[24] DAS FINDEL-EI
AL FÜHRTE DIE Schwestern durch den dichten Wald aus Palmfarnen und Araukarien. Auf dem moosbewachsenen Boden krabbelten zahlreiche Insekten und kleinere Reptilien, die unter Pflanzen, Wurzeln und Steinen Unterschlupf und Schutz vor der Hitze suchten. Unter der gleißenden Mittagshitze begannen die Tautropfen auf Pflanzen zu verdampfen und die Luftfeuchtigkeit stieg rapide an. Der Allosaurus war daran gewöhnt, doch den Mädchen machte das tropische Klima ein wenig zu schaffen. Sie hatten das Gefühl, bei jedem ihrer Schritte eine Wand aus stehender Luft und Feuchtigkeit durchbrechen zu müssen. Ihre Haare und Kleidung waren bereits durchnässt und auch das Atmen fiel ihnen schwer. Endlich öffnete sich der Urwald vor ihnen und gab eine weite Graslandschaft mit zahlreichen Felsen unterschiedlicher Größe preis.
»Was ist mit den Eltern passiert?«, wollte Celine wissen, nachdem sie ein Nest mit mehreren länglichen Eiern erreicht hatten. Acht von ihnen waren noch heil und lagen in Federn, Blättern und Moos gebettet. Die Restlichen wurden, dem Anschein nach, von kleineren Eierfressern zerstört.
»Ich habe lediglich Federn und Knochen gefunden«, berichtete Al und kratzte sich am Bauch. »Dort drüben. Erspart euch den Anblick. Ich vermute, dass es ein junger Ceratosaurus war. Diese Tagediebe dringen immer wieder bis hierhin vor, obwohl sie dabei meine Grenzen überschreiten.«
»In ihrem früheren Leben hätten sie Velociraptoren überhaupt nicht gekannt. Wenn man sich das mal überlegt«, sinnierte Sophie vor sich hin und wurde aufmerksam von Al belauscht.
»Diese Ganoven hatten kein früheres Leben«, sagte Al, während er an dem Gelege herumschnüffelte. »Sie gehören zu den Ersten, was ich persönlich sehr bedauere. Andernfalls hätte ich das Gespräch mit ihnen suchen können. So bleibt mir nur eine Möglichkeit, ihnen einen Denkzettel zu verpassen, wenn sie noch öfter hier herumlungern.«
»Erinnert ihr Wieder-Geborene euch eigentlich an euer erstes Leben in unserer Welt?«, wollte daraufhin Celine wissen.
Al schüttelte den Kopf. »Nein. Die Fähigkeit, mit allen Saurierarten reden zu können, ist das Einzige, woran wir merken, dass wir anders sind. Hermes hat uns zwar darüber aufgeklärt, warum das so ist, aber Erinnerungen an unser früheres Ich haben wir nicht.«
»Ist sicher besser so, nach allem, was ich in der Fernsehzeitung über dich gelesen habe«, murmelte Celine daraufhin, ohne Al direkt anzusprechen.
»Was hast du gesagt?«, hakte dieser nach und kam der Elfjährigen mit seiner Schnauze derart nah, dass diese seinen Atem auf ihrer Wange spürte.
»Ähm, nichts. Ich überlegte, wie wir die Eier am besten zu Diana bringen«, redete sich das Mädchen schnell raus.
»Ein paar könnte ich im Maul tragen«, bot der Fleischfresser seine Hilfe an.
»Damit die Babys bereits vor dem Schlupf traumatisiert werden?«, lachte Sophie bei dieser Vorstellung.
»Ich kann das. Ohne Quatsch!«, versprach Al. »Unsere Mutter hat uns manchmal im Maul getragen, als wir noch winzig klein waren. Also ich war natürlich schon immer der Größte von uns und habe mich nicht so lange herumschleppen lassen, aber ...«.
