III. Ein nervöser Engel
Es war ein langer Tag und alles andere als ein gewöhnlicher Sonntag für die beiden gewesen. Erziraphael überlegte, die Nacht hier zu verbringen, auch wenn er keinen Schlaf benötigte. Crowley war da anders; er schlief gerne.
Nachdem er seinen Mantel ausgezogen hatte, hängte er ihn vorsichtig auf die Rücklehne des Barhockers in Crowley's Küche, welche dieser nie benutzte. Dann begann er eine gründliche Durchsuchung der Küchenschränke - sie waren größtenteils leer. In einem Schrank standen viele verschiedene Weinflaschen; nur die besten Sorten natürlich. Ein anderer Schrank hatte nichts als zwei Becher und eine Kaffeetasse zu bieten. Er sah kurz in den Kühlschrank und hatte das beunruhigende Gefühl, dass er dort nichts auffinden würde. Und so war es auch, abgesehen von einem unangerührten Stück Kuchen. Ha! Über Erziraphael's Gesicht huschte ein erfreutes Schmunzeln.
Crowley war duschen gegangen und und hatte Erziraphael in der lebensmittelfreien Küche allein gelassen, welcher sich auf den Weg Richtung Schlafzimmertür machte ohne zu wissen, was sich dahinter verbarg. Seine Neugier war zu stark, weswegen er die Wohnung noch weiter erkunden wollte.
Er stieß schließlich die Tür auf und war überrascht, als er ein ordentliches und in Grau gestrichenes Schlafzimmer entdeckte. In der Mitte stand ein Himmelbett mit schwarzen und roten Laken und zwei schwarzen Nachttischen. Eine Sammlung wunderschöner, aber äußerst giftig aussehender Pflanzen hatten ihren Platz an der Fensterfront. Crowley's Sonnenbrille lag auf einem der Nachttische.
Erziraphael konnte hören, wie das Hinabprasseln des Wassers verstummte, als er sich bereits auf die Bettkante gesetzt hatte, um zu warten. Er fühlte sich sehr außerhalb seiner Komfortzone und fummelte nervös mit den Händen herum.
Er begann sich zu fragen, ob es nicht besser wäre, in der Küche zu warten. In diesem Moment hörte er, wie Crowley aus der Dusche stieg, und fand, dass er ihn vorwarnen sollte.
,,Ich bin hier, Crowey", rief er. "Ich ... ich bin im Schlafzimmer", murmelte er und fühlte sich ohne Grund mehr als nur schuldig.
Er sah sich unruhig in dem dunklen Raum um und suchte nach etwas, auf das er sich konzentrieren konnte. Crowley öffnete die Badezimmertür mit einem Handtuch um seiner Taille und trockente sich mit einem anderen das feuerrote Haar. ,,Huh? Was ist?"
Der Engel drehte sich zur Tür und wurde sofort ungewollt mit Crowley's nackten Oberkörper konfrontiert, auf dem noch vereinzelte Wassertropfen waren, und wandte sich wieder nervös ab. Heilige- Nein, nein! Er konnte es nicht wagen, Gott in der Anwesenheit eines Dämons zu erwähnen. Er schloss zur Sicherheit die Augen, doch dieser kurze Blick hatte genügt, um sich die Konturen der Muskeln einzuprägen. Und dann waren da noch diese Brusthaare, die- Stopp, Erziraphael!
„Ich ... ich wollte dich warnen, dass ich hier drin bin." Er hasste das Zittern in seiner eigenen Stimme.
,,Ist schon in Ordnung", sagte Crowley unter dem Handtuch hervor und bemerkte anscheinend nicht, wie der Engel immer noch nicht hinsah. Erziraphael's Kopf fühlte sich an wie nach einer 6-stündigen Karussell-Fahrt. Alles drehte sich, und plötzlich kam ihm der Gedanke, dass Schlafen nicht die einzige Aktivität war, für die Betten benutzt werden konnten, und er holte tief und zittrig Luft.
Er hörte Crowley sich bewegen und dann das Geräusch eines Handtuchs, das auf dem Boden landete. Er schloss die Augen fester. Nach einem Moment verstummten die Geräusche und in dem Zimmer war es völlig ruhig.
„Warum sind deine Augen geschlossen?", fragte Crowley und legte den Kopf neugierig schief. Dieser Anblick hätte Erziraphael an eine Schlange erinnert, die Crowley ja praktisch gesehen auch war.
„Du warst dabei dich ... anzuziehen", antwortete er, seine Augen immer noch geschlossen. Crowley grinste. Er trat näher heran, seine nackten Füße machten nur das leiseste Geräusch; dann beugte er sich herunter und flüsterte in Erziraphael's Ohr: ,,Hast du Angst, dass dir gefällt, was du siehst?"
Der Engel sprang zurück, seine Augen waren weit geöffnet. Zum Glück war sein Gegenüber in schwarzen Jean's und grauem T-Shirt gekleidet, sonst wäre er vermutlich in Ohnmacht gefallen.
