Donnerstag, 21.12.23
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Ich wache auf, recke mich ausführlich und freue mich auf den Tag. Unsere Leiterin hat gestern im Grunde nichts anderes gemacht, als Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, damit wir als Einrichtung noch in das Integrationsprojekt reinrutschen können. Drei weitere Kolleginnen haben sich ein Thema rausgepickt.
Sogar Youna würde am liebsten mitmachen. Leider müsste sie dafür ihre Ausbildung schon abgeschlossen haben. Aber sie wird bei uns mitlernen.
Wenn ich nicht will, dass der Morgen hektisch wird, sollte ich mal langsam aufstehen.
Ich schwinge meine Beine aus dem Bett und ... Pitsch! ... ziehe sie schnell zurück. Ich kann nichts sehen, weil es draußen noch dunkel ist und meine Vorhänge zugezogen sind. Um das Licht anzumachen, muss ich aber aus dem Bett.
Pitsch! Mit zusammengebissenen Zähnen steige ich in eiskaltes Wasser und tapse zum Lichtschalter.
Der gesamte Boden meines gestern noch gemütlichen Appartments ist klatschnass, der Teppich vollgesogen, die Vorhänge ziehen das Wasser nach oben. Am stärksten ist es bei der Küchenzeile. Hektisch kontrolliere ich meine Spüle und den Wasserhahn. Nichts. Ich saus noch in mein Bad. Hier ist auch nichts.
Ein Blick die Wand hoch. Wasserrohrbruch. Oder so. Was 'ne Scheiße.
Sofort rufe ich den wenig begeisterten Vermieter und den Hausmeister an, werfe mich in irgendwelche trockenen Klamotten und rase eine Treppe hoch.
Der Nachbar obendrüber scheint fest zu schlafen. Es dauert eine Weile, bis es hinter der Wohnungstür poltert und flucht. Ein verschlafener, genervter Typ öffnet die Tür.
"Drehen Sie sofort alle Wasserquellen und Maschinen aus. Bei mir läuft das Wasser die Wand runter."
"Hä?"
"In meiner Wohnung unten drunter läuft Wasser von der Decke. Da bei der Küchenzeile. Das muss von hier oben kommen. Stellen Sie sofort alles aus!"
Er rührt sich nicht. Also stürme ich an ihm vorbei, kontrolliere die schief stehende, neue Spülmaschine und halte bald den abgerutschten Schlauch in der Hand. In einem dicken Strahl schießt das Wasser aus dem Hahn und duscht mich von oben bis unten.
Schönen Dank auch!
Ich drehe den Hahn zu und renne grußlos wieder runter. Bei Licht betrachtet ... ist das kein Apartment sondern ein Desaster.
Fröhliche Weihnachten. Hier wird niemand feiern. Bestimmt muss ich für die Sanierung ganz raus. Und ich hab keine Ahnung, wo hin. In der WG bei meinem Bruder ist kein Platz mehr. Ach, Sch...eiße!
Nach einem Blick auf die Uhr ziehe ich mir trockene Kleidung an und rase los. Die Bewegung tut grade richtig gut nach dem Schock. Vor der Tür des Kindergartens steht Familie Min.
"Entschuldigen Sie die Verspätung. Meine Wohnung steht unter Wasser. Kommt von oben."
Ich schnaufe heftig, während ich mein Fahrrad ab und die Eingangstür aufschließe.
"Ich musste erst noch was regeln. ... So, rein mit euch. Entschuldigung. Ihnen. Ich ..."
Ich habe die Garage gestern Abend wirklich noch fertig bekommen. Gerade rechtzeitig! Sie kann heute über Tag noch trocknen, dann kann ich sie heute Nacht schon mal einpacken und verstecken. Ich muss nur zusehen, dass Minnie heute nicht ins Schlafzimmer geht, aber das sollte hinzukriegen sein. Ich habe gestern Abend auch noch das versprochene Foto gemacht und Tae geschickt. Ich glaube, er findet sie genauso gelungen wie ich. Min-jun wird sich freuen, und wenn er auch noch eine Schneekugel von Hobi bekommt, erst Recht. Dieses Weihnachten wird Minnie endlich spüren dürfen, dass der Weihnachtsmann ihn genauso liebt wie andere Kinder.
