, wo Letzterer bereits einen Zeitungsartikel las.
„Was ist passiert?", wollte sie wissen. Sie erkannte einen verrückt aussehenden Mann auf dem Bild, der ihr irgendwie bekannt vorkam. Der Titel lautete „Schwarzer Name, schwarze Seele" und der Artikel stammte aus dem Tagespropheten, den sich Draco immer nach Österreich liefern ließ. Wie schlimm mochte die Nachricht sein, dass auch die Österreicher so angespannt waren, obwohl die Nachrichten offensichtlich aus Großbritannien stammten?
„Ein Massenmörder ist aus Askaban ausgebrochen. Sirius Black", antwortete Draco. Bei Merlins verfluchten Unterhosen, so schlimme Nachrichten hatte Lily nicht erwartet. Eher hätte sie damit gerechnet, dass Gilderoy Lockhart geheiratet hatte und alle Frauen der Zaubererwelt deshalb entsetzt waren – trotz seines Gedächtnisverlustes.
Aber den Ausbruch von Sirius Black, einem von Voldemorts treusten Todessern? Das hätte sie sich bei bestem Willen nicht zusammenreimen können. Wie auch? Bis jetzt hatte es niemand geschafft, an den vielen Dementoren vorbeizukommen. Sirius Black musste unglaublich gefährlich sein, wenn ihm dies gelungen war. Kein Wunder, dass nun die gesamte Zaubererwelt Angst hatte.
Seitdem Lily klein war hatte Severus ihr von diesem gefährlichen Zauberer erzählt. Anfangs war es nur „Er ist gefährlich", „Er hat schreckliche Dinge gemacht" und Ähnliches gewesen, aber vor etwa zwei Jahren hatte Lily Severus gefragt, was genau Sirius Black für schreckliche Dinge gemacht hatte. Sie erinnerte sich noch ganz genau an dieses Gespräch.
„Dad, ich habe Sirius Black heute wieder in der Zeitung gesehen", sagte die jüngere Lily, „Er hat anscheinend in Askaban sehr schlimme Albträume gehabt. Er hat nämlich im Schlaf sehr laut geschrien. Der arme." Damals war sie so naiv gewesen. Sie hatte von den Albträumen eines verrückten Mannes erfahren und er hatte ihr sofort leidgetan. Zum Glück hatte die Hexe diese Naivität mit dem Erfahren ihrer wirklichen Vergangenheit verloren.
„Er hat bestimmt geträumt, was er für schreckliche Dinge gemacht hat", antwortete Severus.
„Aber diese Dinge müssen dann sehr schlimm gewesen sein. Bestimmt tut es ihm jetzt leid", dachte Lily.
„Nein, Lily, ihm tut bestimmt nicht leid, was er getan hat. Er ist ein schrecklicher Mann, ich möchte nicht, dass du Mitleid mit ihm hast", meinte Severus mit einem besorgten Blick.
„Was hat er denn alles getan?", wollte seine Adoptivtochter wissen.
„Ich weiß nicht, ob du alt genug bist, um das zu verstehen. Es ist sehr kompliziert", warnte der Zaubertrankmeister sie.
„Ich werde es schon verstehen. Bitte, Dad, erzähle es mir", Lily wandte ihren Hundeblick an, der in dem Bruchteil einer Sekunde wirkte. Sie wusste ganz genau, dass ihr Vater diesem Gesichtsausdruck nicht widerstehen konnte.
„Okay. Als ich in Hogwarts war, war Sirius Black der beste Freund von James Potter", begann Severus, doch seine Tochter unterbrach ihn.
„James Potter? So wie Harry Potter?"