Crowley nahm seinen erschrockenen Gesichtsausdruck wahr und ließ seine Schultern hängen, während er eine Hand nach Erziraphael's Wange ausstreckte.
,,Tut mir leid", murrte der Dämon leise, ein wenig wütend auf sich selbst.
Bei Crowleys warmer Berührung entwickelte sich das herrlich unsichere Lächeln auf dessen Gesicht, was er so liebte.
,,Ich bin auf deinem Bett", realisierte Erziraphael nach einer Weile leise.
„Habe ich bemerkt", meinte Crowley nüchtern. Dann schien sich die Stille für einen kurzen Moment zwischen ihnen auszubreiten.
,,Hey, wir müssen nicht hier sein, Engel." Er nahm seine Hand von dessen Wange und breitete die Arme aus. „Wir können machen, was immer du willst. Ein Schnipsen meiner Finger und wir hätten ein Sofa, auf dem wir fernsehen könnten. Es sei denn du möchtest spazieren gehen. Was auch immer du willst."
„Ich weiß nicht, was ich will." Die Antwort war kurz, traurig und nicht ganz der Wahrheit entsprechend. Erziraphael hatte immer einen inneren Konflikt verspürt, wenn es um Crowley ging: eine Wahl zwischen seiner Verpflichtung gegenüber dem Himmel, tugendhaft und rein zu sein und Versuchungen zu widerstehen, und der Wärme, die Crowley ausstrahlte, dem Gefühl der Zugehörigkeit und des Verlangens, das ihm schwer zu beseitigen, fiel. Er hatte die Anziehungskraft, die seit sechstausend Jahren zwischen ihm und Crowley brodelte, verleugnet und war ohnehin in die schlimmsten Schwierigkeiten geraten. Nun bemühte er sich, sich auf dieses Gefühl einzulassen, doch es war alles andere als einfach.
Er sah nichts als Besorgnis in Crowleys Augen und schöpfte daraus Vertrauen. Der Himmel wollte ihn nicht, aber Crowley tat es. Er hatte ihn immer so gewollt, wie er war.
,,Ich glaube, ich möchte hier bleiben." Crowley's Kopf legte sich ein weiteres Mal schief, ein lässiges Nicken folgte. Er setzte sich neben den Engel.
,,Du weißt, dass du mir vertrauen kannst, oder?", fragte Crowley leise.
,,Ich weiß." Und er tat es, auch wenn ihn all die anderen Himmelswesen dafür für verrückt hielten.
,,Ich wollte dich so lange hier haben", gab der Dämon düster und mit gewisser Bitterkeit zu, als wäre es seine größte Sünde.
,,Wir können schlafen, reden oder uns einfach zusammen hinlegen. Es ist deine Entscheidung, Engel."
Erziraphael wandte sich ihm langsam zu, in seinem Kopf arbeiteten alle Zahnräder zur selben Zeit.
,,Ich- vielleicht ... vielleicht können wir alles gleichzeitig machen?", schlug er vor und konnte sehen, wie ein viel zu glücklich wirkendes Grinsen auf das Gesicht des anderen kroch.
,,Gut. Dann leg dich hin und versuch zu entspannen. Selbst ein Blinder würde sehen, wie verkrampft deine Schultern sind."
,,Crowley ...", begann Erziraphael in einem tadelnden Ton.
,,Jaja, ich weiß, der war fies. Und jetzt tu es endlich. Ich beiße auch nicht." Jedenfalls nicht in dieser Form.
Er musste an sein Aussehen als rotbäuchige Schwarzotter denken und schmunzelte amüsiert, während er es sich auf seinem Bett gemütlich machte. Sein Kopf sank in dem schwarz-roten Kissen ein.
Erziraphael legte sich mit einem leisen Seufzer neben ihn auf den Rücken und achtete dabei auf einen kleinen Abstand zwischen ihnen; auf seinem Bauch verschränkte er seine Finger miteinander. Sein Blick heftete an der dunkelroten Decke über ihnen und er nahm wahr, wie er nach und nach ruhiger wurde. Er schloss seine Augen, nur um von Crowley schließlich angesprochen zu werden.
,,Engel? Hey, jetzt wird nicht geschlafen. Das tust du sonst auch nicht", beschwerte er sich und erntete einen frustrierten Blick des Engels, den er auch nur zu gut kannte. ,,Erst reden wir."
,,Na gut", nuschelte Erziraphael. Er hatte es eigentlich auch so gewollt. ,,Du beginnst."
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Die halbe Nacht kaute er Erziraphael ein Ohr ab, aber es störte ihn nicht. Er hörte ihm gerne zu und erfreute sich daran, wie ... glücklich der Dämon schien. Sie redeten über längst Vergangenes und lachten, bis es ihnen Tränen in die Augen trieb.
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