II. Bei Crowley

Sobald die Rechnung von Crowley bezahlt war, lächelte dieser Erziraphael an.
,,Mein Penthouse oder dein Buchladen?" Diesmal war es eine Frage und Erziraphael strich sich nachdenklich über sein Kinn.
,,Ich habe deinen Platz noch nie gesehen", sagte der Engel schließlich. „Du kennst meinen Buchladen."

Und das war auch gut so und schon immer beabsichtigt. Erziraphael hätte seinen Vorgesetzten mitteilen können, dass der Dämon ungebeten in sein Geschäft gekommen war, doch er hätte keine Entschuldigung dafür, in Crowleys Wohnung gewesen zu sein, wenn sie ihn dort erwischt hätten. Er hätte ihr ganzes kleines Arrangement preisgeben müssen, und das hätte schwere Strafen zur Folge gehabt, vielleicht sogar das Höllenfeuer, dem er kürzlich entkommen konnte.

,,Es wird dir nicht gefallen", murmelte Crowley und hatte plötzlich Bedenken. „Es ist dunkel."
Er legte gedankenverloren den Kopf schief. ,,Aber ich nehme an, du wirst die Pflanzen mögen."
Jeder, der die Pflanzen sah und sie nicht auf Anhieb mochte, musste verrückt sein. Sie waren immerhin perfekt.

,,Ich bin neugierig", sagte Erziraphael.
,,Wir müssen nicht bleiben, wenn es dir nicht gefällt", sagte Crowley und fühlte sich nervös. Er wollte, dass es dem Engel gefiel und dass dieser bleiben wollte.
,,Mach dir keine Sorgen, Crowley", beruhigte Erziraphael ihn und erhob sich von seinem Stuhl. Dann verließen sie zusammen das Ritz und liefen aus Angewohnheit nebeneinander, diesmal aber dichter, auch wenn der Engel immer darauf bedacht war, einen gewissen Abstand zwischen ihnen zu wahren - vergeblich. Der Dämon kam ihm näher und machte ihn nervös.

„Woran hast du noch gedacht?", fragte Erziraphael nach einer Weile.
,,Hm?" Crowley schien von dessen Profil ganz abgelenkt zu sein.
,,Du sprachst über einen Neuanfang", sagte der Engel und half ihm so auf die Sprünge. "Wir verstecken uns nicht und verheimlichen nicht, dass wir ... Freunde sind?"
,,Ja, die Katze ist aus dem Sack", stimmte Crowley zu. „Nach ... allem."
Sechstausend Jahre und es fühlte sich immer noch so neu an. "Du und ich ... wir ... lieben menschliche Annehmlichkeiten. Bücher, Sushi, Saufen, Technologie."
,,Ich mag Fernsehen, wenn es lehrreich ist", meinte Erziraphael.
„Natürlich tust du das", murmelte Crowley. "Aber es gibt noch keinen Computer für die Aufzeichnungen in deinem Laden. Damit könnte ich dir helfen."

Erziraphael runzelte ein wenig die Stirn, war sich dieser Idee nicht sicher, aber es würde Crowley einen Grund geben, für eine Weile in der Nähe zu sein. Auch wenn sie keine Gründe mehr brauchten.
,,Wie auch immer", sagte Crowley, „überleg es dir doch - es gibt andere Dinge, die wir noch nicht ausprobiert haben. Zumindest glaube ich nicht, dass du alles kennst."

Erziraphael nickte leicht, doch Crowley war sich sicher, dass sein Freund nicht genau wusste, worauf er mit seinen letzten Sätzen anspielte. Vielleicht war es für den Anfang auch gut so.

Crowley bemerkte erst, wie nah er dem Engel eigentlich war, als sich deren Arme und Schultern berührten. Doch er tat nichts, damit sich das änderte und blieb wie eine Klette an ihm kleben. Er empfand es schon selbst als ätzend, konnte aber nicht anders.
,,Crowley ... Du scheinst heute sehr ... anhänglich", kommentierte Erziraphael seinen Flirtversuch.
,,Was, echt?", fragte der Dämon mit einer Unschuldsmiene. "Gar nicht gemerkt ... Stört es dich?"

