XVII. Securus

Es musste Crowley's eigene Art gewesen sein. Erziraphael wusste zwar, dass seine Mitengel etwas finsterer sein konnten, als jeder Dämon. Aber so grausam? Nein ...

Seine Gedanken rasten im Kreis und kehrten immer zu dem abgetrennten Flügel zurück. Crowley blutete. Er musste es stoppen.
Also griff er nach Crowley's linker Hand, an der zwei seiner Nägel fehlten, und begann verzweifelt, den angerichteten Schaden wegzuwundern. Die Nägel kehrten langsam zurück und das Blut löste sich auf, sodass saubere Haut zurückblieb. Der Flügel jedoch ... Erziraphael schluchzte, als er Crowley auf die Seite drehte. Gewebe und dünne Knochensplitter hingen von der Wunde in seinem Rücken, wo sich einst sein linker Flügel befunden hatte. Sie hatten ihn nicht abgeschnitten - sie hatten ihn herausgerissen, wie es ein grausames Kind einer Fliege antun würde.

Es brauchte mehrere Versuche, um die Wunde zu schließen; die Knochensplitter waren abgefallen und die hängenden Fleischfetzen hatten sich zu einer dicken, geschwärzten Kruste verhärtet.
Erziraphael sah erschöpft auf ihn hinab, als er zuckte und stöhnte. Ein Anzeichen dafür, dass er noch lebte ... und dass er den Schmerz immer noch fühlen konnte.

Der Engel hatte versucht, den gebrochenen rechten Flügel so gut er konnte zu heilen, aber die schwarzen Federn schienen sich seiner Magie zu widersetzen.

Die Sonne ging auf und wieder unter, als sie regungslos auf dem Boden des Ladens lagen. Erziraphael streckte hin und wieder die Hand aus, um Crowley's Haar zu streicheln. Es war länger und teilweise verfilzt, als wäre er in den 90ern steckengeblieben. Sein Gesicht zuckte jedes Mal, aber seine Augen öffneten sich nie.

Schließlich entschloss sich Erziraphael dazu, Crowley zu bewegen, und schob einen Arm unter seine Schultern, direkt über seinem Flügel und legte seinen anderen Arm um seine Knie. In dem Moment, als Crowley's Rücken den Boden verließ, öffneten sich die Augen des Dämon's und er schlug auf Erziraphael ein, bis er zurück auf den Teppich krachte - auf seinen abgetrennten Flügel.

,,Es ist alles in Ordnung! Es ist okay, Crowley! Ich bin es nur. Hier ist Erziraphael. Ich ... ich wollte dich nach oben bringen, in mein Zimmer, damit du dich ausruhen kannst."
„Du bist nicht echt! ", zischte Crowley und kroch auf die Beine, schaffte es aber nur in eine defensive, geduckte Position, als sein fehlender Flügel ihn aus dem Gleichgewicht brachte.
,,Crowley?" Erziraphael suchte das Gesicht seines Freundes ab und sah nichts als animalische Angst.
,,Weg! Bleib zurück", schrie Crowley voller Inbrust, während er versuchte, sich zu bewegen. Es gelang ihm nur, nach rechts zu stürzen. Er sah sich um, dann landeten seine gelben Augen auf dem Boden - sein Flügel.
Oh Gott, nein ... Er hatte noch nicht bemerkt, dass es fehlte.

Crowley wankte rückwärts und griff mit beiden Händen panisch nach seinen Schulterblättern.

,,Was ... Was ist das? Was ist passiert ... Mein ... Ist das ... Nein ... Nein, nein! Nein!" Crowley stieß einen weiteren dieser dämonischen Schreie der Hölle und der Qual aus. ,,Verdammt nochmal! Ihr Bastarde! Du Bastard ..."

Seine Augen waren auf Erziraphael gerichtet und weinten Tränen aus Blut. „Crowley, es tut mir so leid. Ich habe versucht, es zu heilen ... Ich habe alles getan, was ich konnte, aber meine ... Meine Wunder wirken nicht auf deine dämonische Form. Es tut mir leid, Crowley. Es tut mir leid", sagte Erziraphael und fühlte in der Tiefe seines Herzens, dass seine Entschuldigungen niemals ausreichen würden. Es tat ihm leid, dass er seinen Flügel nicht nachwachsen lassen konnte. Er würde ein Jahrzehnt der Folter nicht rückgängig machen können.

Crowley's Blick fiel wieder auf den Flügel, bis er mit zitternder Hand nach ihm greifen und ihn hochheben konnte. Er war deformiert und mit Blut bedeckt.

