Sonntag, 10.12.23
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Der gestrige Tag hat mir wirklich gut getan. Endlich habe ich mal wieder halbwegs ordentlich geschlafen und fühle mich heute bereit für den Tag. Es ist allerdings nichts geplant, also tue ich mir die Ruhe an und bleibe noch ein bisschen liegen.
Gegen 8 Uhr rolle ich dann langsam aus dem Bett. Min-jun schläft anscheinend noch, was mich nicht wundert. Wenn er einen Tag mit Miryo verbracht hat, braucht er immer etwas mehr Schlaf.
Bis fast 10 Uhr bleibt es still in unserer Wohnung. Dann kommt mein verschlafener Sohn aus dem Zimmer gekrochen, kuschelt sich auf der Couch unter eine Wolldecke und zeigt mit einem Finger auf den Fernseher.
"Guten morgen. Gut geschlafen?", frage ich ihn. Als Antwort bekomme ich ein herzhaftes Gähnen, gefolgt von einem Nicken. Ich muss schmunzeln. Ein müder Min-jun ist noch schweigsamer als sonst schon. Ich komme seiner stillen Bitte nach, mache den Fernseher und sein Lieblingsprogramm an. Min-jun murmelt ein leises 'Dankeschön', ehe er sich an mich kuschelt. Samt Decke natürlich.
Eine ganze Weile bleiben wir einfach so sitzen und lauschen dem Fernseher. Mein Bauch meldet sich wenig später mit einem lauten Knurren und Glucksen. Es wird Zeit zum Frühstücken. Langsam stehe ich auf, trotte in die Küche und bereite ein kleines Frühstück für uns zu.
Es ist merkwürdig friedlich und entspannt heute. Dank Miryo muss ich nicht mal mehr viel im Haushalt machen. Wenn ich gleich noch eine Maschine Wäsche anstelle, reicht das.
Wenn es doch immer so sein könnte...
Es vergehen noch weitere zwei ruhige Stunden, in denen wir auf der Couch faulenzen, ehe sich mein Handy meldet. Eine neue Nachricht. Als ich nach dem Handy greife und nachschaue, ob sich schon wieder jemand krank gemeldet hat, staune ich nicht schlecht. Taehyung hat geschrieben.
Nachdem ich im Baumarkt für Yoongi schon mal warmgelaufen war, hab ich zu Hause den Schwung genutzt und gleich mit meinem Glaspalast für das Uniprojekt weiter gemacht - natürlich wie jeder anständige Student bis mitten in die Nacht. Normaler Schlafrhythmus ist was für Langweiler. Irgendwann war mein Modell fertig, die Nacht fast rum und ich ziemlich durch. Also habe ich mich in die Federn fallen lassen. Mehr weiß ich nicht mehr.
Jetzt ist es Mittag, ich bereue die lange Nacht, koche mir einen starken Kaffee und begutachte mein Werk. Ich kann zufrieden sein.
Hoffentlich ist der Professor es auch ...
Einen gibts, der wird in zwei Wochen bestimmt sehr zufrieden sein. Ein kleiner Min-jun irgendwo in dieser Stadt, der eine tolle Garage für seine Spielzeugautos auspacken darf.
Hm. Warum nicht gleich damit anfangen? Sooo viel Zeit ist dafür nicht mehr.
Ich schnappe mir mein Handy und schreibe Yoongi an.
》Hi! Was hältst Du davon, wenn wir heute schon anfangen? Mein Modell ist fertig, also hab ich Zeit. *rüberwink * 《
Taehyung fragt, ob wir heute schon anfangen wollen, die Garage zu bauen. So spontan kann ich das gar nicht sagen, denn Min-jun soll davon natürlich nichts mitbekommen.
》Hallo Tae. Grundsätzlich gerne, aber ich müsste erstmal schauen, ob ich so spontan einen Babysitter bekomme. Ich würde mich gleich nochmal melden, okay?《
Ich warte auf seine Antwort und als er dem zustimmt, schreibe ich Miryo direkt an. Ich frage sie, ob sie nochmal auf Minnie aufpassen könnte und erkläre auch, warum.
