Die Dinosaurierforschung kommt nie zur Ruhe. Sobald man eine Meldung gelesen und gerade mal verinnerlicht hat, kann die Darauffolgende schon wieder alles hinterfragen, ins Wanken bringen oder gänzlich zunichtemachen. Auch dieses Buch muss ich wohl oder übel immer mal wieder ein wenig anpassen. So zum Beispiel beim Thema Lippen.

Wenn man an Lippen denkt, dann denkt man nicht automatisch an Dinosaurier. Die Wissenschaft und allen voran die Popkultur haben uns über Jahrzehnte ein klares Bild vom Kopf eines fleischfressenden Dinosauriers (Theropoden) vermittelt. Man denke nur an das beinahe schon freundlich-dümmliche Schmunzeln von »Rexy«, der T-rex-Dame aus »Jurassic Park«. Ganz eindeutig ist ihre obere Zahnreihe auch bei geschlossenem Maul stets zu sehen. Auf diese Weise wurden oft bis meistens auch alle anderen großen Raubdinosaurier dargestellt. Zum Beispiel in der Doku »Walking with Dinosaurs«, die mich ihrer Zeit zu dieser Geschichte inspiriert hat. Die im Jahr 2022 bei Apple TV+ erschienene Doku »Prehistoric Planet« ist da andere Wege gegangen und hat den Tyrannosaurus und seine Vettern erstmals ohne sichtbare Beißerchen gezeigt. Denn im Vergleich zu den älteren Darstellungen werden diese von Lippen bedeckt. Das Maul der Raubdinosaurier war, wenn geschlossen, dann auch wirklich komplett verschlossen!

Darüber, ob Dinosaurier nun Lippen besaßen, oder ihre Zähne eher wie ihre nächsten Verwandten, die Krokodile, offen zur Schau stellten, war lange Zeit heiß diskutiert worden. Jüngst hat das Team um Thomas Cullen von der Auburn University in Alabama (USA) diese Frage (vermutlich) endgültig beantwortet. Die Überprüfung ergab demnach, dass T. rex und Konsorten tatsächlich Lippen besaßen! Das Bild in unserem Kopf muss also neu gezeichnet werden, wenn wir uns einen großen Fleischfresser vorstellen. Um das Ganze etwas mehr zu verbildlichen: Die Schnauzen großer Theropoden ähnelten mehr denen von Waranen als Krokodilen. Nachdem Federn – zumindest in Maßen – als wahrscheinlich gelten, nun auch das noch! »Jurassic Park« und dessen Produkte verkommen immer mehr zu Fantasiewesen und haben mit wirklichen Dinosauriern bald nur noch so viel zutun, wie eine Amöbe mit der Golden Gate Bridge. (Ich werde sie trotzdem immer lieben 😊)

In der Studie wurden die Zähne heute lebender Reptilien mit denen der Raubdinosaurier verglichen. Es wurde herausgefunden, dass die freiliegenden Zähne der Krokodile eine angeraute Oberfläche haben. Solche Läsionen seien bei den Dinos jedoch nicht nachweisbar. Deren Zähnchen müssen also von schützenden Lippen bedeckt gewesen sein. Bleibt noch die Frage, ob Dinos dann wenigstens die Zähne fletschen konnten, wie die Raptoren in »Jurassic Park«. Ich muss euch enttäuschen. Es fehlte ihnen der Gesichtsmuskel, der ein Heben der Lippen ermöglicht hätte. Jegliche Mimik wird, wie bei heutigen Dinos (Vögeln), allein über das Gefieder erfolgt sein, das möglicherweise selbst bei T. rex rudimentär vorhanden gewesen sein dürfte, sowie der allgemeinen Körpersprache.