⋯⊰ ❅ 13 Ein Blick zurück ❅ ⊱⋯

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Taehyung erinnerte sich daran, wie glücklich Jungkook damals ausgesehen hatte. Den ganzen Nachmittag hatten sie noch zusammen gespielt und im Anschluss beschlossen, Freunde zu sein.

Dennoch verstand Taehyung nicht, was sein jüngeres Ebenbild ihm mitteilen wollte. Jungkook hatte ihn gesehen? Was meinte er damit?

„Ich verstehe nur nicht, was du meinst. Also... wieso meinst du, Kookie hat mich gesehen?", fragte er nachdenklich an den Jungen neben sich gewandt. Er hatte sich derweil ebenfalls auf dem Boden niedergelassen und saß, genau wie sein jüngeres Abbild, im Schneidersitz. Wenn dieser doch prägnante Größenunterschied nicht wäre, hätte man meinen können, Taehyung säße vor seinem Spiegelbild.

„Ich zeigs dir. Dann wirst du es verstehen." Das junge Ebenbild Taehyungs streckte seine zierlichem Hände aus. Erst zögerte Tae, doch sein Gefühl sagte ihm, dass es die richtige Entscheidung war, dem Jungen zu vertrauen. Bedacht legte Taehyung seine Hände in die des Jüngeren.

"Schließ die Augen", hörte Taehyung die kindliche Stimme bitten. Er zögerte, nickte letztendlich aber doch. Er spürte, dass sich neben der Aufregung noch ein anderes Gefühl in ihm ausbreitete. Vertrautheit. Eigentlich war es logisch, immerhin war der Junge er selbst, und dennoch wunderte er sich darüber. Etwas weniger aufgeregt schloss Taehyung die Augen und wartete gespannt, was der Junge nun vorhatte.
Erst passierte nichts, doch da erkannte Taehyung durch die geschlossenen Augen, wie hell es um ihn herum wurde. Das Licht war so stark, dass es ihn durch die geschlossenen Augen blendete. Fest presste er seine Lider noch mehr aufeinander, bis das Licht weniger grell war und er sich traute, blinzelnd die Augen wieder zu öffnen.

Alles um ihn herum war weiß. Der Schnee glitzerte durch die wenigen Sonnenstrahlen, die sich durch die Wolken kämpften, und entlockte Taehyung ein sanftes Lächeln. Also hatte der Junge magische Kräfte, mit denen er die beiden raus teleportieren konnte? Denn das war eindeutig ihr Garten, in dem sie nun standen. Er erkannte die Laterne, den mickrigen Gartenzaun und die große Wiese, auf der er als Kind so gerne gespielt hatte. Er verstand nur nicht, wieso sie nicht einfach den normalen Weg nach draußen nahmen, sondern mit einer aufwendigen Teleportation.

Seit wann konnten Menschen sich eigentlich teleportieren? Taehyung war sich sicher, dass es nicht möglich war und wollte gerade ansetzen, dem kleinen Tae Löcher in den Bauch zu fragen, als er eine helle Kinderstimme hörte.

Ein eiskalter Schauer jagte ihm über den Rücken. Er wusste, wem sie gehörte. Zu oft hatte er ihrem Klang gelauscht und kannte jede Nuance in und auswendig.

"Das... kann nicht...", stammelte er entgeistert. Im selben Moment sah er einen hellauf begeisterten Jungen um die Ecke kommen. Taehyung erstarrte.
Sein Herz überschlug sich, sein Verstand vernebelte sich und in seiner Brust breitete sich ein bitterer Schmerz aus. Tränen schossen in seine Augen, bahnten sich ihren Weg über sein Gesicht, obwohl auch seine Mimik völlig erstarrt war.

Mit weit aufgerissenen Augen sah er, wie der Junge auf ihn zugelaufen kam. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, Jungkook nochmal zu sehen.

Als Taehyung sich aus seiner Starre endlich befreien konnte, rief er verzweifelt nach seinem damaligen Freund. Er wollte zu ihm laufen, ihn in seine Arme schließen und niemals mehr loslassen.

Doch sein jüngeres Ebenbild hielt ihn zurück.

"Er kann dich nicht sehen und auch nicht hören, Taehyung. Es hat keinen Zweck!"