Es dauert nicht lange, bis sie antwortet. Sie stimmt natürlich zu, was anderes habe ich aber auch nicht erwartet. Mein schlechtes Gewissen meldet sich wieder. Bestimmt hat sie schon etwas vorgehabt, aber für mich alles abgesagt. Sie würde niemals nein sagen, wenn ich ihre Hilfe brauche. Ich weiß das natürlich sehr zu schätzen, aber trotzdem fühle ich mich nicht wohl damit.
》Ich hab einen Babysitter. Allerdings kann sie erst ab 16 Uhr. Ist das ein Problem für dich?《
》Nö, überhaupt nicht. Gibst Du mir Deine Adresse? Dann bin ich pünktlich da.《
Wir verabreden noch, was er an Werkzeug hat, und was ich mitbringen soll. Um 15:30 Uhr mache ich mich startklar und radele los. Zum Glück wurden die Regenwolken über Nacht von einem Sturm davongeweht. Also komme ich gut voran. Ich freue mich jetzt richtig auf Yoongi und seinen Sohn.
Bevor Miryo und Tae bei uns aufschlagen, werde ich nochmal richtig produktiv. Die Wäsche läuft und ich schaffe es sogar, die Wäsche von gestern abzuhängen und wegzuräumen. Das Schlafzimmer muss ich aufräumen. Außerdem durchforste ich unsere Vorräte und bin froh, dass ich noch Gemüse und Fleisch eingefroren habe. Damit kann ich heute Abend was zu essen machen, falls Tae nicht anderweitig schon was geplant hat. Kochen muss ich ja sowieso und da Min-jun oft nicht so viel isst, wird es reichen, wenn ich etwas mehr zubereite, um Tae mit satt zu kriegen.
Min-jun merkt meine Aufregung sofort und fragt, was los ist.
"Wir bekommen Besuch. Ein ganz lieber, junger Mann. Ich habe mich gestern mit ihm angefreundet. Wir haben ein bisschen was vor, aber Miryo wird auch kommen und auf dich aufpassen."
"Dann kann ich mit ihr wieder Dino spielen!", antwortet er ganz aufgeregt und flitzt freudestrahlend in sein Zimmer. Es ist schön, dass er sich so freut. Miryo weiß gar nicht, wieviel Halt sie uns gibt. Allein, weil Min-jun dadurch auch eine weibliche Bezugsperson hat. Ich bin mir sicher, dass es für ein Kind enorm wichtig ist.
Die Zeit verfliegt. Ich kriege noch einiges geschafft, ehe es an der Tür klingelt. Ich öffne die Haustür durch die Anlage, sage Tae, in welchen Stock er muss, und öffne auch schon die Wohnungstür. Kurz darauf höre ich den Aufzug und sehe wenig später den jungen Mann mit einem breiten Grinsen vor uns stehen.
Min-jun wirkt enttäuscht, dass Miryo nicht als erstes bei uns aufschlägt, und versteckt sich hinter meinen Beinen. Wie immer, wenn er eine Person noch nicht kennt. So wie ich Tae aber einschätze, wird es nicht lange dauern, bis die beiden warm miteinander geworden sind.
Ich mache sie miteinander bekannt und bitte unseren Besucher herein.
Ich radele zwischen eng stehenden Mietshäusern zur angegebenen Adresse. Yoongi wohnt in einem 8-Parteienhaus, zum Glück mit Aufzug. Schnell lässt er mich rein. Oder möchte es zumindest, denn sein Sohn klebt ängstlich an seinen Beinen und hindert ihn so daran, den nötigen Schritt zur Seite zu machen. Yoongi kuckt hilflos. Ich dagegen muss mir ein Grinsen verkneifen.
Ich gehe in die Hocke und schaue zwischen Yoongis Beinen durch zu dem scheuen Jungen.
"Hallo. Ich bin Taetae und würde gerne reinkommen, weil es im Treppenhaus so kalt ist. Bei euch drinnen ist es bestimmt viel gemütlicher. Darf ich?"
Erst macht der Kleine erschrocken einen Schritt nach hinten und schaut mich mit großen Kulleraugen an. Dann nickt er, bleibt aber wie angewurzelt stehen. Und schließlich purzelt eine leise gepiepste Frage aus ihm raus.
"Wo ist Miryo, Papa?"