„Ja, genau. Harrys Vater. Sie waren beinahe unzertrennlich, die beiden. Nur eines Tages ist Black Du-Weißt-Schon-Wem beigetreten. Die Potters haben erfahren, dass Du-Weißt-Schon-Wer hinter ihnen her ist und sie haben sich versteckt. Nur Black hat gewusst, wo sie sind, da die Potters ihn immer noch für einen Freund gehalten haben. Aber dann hat er es an Du-Weißt-Schon-Wen verraten, weshalb dieser Lily und James Potter gefunden und getötet hat. Bloß Harry hat es überlebt", erzählte Severus, während sich seine Augen mit Tränen füllten.
Die junge Lily war sprachlos. Das war wirklich schlimm. Kein Wunder, dass Sirius Black nun Albträume hatte. Er hatte bestimmt ein sehr schlechtes Gewissen. „Dad, hast du die Potters gekannt?", fragte sie, da ihr die Tränen in den Augen ihres Vaters auffielen.
„Ja, ich kenne die Potters", erwiderte er und versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen.
Es war erst jetzt, dass Lily bemerkte, wie Sirius Black an dem Tod ihrer echten Eltern schuld war und dadurch ihr gesamtes Leben zu einer Lüge werden gelassen hatte. Dieser verrückte, schreckliche Mann hatte sie hintergangen, sie verraten. Und nun war er aus Askaban ausgebrochen. Wieso? Wieso nach all den Jahren? Suchte er nach Harry? Oder nach Lily? Nach beiden? Wusste er überhaupt, dass Lily existierte?
Die folgenden Wochen vergingen wie im Flug. Hinsichtlich Sirius Black änderte sich nichts. Er wurde weder gefangen noch gesichtet. Es wurde im Tagespropheten geschrieben, was alles für Sicherheitsmaßnamen getroffen worden waren. Anscheinend würde Hogwarts sogar von Dementoren überwacht werden.
Bald war schon der allerletzte Tag der Ferien. Morgen wäre das Ausschlafen und die Ruhe vorbei. In den momentan noch menschenleeren Korridoren würde es nur so vor Schülern wimmeln, der Festsaal würde bald nicht mehr fast leer, sondern voll sein. Außerdem würden Lily und Draco bestimmt in jeder Unterrichtsstunde vorgestellt werden, worauf sich keiner der beiden besonders freute. Worauf sie sich hingegen freuten, war, dass sie neue Freunde finden könnten. Und Lily war gespannt, ob Draco seinen Vorsatz, netter und respektvoller mit anderen umzugehen, einhalten würde.
In Gedanken versunken starrte Lily über den riesigen See zu den auch im Sommer schneebedeckten Bergen. Ihre vom Schwimmen nassen Haare trockneten in der warmen Brise, während ein Schmetterling über der Wasseroberfläche flog. Neben Lily saß Draco, dessen kurze Haare bereits vollständig getrocknet waren. Auch er blickte auf irgendeinen Punkt am Horizont.
Die Freundschaft der beiden war etwas Seltenes. Sie mussten nicht immer miteinander reden. Beide waren zufrieden, wenn sie einfach nur schwiegen.
Denn sie brauchten nicht viele Worte, um sich zu verständigen. Irgendwie merkte es der andere immer, wie es einem im Momentan ging. Es war eine seltsame Verbundenheit, die es unmöglich machte, voneinander getrennt zu sein. Die paar Wochen, in denen sie sich letztes Schuljahr gestritten hatten, waren für beide schrecklich gewesen, auch wenn sie es nicht unbedingt hatten gestehen wollen. Diese Wochen hatten ihre Verbundenheit auf lange Hinsicht allerdings noch verstärkt, sodass sich nun keiner der beiden ein Leben ohne den anderen vorstellen konnte.
Für die meisten war es komisch, wenn ein Junge und ein Mädchen jede freie Minute miteinander verbrachten. Großteils vermuteten sie, dass etwas zwischen ihnen laufe. Jedoch konnte sich weder Lily noch Draco eine Beziehung mit dem jeweils Anderem vorstellen. Natürlich liebte Lily Draco und Draco liebe Lily, aber auf eine ganz andere Art. Es war eher Geschwisterliebe als irgendetwas Romantisches.
