⋯⊰ ❅ 𝟭 𝗦𝗰𝗵𝗻𝗲𝗲𝗳𝗮𝗹𝗹 ❅ ⊱⋯

   
  
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Wie jeden Abend, seit der Schnee sich auf die Stadt niedergelassen hatte, saß Taehyung unbewegt auf dem Fenstersims seines Zimmers und blickte nach draußen. Es war bereits dunkel, doch durch die Laterne am Straßenrand, nur einige Meter von ihrem Haus entfernt, konnte er etwas in der Dunkelheit erkennen. Taehyung verlor sich in dem Anblick der glitzernden Schneedecke, die sich auf die Landschaft niedergelassen hatte. Seine Gedanken kreisten, wie immer in der Winterzeit, nur um ein Thema.
Den winterlichen Zimtgeruch, der sein Zimmer erfüllte, nahm er gar nicht richtig wahr. Seine Mutter hatte ihm einen Teller mit frisch gebackenen Zimtplätzchen auf den Schreibtisch gestellt, in der Hoffnung, dass er sie endlich anrühren würde, doch es war vergebens. Taehyung konnte schon lange nichts mehr mit Genuss essen, die Zimtplätzchen am allerwenigsten. Sie erinnerten ihn viel zu sehr an seine Kindheit. Damals hatte er sie geliebt. Heute jedoch schmeckten sie bitter, weil sie, wie auch die fallenden Schneeflocken, schmerzliche Erinnerungen in ihm wachriefen.

Taehyung tat einen tiefen Atemzug, während er die Situation von vor fünf Jahren gedanklich wieder und wieder Revue passieren ließ. Er bereute jedes einzelne Wort, welches er damals zu Jungkook gesagt hatte. Er hätte anders reagieren müssen, seine Unsicherheit beiseite schieben sollen und Jungkook zum Bleiben überreden müssen. Stattdessen hatte er ihn ziehen lassen, ohne zu ahnen, welches tragisches Schicksal er dadurch herbeiführte. Seit Jahren fragte er sich, wie sein Leben aussehen würde, wenn er anders reagiert hätte. Würde er jetzt mit Jungkook zusammen hier sitzen und dem Schnee bei seinem wilden Tanz beobachten? Würden sie gemeinsam einen Winterspaziergang machen, sich dabei alles abfrieren, um im Anschluss ihre kalten Körper mit einem heißen Kakao aufzuwärmen? Oder würden sie einfach kuschelnd im Bett liegen und ihre traute Zweisamkeit genießen?

So oft hatte Taehyung sich die "Was wäre, wenn..."- Frage gestellt, doch es änderte nichts. Mit Jungkook zusammen zu sein, war nichts weiter als reines Wunschdenken. Jungkook war fort. Er war an einem weit entfernten Ort, den Taehyung trotz seiner noch immer währenden Liebe niemals erreichen konnte. Er war vor nunmehr fünf Jahren gegangen und hatte in Taehyung eine riesige, klaffende Wunde hinterlassen, die niemand jemals wieder würde schließen können. Taehyung konnte die Zeit nicht zurückdrehen, er konnte seine Fehler nicht wieder gut machen. Er musste damit leben, dass er daran selbst die Schuld trug, dass er Abend für Abend allein am Fenster saß und den Schnee wehmütig betrachtete.

"Wieso...?", stieß er leise wispernd hervor, als sein Herz sich bei den Erinnerungen an Jungkook schmerzlich zusammenzog. Er betrachtete freudlos, wie durch seinen warmen Atem die Fensterscheibe leicht beschlug, doch der Effekt hielt nur wenige Sekunden an. "Ich vermisse dich so schrecklich... es tut mir so Leid, Kookie. Ich hätte damals anders reagieren sollen. Ich würde es rückgängig machen, wenn ich könnte... Ach, wenn es nur einen Weg gäbe..."

Bittere Tränen sammelten sich in Taehyungs Augenwinkeln an und erst, als sie ihm heiß über die Wangen liefen, merkte er, wie kalt seine Haut war. Er überprüfte es, indem er seine Hände an seine Wangen legte, doch auch seine Hände waren mittlerweile eisig kalt.

Wie passend.

Taehyungs Körper war genauso kalt, wie er sich innerlich fühlte. Mit Jungkooks Verschwinden verschwand auch alle Wärme aus Taehyung. Zurück blieb das eisige Gefühl der Einsamkeit, der Schuld und der Trauer.