Yoongi schaltet, nutzt die zurückgewonnene Freiheit und geht einen Schritt zur Seite. Ich stehe auf und trete in den Flur, so dass er die Tür schließen kann. Erst jetzt antwortet er seinem Sohn.
"Sie wird bestimmt bald hier sein. Möchtest du ihr dann die Tür aufmachen?"
Min-jun nickt eifrig, verschwindet in einem Zimmer und kommt mit einem kleinen Hocker zurück. Den stellt er vor die Gegensprechanlage und klettert drauf. Geduldig schwebt sein Finger vor den Knöpfen in der Luft. In dem Moment, wo es klingelt, drückt er auf einen davon drauf.
Himmel, ist der niedlich!
Er klettert wieder runter, bringt den Hocker weg und macht die Wohnungstür auf.
Kurz darauf kommt der Aufzug mit einem leisen Ping oben an, und eine junge Frau stößt zu uns. Nach der allgemeinen Begrüßung und Vorstellung verschwinden diese Miryo und Min-jun in dem 'Hocker'-Zimmer. Von drinnen ist fröhliches Quasseln zu hören.
Da krieg ich doch glatt Sehnsucht nach meinen beiden Rackern. Aber so mal eben nach Hause fahren ist einfach nicht drin.
Schnell schiebe ich den Gedanken wieder weg und sehe Yoongi erwartungsvoll an.
Wie erwartet verkriechen sich Miryo und Min-jun direkt in seinem Zimmer. Ich nutze die Zeit, um eine Kanne Kaffee aufzusetzen. Tae hat zumindest in der Baumarkt Cafeteria Kaffee getrunken, also gehe ich davon aus, dass er auch heute vielleicht einen trinken wird. Und Miryo säuft das Zeug eh wie Wasser. Danach setze ich mich mit meinem Gast auf die Couch.
"Ich finde es wirklich nett, dass du heute schon an unserem Projekt arbeiten willst", sage ich, als Tae und ich uns ins Wohnzimmer setzen. "Ich würde dich nur gerne bitten, dich vor Min-jun nicht zu verplappern. Es soll eine Überraschung sein und noch glaubt er an den Weihnachtsmann."
Tae versichert mir, dass Min-jun nichts von unserem Bauprojekt erfahren wird und erklärt auch, dass er für seine Geschwister immer alles getan hat, damit sie lange an den Weihnachtsmann glauben. Es beruhigt mich, sodass wir uns nochmal konkreter der Planung widmen können. Tae meint, dass es schneller und besser geht, wenn wir die Aufgaben verteilen und einen Zeitplan entwerfen. Immerhin müssen manche Teile richtig durchtrocknen, bevor man weiterbauen kann, damit sie auch wirklich stabil sind.
Als wir damit fertig sind, verkriechen wir uns in mein Schlafzimmer. Ich habe nur einen kleinen Tisch, auf dem ich immer bastele. Bis jetzt hat es immer gereicht und wenn nicht, bin ich auf den Wohnzimmertisch ausgewichen. Das geht jetzt natürlich nicht, weil Minnie dann mitkriegen würde, dass wir etwas bauen.
Tae scheint es zum Glück nicht sonderlich zu stören. Er hilft mir, mit meiner Erlaubnis, den Nachttisch freizuräumen, und stellt ihn neben den Bastler-Tisch. Daraufhin fangen wir auch schon an.
Es ist nett hier. Einfach nett. Nicht zu ordentlich, nicht zu formell. Ich fühle mich wohl.
Der Eindruck bekommt die ersten Risse, als wir uns in Yoongis Schlafzimmer zurückziehen. Es ist klein, eng und voll. Mit einem Ehebett und einem großen Schrank. Der Schrank sieht alt aus, ist aber mit viel Mühe und Erfolg aufbereitet worden.
Wenn das Yoongi war, stellt er sein Licht aber ganz schön unter den Scheffel.
Während ich mit Yoongis Erlaubnis seinen Nachttisch leerräume, bemerke ich noch etwas. Das Doppelbett hat auf beiden Seiten die gleiche Bettwäsche und ist ordentlich gemacht. Er hat hier sicher vorhin gründlich aufgeräumt. Aber nur eine Seite vom Bett sieht benutzt aus. Die andere ist frisch gebügelt - und jungfräulich.