Diese Gedanken machen mir gute Laune, und ich merke, dass ich auch deutlich entspannter bin. Dadurch schaffen wir es auch den zweiten Tag in Folge, den morgendlichen Ablauf so stressfrei wie möglich zu gestalten. Ich hoffe, dass das jetzt eine Zeit lang so bleibt, denn damit wird der Start in den Tag deutlich besser.
Ich parke auf dem kleinen Parkplatz vorm Kindergarten, gehe mit Min-jun zur Tür und wundere mich, dass der Kindergarten noch stockdunkel ist. Leichte Panik macht sich breit. Haben die heute geschlosssen? Ist Jimin vielleicht krank und es wurde so schnell kein Ersatz gefunden? Aber müsste dann nicht schon jemand da sein?
Ich schaue mich um, aber ich kann niemanden sehen, also versuche ich mein Glück und klingel. Nichts. Die Panik wird stärker und sofort überlege ich, wie ich das Problem lösen kann. Hoseok fragen? Meiner Kollegin schreiben, dass ich erst später kommen kann?
Die Gedanken sind jedoch unnötig, denn genau in dem Moment, in dem ich mein Handy heraushole, kommt Jimin um die Ecke. Er sieht eilig aus, stellt sein Fahrrad ab und entschuldigt sich für die Verspätung. Es ist ungewöhnlich, dass jemand wie Jimin zu spät kommt. Ich erfahre aber umgehend, dass es einen triftigen Grund dafür gibt. Jimins Wohnung steht unter Wasser.
Was für eine Schreckensnachricht!
"Wie furchtbar...", nuschele ich, weiß aber nicht, wie man in so einer Situation reagiert. Mir tut es leid, dass ausgerechnet Jimin sowas abbekommt. Gerade er hat das nicht verdient.
Er ist ganz durch den Wind, also schnappe ich mir meinen Sohn, gehe mit ihm zur Garderobe und sage ihm, dass Jimin heute vielleicht nicht so gut auf ihn eingehen kann wie sonst.
"Aber Papa. Jimin ist sonst immer für mich da. Also bin ich heute mal für ihn da."
Das sind diese Momente, in denen ich nicht stolzer sein könnte, so einen Sohn zu haben. Er versteht zwar nicht, was es bedeutet, einen Wasserschaden in der Wohnung zu haben, dafür aber, dass Menschen manchmal mit schwierigen Situationen zurechtkommen müssen und sie dann nicht so reagieren wie sonst üblich. Ich glaube, es ist nur wichtig, dass er weiß, woran es liegt. Dass es nicht an Min-jun liegt und er sich keine Gedanken machen muss, etwas falsch gemacht zu haben.
Ich begleite Minnie noch in den Ruheraum, damit er dort erstmal in Ruhe ankommen kann. Nach und nach gehen überall die Lichter in der Einrichtung an und kurz darauf kommt Jimin zu uns und sagt, dass er jetzt übernehmen kann.
Mir tut es immer noch leid, ihn so zu sehen und wünschte mir, dass ich etwas für ihn tun könnte.
"Jimin? Wenn ich irgendwas tun kann... Ihnen irgendwie helfen kann, sagen Sie bitte Bescheid. Ich würde mich gerne dafür revanchieren, dass sie uns so sehr geholfen haben."
Dieser Mann hatte entweder selbst mal einen Wasserschaden - oder ein gut gepanzertes Herz aus Gold.
Ich schaffe es sogar, ehrlich zu lächeln.
"Das ist unglaublich freundlich von Ihnen. Ich weiß aber selbst noch nicht mehr. Ich gehe davon aus, dass ich die Wohnung für eine Weile räumen muss, habe aber keine Ahnung, wie ich meinen Kram wegschaffen oder wo ich so lange hinziehen soll. Da wird sicher heute ein Gutachter durchgeschickt. Danach weiß ich mehr. Wenn alle Stricke reißen, ziehe ich vorübergehend hierher in den Kindergarten."
Herz aus Gold. Definitiv!
Herr Min verspricht mir, mir den ganzen Tag die Daumen zu drücken und sich über mein logistisches Problem Gedanken zu machen. Dann fährt er los zur Arbeit, und ich rufe das nächste Mal beim Hausmeister an. Min-jun sitzt einfach neben mir und bekuschelt mich.
Danke, du wundervoller kleiner Mensch!
