[26] DER ASSISTENT
»WAS GUCKST DU dich denn ständig so panisch um, Sophie?«
Die Innenstadt war an diesem Morgen sehr belebt. Am nächsten Tag würden alle Geschäfte aufgrund Allerheiligen geschlossen sein. Viele Menschen möchten deshalb noch schnell den ein oder anderen Weg erledigen oder sich Vorräte heranschaffen, um diesen langen Feiertag überstehen zu können. So jedenfalls kam es den Schwestern vor, die sich auf dem Weg zum Juwelier an Dutzenden gehetzten Leuten mit prall gefüllten Einkaufstüten vorbeidrängeln mussten. Das Wetter war im Gegensatz zu dem in der Dino-Welt um ein Vielfaches kühler und es lag Regen in der Luft. Es würde nicht mehr lange dauern, bis Mütze und Schal ihr Comeback feiern durften. Während sich Celine bereits Worte zurechtlegte, die sie dem Juwelier entgegenbringen konnte, schien ihre große Schwester unter Verfolgungswahn zu leiden.
»Wenn ich das ganze Problem richtig verstanden habe«, begann sie zu flüstern, »dann ist es möglich, dass uns jeder Zeit ein Dinosaurier über den Weg läuft, den nur wir sehen können.«
»Das wird nicht häufiger passieren, als all die Jahre zuvor bei den ganzen Nessie-Sichtungen und nicht ausgerechnet hier und jetzt. Woher sollen die Saurier das denn auch wissen und was sollten sie hier wollen?«, beruhigte Celine ihre Schwester. »Ich dachte, du nimmst die Sache nicht ernst?«
»Ich denke, es wird immer so sein zwischen uns, dass wir unterschiedlicher Meinung sind.«
»Davon bin ich überzeugt«, kicherte Celine. »So hat aber wenigstens immer eine recht. Das Problem ist nur, dass wir vorher nicht wissen wer. So wie mit den Raptoren.«
»Erinnere mich nicht daran.« Sophie schüttelte sich bei dem Gedanken an den Beinahe-Angriff der Deinonychus-Familie. »Da hatte ich allerdings recht damit, dass sie uns auffressen wollten. Dein Optimismus war in diesem Fall fehl am Platz.«
»Teilweise. Nur die Jungtiere waren gefährlich. Ace und Diana sind unsere Freunde«, berichtigte Celine die Erinnerungen ihrer Schwester.
»Dann habe ich heute vielleicht auch teilweise recht«, erklärte Sophie mit erhobenem Zeigefinger. »Hier könnten zwar Dinos auftauchen und Hinz und Kunz lungern noch irgendwo herum, aber der Opal ist nicht beim Juwelier und unsere ganze Aktion hier wird ein gewaltiger Schuss in den Ofen.«
»Wo soll er denn sonst sein?«, reagierte Celine genervt. »Ich glaube nicht, dass Kronos sich irrt. Da wir bloß diese beiden Anhänger haben und Mama auch kein weiteres Teilstück mitgegeben wurde, kann dieses sich nur bei Delusius befinden und das finden wir jetzt heraus.«
Die Mädchen hatten das kleine familienbetriebene Geschäft in der Kraemerpassage 4 erreicht und schauten sich zunächst die Auslagen in den drei großen Schaufenstern des Ladens an. Die goldenen und silbernen Kostbarkeiten glitzerten und funkelten verführerisch unter einer diffusen Beleuchtung und alle Uhren tickten im Gleichtakt.
»Die verkaufen hier echt wertvolle Sachen und stecken so viel Liebe ins Detail. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die es sich leisten können, ihre Kunden zu betrügen«, merkte Sophie ihre Zweifel beim Anblick der noblen Schmuckstücke an. »Wenn das bei einer reichen Tussi passiert, dann können die den Laden dichtmachen.«
»Ja, ich weiß, was du meinst. Es ist mir auch nicht einerlei, dass wir die Leute hier verdächtigen, doch was bleibt uns denn übrig? Das ist die einzige Spur, die wir haben.«
»Leider hast du damit wohl wieder recht«, gab Sophie zu und atmete tief ein und aus. »Okay. Gehen wir rein. Aber was sagen wir?«
Celine zuckte mit den Schultern. »Mir ist nichts Gutes eingefallen. Du bist die ältere von uns beiden. Du denkst dir was Kluges aus«, schob sie die Verantwortung von sich.
