XIX. Das Begräbnis schwarzer Federn
Crowley brauchte keine andere Unterhaltung zu finden. Er konnte wochenlang seine Flügel pflegen. Die kleinste Berührung löste tausend Lustrezeptoren in seinem Gehirn aus und belohnte ihn dafür, dass er sich um all die glatten, aber auch krummen und losen Federn kümmerte.
Doch wenn er jetzt seine Flügel berührte, fühlte er nichts als das dumpfe Pochen in seinem Rücken, als wäre dort ein Messer steckengeblieben und nie herausgezogen worden. Er trauerte ... Er wollte die Zeit zurückdrehen.
Als er die Augen schloss und die Federn streichelte, fühlte es sich fast normal an. Er musste auf diese Weise eingeschlafen sein, und wer weiß, wie lange er geschlafen hatte, denn als er die Augen öffnete, waren die Federn verschwunden.
* * *
Die Tage vergingen ohne Lärm aus dem Raum darüber und Erziraphael fragte sich, ob sein Freund beabsichtigte, ein weiteres Jahrhundert zu schlafen - und würde ihn nicht beschuldigen, wenn er es täte. Er hätte ihn auch in Ruhe gelassen, wenn nicht der Geruch gewesen wäre. Der Flügel verfaulte. Erziraphael konnte es nicht ertragen. Er liebte Crowley. Er kümmerte sich zu sehr um ihn, um dieses destruktive Verhalten unkontrolliert weitergehen zu lassen.
Er ging mit Bestimmtheit die Treppe hinauf und in sein Schlafzimmer. Dort sah er, dass Crowley auf dem Flügel schlief, auf dem sich Schimmel gebildet hatte. Dessen anderer Flügel war zu Erziraphael's Erleichterung verschwunden.
Langsam zog Erziraphael den Flügel unter Crowleys Körper hervor. Dieser zuckte nicht einmal, selbst nachdem die letzten Federn sich unter seinem Arm verfangen und sich aus dem Flügel gelöst hatten. Der Engel konnte sich nicht dazu bringen, ihn einfach wegzuwundern. Er ließ eine Feder auf dem Bett zurück und brachte den Rest des Flügels nach unten in seinen Laden und legte ihn sachte auf den Boden.
Er schrieb sorgfältig einen Brief, in dem er genau beschrieb, was er für Crowley getan hatte und warum - für den Fall, dass Crowley aufwachte. Dann legte er ihn auf seinen Nachttisch.
* * *
Crowley setzte sich entsetzt auf, tastete hinter sich auf dem Leinenlaken herum und sah auf den Boden. Er merkte nicht, dass er schluchzte und an den Atemzügen würgte, die er nicht brauchte, bis der Blick seiner brennenden Augen auf einem gefalteten Stück Papier landeten.
Mein lieber Crowley,
ich kann nicht mit Worten beschreiben, wie traurig ich über deinen Verlust bin. Der Schmerz, den du erlitten hast, ist unvorstellbar und unentschuldbar. Doch ich ch kann nicht zulassen, dass du dich selbst zerstörst.
Ich habe deinen Flügel genommen, um ihn zu begraben, weil er begonnen hat, zu verfaulen, und ich konnte nicht zulassen, dass du noch länger darauf liegen bleibst und krank wirst.
Es hat mir kein Vergnügen bereitet, da ich von dem Wissen verfolgt werde, dass es dir Schmerzen bereiten wird.
Bitte verzeih mir.
Für immer dein,
Erziraphael
Crowley begriff, dass der Inhalt des Briefes wahr sein musste, denn ein dünner Film aus weißem Schimmel befand sich auf dem Bettlaken und seinen zerfetzen Kleidungsstücken, den er mit einem halbherzigen Fingerschnipsen verschwinden ließ. Nur weil es der Wahrheit entsprach, machte es dies nicht einfacher. Sein Flügel, der, wie er zuletzt wusste, sicher und in Reichweite war, war jetzt verschwunden - und hinterließ eine einzige Feder, die anscheinend ausversehen liegen geblieben war. Erziraphael hatte ihn genommen und wie einen faulen Essensrest entsorgt!
* * *
Erziraphael wunderte sich auf ein Feld nicht weit außerhalb von Soho, suchte nach einer Schaufel und begann zu graben. Er kämpfte mit den brennenden Tränen, während er grub und stellte sich Gabriel's Gesicht mit jedem Stich der Schaufel in den Dreck vor. Engel sollten friedliche Wesen sein. Sie sollten lieben, nicht hassen, aber Erziraphael konnte sich nicht helfen. Nicht länger. Er war geduldig gewesen. Er hatte vergeben und geliebt und war zu allermann freundlich. Er hatte keinem Lebewesen (ernsthaften) Schaden zugefügt, und doch hatten die anderen Engel seinen besten Freund mitgenommen und ihm den Flügel vom Rücken gerissen. Sie brachen den Willen eines Dämons, so stolz und belastbar, wie Crowley es einst war und Erziraphael würde ihnen dafür niemals vergeben können. Er wagte es zu denken, dass er dem Allmächtigen nicht einmal vergeben würde. Er empfand Hass für alle Engel, als er sich tiefer und tiefer in die Erde grub. Er empfand Hass auf sich selbst, weil er ein Jahrzehnt ohne Verdacht durchlebt hatte. Wenn er es nur gemerkt hätte, wenn er nur darüber nachgedacht hätte, und das Verschwinden des Dämons genauer hinterfragt hätte, wäre Crowley vielleicht immer noch in einem Stück. Vielleicht würde er kein sechs Fuß tiefes Loch graben müssen, um die schönsten schwarzen Federn zu begraben, die er jemals gesehen hatte. Er hasste sich dafür, dass er böse auf Crowley war, weil er verschwunden war und verletzende Gedanken über ihn hatte, während er irgendwo eingesperrt war.