Ich fahre mit etwas Verspätung vom Kindergarten los. Da ich meiner Kollegin noch eben geschrieben habe, weiß sie aber Bescheid und verspricht mir, dem Chef nichts zu sagen. Da er im Urlaub ist, wird er davon also nichts mitbekommen.
Während der Fahrt zerbreche ich mir den Kopf wegen Jimin. Der Arme muss jetzt wahrscheinlich über die Feiertage aus seiner Wohnung ausquartiert werden. Ich würde ihm so gerne helfen, aber wie? Bei uns kann er schlecht bleiben. Ich könnte ihm zwar meine Couch anbieten, aber die ist nicht bequem und auch nicht groß genug, um dort mehr als ein paar Nächte zu schlafen. Zur Not würde das zwar irgendwie gehen, aber ob das die beste Option ist, wage ich zu bezweifeln. Würden wir so ein Haus wie Namjoon besitzen, wäre das kein Problem.
Tatsächlich habe ich auch schon überlegt, ob ich Namjoon fragen soll, ob er eine Idee hat. Ich möchte aber nicht mit ihm darüber sprechen, wenn Jimin davon nichts weiß. Vielleicht ist es ihm unangenehm oder er hat schon eine Lösung für sich gefunden. Allerdings bräuchte ich ja keine Namen zu nennen und könnte nur mal so ganz unverbindlich fragen, was Namjoon in so einer Situation tun würde.
Nachdem ich das Auto geparkt habe, zücke ich mein Handy und tippe eben eine Nachricht an Namjoon.
》hey, sorry für die Störung. Ich hab mal ne Frage. Jemand, den ich kenne, hat einen Wasserschaden zu Hause. Er muss wohl vorübergehend aus seiner Wohnung raus, aber das steht noch nicht fest. Ich würde ihm gerne helfen, weiß aber nicht wie. Hast du ne Idee?《
》Guten Morgen Yoongi! Da Jimin eben wie Falschgeld durch den Kindergarten geirrt ist, immerzu das Handy am Ohr, und dabei durchaus das Wort Wasser fiel, vermute ich mal ... Ich hab auch schon überlegt. Wir haben ein Gästezimmer und auch noch Platz im Keller für seine Habe. Dann hätte er nur einen sehr weiten Weg zur Arbeit. Aber das ist ja vorübergehend. Ich spreche mit Anna. Kurz vor Weihnachten muss niemand auf der Straße landen. -
Ach, und Du wolltest mir noch was erzählen. Lass mich bitte nicht dumm sterben.《
Wie gut, dass meine Kolleginnen so viel Verständnis haben. Viel kriege ich heute nicht auf die Kette, und die Kinder sind ziemlich verwirrt. Gegen 9.00 Uhr kommt dann der Anruf vom Vermieter, ich möge doch bitte bis spätestens morgen früh die Wohnung räumen, sie sei für etwa zwei Wochen nicht bewohnbar. Miete und Nebenkosten würden erstattet, Kartons würden mir nachher in die Wohnung gestellt, blablabla.
Hervorragend! Kein Problem, ich hab ja auch noch 'ne Zweitwohnung und 'ne Drittwohnung und meinen eigenen Möbellaster nebst Personal vor der Tür stehen. Hmpf.
Ich übergebe Youna die Gruppe und gehe zur Chefin. Die ist erstmal genauso ratlos wie ich. Dann seufzt sie.
"Ich kann dich nicht zwei Wochen lang im Kindergarten wohnen lassen. Aber ... - ich sag mal, bis Samstag geht das schon. Du bist jetzt eh so durch den Wind, du solltest sofort nach Hause gehen und packen. Komm wieder, sobald du alles gepackt und gesichert hast. Achte beim Packen darauf, dass du die Sachen, die du in den nächsten zwei, drei Wochen brauchst, von allem anderen trennst. Dann ist dein Tross, den du mit dir rumschleppen musst, nicht so groß. Eine Möglichkeit zum Einlagern für den großen Rest finden wir schon."
Sie denkt weiter nach. Ich selbst bin dazu grade nicht in der Lage.
"Ich mache einen Aushang an der Tür. Wenn wir bei den Eltern nach Klorollen und Käseschachteln fragen, können wir auch um einen kleinen Lagerraum und ein Bett für zwei Wochen bitten. Ich werde deinen Namen nicht nennen. Nur, wer wirklich eine Hilfe ist, erfährt das. Was hältst du davon?"
