❅ ⊱⋯ 𝟚𝟜 𝔾𝕝ö𝕔𝕜𝕔𝕙𝕖𝕟 ⋯⊰ ❅
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Der eisige Wind fegte um Taehyung herum, dennoch lächelte er sanft. Die kühle Luft machte ihm nichts aus, immerhin hatte er sich warm eingepackt. Selbst sein Gesicht hatte er heute halb verhüllt, weil es einer der kältesten Tage der vergangenen Wochen war. Aber das war okay. Taehyung mochte die Kälte. Meist brachte sie Schnee mit sich und mit ihr wurden unzählige positive Erinnerungen zu ihm getragen.
Seit langem hatte er keinen solch ausgiebigen Spaziergang mehr gemacht, doch an dem heutigen Tag hatte er einen guten Grund. Er wollte Jungkook besuchen, oder besser gesagt seine letzte Ruhestätte.
Es mochte verrückt klingen, doch Taehyung war nicht traurig, auch wenn Jungkooks Verlust ihn natürlich trotzdem schmerzte. Er hatte gelernt, nicht in seiner Trauer zu ertrinken, sondern sich lieber an all die vielen, schönen Jahrzehnte zu erinnern, die er gemeinsam mit Jungkook verbringen durfte. Außerdem war er sich sicher, dass Jungkook das so gewollt hätte.
Taehyung hatte wirkich viele Jahre voller schöner Erinnerungen, an die er gerne zurückdachte. Kookie hatte ihn sein ganzes Leben lang begleitet und auch wenn es die ein oder anderen Streitigkeit zwischen ihnen gegeben hatte, waren sie immer füreinander da gewesen. Bis zum letzten Atemzug.
Jungkook hatte in den letzten Jahre mit einem schwachen Herzen zu kämpfen gehabt und irgendwann wurde auch sein Körper schwächer. Taehyung wich in den letzten Wochen nicht von seiner Seite, sondern hielt seine faltig gewordenen Hände. Er wurde es auch im hohen Alter nicht Leid, Jungkook zu beteuern, wie sehr er ihn liebte und wie dankbar er war, dass er immer an seiner Seite gewesen war.
Jungkook war letztendlich friedlich eingeschlafen. Vielleicht hatte Tae sich das nur eingebildet, aber er meinte, auf Jungkooks Lippen sogar ein Lächeln entdeckt zu haben. Er hatte sich gewünscht, dass Jungkook ohne Schmerzen oder Angst von dieser Welt gehen konnte und zum Glück wurde sein Wunsch ihm erfüllt. Jungkook schien seinen Frieden mit dem Tod und sich selbst geschlossen zu haben.
Taehyung erinnerte sich noch genau an Jungkooks letzte Worte.
"Mit dir an meiner Seite habe ich selbst vor dem Sterben keine Angst. Alles wird gut werden. Wir werden uns wiedersehen. Behalte mich in guter Erinnerung. Weine nicht, sonder denk lieber an die vielen schönen Momente. Denk an die Sterne, Taehyung."
Er konnte sich nicht erklären, woher Jungkook diese Zuversicht nahm. Aber wenn Taehyung eines gelernt hatte, dann, dass es viele Dinge im Leben gab, für die er keine Erklärung fand. Es gehörte genauso zu Leben dazu wie der Tod.
Taehyungs altgewordenes Herz wurde schwer, als er an Jungkooks letzten Minuten auf der Welt dachte. Dennoch wollte er die Zuversicht nicht verlieren. Reflexartig griff er in seine Manteltasche und fühlte nach dem Gegenstand, dass ihn seit jener schicksalshaften Winternacht stets begleitet hatte. Es war noch da. Es spendete noch immer Zuversicht und Hoffnung. Vielleicht hatte Jungkook Recht und eines Tages würden sie sich doch wiedersehen.
Er hoffte es.
Taehyung hob seinen Kopf, blickte auf den wolkenbehangenen Himmel und fragte sich, ob Jungkook ihn von dort aus beobachtete. Wie erleichternd war der Gedanke, dass sie sich dort wiedersehen würden. Doch noch bevor sich Taehyung diesem Gedanken ganz hingeben konnte, erkannte er im Augenwinkel etwas anderes, das seine Aufmerksamkeit einforderte.
