⋯⊰ ❅ 𝟭𝟳 𝗘𝗶𝘀𝗸𝗮𝗹𝘁 ❅ ⊱⋯

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Erleichtert öffnete Taehyung die Augen, als das grelle Licht erlosch. Sie waren wieder in seinem Zimmer, in der Gegenwart wohlgemerkt. Er bekam anscheinend die benötigte Verschnaufspause, in der er erstmal alles verarbeiten konnte, was er in den letzten Stunden gesehen hatte.

Minutenlang saß Taehyung schweigend auf seinem Bett und betrachtete einen festen Punkt auf dem Boden. Angestrengt fixierte er den kleinen dunklen Flusen, ohne auch nur den winzigsten Gedanken an ihn zu verschwenden. Gedanklich war er bei Jungkook und den vielen Fehlern, die Taehyung in der ganzen Zeit gemacht hatte. Dennoch verzog er keine Miene, er wirkte beinahe eiskalt in seinem Ausdruck. Dabei war es nur der Überforderung geschuldet, und nicht etwa der mangelnden Einsicht.

Erst eine gefühlte Ewigkeit später murmelte Taehyung etwas vor sich hin, von dem sein jüngeres Ebenbild nur die Hälfte verstand.  "Jetzt verstehe ich auch, wieso Kookie damals so seltsam reagiert hat..." Immer wieder dachte er an den Brief zurück, der offen auf Jungkooks Schreibtisch gelegen hatte. Er konnte sich denken, was darin stand, und doch bereute er es, den Brief nicht gelesen zu haben.

Taehyung fühlte sich schlecht. Wut kochte in ihm auf. Wut auf sich selbst. Er hätte sich selbst ohrfeigen können, weil er nie begriffen hatte, dass Jungkook schon länger in ihn verliebt gewesen war. Er hätte anders reagieren sollen. Er hätte Jungkook nicht jedes Mal wieder aufs Neue verletzen sollen, vor allem nicht in dieser Winternacht. Wie musste Jungkook sich nur gefühlt haben? Sicher war er enttäuscht und sauer, dass Taehyung so ein mieser Freund gewesen war. Was hatte er wohl in seinen letzten Minuten gedacht? War er sauer auf Taehyung? Mit Sicherheit.

"Ich würde so gerne alles rückgängig machen, damit ich endlich das sagen könnte, was ich immer schon hätte sagen sollen. Ich würde Jungkook so gerne sagen, wie wichtig er mir immer war. Egal, was sich daraus entwickelt hätte. Ich möchte, dass er weiß, wie gerne ich ihn bei mir hatte. Immer schon", stammelte Taehyung den Tränen nahe. "Ob er mich in seinen letzten Minuten verflucht hat dafür, was ich ihm alles angetan habe?"

Der Kleine spürte, dass sich in Taehyung etwas veränderte, aber das war gut. Taehyung war auf dem richtigen Weg. Leise seufzte er, setzte sich zu seinem erwachsenen Ich aufs Bett und sah in die selbe Richtung.
"Das glaube ich nicht, Tae. Er hat dich geliebt. Von ganzem Herzen. Sicher hat er dir verziehen. Na komm, Ich glaube, du bist jetzt soweit. Eine letzte Reise wartet noch auf uns."

Taehyung konnte sich schon denken, wo ihre letzte Reise hinführen würde. Der 23. Dezember vor 5 Jahren. Diese Winternacht, in der er alles zerstört hatte, was ihm lieb war. Der Zeitpunkt, wo er Jungkook das letzte Mal lebend gesehen hatte. Niemals wollte er wieder an diesen Tag zurück.

"Ich kann das nicht. Ich... ich habe es doch verstanden. Ich werde mich ändern, aber bitte hör auf", wisperte Taehyung flehend. "Schick mich nicht zu diesem Tag zur-..." Taehyung verstummte, denn anstatt eine Antwort von seinem jüngeren Ich zu bekommen, wurde er von dem grellen Licht geblendet.

Es gab keinen Zweifel, dass er zurück in jene Winternacht geschickt wurde. Er erkannte die Lichtung, auf der sie damals versucht hatten, zu reden. Er erkannte den Wald um sich herum und auch den Teil, in den Jungkook geflüchtet war. Ihm war gar nicht mehr bewusst, dass wirklich so viel Schnee gelegen hatte. Die dünnen Äste der Bäume versuchten tapfer, unter den Schneemassen, die sie bedeckten, nicht zu brechen. Taehyungs Blick hing an einem der Äste, der dem Gewicht nicht standgehalten hatte und abgebrochen auf dem Boden im Schnee lag.

"Wieso?", flüsterte er zunächst, doch seine Stimme wurde mit jedem gesagten Wort lauter. "Wenn wir es doch nicht ändern können, wieso sind wir dann hier? Hab ich nicht genug gelitten? Ich bereue doch alles! Verdammt! Wenn ich die Fehler rückgängig machen könnte, würde ich es tun!"