Ich atme tief durch.
"Viel! Danke, danke und danke! Ich erkläre den Kindern das Problem und mach mich auf die nassen Socken. Dann wissen die Eltern zwar, um wen es geht, aber die Kinder sind schon so verwirrt. Ich muss da Ruhe reinbringen. Echt, danke!"
Sie lächelt.
"Los, schieb ab! Ich regele das hier. Kriegt Youna das hin? Oder soll ich ..."
"Frag sie lieber."
Ziemlich erleichtert gehe ich zurück in meine Gruppe, sammle die Kinder zusammen und erkläre ihnen, was bei mir zu Hause los ist. Dann packe ich mich warm ein und radele los.
Die Kinder werden jetzt wahrscheinlich Häuser bauen und Wasserrohrbruch spielen. Dann räumen sie das weg, und alles ist trocken. ... Wenns doch so einfach wär.
So kurz vor Weihnachten will sich kaum noch jemand mit seiner Steuererklärung beschäftigen. Darum kann ich Inhyuk schon mittags wieder abholen. An der Eingangstür hängt ein großer Zettel.
{Unterkunft und kleines Lager/Keller für ca. 2 Wochen gesucht wegen Wasserschaden. Auch Umzugshelfer sind willkommen. Bitte melden bei der Leitung, falls Sie die Möglichkeit haben zu helfen. Danke! }
Aha.
Aufgeregt kommt mir Innie entgegengerannt im Flur.
"Papa, Papa, Jimin hat ein Schwimmbad in seinem Wohnzimmer. Kann er bei uns wohnen? Biiiittebittebitte!"
Ich verkneife mir ein Grinsen.
Ein Schwimmbad im Wohnzimmer. Kinderphantasie! Aber du rennst ja offene Türen bei mir ein.
"Aber natürlich, mein Sohn. Ich hab schon mit Mama gesprochen. Wenn er das mag, kommt Jimin in unser Gästezimmer. Du kannst ihr nachher beim Ausräumen helfen."
Inhyuk springt mir vor Freude in die Arme. Mit diesem überzeugenden Argument auf zwei Beinen mache ich mich auf zum Büro.
"Guten Tag, Herr Kim! Was kann ich für Sie tun?"
"Mir verraten, wie weit Herr Park mit der Schadensbegrenzung ist, und ihm mitteilen, dass meine Frau dabei ist, das Gästezimmer aufzuräumen, damit er da spätestens morgen rein kann. Es sei denn, jemand anderes war schneller."
"Hervorragend! Bisher haben wir fünf Helfer, einen Keller und einen Bäckereilieferwagen. Aber noch kein Bett für zwei Wochen. Dann ist das Problem jetzt auch gelöst. Von ganzem Herzen Dank!"
Ich könnte heulen.
Gut, dass ich gestern aufgeräumt habe. Sonst wäre jetzt noch viel mehr kaputt. Die Möbel gehören ja zum Teil dem Vermieter, und den Teppich kann ich in die Reinigung bringen. Aber meine Möbel kann ich wohl alle wegwerfen.
Als erstes schaffe ich erhöhte Freiflächen - Bett, Tisch, Kommode - und sortiere meinen Hausstand nach Mitnehmen, Retten, Einlagern und Wegwerfen.
Der Hausmeister stellt grade Umzugskartons im Treppenhaus ab. Er hilft mir packen und aussortieren. Und den Sperrmüll hat er auch schon bestellt.
Nach und nach wachsen die Kartonberge auf den Treppenabsätzen. Und der Berg an Müll in der Mitte des Zimmers auch. Die Chefin ruft durch und kündigt einen Lieferwagen mit zwei Müttern an, die sich all meiner nassen Textilien annehmen wollen, damit ich nicht alles wegwerfen muss. Erleichtert klaube ich einiges aus dem Müllberg wieder raus und fülle mehrere Müllsäcke damit.
Nach einem sehr kleinen Mittagessen kommt der nächste Anruf. Ich kann ab spätestens morgen bei der Familie Kim wohnen. Ich bin inzwischen so mit den Nerven runter, dass ich jetzt wirklich heule.