Sein Freund erwiderte nichts, ging zügig weiter, obwohl er den exakten Weg nicht kannte. Er war auf der Flucht und Crowley fragte sich, wovor er sich so fürchtete.

Um mit dem Engel mithalten zu können, lief er ein bisschen eiliger und holte schnell auf.
Bei seiner Wohnung angekommen, benutzte Crowley seine Kräfte an der Tür, anstatt sich mit so etwas wie dem Schloss und dem Schlüssel zu beschäftigen. Er bat Erziraphael vor ihm einzutreten und schloss anschließend die Tür hinter sich. Obwohl das Gebäude in einem modischen Teil von London attraktiv war und manchmal Termine für die Besichtigung der leeren Wohnungen vereinbart wurden, zog interessanterweise nie jemand ein. Der Vermieter nannte es einen höllischen Fluch und er war nicht weit von der Wahrheit entfernt. Crowley mochte seine Privatsphäre eben schlichtweg.

,,Du hast recht, es ist dunkel ...", bemerkte Erziraphael unsicher und ließ seinen Blick in dem Flur umherwandern.
,,Ich habe noch kein Licht angemacht, Engel", sagte Crowley zu ihm. Er drückte ein paar Schalter und das Licht erhellte sofort vereinzelte Räume.

„Komm und sieh dir die Pflanzen an. Aber sag nichts Nettes", warnte er ihn und ging an Erziraphael vorbei. "Wir haben Gesellschaft!", verkündete er und der Engel hob fragend eine Augenbraue hoch. Redete er etwa mit seinen Pflanzen? Und warum sollte er nicht nett sein?

Diese Fragen lösten sich in Luft auf, als der Engel sie schließlich entdeckte.
,,Sie sind wunderschön", flüsterte Erziraphael, während er sie bewunderte und dabei strahlte. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals Pflanzen gesehen habe, die so grün waren."
Er hatte selbst ein Veilchen in seinem Laden stehen und musste es mehr als einmal wieder zum Leben erwecken, nachdem er vergessen hatte, dass es überhaupt existierte. Wohlmöglich sollte er sich mehr Mühe geben.

Crowley stöhnte leise und war zugleich erfreut, das zu hören, drehte sich aber wieder von den Pflanzen weg und stattdessen zu Erziraphael. Dieser sah sehr fehl am Platz aus, seine cremefarbene Kleidung sah in dunklen Räumen viel heller, weißer aus als sie tatsächlich waren, aber Crowley fand auch, dass der Engel genau hineinpasste, als hätte er schon die ganze Zeit hier sein sollen.
„Ich bin froh, dass du sie magst, aber ich möchte nicht über die Pflanzen reden."
Crowley's Gedanken rasten und drehten sich nur um seinen Engel: er ist hier - mit ihn und er ist glücklich - mit ihm.

Erziraphael errötete und sah weg. „Richtig."

Als sie den Korridor entlanggingen, gingen die Einbauleuchten automatisch an und beleuchteten die schiefergrauen Wände. Erziraphael dachte, dass die Wohnung, abgesehen von den Pflanzen, eher karg war.
Er blieb in der Tür am Ende des Korridors stehen. Vor ihm lag eine Lederjacke in einer Pfütze auf dem Boden.
,,Was ist das?"
,,Das ", begann Crowley und blickte über Erziraphael's Schulter, ,,das war Ligur."
,,Ein Dämon? Was ist mit ihm passiert?"
,,Nun, er und Hastur haben alles herausgefunden. Sie wollten mir an den Kragen. Dein Weihwasser hat ihn vernichtet, und ..."
,,Weihwasser?! Crowley, zurück! Es könnte dich immer noch verletzen. Nur weil es benutzt wurde, heißt das noch lange nicht, dass es nichts mehr anrichten kann."