Hass war wie Liebe ein sehr umfassendes Gefühl - aber es reichte nicht aus, um ihn vor dem zu schützen, was kommen würde, wenn Crowley aufwachte und seinen Flügel nicht mehr sah.
* * *
Bevor er es fassen konnte, rief Crowley nach der einzigen Person auf der Welt, die er kannte - der, der er vertraute und der ihn am meisten verletzt hatte - und war sich nicht sicher, ob er Trost suchte oder ob diese Person, seinen Zorn auslöste.
,,Engel! Engel - wie konntest du nur?", hörte Erziraphael ihn schreien, als er mit gesenkten Kopf auf einem Stuhl saß.
„Erziraphael! Wie kannst du es wagen!? Wie konntest du?"
Der Engel zwang sich schließlich auf die Beine, um sich dem zu stellen, was er getan hatte.
,,Du hast ihn gestohlen!"
„Ja. Ja, Crowley, ich habe ihn mitgenommen", erwiderte er ruhig.
Der Schimmel war von Crowley's Haaren verschwunden, aber die Laken waren immer noch blutgetränkt.
,,Es war nicht deine Entscheidung! Es war meine! Dieser Flügel gehörte mir! Wo hast du ihn hingelegt? Wo ist er?"
Seine gelben Augen sahen nicht böse aus - sie sahen verletzt und groß aus. Sie verletzen Erziraphael wie tausende Messerstiche.
„Crowley, er war faulig. Du wärst krank geworden."
,,Es war nicht deiner! Ich wollte ihn nicht zweimal verlieren!", brachte Crowley mit Tränen in den Augen hervor.
,,Es tut mir leid ... Bitte glaub mir. Du hast keine Ahnung, wie leid es mir tut. Aber wir wissen beide, dass du ihn nicht mehr anbringen konntest. Es machte keinen Sinn, ihn zu behalten ..."
„Du hast ihn gestohlen ... Einfach in den Mittwochsmüll geschmissen!", schrie Crowley, und in seinem Kopf entstanden Bilder seiner schwarzen Federn, wie sie aus einem Haufen Müll herausragten.
„Ich habe ihn begraben, Crowley! Mit meinen eigenen Händen!" Getreu seinen Worten zeigte er ihm seine immer noch schmutzigen Handflächen. Sein Anzug besaß sogar Erdflecken, die er noch nicht abgewaschen hatte.
„Ich habe das Loch gegraben! Ich habe es voller Ehrfurcht getan. Ich würde niemals einen Teil von dir in den Müll werfen! Nicht einmal eine einzige Feder! Ich liebe - ich kümmere mich zu sehr um ... Nein - nein, Crowley, dafür liebe ich dich zu sehr."
Die Worte durchbohrten ihn wie eine Bleikugel, und alles, was Crowley tun konnte, war ihn anzustarren und zu zucken. Liebe?
Nein, nein ... Liebe war das, was dieses ganze Chaos verursacht hatte. Die bösen Worte und Drohungen der Engel verfolgten ihn, als er auf Erziraphael's trauriges, erwartungsvolles Gesicht starrte. Sie wollten, dass Erziraphael zugab, ihn zu lieben, damit er fallen würde. Die Engel wollten eine Ausrede, um Erziraphael an diesen schrecklichen Ort zu schleppen und ihn zu foltern. Sie würden ihn nehmen und seine Flügel abreißen.
Crowley konnte es kommen sehen, als würde es passieren. Er konnte sehen, wie rotes Blut aus Erziraphael's Flügeln floss, weshalb er beinahe ein Wimmern ausstieß; es war so schrecklich, aber mit einem Augenzwinkern wurde sein Blick wieder klar und Erziraphael starrte ihn nur besorgt und verletzt an.
„Sei vorsichtig, Engel", sagte Crowley, seine Stimme zitterte immer noch leicht. ,,Wenn sie herausfinden, dass du in die andere Seite verliebt bist, werden sie deine Flügel zerschmettern und herausreißen."
,,Es gibt keine andere Seite, erinnerst du dich? Nur unsere Seite."
Crowley wusste nicht warum, aber die Worte erzürnten ihn. Er gab zu, was er durchgemacht hatte - erzählte Erziraphael auch, aus welchem Grund, sie ihm dies antaten! Er hatte das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.
„Nun, unsere Seite hat meinen verdammten Flügel herausgerissen! Hol ihn zurück!"
,,Das kann ich nicht, Crowley, und du weißt es. Es war völlig zerschunden. Was hattest du vor? Mit ihm zu verfaulen?"
"Und wenn es so wäre, wäre das meine Sache ... "
Plötzlich hatte er wieder das Verlangen, sich in eine Schlange zu verwandeln, um zu entkommen. Er könnte sich irgendwo in diesem Laden verstecken, wo der Engel ihn nicht finden könnte; er wäre außer Reichweite, um sich für den Rest der Ewigkeit zusammenzurollen und zu schlafen. Er hätte es fast getan, und dann begannen Erziraphael's Augen vor Tränen zu glänzen und er fühlte sich deswegen schuldig. Der Engel tat doch nur das, was er für richtig hielt.
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