"Mir egal!!!", keifte Taehyung erbost. Was sollte das? Er musste doch wissen, sie sehr er Jungkook vermisste! Er konnte doch nicht von ihm erwarten, dass er jetzt einfach tatenlos danebenstand, ohne Jungkook in die Arme zu fallen! Er würde es schon hinkriegen, dass Jungkook ihn hörte, und wenn er sich dafür die Seele aus dem Leib brüllen musste. Verstand er denn nicht, dass er seit fünf Jahren darauf hoffte, Kookie nochmal sehen zu können? Jeden Tag hatte er sich die Augen ausgeheult, weil er ihn so sehr vermisste. Jeden verfluchten Tag.
Jetzt stand er vor ihm und er durfte nicht zu ihm? Das war Folter. Wieso waren sie dann hier? War es eine Strafe dafür, dass er Jungkook damals in den Tod getrieben hatte?

"Es ist keine Strafe, Tae", konterte der kleine Tae streng. „Du sollst hinsehen und verstehen. Sieh dir Kookie ganz genau an."

"Ich kann das nicht! Tu mir das nicht an!", kreischte Taehyung aufgebracht. Sein Puls schoss immer weiter in die Höhe. Er wollte zu Jungkook! Sein jüngeres Ebenbild hielt ihn am Handgelenk zurück, doch davon ließ sich der Erwachsene nicht aufhalten. Niemals. Da vorne stand Jungkook!

„Taehyung, es reicht! Jungkook wird dich nicht sehen und auch nicht hören. Und du kannst ihn auch nicht einfach in den Arm nehmen. Deswegen sind wir nicht hier! Du sollst ihn dir ansehen und lernen! Hör endlich auf so blind zu sein! Verschenk deine zweite Chance nicht!"

Die Worte des Jüngeren waren hart und streng, doch sie sorgten dafür, dass Taehyung seinen Protest endlich aufgab. Wie gelähmt betrachtete er die Szene aus der Vergangenheit, die sich vor seinen Augen abspielte. Jungkook war direkt in ihre Richtung gelaufen, doch bis jetzt hatte er keine Notiz von ihnen genommen. Stattdessen hatte der junge Jungkook sich mit breitem Grinsen in den Schnee geschmissen. In dem Moment kamen noch zwei weitere Jungs dazu. Einer davon war er selbst. Der andere ihr damaliger Freund Jimin.

Taehyung erinnerte sich an den Tag. Das war der Tag, an dem Jungkooks Mama sie mit auf den Weihnachtsmarkt genommen hatte. Es war ein atemberaubend schöner Tag gewesen, und er hatte sich oft daran zurück erinnert.

Es jetzt nochmal vor Augen zu haben, war auf der einen Seite unglaublich schön, aber auf der anderen Seite gab es nichts, was in diesem Moment mehr geschmerzt hätte. Jungkooks Lachen hallte in seinem Kopf wider, erfüllte ihn mit Sehnsucht und Trauer, obgleich er selten etwas Schöneres gehört hatte. 
Er dachte an jenen Tag zurück, der sich gerade vor seinen Augen nochmal abspielte. Jungkook hatte ihn gefragt, ob sie einen Schneemann zusammen bauen könnten, aber damals hatte Jimin ihm direkt einen Schneeball entgegen geschleudert und er selbst hatte auch viel mehr Lust auf eine Schneeballschlacht. Er war damals der Meinung gewesen, dass Jungkook das genauso toll fand, immerhin hatte er mitgemacht.

Aber was er jetzt sah, zerbrach ihm das Herz. Jungkook war gar nicht direkt begeistert zu ihnen gelaufen, wie er damals angenommen hatte, sondern stand noch einige Zeit etwas abseits und betrachtete traurig den Schnee vor sich. Jetzt erst erkannte er, dass Jungkook sich damals ein paar Tränchen weggewischt hatte, bevor er zu ihnen gelaufen war.

Fest presste Taehyung sich eine Hand vor den Mund, als er erkannte, wie unglücklich sein Kookie damals ausgesehen hatte. Er hatte das zu diesem Zeitpunkt gar nicht mitbekommen...

"Das meinte ich. Du hast Kookie damals nicht gesehen. Du warst viel zu sehr mit dir selbst und Jimin beschäftigt."

"Ich... ich wollte das aber gar nicht... ich hab nie mitbekommen, wie unglücklich Kookie war", rechtfertigte der erwachsene Taehyung sich. Der Junge neben ihm nickte verstehend. "Das weiß ich. Trotzdem solltest du dir darüber im Klaren sein, was das damals in Kookie ausgelöst hat. Beziehungsweise, wie er dich angesehen hat."