Seine Hand zitterte so sehr, und Crowley hatte noch nie in seinem Leben solch ein Maß an Schrecken und Entsetzen gespürt, als jetzt. Er starrte ihn erschüttert an, als sein abgetrennter Flügel unnatürlich und in einem seltsamen Winkel von den zerbrochenen Knochen herabhing.  Sein Flügel ... Er hatte sich immer so gut darum gekümmert. Immer für seine Federn gesorgt, sie immer gepflegt. Er hatte sie auf eine Weise geschätzt, wie es kein anderer Dämon tat. Er hatte sie geliebt und jetzt ...

,,Warum machst du das?", fragte Crowley mit gebrechlicher Stimme. ,,Ich habe dir alles gesagt, was ich weiß ..."
,,Crowley, ich bin es. Ja, wirklich. Was kann ich tun, um es zu beweisen?"
Erziraphael näherte sich seinem Freund, der ihn wie ein verängstigtes Tier anstarrte und nicht aus den Augen ließ.
„Bitte, Crowley ... Lass mich dich die Treppe hochbringen. Du musst dich ausruhen."
,,Nein, bleib zurück!", rief Crowley. "Du hast genug getan! Du hast deinen Spaß gehabt, jetzt lass mich gehen! Lass mich gehen oder lass mich sterben - es interessiert mich nicht mehr! Lass mich einfach! Lass mich!"
Er wartete darauf, dass Gabriel's Gesicht vor ihm auftauchen würde, erwartete, dass die Bücherregale und der Teppich, die er mit seinem Blut verunreinigt hatte, sich in tiefschwarze Wände verwandeln würden. Aber nichts davon geschah.

Der Engel senkte den Kopf und zum ersten Mal bemerkte Crowley, dass er geweint hatte. Er sah aus wie Erziraphael, wie sein Engel und es liefen Tränen über sein Gesicht ... Er hatte Erziraphael noch nie weinen sehen und es zerriss ihn von innen nach außen.

,,Dann gehe ich nach oben", sagte der Engel mit erstickter Stimme und dennoch bemüht, höflich zu klingen. „Du kannst ... mich rufen, Crowley, wenn du etwas brauchst. Egal, was ... Ich werde warten und dich nicht mehr stören."

Erziraphael wusste nicht, was er sonst tun sollte. Er ging nach oben und brauchte all seine Willenskraft, um nicht in den Laden zu eilen, als er hörte, wie Crowley versuchte, aufzustehen, nur um wieder zusammenzubrechen und vor Schmerzen zu schreien. Crowley wollte in Ruhe gelassen werden und er musste das respektieren.

Und dann war er einfach weg und ließ Crowley in Ruhe und verwirrt zurück - mehr Angst für sich als im Angesicht des Betrügers. Wann würden sich die Wände zurückverwandeln? Wann würde Gabriel zurückkommen? Wann würde sich der Boden wieder unter ihm auflösen und ihn für eine weitere Ewigkeit fallen lassen?
Die Gedanken versetzten ihn in Raserei und seine Instinkte befahlen ihm aufzustehen und zu rennen, so lange er noch alleine war. Vielleicht konnte er einen Weg aus dem Raum finden, der als Erziraphael's Laden verkleidet war.  Er versuchte wieder aufzustehen, aber sein rechter Flügel hing schlaff zur Seite und warf ihn um. Er fiel direkt darauf, fühlte, wie ein anderer Teil davon zerbrach und schrie. Er hatte sich so gut um sie gekümmert! Warum, warum wurden sie jetzt ruiniert?

Crowley spürte, wie er anfing zu schluchzen, kaum verbunden mit den Funktionen seines Körpers, abgesehen von den Wellen des Schmerzes, die durch ihn strömten. Seine Hände wanderten immer wieder zu seinem Flügel zurück und versuchten, die zerfetzten Federn zu glätten und die zerbrochenen Knochen zu glätten. Als er seine Finger durch seine eigenen, grauen und toten Federn streifte, bemerkte er, wie sehr seine Hände beschädigt worden waren.
Doch warum sind seine Nägel nachgewachsen? Wo war das ganze Blut hin?