Erziraphael packte den Dämon an seinem Arm und zog ihn in den Korridor zurück. Crowley hatte aus erster Hand gesehen, was Weihwasser einem Dämon antun konnte und wollte die Nacht nicht auch als Pfütze enden.
Als Erziraphael fand, dass Crowley in Sicherheit war, straffte er seine Schultern und machte mit einem Arm eine Bewegung, die mit einem Schnipsen seiner Finger endete. Sofort waren die Lederjacke und die Pfütze verschwunden. Jeder verschüttete und verspritzte Tropfen Weihwasser wurde vom Boden und von den Wänden gelöst. Der rote Eimer erschien auf Crowley's Schreibtisch und neben ihnen stand die alte Tartan-Thermoskanne von Erziraphael, die jetzt wieder mit Weihwasser und vermutlich nur ein bisschen Ligur gefüllt war. Der Engel betrat den Raum und spähte in den Eimer. Dann richtete er sich wieder auf und drehte sich zur Tür.
,,Jetzt ist es ziemlich sicher."
Crowley trat ein und blieb neben ihm stehen. Er sah ebenfalls in den Eimer und anschließend blickte er Erziraphael an.
„Hast du das schon immer geplant?"
Sein glückliches Lächeln von einem Moment zuvor war durch einen Ausdruck tiefer Besorgnis ersetzt worden.
,,Nicht genau. Nicht für Ligur", antwortete Crowley, „Ich wusste, dass jemand für mich kommen würde. Denn das ist es, was sie tun."
,,Wirklich?"
,,Sie sind keine Kuscheltiere, Engel."
,,Nein, nein", meinte Erziraphael kopfschüttelnd. ,,Was ich meine ist, hast du es wirklich immer für einen von ihnen beabsichtigt?"
Für wen denn sonst, fragte sich Crowley und blickte - in der Hoffnung Antworten zu finden - in Erziraphael's Gesicht.
,,Du hast doch nicht gedacht ..." Er konnte den Satz nicht beenden, als er an die Gespräche zurückdachte, die er und Erziraphael über Weihwasser geführt hatten, und das Gewicht eines einfachen Missverständnisses drückte auf ihn herab. Erziraphael glaubte, Crowley würde ihn alleine lassen.
,,Es war nie ganz klar, als du dafür gefragt hast, Crowley ", sagte Erziraphael, und Traurigkeit erfüllte seine Stimme. Er sah nach unten.
,,Ich wollte nicht, dass du dich verletzt. Ich konnte es nicht ertragen, dass du eines Tages weg sein würdest und ich würde nicht wissen, was passiert war. Und ich hätte mir die Schuld dafür gegeben."

Crowley seufzte. Ehrlichkeit erwies sich schwerer als erwartet, aber er konnte es nicht ertragen, Erziraphael so verletzt zu sehen und wusste jetzt, dass dieses Gespräch längst überfällig war. Er trat näher heran und hob Erziraphael's Kinn mit einem Finger an. Der Engel erstarrte aufgrund der unerwarteten Berührung kurz, ließ seine Schultern aber langsam hängen und entspannte. Wie gerne er Crowley's Augen jetzt hätte sehen wollen; doch das würde er nicht zugeben.
,,Es tut mir leid, dass ich dir auf diese Weise ... Angst eingejagt habe. Vielleicht hätte ich mich deutlicher ausdrücken sollen."
,,Crowley, bist das wirklich du?" Erziraphael zog seine Augenbrauen gespielt verwirrt zusammen, doch man konnte spüren, wie er mit allen Mitteln versuchte, nicht zu grinsen.
,,Ach, halt die Klappe, Engel. Wegen dir werde ich noch ganz ... weich."

Der Dämon schüttelte sich vor Grusel kurz, als sein Körper von einer Gänsehaut überfallen wurde. Erziraphael lächelte nur, sein kleines nervöses Lächeln, und Crowley wusste, dass er ihm voll und ganz verfallen war. Es gab kein Zurück - gab es nie.

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