Die Szene ging weiter. Taehyung sah, wie Jungkooks Mutter alle drei zu sich gerufen hatte. Kookie war als letztes am Auto angekommen und glücklich darüber schien er nicht zu sein.

Taehyung und sein jüngeres Ebenbild folgten den drei Jungen der Vergangenheit auf dem Markt. Erleichterung fand Taehyung trotzdem nicht, im Gegenteil. Je länger er Kookie betrachtete, desto mehr viel ihm auf, wie viel Rücksicht er damals immer auf ihn genommen hatte. Kookie hatte beinahe alles getan, um Taehyung eine Freude zu machen. Und das schmerzte ihn.

Taehyung war egoistisch gewesen, ohne es zu merken. Er war ignorant gegenüber Jungkooks Gefühlen. Die nächste Szene machte ihm das nochmal mehr als deutlich.

Jimin und er flehten Kookie an, sich für Crêpes zu entscheiden und tatsächlich tat er dies auch. Jimin und er hatten sich damals tierisch gefreut, grinsten über beide Ohren und quiekten vor Vorfreude auf.

Jungkook nicht.

Denn erst jetzt konnte Taehyung erkennen, wie sein sehnsüchtiger Blick zu dem Süßigkeitenstand ging und dort einen Moment verweilte. Erst in dem Moment, wo er wieder zu Tae sah, schlich sich ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen.

Schlagartig wurde Taehyung klar, dass Kookie niemals diese blöden Crêpes essen wollte, sondern lieber etwas vom Süßigkeitenstand. Aber anstatt so egoistisch zu sein, wie Taehyung damals, entschied er sich für das, was seine Freunde wollten. Wieso hatte er niemals gemerkt, wie selbstlos Kookie gehandelt hatte? War er wirklich so blind gewesen?

"Fuck... deswegen hat er seine auch nie aufgegessen", wisperte Taehyung unter Tränen, als diese Erkenntnis ihn traf wie ein Blitz. Weinend sank er auf die Knie, verbarg sein Gesicht hinter seinen Händen und grämte sich, so ein schlechter Freund gewesen zu sein. "Ich dachte immer, das ist, weil er noch jünger ist", rechtfertigte er sein Handeln von damals. „Und ich Idiot hab mich immer gefreut, dass ich es war, und nicht Jimin, der den Rest von Kookies Crêpes auch noch essen durfte. Jetzt weiß ich warum... er mochte sie gar nicht. Er hat sie sich nur wegen mir gewünscht..."

Taehyungs Ebenbild hockte sich neben ihn, strich ihn beruhigend über den Rücken und wartete, bis er sich wieder etwas beruhigt hatte.
"Du beginnst endlich, zu verstehen. Bitte merk dir das für die Zukunft, Tae. Fang an, die Menschen um dich herum genauer zu sehen. Schenke ihnen die Beachtung, die sie bekommen sollten. Hör ihnen ganz genau zu, wenn sie sprechen, denn manchmal sagen sie nicht mit Worten, was sie meinen. Aber wenn du ganz genau hinhörst, kannst du sie verstehen."

Die Worte hingen zunächst unbeantwortet in der kalten Winterluft, bis Taehyung die Bedeutung der Worte endlich verstand.

"Wie traurig...", murmelte er schniefend und mit einem schuldbewussten Lächeln auf den Lippen. "Da muss mir ein Kind erzählen, wie ich mit meinen Mitmenschen umzugehen habe..."

"Naja, Ich bin aber auch kein gewöhnliches Kind...", grinste die Miniaturversion von Tae frech.
Taehyung nickte kraftlos. Er fühlte sich so elendig zermürbt und müde. Keine einzige Minute würde er es noch aushalten, seine Fehler von damals vor Augen geführt zu bekommen. Keinen Augenblick länger würde er Jungkooks Anblick ertragen können. "Das stimmt wohl", antwortete Taehyung traurig lächelnd. „Bitte lass uns von hier abhauen. Ich kann das nicht länger mit ansehen..."

"Ach Tae. Unsere Reise hat doch erst angefangen."

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Hallo meine lieben,
Ich wünsche euch einen wundervollen 3. Advent 🤗💜

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