Aber wo ist die Frau dazu? Yoongi hat sie noch mit keinem Wort erwähnt. Ist sie abgehauen wegen dieser Miryo? Das glaube ich nicht. Das würde überhaupt nicht zu dem Yoongi passen, den ich gestern kennen gelernt habe.
Ich lasse mir nichts anmerken, schnappe mir die Liste mit den Maßen und meinen Zollstock. Yoongi hat auch einen in der Hand.
"So, jetzt müssen wir ein bisschen puzzeln. Wir sollten versuchen, diese Maße und diese Bretter so einzuteilen, dass wir möglichst wenig nachsägen müssen. So hast du auch mehr übrig für noch was anderes."
Dann puzzeln wir. Und puzzeln. Und puzzeln. Für manche Teile finden wir gleich ein passendes Brett, manche werden wir noch zusägen müssen. Aber schließlich haben wir einen Stapel Pappelsperrholz, beschriftet mit den nötigen Maßen, fertig neben uns liegen. Yoongi räumt sofort die ungenutzten Bretter auf den Schrank.
"Jetzt können wir das alles anzeichnen und dann überlegen, wann, wie und wo wir sägen, ohne dass dein Zwerg es mitkriegt. Hast du Bleistifte?"
Yoongi hat sichtlich Spaß an der Sache, auch wenn er nichts sagt. Eins nach dem anderen zeichnen wir Linien, Winkel und abgerundete Ecken auf die Bretter. Wir haben uns dafür entschieden, nicht zu bohren. Dafür ist das Holz zu dünn. Wir wollen die Teile verbinden mit Hilfe von Holzleim und dünnen Nägeln. Dann dürfte die Garage stabil genug sein.
"So Yoongi. Damit ist die erste zeitaufwändige Etappe geschafft. Wie machen wir jetzt weiter?"
Yoongi lächelt den Bretterstapel voller Kritzeleien an und beschließt, dass es für heute genug ist. Miryo muss nach Hause, er möchte noch kochen. Und der Zwerg muss rechtzeitig ins Bett. Er sammelt das Werkzeug, die Pläne und Listen ein und steckt das alles auch in den Schrank. Dann lädt er mich zum Essen ein. Wir verlagern uns zur Küche, wo er den Kochlöffel schwingt.
Wir kommen ganz gut voran, auch wenn mir das alles nicht schnell genug geht. Am liebsten würde ich das Projekt heute schon fertig bekommen, aber dass das utopisch ist, ist mir klar. Außerdem kann ich nicht mehr. Es klingt zwar lächerlich, wenn ich darüber nachdenke, aber ich bin ehrlich platt von dem bisschen basteln.
Davon abgesehen muss ich auch noch kochen, Minnie muss noch baden und das alles möglichst rechtzeitig, weil Minnie sonst wieder zu spät ins Bett kommt.
Ein letztes Mal checke ich, ob im Schlafzimmer auch wirklich nichts mehr auf unser Projekt hindeutet. Als ich mir sicher bin, dass selbst eine Spürnase wie Min-jun nichts finden wird, gehen Tae und ich in die Küche. Ich will schon mal den Reis aufsetzen, aber da fällt mir auf, dass ich Miryo noch gar nicht gefragt habe, ob sie auch zum Essen bleiben möchte. Ich biete unserem Gast nochmal was zu Trinken an. Tae wartet in der Küche, während ich eben ins Kinderzimmer husche.
"Ich würde jetzt mit dem Kochen anfangen. Möchtest du gleich mitessen? Tae isst auch mit."
"Na klar!", antwortet sie mit einem fetten Grinsen. "Als würde ich es mir entgehen lassen, mal nicht selbst kochen zu müssen. Außerdem würde ich diesen neuen Kumpel von dir gern ein bisschen besser kennenlernen."
Damit ist es beschlossene Sache, dass wir alle zusammen essen werden. Hoffentlich versaue ich das Essen nicht. Und hoffentlich reicht es auch für alle. Man sieht es Miryo nicht an, aber sie kann essen wie ein 43 jähriger Bauarbeiter nach einer 10 Stunden Schicht.