Das knarzende Geräusch der Bodendielen im Flur verriet ihm, noch bevor es an seiner Zimmertür klopfte, dass er jeden Moment Besuch bekommen würde. Taehyung wollte niemanden um sich herum haben, er wollte allein sein mit seinen düsteren Gedanken an Jungkook, aber wie sollte er seiner Mutter verübeln, dass sie nach ihm sah? Sie sorgte sich zurecht, denn ihr Sohn war längst nicht mehr der, der er einst war. Die Tage, an denen er unbeschwert mit seiner Familie zusammen am Abendbrotstisch saß, waren lange Vergangenheit. Taehyung war nicht mehr unbeschwert. Er konnte die Nähe von anderen nicht mehr ertragen, auch nicht die seiner eigenen Familie. Dabei war es einst Taehyung gewesen, der für die witzigsten Momente sorgte und alle mit seinem Lachen ansteckte. Wie oft hatten sie beisammen gesessen und seinen freudigen Erzählungen gelauscht, auch wenn er sich dabei vor lauter Lachen selbst immer wieder unterbrechen musste?
Er war einst derjenige gewesen, der das Haus mit Leben erfüllte.

Nun war es still.

Taehyung war zu einem schemenhaften Abbild seiner Selbst geworden. Seine Mutter konnte nicht tatenlos mit ansehen, wie Taehyung sich immer mehr verlor.

"Tae-Schatz. Komm bitte essen. Ich hab Japchae gemacht, das isst du doch so gerne. Wenigstens ein bisschen", versuchte die Frau mittleren Alters ihren Sohn davon zu überzeugen, sich zu der wartenden Familie zu gesellen. Sie hatte jedoch wenig Hoffnung, da ihr Sohn zuvor nicht einmal die Plätzchen angerührt hatte, für die er früher alles getan hätte.

"Kein Hunger", war das einzige, was der junge Mann hervorbrachte, ehe er, immer noch aus dem Fenster schauend, seine Tränen mit dem übergroßen Pulloverärmel wegwischte.

"Aber du musst mal was essen... du bist sowieso schon so dünn geworden. Tae, ich mache mir langsam echt Sorgen um dich... so kann es doch nicht weiter gehen...." In der Frauenstimme lag Sorge, und die war durchaus berechtigt. Die Mutter war am Ende mit ihrem Latein. Wie oft hatte sie Gespräche mit ihrem Sohn geführt, und ihn davon zu überzeugen versucht, dass es nicht seine Schuld war? Wie oft hatte sie ihm angeboten, ihn zu trösten oder abzulenken? Mittlerweile spielte sie mit dem Gedanken, ob es nicht längst an der Zeit war, ihren Sohn zu einem Therapeuten zu schicken, denn anders kamen sie nicht mehr weiter. Die Trauer war schon genug Bürde, doch die Schuld, die er sich gab, fraß ihn regelrecht auf.

"Ich weiß, Mama. Morgen, versprochen."

Sie ahnte, dass es wahrscheinlich wieder ein leeres Versprechen war, doch sie ließ ihn gewähren. Sie konnte ihn nicht zum Essen zwingen, das hätte es nur noch schlimmer gemacht. Sie wollte nicht noch mehr Druck auf ihn ausüben, aber langsam war sie am Ende ihrer Kraft angelangt. Dass sie dadurch immer öfter abends bei ihrem Mann weinend im Arm lag und sich selbst Vorwürfe machte, ihrem Sohn nicht besser helfen zu können, hatte Taehyung niemals mitbekommen. Aber wie auch? Er war viel sehr in seinen eigenen, düsteren Gedanken versunken. 

Taehyung hörte, wie die Tür seines Zimmer wieder zufiel. Kaum war er wieder allein, wurde sein Bewusstsein von Erinnerungen geflutet. Er meinte sogar, Jungkook im Schnee spielen zu sehen, als sein Blick an der weißen Schneedecke verweilte. Früher hatten sie oft im Schnee gespielt. Er hatte so oft Jungkooks Lachen gehört. Die Stille, die nun herrschte, machte Taehyung wahnsinnig. Er wollte dieses Lachen nochmal hören. Er wollte ihn nochmal in die Arme schließen. Seine warme Nähe spüren. Und ihm endlich sagen, wie sehr er alles bereute....

Doch so sehr Taehyung sich auch seinen Erinnerungen hingab, Jungkook war fort.
   
   

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Herzlich Willkommen zum nicht so fröhlich-adventlichen Start von Winternacht XD
Wie die liebe BeTheSparkle kommentierte: andere haben sad endings, du hast sad beginnings XD

Morgen kommt das nächste, weil ich versuchen möchte, dass es 24 Kaps werden. Sorry, dass ich so verpeilt bin und nein, ich habe das natürlich nicht alles sauber vorgeschrieben, wie ich es mal geplant hatte.....

Trotzdem wünsche ich euch viel Spaß beim lesen ♡

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