„Weißt du, Lily?", unterbrach Draco die Stille.
„Hmm?", fragte die Angesprochene.
„Ich freue mich auf morgen", meinte er, „Ich bin gespannt auf die Österreicher."
„Ich auch. Vielleicht finden wir ja schon morgen neue Freunde?", überlegte Lily.
„Hoffentlich. Und ich verspreche, ich werde freundlich und respektvoll sein", versprach Draco.
„Das hoffe ich, wir müssen immerhin einen guten ersten Eindruck hinterlassen."
Am folgenden Tag wachte Lily vor Aufregung bereits sehr früh auf. Die ganze Nacht über war sie von Träumen heimgefolgt worden, in denen die österreichischen Schüler sie nicht gemocht hatten. Hoffentlich wäre das in der Realität nicht auch so.
Da Lily nichts Besseres einfiel, zog sie sich schnell um, bevor sie zu Dracos Zimmer lief. Es befand sich einen Stock weiter oben, da die Mädchenschlafsäle von denen der Jungs getrennt waren. Gerade wollte sie an Dracos Tür klopfen, als plötzlich Schreie von innen ertönten. Sofort drückte Lily die Türklinke hinunter, doch das Zimmer war zugesperrt.
Glücklicherweise hatte die Schülerin ihren Zauberstab mitgenommen, weshalb sie mit ihm auf das Schloss zeigte. „Alohomora!", rief Lily und machte gleichzeitig die richtige Handbewegung. Das leise Klicken des Schlosses war zu hören, bevor Lily die Tür grob aufriss.
Draco zappelte am Bett, während er versuchte, einem Traum zu entkommen. Schweiß rann sein Gesicht hinunter. Er schien noch blasser als sonst, beinahe kreidebleich. „Nein! Bitte nicht! Lass sie!", schrie er aus voller Kehle.
Besorgt rannte Lily zu ihm und rüttelte ihn so lange, bis er sich endlich aus dem Albtraum reißen konnte und die Augen erschrocken aufriss.
„Lily?", fragte Draco erleichtert, bevor er seine beste Freundin fest in einer Umarmung umschloss und anfing zu weinen. Es war Ewigkeiten her, als Lily ihn das letzte Mal weinen gesehen hatte. Vermutlich war er damals als kleines Kind über einen Stein gestolpert und hatte sich das Knie aufgeschlagen. Wie schlimm konnte dieser Albtraum gewesen sein, dass er so reagierte? Sonst war er keine Person für Tränen, sondern versperrte seine Trauer einfach.
„Draco, ich bin hier", versuchte Lily, ihn zu beruhigen, „Ich weiß nicht, was du geträumt hast, aber es war nur ein Traum. Alles ist gut." Draco so zerstört zu sehen, tat Lily unglaublich weh. Sie hielt ihn so fest wie nur möglich, um ihn vor seinem Traum zu schützen. Dabei streichelte sie ihm sanft über den Rücken.
„Ich habe geträumt, dass jemand dich umgebracht hat und ich ihn nicht stoppen konnte", sagte Draco verzweifelt, „Ich konnte nichts tun. Ich wollte was tun, aber irgendwie war ich wie gelähmt."
„Keine Angst, ich bin hier. Sicher. Mir passiert nichts."
„Aber was, wenn doch? Wenn ich die Zukunft geträumt habe?", fragte er sich.
„Nein, das hast du nicht. Es war nur ein Albtraum", meinte Lily und hoffte dabei, dass sie recht hatte.
„Jeder sagt immer, alle Träume werden wahr. Aber niemand erwähnt, dass Albträume auch Träume sind", sprach Draco, „Was, wenn dieser Albtraum wahr wird? Es hat sich alles so echt angefühlt."