Ich will schon wieder das Zimmer verlassen, als Miryo mich nochmal aufhält.
"Wir könnten hier ein bisschen Unterstützung gebrauchen. Frag deinen Kumpel mal, ob er nicht Bock hat, uns zu helfen."
Kurzerhand schlurfe ich zurück in die Küche, frage Tae, ob er Lust hast, mitzuspielen, und freue mich, als er zustimmt. Ich merke, dass ich gerade ein bisschen Zeit für mich brauche. Das Quietschen und Poltern aus dem Kinderzimmer ist permanent zu hören. Mich dabei noch mit jemandem zu unterhalten, wäre gerade äußerst anstrengend. So kann ich meine Playlist anmachen und mich voll und ganz aufs Kochen konzentrieren.
Ich hab von der offenen Küche her mitgehört und lasse mich nicht lange bitten. Ich mache mich auf zum Kinderzimmer. Es ist der größte Raum in der Wohnung, herrlich bunt eingerichtet, damit das Kind genug Platz und Ideen zum Spielen hat. Dort erwartet mich ein ziemliches Tohuwabohu, denn Miryo und Min-jun haben aus der Hälfte der Einrichtung eine Höhle gebaut, die ziemlich abenteuerlich konstruiert ist.
"Ui, da muss wohl der Architekt mit ran. Das ist je echt gewagt!"
Miryo protestiert gespielt, aber kaum habe ich die ersten Vorschläge gemacht, taut der Zwerg auf und löchert mich mit Fragen.
"Taetae, was ist ein A... Achi...?"
"Ein Architekt ist jemand, der studiert hat, wie man stabile Häuser baut, die auch bei Sturm nicht umfallen."
"Und was ist studiert?"
Wie erklär ich DAS denn jetzt?
"Wenn ein Mensch studiert, dann ..."
Miryo kommt mir zu Hilfe.
"Dann lernt er ganz viel in einem Beruf, der ihm viel Spaß macht."
"Ja, genau. Danke!"
Ich grinse sie an.
Häuser? kann ich. Sätze? So semi.
"Ich lerne grade, wie man Häuser baut."
Min-jun starrt mich mit offenem Mund und großen Augen an. Seine Scheu von vorhin ist völlig verschwunden.
"Ganze Häuser? Dann ... Dann kannst du auch unsere Höhle besser bauen. Die fällt nämlich dauernd zusammen. Und das ist doof."
"Klar kann ich das versuchen. Lass mal sehen."
Zwei Augenpaare verfolgen gespannt, wie ich möglichst umständlich die wackelige Konstruktion von oben und unten, innen und außen begutachte. Dabei muss sich das Mädel das Grinsen verkneifen, weil ich möglichst komplizierten, fremdwörtergespickten Unsinn vor mich hin murmele.
"Okay. Die Wand muss besser abgestützt werden. Und die Decke muss irgendwo befestigt werden, sonst zieht sie mit ihrem Eigengewicht die andere Wand immer um. Hm. Min-jun, kannst du mal alle Schals holen, die ihr besitzt?"
Erstaunlich flink ist ein kleiner Kugelblitz zur Tür raus, es rappelt im Flur, und schon kommt ein Wollstreifenberg zur Tür rein. Zwei lange Herrenschals, drei bunte Kinderschals. Und ein rosefarbener Damenschal. Der definitiv nicht zu Miryos Outfit passt.
Uff. Mein Hirn ist schon wieder auf Abwegen. Konzentrier dich!
"Super! Das reicht!"
Gemeinsam bauen wir die Höhle ab und suchen uns vier Punkte im Zimmer, an denen wir die Decke mit Hilfe der Schals anbinden können. Danach können wir ohne Last von oben aus allem, was das Zimmer hergibt, die Wände bauen. Kissen und Kisten stapeln sich bald bis zur Decke.
"So. Jetzt ist die Höhle so groß, dass wir sogar alle drei reinpassen."
Wir krabbeln unter die Bettdecke. Min-jun sieht sich um und strahlt. Dann wird sein Gesicht nachdenklich.
"Und Papa?"
"Der passt hier locker auch noch mit rein. Wir müssen nur unsere Beine sortieren."