Mit einigem Fokus konnte er seinen rechten Flügel schmerzhaft heilen. Ein paar Federn fehlten noch, aber der Flügel wölbte sich und bog sich so, wie es vorhergesehen war. Er konnte ihn öffnen und wieder schließen, ohne das Gefühl zu haben, mit Messern aufgeschnitten zu werden. Er wusste nicht, wie lange er auf dem Boden saß und sich um die Federn seines rechten Flügels kümmerte, aber es beruhigte ihn. Crowley musste jeden einzelnen berührt und gepflegt haben, um sicherzustellen, dass sie alle gerade und glatt lagen. Beschädigte Federn wurden herausgezupft und auf dem Teppich liegen gelassen. Die kleinen Schmerzstöße bedeuteten ihm kaum noch etwas, da sein Körper sich größtenteils normal anfühlte, obwohl er erschöpft war.

Von keiner Stelle war im Laden ein Geräusch zu hören. Auch, wenn er sich nicht wirklich darauf konzentriert. Ein oder zwei Kunden hatten vielleicht an das Glas geklopft oder draußen laut gesprochen, aber er konnte sich nicht erinnern. Er erinnerte sich nur an seine Federn und wie unordentlich sie waren.

Warum war Gabriel noch nicht zurückgekehrt, um ihn zu holen? Er schüttelte den Kopf und nachdem er sich im Laden umgesehen und seine Nase in Dinge gesteckt hatte, von denen nur er und möglicherweise Erziraphael  etwas wissen konnten, wurde Crowley langsam klar, dass dies kein Trick sein konnte. Er war nicht in einem kalten Keller und der Engel, den er angeschrien hatte, war die ganze Zeit Erziraphael gewesen. Erziraphael war derjenige gewesen, der versucht hatte, ihn nach seiner Landung wegzutragen. Sein Engel war derjenige gewesen, der um ihn geweint hatte.

Der Gedanke brachte selbst Crowley dazu, zu weinen. Es wäre besser für beide, wenn er seinen abgetrennten Flügel nahm und nach Hause kroch, aber der Gedanke, in seine Wohnung zurückzukehren, erschrak ihn. Er würde dort erwischt werden und er wusste es. Sein Herz sehnte sich nach seinem Freund und er sehnte sich so verzweifelt nach seinem Trost, dass er sich schämte. Seine Liebe zu Erziraphael hätte ihn beinahe umgebracht - könnte ihn durchaus immer noch umbringen -, doch Crowley schlurfte die Treppe hinauf zu einem Raum, den er noch nie zuvor betreten hatte.
Erziraphael hatte ihn nie in sein Schlafzimmer eingeladen. Sie saßen immer in seinem Geschäft oder im Hinterzimmer.

Es war so schwer, sich mit einem Flügel auf dem Rücken und einem in den Händen zu bewegen, aber Crowley schaffte es. Er hörte, wie er bei jedem Schritt jammerte, sein Körper war so müde, dass er bei jeder Bewegung drohte, zusammenzubrechen.

Wenig später hörte Erziraphael eine Bewegung und bemerkte, dass es Crowley war, der die Treppe hinaufkam. Er blieb auf dem Bett sitzen und als Crowley endlich auftauchte, war sein ganzes Anlitz immer noch zerknittert und beschädigt. Er trug seinen abgetrennten Flügel vor der Brust mit sich herum und der Engel sah ihn an, als hätte er einen Geist gesehen, die Überraschung auf seinem Gesicht war zu echt für eine Ratte wie Gabriel, um sie vorzutäuschen.
,,Engel ... ich ... ich fühle mich nicht sehr gut, Engel", sagte er und sah zu Boden.
,,Komm schon. Leg dich hin", sagte Erziraphael und stieg langsam aus dem Bett, um den Dämon nicht zu erschrecken. „Ich kann uns Tee aufsetzen."
„Das wäre ... das ..." Crowley versuchte, in den Raum zu treten und wäre fast zu Boden gefallen, hätte Erziraphael ihn nicht aufgefangen.
Er konnte ohne seinen linken Flügel nicht ausbalancieren und schien unfähig zu sein, den rechten verschwinden zu lassen. Erziraphael war froh, zu sehen, dass er nicht mehr im geringsten gebrochen war und die Wunden der Peitschen waren ebenso geheilt.
„Leg dich hin, Crowley. Ich werde den Wasserkocher anmachen."

Crowley fiel erschöpft auf das Bett und hielt seinen Flügel immer noch fest, wie ein Kind ein geliebtes Spielzeug. Dachte er, er könnte ihn wieder anbringen? Oder wusste er einfach nicht, was er damit anfangen sollte?

Erziraphael setzte Wasser an und wunderte das Blut in seinem Laden fort. Crowley dachte, wenn auch diese Tasse mit Weihwasser versetzt sein würde, dann sollte es so sein. Hoffentlich würde es ihn dieses Mal jedoch wirklich töten.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top