Wir packen die letzten Kisten, schlagen meine paar Möbel ab und stellen alles raus. Kurz darauf kommen Handwerker mit großen Entfeuchtungsmaschinen und machen sich über die leere Wohnung her. Ich will gar nicht mehr hinsehen. Ohne einen Blick zurück renne ich die Treppe runter, schwinge mich mit meiner Notfall-Erstausstattungstasche aufs Rad und sause zurück zum Kindergarten.
Ich fahre mit Inhyuk nach Hause, bewaffnet mit Jimins Handynummer und viel gutem Willen. Zu Hause essen wir gemeinsam zu Mittag, dann halten wir Krisenrat. Leider ist das Gästezimmer in den letzten Jahren ein bisschen zum Auffanglager für unsere Privaträume geworden. Wir planen, was jetzt wo hin soll, werfen einiges weg, packen eine Kiste mit Klamotten, aus denen Innie rausgewachsen ist, tragen einiges in den Keller.
Dann schreibe ich eine einladende Nachricht an Jimin. Er antwortet sehr schnell und bedankt sich tausend mal. Im Laufe des Nachmittags habe sich einiges geklärt. Zwei Familien übernähmen Jimins Hausrat und Möbel. Zwei Mütter wüschen seine Kleidung und anderes, trockneten das richtig gut und lagerten es ein. Ein Vater, der Bäcker sei, führe schon seit einer Weile mit seinem Transporter Sachen hin und her. Jimin werde eine Nacht im Kindergarten schlafen und dann morgen zu uns kommen. Heute gegen Abend würden ein paar Kartons zu uns gebracht werden.
Geht doch!
Ich kann nicht beschreiben, wie erleichtert ich bin, dass Namjoon direkt antwortet und sich ebenfalls schon seine Gedanken gemacht hat. Bis zum Feierabend überlege ich, wie ich noch helfen kann.
Am Kindergarten angekommen, fällt mir sofort ein Zettel ins Auge. Jimin sucht nach Helfern und endlich weiß ich, was ich machen werde. Ist nur die Frage, ob er gerade überhaupt hier ist, oder ob er Nachhause gegangen ist. Verstädnlich wäre es. Und wenn, kann ich ihm immer noch ne Nachricht schreiben. Fest steht, dass ich ihm, soweit ich kann, helfen werde.
Wie an jedem Nachmittag sitze ich am Schluss mit Min-jun auf dem Bauteppich. Inzwischen macht sich Erleichterung breit. Die Solidarität der Eltern und Kolleginnen wirft mich einfach um. Mein Telefon ist endlich still, überall in dieser kleinen Stadt kurbeln Waschmaschinen und Trockner, füllen sich Keller, wird mir eine Unterkunft bereitet. Ich bin so reich beschenkt!
Mit etwas Abstand bin ich sogar ein bisschen erleichtert, dass ich zum Ausmisten gezwungen wurde. Ich habe ein paar witzige Sachen wiederentdeckt, mich von ein paar schlechten Erinnerungen getrennt und bin über die Feiertage und den Urlaub nicht alleine in einer Notunterkunft.
Ach, ich sollte vielleicht mal meine Familie informieren über den Stand der Dinge. Das mache ich nachher, wenn hier Ruhe ist.
Jetzt trauere ich nur noch um die alte Kommode, die ich von meiner Oma geerbt habe. So altes, trockenes Holz saugt sich bestimmt in Windeseile voll und rottet dann.
Plötzlich registriere ich etwas, das im Trubel des Tages völlig untergegangen ist. Ich habe nur heute Mittag drei Happen gegessen, getrunken noch weniger - und definitiv den ganzen Tag davon noch nichts wieder 'weggebracht'. Das sollte ich alles dringend nachholen. Ich lausche in mich hinein. Zuerst das 'Wegbringen'.
Ich sage Min-jun, was ich vorhabe, und flitze zur Personaltoilette.
Ich schaue mich um, als ich die KiTa betrete, halte nach meinem Sohn, aber auch nach Jimin Ausschau. Minnie ist wie immer im Bauzimmer, von Jimin ist allerdings nichts zu sehen. Also doch schreiben.
Ich setze mich kurz zu meinem Sohn und bin überrascht, dass er von sich aus erzählt, was heute alles passiert ist. Jimin scheint den Kindern davon erzählt zu haben. Es war heute das Thema Nummer eins bei allen.