Ich bin gerade dabei, das Gemüse zu schneiden, als ich höre, wie jemand aus dem Kinderzimmer gesprintet kommt. Ich wage einen Blick aus der Küche und sehe, dass Min-jun aus dem Flurschrank eine Ladung Schals holt. Ich will gar nicht wissen, welches Chaos sie da veranstalten, weil ich derjenige sein werde, der das wieder aufräumen darf. Aber was soll's. Minnie scheint seinen Spaß zu haben und das ist alles, was gerade zählt.
Es wird plötzlich ziemlich still im Zimmer nebenan, was nie ein gutes Zeichen ist. Aber der Reis ist fertig, Fleisch und Gemüse sind angebraten, der Tisch ist gedeckt, also werde ich die drei gleich zum Essen rufen können und mir ein eigenes Bild davon machen, was die da so anstellen. Ich stelle noch Gläser auf den Tisch und eine Flasche Wasser, ehe ich dem Kinderzimmer einen Besuch abstatte. Ein kurzer Blick reicht, um das Chaos in seinem ganzen Ausmaß zu erfassen. Da scheinen sich genau die drei richtigen gefunden zu haben...
"Essen ist fertig", teile ich mit und will das Zimmer schon wieder verlassen. Aber das lässt mein Sohn nicht zu. Er kommt auf mich zu, greift nach meiner Hand und zieht mich zu dem Berg aus Decken, Kissen und was sonst noch.
"Papa! Guck mal! Das ist riesig! Du musst einmal mit rein!", plappert er los und zieht mich in Richtung "Höhleneingang".
Tae und Miryo sitzen ebenfalls in der Höhle und lächeln mich an. Mir ist damit nicht ganz wohl. Es ist zu eng für so viele Menschen, aber ich will Min-jun auch nicht enttäuschen. Also überwinde ich meine Skepsis und krabbele zu den anderen in die Höhle. Dass ich Miryo nicht direkt auf dem Schoß sitze, ist alles. Es ist so eng, dass wir uns alle aneinander quetschen müssen.
"Wirklich toll", sage ich, obwohl ich das alles andere als toll finde. "Aber das Essen wird kalt, und dann schmeckt es nicht mehr."
Min-jun schmollt, sieht aber ein, dass wir nicht ewig hier sitzen können. Ich bin der erste, der aus der Höhle wieder herauskrabbelt.
"Aufauf, kleiner Mann. Jetzt kriegen wir drei Architekten endlich was gegen den Hunger. Und hinterher müssen wir die Baustelle wieder aufräumen. Sonst will in diesem Zimmer keiner wohnen."
Ich schiebe Min-jun an seinem kleinen Po zum Höhlenausgang und krabbele hinterher. Zu meinem Erstaunen läuft er von sich aus ins Bad, um sich die Hände zu waschen, und kommt dann zum Tisch.
Wie hat Yoongi DAS denn hingekriegt? Neid!
Beim Essen staune ich dann gleich noch mal. Keine Spur von überdrehter Müdigkeit, achtlosem Geklecker, 'ich mag nicht'-Gemäkel oder ähnlichen lauten Normalitäten. Min-jun schaltet völlig um. Gesittetes Essen, wenig Gespräch. Eine etwas angespannte Atmosphäre. Aber das stört mich ja nicht.
Da könnten sich meine zwei Geschwister echt eine Scheibe von abschneiden.
Nach einem Blick zur Uhr scheuche ich Minnie zurück in sein Zimmer, während Miryo Yoongi hilft, die Küche aufzuräumen. Noch einmal kriecht der Zwerg kurz in seine Höhle und freut sich. Dann bauen wir die Wände wieder ab, knoten die Decke los, er bringt die Schals weg. Wir verstauen alles an seinem Platz und machen schon sein Bett einladend für die Nacht. Meine Geschwister lieben das. Als Yoongi kommt und wie angewurzelt im Türrahmen stehen bleibt, kriege ich einen Lachflash.
"Dachtest du echt, das Aufräumen drücke ich dir aufs Auge? Kommt ja gar nicht in Frage."
Aber er sagt kein Wort dazu. Er schnappt sich seinen Sohn fürs Abendprogramm, Miryo und ich verabschieden uns und überlassen die kleine Familie sich selbst. Das war ein wirklich schöner Tag.
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