Einen jungen Mann. Zusammengekauert auf einer Parkbank.
"Es ist kalt. Du wirst dir mal mindestens eine Erkältung einfangen, wenn du weiter da sitzen bleibst", sprach Taehyung leise, woraufhin der junge Mann leicht erschrak. Dieser schaute nicht einmal auf, murmelte nur ein abwehrendes "Mir egal! Gehen Sie weg!", und doch ging Taehyung zu ihm rüber. Kurzerhand nahm er direkt neben dem jungen Mann Platz und betrachtete die verschneite Winterlandschaft um sich. Taehyung musste sich wirklich anstrengen, das aufkommende Lachen zu unterdrücken. Es war so verrückt.
All die Jahre hatte er sich immer gefragt, wer dieser seltsame alte Mann gewesen war. Nun hatte er seine Antwort. Der alte Mann war er selbst. Es hätte ihm schon viel früher wie Schuppen von den Augen fallen müssen, aber soweit hatte er nie gedacht. Und mit dieser Erkenntnis bekam Taehyung auch endlich seine Antwort. All die Dinge, die passiert waren, waren real gewesen und kein Traum. Jungkook war einst gestorben, doch dank seiner zweiten Chance konnte er Jungkook vor seinem vorzeitigen Tod bewahren. Die fünf Jahre, in die er getrauert hatte, waren genauso real, wie die anderen, die er durch seine zweite Chance erleben durfte.
Er war damals also wirklich in der Zeit zurückgereist und konnte sein Leben ab dem Zeitpunkt neu leben, wo er Jungkook in jener Winternacht doch hinterhergelaufen war.
Und das alles, weil dieser alte Mann damals ein silbernes Glöckchen hervorgeholt hatte. Er erinnerte sich an jedes einzelne Wort, dass er damals zu ihm gesagt hatte.
"In dem Gewissen, einen jungen Mann, der noch sein ganzes Leben vor sich hat, einfach seinem Schicksal zu überlassen? Junge, du wirst an einem Kältetod sterben, wenn du noch lange hier sitzen bleibst."
Endlich schien der junge Mann neugierig geworden zu sein, denn er sah Taehyung misstrauisch an. "Was interessiert es Sie denn?"
Taehyung erinnerte sich an dieses Misstrauen. Er erinnerte sich an die Worte, an den Schmerz, den er damals gefühlt hatte. Er wusste, wie sich der junge Mann neben ihm fühlte, auch wenn es schon viele, viele Jahre her war.
"Ich finde es äußerst bedauerlich, dass ein junger Mann so bittere Tränen vergießt, wenn um ihn herum diese atemberaubend schöne Winterlandschaft herrscht. Wenn er friert, obwohl sein Herz so viel Wärme in sich trägt", sprach Taehyung unbeirrt weiter, ohne Anstalten zu machen, wieder zu verschwinden. Stattdessen erzählte er, wie sehr er einen Spaziergang im Schnee genoss, wie oft er sich die kahlen Bäume im Park anschaute, deren Äste mit Schnee behangen waren und wie sehr er die frische, kalte Winterluft genoss. Er wollte seinem jüngeren Ich Zuversicht geben, einen Lichtblick. Aber er wusste natürlich, dass die Worte für ihn eher schmerzlich waren, denn zu jenem Zeitpunkt hatte Taehyung den Winter zurecht verflucht. "Tut mir Leid, aber ich mag den Winter wirklich sehr. Er erinnert mich an einen Menschen, den ich sehr gerne mochte. Jedes Jahr, wenn sich die ersten Schneeflocken auf die Erde niederlassen, muss ich an diesen Menschen denken. Und dann wärmt es mein Herz." Taehyung lächelte, denn natürlich dachte er dabei an niemand geringeren als seinen geliebten Jungkook.
"Aber ich hasse den Winter!", knurrte sein damaliges Ich. "Mir ist kalt und das bestimmt nicht wegen dem Schnee! Gehen Sie endlich weg, und lassen Sie mich in Ruhe!"