„Was genau hast du geträumt?", wollte Lily wissen. Es tat ihr zwar leid, dass Draco sich nun wieder an die Details seines Traums erinnern musste, aber sie musste sie wissen, um zu beurteilen, ob er überhaupt wahr werden könnte.
„Ich war in meinem Zimmer, hier in St. Endor, als plötzlich deine Stimme in meinem Kopf war", begann Draco mit dem Erzählen, „Du hast geschrien: ‚Hilf mir, Draco! Ich bin in Malfoy Manor!' Dann war deine Stimme wieder weg. Ich hatte fürchterliche Angst. Dann war ich auf einmal in Malfoy Manor, keine Ahnung, wie ich hingekommen bin. Es war dunkel im Flur, bis auf das Licht des Mondes. Ich habe dich am Ende des Flurs gesehen, bei dir war eine Gestalt in Umhang. Ihre Kapuze war unten, aber sie hatte den Rücken zu mir gedreht, also konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen. Die Person hat den Zauberstab gehoben und auf dich gezeigt. Ich wollte rennen, wollte dich retten, aber ich war irgendwie in Schockstarre. Dann war plötzlich ein grüner Lichtstrahl da und ... du lagst tot am Boden. Die Person ist verschwunden."
Sofort wurde Lily an ihren eigenen Traum von jener Nacht, bevor sie abgereist waren, erinnert. Es klang wie die Fortsetzung. Dort wo Lilys Traum aufgehört hatte, begann Dracos. Nur aus seiner Sicht. War es bloß ein Zufall? Oder standen die zwei doch in Verbindung? Aber wenn sie dies taten, was hatte das zu bedeuten? War es tatsächlich die Zukunft, wie Draco vermutete?
„Draco, ich habe etwas Ähnliches geträumt", sagte Lily und erzählte von ihrem Albtraum vor einigen Wochen. Dabei wurde er, wenn möglich, noch weißer und vergrub den Kopf in seinen Händen. „Denkst du, könnte es mit Sirius Black zu tun haben?"
„Möglich. Es kann ja nicht Zufall sein, dass er ausbricht und wir gleichzeitig Träume mit einer Person haben, die dich ... die dich umbringt. Außerdem war er ein Todesser und du bist Harry Potters Schwester", überlegte Draco.
„Was sollen wir tun? Wem können wir es sagen? Wem können wir alles sagen?", wandte sich Lily an ihn.
Er sah auf, direkt in Lilys Augen. In seinem Gesicht war Entsetzen und Angst geschrieben. „Nichts. Niemandem. Wir sind alleine. Aber du hast mich. Ich lasse nicht zu, dass dieser Traum wahr wird."
Da war wieder Dracos beschützerische Seite. Wie ein großer Bruder. Lily war bewusst, dass er alles tun würde, um sie vor demselben Schicksal wie im Albtraum zu retten. Er würde vor nichts stehenbleiben. Nicht mal vor Voldemort selbst.
Keiner wusste, was er nun sagen sollte. Also schwiegen beide einfach. Dieses Schweigen ging für ein paar Minuten weiter, bis Lily etwas einfiel, das sie bis jetzt nicht bemerkt hatten. Die beiden waren so beschäftigt mit den schlechten Sachen gewesen, dass ihnen etwas Anderes gar nicht aufgefallen war.
„Draco. In deinem Traum konnten wir irgendwie telepathisch miteinander sprechen. Glaubst du, können wir das lernen?", erwähnte Lily die seltsame Fähigkeit.
„Ich weiß nicht. Sollten wir mal nachlesen?", schlug Draco vor.
„Ja, gehen wir in meine Bibliothek, dort sind immer die Bücher, die ich brauche." Ohne weiter zu überlegen, verließen die Freunde Dracos Zimmer und gingen in den unteren Stock, in Richtung Lilys Schlafzimmer. Was sie wohl in ihrer Bibliothek herausfinden würden?
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