»Ich wusste, dass du das sagen würdest.« Sophie holte erneut tief Luft und blickte sich nervös um. Dann wirbelte sie mit der rechten Hand herum und hielt sich mit der Linken an der Stirn fest, während sie angestrengt die Augen zukniff. »Also dann. Folge mir unauffällig«, sagte sie schließlich und atmete langsam aus.
Begleitet von melodischem Türklingeln betraten die Mädchen das kleine, jedoch gediegene Geschäft. Nach einer Weile trat ein blasser junger Mann aus einem Hinterzimmer hervor und beäugte die jugendlichen Kunden argwöhnisch.
»Hier gibts nichts Süßes. Verzieht euch wieder, Kinder. Aber wehe, wenn ihr irgendeinen Mist an die Tür schmiert. Wir haben Überwachungskameras.«
»Wovon spricht der Kerl?«, flüsterte Celine ihrer Schwester zu. Diese zuckte zunächst ratlos mit den Schultern, bevor sie die Antwort fand.
»Ach, Mensch. Heute ist Halloween! Der denkt bestimmt, dass wir um Süßigkeiten betteln wollen.«
»Stimmt. Aber wir sind doch gar nicht verkleidet«, wunderte sich Celine. »Obwohl, du siehst ja immer son bisschen spooky aus.«
»Das ist nicht spooky, das ist Punkrock«, rechtfertigte Sophie ihre dunklen, nietenbesetzten Klamotten. »Du wirst sehen, irgendwann laufen alle so rum.«
»Ganz bestimmt – nicht.«
»He, Kids. Wenn ihr nichts Besseres zu tun habt, als hier im Laden rumzustehen, könnt ihr auch wieder gehen. Wir haben einen ausgewählten Kundenstamm und sind kein Kindergarten.« Der Verkäufer wurde langsam ungeduldig und belegte die Schwestern mit einem grimmigen Blick.
»Gut, dass Sie es erwähnen«, ging Sophie auf seine Aussage ein und trat an den Tresen. »Wir gehören nämlich zu ihrem ausgewählten Kundenstamm, wenns nichts ausmacht.«
Celine musste sich das Lachen verkneifen, als ihr Schwester begann, so geschwollen mit dem unsympathischen Kerl zu reden und automatisch eine übertrieben aufrechte Körperhaltung annahm.
»So, seid ihr das? Sehr interessant«, ließ dieser sich nicht beeindrucken und schenkte seine Aufmerksamkeit einer Luxus-Armbanduhr, die er sorgfältig in die Auslage platzierte.
»In der Tat. Können wir bitte Herrn oder Frau Delusius sprechen?«, fragte Sophie mit einem fordernden Tonfall.
»Tut mir aufrichtig leid, Mylady. Sie werden wohl mit mir vorliebnehmen müssen. Die Herrschaften Delusius pflegen es, mittwochs nicht persönlich im Geschäft zu sein«, imitierte der Verkäufer Sophies Art und Weise und reckte seine spitze Hakennase in die Luft.
»Besser, als gar nichts. Sehen Sie – kennen Sie diese Anhänger?«
Das Gesicht des jungen Mannes mit dem schmalzigen Mittelscheitel entglitt kurz, als Sophie ihren Opal-Anhänger vorzeigte.
»Wir haben auch die Auftragsbestätigung dabei, falls Ihnen das etwas bringt«, ergänzte Celine und legte das Formular samt Kassenzettel auf den Tresen.
»Nicht nötig. Ich erinnere mich flüchtig daran«, gab der Verkäufer letztlich zu, benahm sich jedoch sofort abermals pampig und fummelte unbeteiligt am Verschluss einer Goldkette herum. »Ist etwas nicht in Ordnung damit? Wenn nicht, dann geht bitte wieder und stehlt mir nicht meine wertvolle Zeit.«
»Haben Sie daran mitgearbeitet?«, fragte Celine und bemerkte, dass der Name Vincent Schubert sowohl auf dem Auftragszettel als auch auf dem Namensschild des Unsympathen stand.
»Ja«, war seine knappe Antwort. Den Kopf ließ Vincent aber gesenkt und beäugte seine aufdringlichen Kundinnen nur mit einem heimlichen Blick.