Ich warte, bis Minnie fertig ist und verlasse mit ihm zusammen das Bauzimmer.
Auf dem Flur kommt uns Jimin entgegen. Er sieht immer noch gestresst aus, allerdings meine ich, dass er schon etwas sortierter wirkt. Ich gehe auf ihn zu.
"Hey. Gibt's schon was Neues von Ihrer Wohnung? Ich hab gesehen, dass Sie helfende Hände gut gebrauchen können, und würde mich sehr gerne anbieten."
Noch so ein Engel!
Auf dem Rückweg zum Gruppenraum kommen mir Min-jun und sein Vater entgegen. Und der macht sofort deutlich, dass er unbedingt auch helfen möchte.
Was für ein Unterschied zu vor einer Woche! Und grade von ihm würde ich gerne Hilfe annehmen. Aber eigentlich habe ich schon ...
Ich lächele gequält und seufze.
"Für heute und morgen ist tatsächlich alles geregelt. Neue Möbel wird mir hoffentlich die Versicherung bezahlen. Jetzt habe ich nur noch ein Sorgenkind, und ich weiß nicht, ob Sie da helfen können."
Herr Min ist nicht zu bremsen.
"Was ist das für ein Sorgenkind?"
"Eine sehr alte, hölzerne Wäschekommode, die ich von meiner Oma geerbt habe. Alles andere habe ich auf den Sperrmüll getan, aber von der konnte ich mich noch nicht trennen. Ich bezweifele allerdings, dass die noch zu retten ist. Ich konnte praktisch zusehen, wie sich die Füße voll Wasser gesogen haben. Das wird sicher bald schimmeln, zumal die jetzt in irgendeinem kühlen Keller steht. Die werde ich wirklich vermissen."
Eine alte Kommode? Wenn wirklich nur die Füße betroffen sind, ist die auf jeden Fall noch zu retten. Sollte der Boden allerdings auch betroffen sein, könnte es schwierig werden. Ein Versuch ist es aber wert, dennoch hadere ich mit mir. Ich möchte ihm keine falschen Hoffnungen machen.
"Der Schaden ist nur an den Füßen?", frage ich, was Jimin bejaht. "Das ist gut. Wenn der Boden nicht feucht geworden ist, kann man die auf jeden Fall noch retten. Neue Füße kann man recht kostengünstig erwerben und beim Zusammenbau, Schleifen und Lackieren könnte ich Ihnen helfen."
Jimin macht große Augen, sieht mich lange an.
"Sie können sowas?"
"Naja. Ein bisschen. Ich baue schon mal Möbel um, weil mir das Geld fehlt, um neue zu holen. Über die Jahre hab ich zumindest ein bisschen Erfahrung damit sammeln können. Wir könnten das also gerne versuchen. Immerhin scheint die Kommode Ihnen viel zu bedeuten."
Jimin ist die Freude deutlich anzusehen. Ich hoffe nur, dass ich ihn nicht enttäusche. Fest steht, dass ich alles tun werde, um sie wieder hinzukriegen. Und wenn wirklich alle Stricke reißen, hat Tae vielleicht noch eine rettende Idee.
"Und wenn sonst noch irgendwas ist, melden Sie sich bitte", sage ich abschließend, ehe wir uns noch von Jimin verabschieden.
Es ist seltsam, durch die dunklen Räume des Kindergartens zu streifen. Die Tageszeit ist einfach völlig falsch. Ich habe gegessen, mit meiner Familie telefoniert, nochmal mit Familie Kim beraten. Ich habe ein großes, buntes Dankeschön-Plakat für den Eingang gebastelt.
Dann habe ich versucht rauszufinden, wo meine Kommode eigentlich gelandet ist. Und jetzt suche ich nach einem Platz zum Schlafen - kann mich aber nicht entscheiden. Die Couch im Mitarbeiterzimmer? Die Liege im Krankenzimmer? Die Matten im Tobezimmer? Das ist alles zu groß, zu kalt oder zu kurz.
Schließlich lande ich im Ruhezimmer.
Das Zelt passt!
Ich mache mich fertig für die Nacht, stelle meinen Wecker, damit mich hier niemand im Schlafanzug erwischt morgen früh, stelle mir eine Flasche Wasser hin und knipse den Sternenhimmel im Zelt aus.
Was für ein Tag!
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