War er damals wirklich so verbittert gewesen? Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, wie ein anderes Leben. Aber es stimmte. Damals hatte er die ganze Welt verflucht, sich selbst eingeschlossen. "Das bezweifele ich nicht", antwortete Taehyung daher in sanfter Tonlage. Er wirkte ganz ruhig und gelassen, machte noch immer keine Anstalten, den jungen Mann wieder alleine zu lassen und lächelte stattdessen lebensbejahend weiter vor sich hin. Erst kurze Zeit später erhob er ein weiteres Mal das Wort. "Menschen neigen leider dazu, für die Kälte um sie herum empfänglicher zu sein, als für die Wärme. Eigentlich sehnen sie sich nach nichts mehr als nach Nähe. Doch manchmal werden sie blind und sehen nur noch das schlechte um sie herum, obwohl es immer noch Menschen gibt, die sie lieben. Leider sind wir Menschen in dem Punkt ziemlich ungeschickt." Taehyung wusste genau, wovon er sprach und meinte jedes Wort genauso, wie er es sagte. "Doch wenn ich so frei sein darf, das zu sagen. Eines Tages wird es weniger weh tun. Eines Tages wirst du wieder die Wärme spüren können. Und manchmal, wenn man es am wenigsten erwartet, bekommt man eine zweite Chance, Taehyung."
Sein damaliges Ich war so überrascht, seinen eigenen Namen zu hören, dass er erschrocken den Kopf hochriss und mit einem Male kerzengerade auf der Parkbank saß. "Was!? Aber... aber woher..?", stieß er vollends verwirrt aus.
Anstatt sich zu erklären, kramte Taehyung in seiner Manteltasche nach dem Glöckchen. Mit einem dankbaren, wehmütigen Lächeln betrachtete er es eingehend und verabschiedete sich innerlich von seinem jahrzehntelangen Begleiter. Es war an der Zeit, das Glöckchen weiter zu reichen und damit die Magie dieser Winternacht. Es fiel ihm schwer, sich davon zu verbschieden, aber er wusste ja, dass er es nicht wirklich weggab.
"Hier."
"Was ... ist das?", erkundigte sich sein damaliges Ich verwirrt, als er das kleine silberne Etwas in seiner Hand betrachtete. Taehyung hätte so vieles sagen können, er hätte ihm alles erklären können, aber so funktionierte es nicht. Er wusste, dass es genauso passieren musste wie damals, ansonsten würde er in der Vergangenheit nicht mit Jungkook zusammen kommen. Der damalige Taehyung hatte einige Lektionen zu lernen und dafür musse er sie am eigenen Leib erfahren. Daher wählte er die selben Worte, die er damals von dem vermeindlichen Fremden gesagt bekommen hatte.
Damals hatten ihn die Worte wütend gemacht, heute verstand er sie besser, als jeder andere und er war dankbar, dass es so war.
"Deine zweite Chance."
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Das wars mit Winternacht.
Und vielleicht versteht ihr nun, weshalb ich gerade diese Story als Weihnachtsgeschichte gemacht habe. Auch wenn sie sehr düster anfängt, hoffe ich, dass die Hauptaussage euch erreichen konnte.
Meine Lieben,
Ich wünsche euch zu Weihnachten, dass ihr einen (oder mehrere) Menschen an eurer Seite habt, der euch wertschätzt, der euch zuhört, der euch sieht.
Ich wünsche euch, dass ihr jeden Tag einen Grund findet, der das Leben lebenswert macht und dass ihr nicht als selbstverständlich anesehen werdet. Ihr seid etwas besonderes, jeder auf seine eigene Art und Weise. Und das dürft ihr niemals vergessen.
Das dürfen wir alle nicht vergessen.
Wir erhalten leider selten eine zweite Chance und in die Vergangenheit reisen können wir auch nicht. Aber vielleicht können wir lernen, jeden Tag als Geschenk zu sehen.
Denn auch, wenn ein Tag mal nicht so läuft, wie wir uns das wünschen, so gibt es irgendwo da draußen jemandem, dem wir wichtig sind.
Bitte passt auf euch auf,
geniesst die Zeit mit euren Familien und Freunden.
I purple u
Eure Taelirium
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