»Dann können Sie uns sicher sagen, ob von dem Opal noch etwas übriggeblieben ist«, hakte Sophie unbeirrt weiter nach und hatte ihr Gegenüber dabei fest unter Beobachtung. »Uns war so, als wäre der Stein vorher viel größer gewesen. Sie müssen wissen, dass er ein Erbstück ist und -«
»Nein, da ist nichts übrig geblieben. Wir arbeiten hier ordentlich und pflichtbewusst«, unterbrach Vincent die Erklärungen und kam grimmig hinter dem Tresen vor. »Wenn nichts kaputt ist, dann habt ihr hier nichts mehr verloren. Der Auftrag wurde ordnungsmäßig ausgeführt und entlohnt. Es gibt keinen Grund, mich weiter von der Arbeit abzuhalten. Einen schönen Tag noch.«
Rumms
Unfreundlich wie er war, schmiss Vincent Schubert die Schwestern kurzerhand aus dem Geschäft und knallte hinter ihnen die Tür zu. Völlig perplex schauten sich die Mädchen eine Weile stumm an und gingen dann um die nächste Ecke, um das eben Erlebte zu besprechen.
»Der hat doch was verheimlicht, denkst du nicht?«, fragte Sophie und holte erstmal tief Luft.
»Auf jeden Fall«, gab Celine ihr recht und steckte den Anhänger zurück unter ihre Jacke. »So wie der sich verhalten hat, hat der Dreck am Stecken, und zwar nicht zu knapp. Zu schade, dass Herr und Frau Delusius nicht da waren. Die hätten uns bestimmt weiterhelfen können.«
»Oder auch nicht, wenn dieser Typ unsere Anhänger allein bearbeitet hat«, gab sich Sophie wie immer pessimistisch und las noch einmal, was auf dem Auftragszettel stand.
»Da steht einzig sein Name drauf«, bemerkte Celine und nickte ihrer Schwester zustimmend zu. »Wenns richtig blöd läuft, dann haben Delusius' gar nichts mit dem Auftrag zu tun gehabt und wissen auch nicht, was letztlich mit dem Opal unserer Oma passiert ist. Und er hat die Dinger ja schön und ordentlich gemacht, das muss man ihm lassen. Niemand hätte je Fragen gestellt oder irgendetwas Verdächtiges entdeckt.«
»Ich befürchte, du hast wieder recht«, nickte Sophie resigniert. »Lass das bitte nicht zur Gewohnheit werden.«
»Ich geb mir Mühe«, versprach Celine, bevor sie ihre Schwester unerwartet hinter eine Litfaßsäule zerrte.
»Hey, bist du bekloppt? Was soll denn der Quatsch?«
»Psst! Guck mal, wer da kommt.« Celine deutete mit einer Kopfbewegung Richtung Fußweg. »Die Tante da kennen wir doch, nicht wahr?«
Sophie linste vorsichtig hinter Werbesäule hervor und erkannte eine schwarzgekleidete Frau, deren lange schwarze Haare auf einer Kopfhälfte abrasiert waren.
»Das ist ja die Assistentin von diesem Dvořák«, stellte sie fest und gemeinsam mit Celine schlich die ein paar Meter vor, um zu sehen, wo die Dame hinging.
»Ist das auch Punkrock?«, fragte Celine ihre Schwester und grinste diese schief an.
»Nein, Schwesterherz, das da ist Grufti. Oder Gothic. Oder spooky, wie du es nennen würdest. Aber hey, die geht ja ... das glaube ich nicht.«
Die Schwestern beobachteten, wie die Komplizin des Reptilienfängers das Juweliergeschäft betrat, aus denen sie beide eben rausgeschmissen wurden.
»So viel zum Thema erlesener Kundenstamm. Mal sehen, ob er die genauso grob des Ladens verweist.« Sophie schlich langsam näher an die Schaufenster heran, um einen Blick in das Geschäft werfen zu können.
»Das ist ja die Höhe! Guck mal.« Celine konnte nicht glauben, was sie in diesem Moment beobachtete. »Der umarmt die. Scheint sich zu freuen. Jetzt nimmt er die mit nach hinten. Ich glaube, die kennen sich.«
Sophie legte die Stirn in Falten. »Ich hab da ein ganz mieses Gefühl.«
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top