[29] WULING IM RAUCHERSTÜBCHEN
»WAS SOLL DENN das? Zatracenĕ! Sakra!«, hörte Sophie Pavel Dvořák fluchen, als sie ihm in das Raucherstübchen folgte. Der Reptilienexperte stand vor einer weiteren Tür, die sich am anderen Ende der Räumlichkeit befand und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie ihn und trat langsam näher.
»Mit Skorpionen hast du keine Probleme, aber wie sieht es mit mehreren Dutzend Heimchen und Küchenschaben aus?«, fragte Dvořák und deutete in das Innere des zweiten Raums.
Ein Blick hinein verriet Sophie, was ihn derart aus der Fassung gebracht hatte. Unzählige Krabbeltiere, die eigentlich als Nahrung für die Reptilien, Spinnen und andere Tiere gedacht waren, wuselten kreuz und quer in der Kammer herum.
»Jemand muss die Behälter heruntergeschmissen und die Deckel aufgemacht haben. Das ist ja noch nie passiert. Das darf auch nicht passieren.« Dvořák ging in den Nebenraum und tänzelte unbeholfen zwischen den Tierchen umher, ohne zu wissen, wie er sie wieder einfangen sollte.
Ein Rumpeln ließ ihn und Sophie aufschrecken. Eine weitere Plastikdose fiel wie von Geisterhand aus dem Regal und landete auf dem von Schaben übersäten Boden.
»Was soll denn das? Ist da irgendein Vieh im Regal? Wenn das wieder dieser fette Kater von den Meyers ist ...«
Doch es war kein Kater und auch kein anderes Tier, das Dvořák hätte sehen können. Ein langer gefiederter Schwanz huschte hinter ein paar Dosen Korvimin entlang und ließ Sophie keinen Zweifel daran, dass einer der Compsognathus-Brüder sein Unheil im Futterlager des Reptilienspezialisten trieb. Seelenruhig knusperte Kunz wenig später an einer fetten Kakerlake herum, während Dvořák damit zu kämpfen hatte, sich eben diese Krabbler vom Leib zu halten.
Doch die Tierchen hatten sich inzwischen bereits im Büroraum ausgebreitet, verlustierten sich auf zwei Stück Kuchen und gingen in einem halbvollen Pott Kaffee baden. Auch vor dem Aschenbecher der Assistentin machten sie nicht halt und ein paar Heimchen und Grillen spielten auf den Computern zu einem Konzert auf.
Während Sophie Pavel Dvořák naserümpfend half, die Insekten wieder einzufangen wartete Celine im Flur auf ihre Schwester und betrachtete neugierig die Baby-Gelbwangenschildkröten in ihrem kleinen Terrarium.
Ihre Aufmerksamkeit wurde jedoch schnell auf einen sich schnell bewegenden Schatten gelenkt, der durch den Korridor huschte. Als dieser sich ins Licht wagte, bemerkte sie, dass es ebenfalls ein Reptil war – eins mit Federn und spitzen Zähnen im Maul. An den metallisch blauen Schmuckfedern am Kopf und den Armen erkannte das Mädchen, dass es sich um ihren Compsognathus Hinz handelte.
»Das gibt's doch nicht! Hinz, wie kommst du denn hier her?«, flüsterte sie dem Dinosaurier zu und beugte sich zu ihm herunter. »Bist du gestern etwa zu diesem Kerl in den Transporter gehüpft? Nach dem Motto »Kriegt er mich nicht, krieg ich ihn«, oder was? Du hast die anderen Reptilien und das Futter gerochen, was? Dumm bist du ja nicht. Ist Kunz auch hier? Ach, Mist. Wenn ihr doch nur mit mir reden könntet. He, was machst du denn da?«
Hinz zeigte sich unbeeindruckt von Celines Kommunikationsversuchen und kletterte ein Sideboard hoch, auf dem sich ein Terrarium mit einer dreibeinigen Bartagame darin befand. Mit einer Präzision, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes gemacht, öffnete Hinz den Deckel des Terrariums und sprang zu der Echse hinein, die vergebens versuchte, vor ihm Reißaus zu nehmen.
Beherzt griff Celine in den Käfig, fischte den kleinen Theropoden heraus und rettete der Agame das Leben.
»Wer zur Hölle bist du denn und was hast du an den Tieren zu suchen?« Eine schrille Stimme ließ Celine aufschrecken und den Compie fallenlassen.
Während sich das Tier unter der Kommode verkroch, blieb dem Mädchen nicht anderes übrig, als sich der Gefahr zu stellen. Es war Valerie Schubert, die Assistentin von Dvořák die mit wutverzerrtem Gesicht zur Eingangstür hereinkam und auf Celine zusteuerte.
»Hey, P.D.! Hier ist eine fette Kakerlake und will den dreibeinigen Joe klauen!«, rief sie in den Raum und schnappte nach Celines Arm.
»Fassen Sie mich nicht an!« Die Elfjährige riss sich sofort von ihr los und sah drei echte Küchenschaben am Terrarium hochkrabbeln. »Ich wollte nur die drei Schaben wieder ins Terrarium setzten. Die sind beinahe entwischt und ich dachte -«
»Du kommst jetzt mit und hörst auf zu denken«, knurrte Valerie, als Dvořák bereits im Flur auftauchte. »Guck mal, eine kleine Einbrecherin. Hast du die Tür offengelassen?«
»Die ist in Ordnung. Wir haben ein ganz anderes Problem«, erwiderte ihr Boss und deutete auf den Boden.