"Ich weiß, Taehyung. Aber darum geht es nicht."

"Worum dann!? Ich werde mich ändern! Willst du das hören!? Ja? Ich werde mich ändern! Ich werde nicht mehr so blind sein, ich werde meinen Eltern sagen, wie dankbar ich ihnen bin. Ich werde niemals wieder im Streit mit jemandem auseinander gehen! Ich werde aufhören, so verdammt egoistisch und blind zu sein, aber bitte hör endlich auf, mich so zu quälen!"
Panik stieg in Taehyung auf. Sein Herz polterte so stark in seinem Brustkorb, dass er sein eigenes Blut in seinen Ohren rauschen hören konnte. Doch der Kleine machte keine Anstalten, Tae aus seiner persönlichen Hölle zu entlassen. "Du kannst dich nicht vor der Wahrheit verstecken, Tae", sprach der Junge sanft, der sich anscheinend kein bisschen darum sorgte, dass sein älteres Ich vor Angst fast durchdrehte.

"Ich kann das nicht! Lass mich gehen! Nein! Ich will das nicht! Jungkook soll nicht sterben!", flehte Taehyung erneut, doch wieder blieb der Junge eisern. Schweigend stand er neben Taehyung und zeigte in die Richtung, aus der er zwei Gestalten auf sie zukommen sah.

"NEIN!", schrie Taehyung panisch, während seine Beine ihren letzten Halt verloren und er auf den Boden sackte. Er ertrug den Anblick nicht, wie er mit Jungkook schweigend durch die eingeschneite Winterlandschaft trottete. Es kam ihm auf einmal so dumm vor, wie sie einfach beide keine einziges Wort gesagt hatten.

Der kleine Junge ließ sich neben Taehyung nieder und besah sich die Szene der Vergangenheit vor ihm. "Wieso ist es dir so schwer gefallen mit ihm zu reden?", fragte das jüngere Ebenbild gerade heraus. Taehyungs Herzschlag setzte kurz aus. Das war eine gute Frage. Es war ihm unheimlich schwer gefallen, das Thema anzusprechen. Er hatte Angst gehabt, aber vor allem war er einfach viel zu verwirrt gewesen. Er hatte sich in einem Zwiespalt befunden und keine Ahnung, was er sich von ihrem Gespräch erhoffte.

"Du hättest ihm damals genau das sagen können. Du hättest Jungkook erklären können, wie es grade in dir aussieht. Es wäre zwar nicht leicht für ihn gewesen, aber besser als dieses irrsinnige Schweigen", seufzte der Junge, der mal wieder unerlaubter Weise in Taehyungs Gedanken gelesen hatte. Taehyung wusste darauf nichts zu antworten. Eigentlich hatte er Recht. Jungkook hätte dann zwar noch nicht seine Antwort gehabt, aber zumindest hätten sie so die Chance auf ein weiteres Gespräch gehabt. Taehyung beruhigte sich nur langsam, zumindest äußerlich. Die Worte des Jungen rüttelten seine Gedankenwelt schon wieder so stark auf, dass er nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Die Szene vor ihr tat ihr übriges.
Er hörte Jungkooks kläglichen Versuch, ein Gespräch zu starten, indem er über die Zimtplätzchen sprach und kurz darauf seine eigene Stimme, die Jungkook anbrüllte. Er hätte wirklich anders reagieren können. Nichts rechtfertigte sein lautes Rumgepolter. Nichts rechtfertigte, Jungkook so anzubrüllen.

"Idiot...", murmelte Tae leise seinem Ich der Vergangenheit entgegen.

"Menschen ertrinken, ohne es zu merken", erklang die leise, sanfte Stimme des Jungen, "Sie sehen das Wasser um sich herum nicht oder schenken ihm keine Beachtung. Sie merken es erst dann, wenn es zu spät ist. Wenn das Wasser soweit abgekühlt ist, dass es zu frieren beginnt und die Kälte sie in einer Starre gefangen hält."

Die Worte kamen für Taehyung ohne jeglichen Zusammenhang. Er hasste es, wenn sein jüngeres Ich in Rätseln sprach. Er musste lange überlegen, bis er auch nur annähernd die Bedeutung verstand, zumindest glaubte er das. Er dachte angestrengt nach, während er im Hintergrund die Stimmen der Vergangenheit hörte, die sich gegenseitig anschrien.

Taehyung wusste nicht, was es war. Aber die Worte seines jüngeren Ich in Kombination mit den beiden Streitenden vor seinen Augen, veränderten irgendwas in ihm. Wie in einem Klickmoment, meinte er plötzlich alles verstehen zu können.

Ihre seltsame Reise, die Begegnung mit dem alten Mann, die Worte seines jüngeren Ichs. Alles schien auf einmal einen Sinn zu haben.

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