»Igitt! Was machen diese ganzen Viecher denn hier draußen?«
Auch Celine hielt sich vor Ekel die Hand vor dem Mund und zog reflexartig das rechte Bein nach oben als sie die Armee aus Kakerlaken und Heuschrecken aus dem Zimmer krabbeln sah.
»Ich kann es mir auch nicht erklären. Es sieht so aus, als wäre ein Tier im Vorratsraum gewesen. Vielleicht ein Waschbär. Keine Ahnung. Zu sehen ist nicht und ...«
Dvořáks Erklärungsversuch wurde von einem weiteren lauten Geräusch unterbrochen. Eines der Terrarien in der Nähe der Eingangstür war heruntergefallen und drei Geckos bahnten sich den Weg in die Freiheit.
»Was ist denn hier los?«, rief Dvořák und eilte zu den Tieren. Doch als er die Stelle erreichte, konnte er nur noch zwei der drei Schuppenkriechtiere finden. »Wo ist der Dritte?«
Celine und Sophie schauten sich schuldbewusst an, denn sie hatten beobachtet, wohin das dritte Tier verschwunden war – in der Schlund von Kunz, der sich anscheinend mit Schaben überfressen hatte.
»Verdammt, der kann doch noch nicht so weit weg sein«, fluchte Valerie und kroch auf dem Boden herum. »Daran sind nur diese Wänste schuld. Was haben die hier überhaupt zu suchen?«
»Das ist Sophie, ähm, Krauss. Richtig?«, fragte Dvořák noch einmal nach. Sophie nickte. »Sie wird ab Samstag einen Wochenend-Job bei uns machen. Keine der Mädchen hat etwas mit diesem Chaos zu tun.«
»Genau. Meine Schwester und ich sind gerade erst gekommen. Da liefen die Viecher schon frei rum«, verteidigte sich Sophie.
»Vermutlich ist hier wirklich irgendein Tier drin«, mutmaßte Dvořák. »Es ist besser, wenn ihr jetzt geht. Sophie, komm einfach am Samstag um 8 Uhr her. Alles andere besprechen wir dann, okay?«
»Einverstanden und danke«, sagte sie, war in Gedanken jedoch bei Kunz, der sich für den Behälter mit dem Kaiserskorpion interessierte.
»Na, schönen Dank, P.D.. Hättest mich ruhig einweihen können, dass wir hier neuerdings einen Kindergarten aufmachen«, grummelte Valerie in Sophies Richtung.
»Das habe immer noch ich zu entscheiden.«
Während Dvořák und seine Assistentin über das Für und Wider von Sophies Mitarbeit stritten, gelang es den Mädchen, ihre Compies einzusammeln. Möglichst unauffällig hielten sie die zappelnden Mini-Dinos an ihren Schwänzen fest und bewegten sich zur Tür hin.
»Bis Samstag, dann und viel Glück beim Finden des Waschbären, der Katze oder was auch immer hier herumkriecht!«, rief Sophie und erhielt ein wortloses Winken Dvořáks zur Antwort.
»Oh, man. Das ist ja fast komplett in die Hose gegangen«, sagte Celine, als sie weit genug von dem Haus entfernt waren.
»Wer hätte denn ahnen können, dass diese beiden Strauchdiebe ausgerechnet bei dem waren? Nicht auszudenken, wenn der die bemerkt hätte oder noch grauenvoller – wenn sie ihn oder seine schnippische Assistentin gebissen hätten. Dann hätte er einen Beweis für das ominöse Reptil am eigenen Leib.«
»Und im schlimmsten Fall wäre er auf die Idee gekommen, dass das unbekannte Tier unsichtbar ist«, ergänzte Celine. »Begreifst du jetzt, warum es so wichtig ist, dass wir den Typen unter Beobachtung halten und zusehen, dass das Opalstück nicht in falsche Hände gerät?«
»Im Prinzip schon«, gab Sophie zu. »Doch wie wahrscheinlich ist es, dass der Stein tatsächlich zu Dvořák gelangt und er einen Zusammenhang herstellt? Kein normaler Mensch käme jemals auf die Idee, dass der Opal ein Tor zu einer anderen Welt ist und, dass hier unsichtbare Dinosaurier herumlaufen, die aus jener Welt stammen. Ich denke nicht, dass Dvořák oder dieser Schubert den Weg in jene Welt finden und die Saurier dann sehen können, oder?«
»Eben das müssen wir verhindern. Ob es nun möglich ist oder nicht. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Die Katastrophe wäre zu groß und unwiderruflich«, antwortete Celine und drückte Hinz sanft an ihre Brust. »Wir müssen Hermes heute Nacht sagen, dass wir eine Spur haben. Alles andere werden er, Poseidon oder Kronos entscheiden.«
»Ich weiß trotzdem noch nicht, was ich während dieser Wochenend-Arbeit bewirken kann, das uns weiterhilft«, sagte Sophie und trug Kunz nun auf dieselbe Art wie ihre Schwester.
»Du machst das schon«, sprach ihr Celine Mut zu. »Stell flüchtige Fragen über seine Assistentin und deren Bruder oder was dieser Vincent ist. Lausche einfach ein wenig. Dir fällt schon was ein.«
»Ich hasse deinen Optimismus.«
»Ich weiß.«
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