»Ist ja gut. Wir glauben dir«, unterbrach Celine die verklärten Kindheitserinnerungen des halbwüchsigen Allosaurus. »Dann mach dein Schnäuzchen mal ganz weit auf.«
Al tat, wie ihm geheißen und Celine legte behutsam vier der grünlich-bräunlich gesprenkelten Eier in sein Maul. Seine langen scharfen Zähne sorgten dabei für den sicheren Halt der wertvollen Fracht. Die übrigen Eier teilten Sophie und Celine untereinander auf und traten den Rückweg ins Deinonychus-Revier an.
Dort angekommen verschreckte Als Anblick zunächst die jüngeren Raptoren, die eilig das Weite suchten und dabei einige Federn verloren. Die Küken kletterten fiepsend auf den nächsten Baum und Diana rannte fauchend auf die ungebetenen Gäste zu.
»Was wollt ihr denn schon wieder hier? Meine Kleinen derart zu erschrecken. Was bildet ihr euch eigentlich ein? Dann auch noch mit diesem Lulatsch. Ach, du bist es, Al.« Sie würdigte dem Allosaurus eines kurzen Blickes und wuselte dann um den Baum herum, auf dem ihr jüngster Nachwuchs hockte und sich mithilfe seines graubraunen Flaums am Stamm tarnte. Lange dürften sie diese Art des Schutzes nicht mehr beanspruchen können. Der Kükenflaum war bereits durch zahlreiche Federn durchbrochen und ihre Größe erleichterte es Räubern sicher, sie in ihrem Versteck zu entdecken. »Hatte Ace dir nicht gesagt, dass du nicht hierher kommen sollst, solange unsere Kinder ihre Daunen nicht vollständig verloren haben?«
»Hör uns doch erst mal zu, bevor du herumzeterst«, versuchte Sophie die aufgebrachte Raptorin zu beruhigen.
»Sei nicht so unverschämt, junge Dame«, fauchte diese zurück und ließ ihre Sichelkrallen bedrohlich auf- und abspringen. »Ich habe mehr als genug Gründe, um meinen Nachwuchs besorgt zu sein.« Diana funkelte die Mädchen bissig an und zeigte damit, dass sie ihnen die Sache mit dem Eierdieb noch nicht verziehen hatte.
»Deswegen sind wir hier«, sprach Sophie unbeeindruckt weiter. »Wir haben dir etwas mitgebracht. Al?«, wandte sie sich an den Allosaurus, der sichtlich Mühe hatte, die Eier in seinem Maul zu halten, denn das Wasser lief ihm buchstäblich im Munde zusammen. »Du kannst die Eier dort in das Nest legen.«
Al trat an das leere Deinonychus-Nest heran und platzierte dort die vier Eier zusammen mit einer Menge Speichel. Allerdings nicht ohne lautstarken Protest der Nestbesitzerin.
»Igitt! Was in aller Welt soll diese Sauerei?«, knurrte und kreischte Diana und wuselte wie ein aufgescheuchtes Huhn um ihren Nistplatz herum. »Warum legt dieser Grobklotz mir fremde Eier ins Nest und besudelt es obendrein mit seiner Spucke? Das ist unerhört!«
»Wir haben auch noch welche«, merkte Celine an, als sie und ihre Schwester die restlichen vier Eier zu den anderen absetzten und diese, wie sie es bei dem ursprünglichen Nest gesehen hatten, kreisförmig anordneten.
»Erklärt ihr mir das bitte einmal?«, fauchte Diana, während sich eine ihrer älteren Töchter traute, zurückzukehren. Neugierig beschnupperte sie die Eier und ehe man bis drei zählen konnte, war eines in ihrem Maul verschwunden.
»Nein! Nicht essen!«, rief Celine und rannte auf den heranwachsenden Raubsaurier zu. Dieser quittierte die Störung mit einem schrillen grä-grä-grä und setzte zum Angriff an. Ein ohrenbetäubendes tiefes Krähen, welches der Vorstellung eines Brüllens wohl am nächsten kam, unterbrach die Attacke. Al stellte sich zwischen Celine und der jugendlichen Raptorin, wodurch deren Mutter nur noch wütender wurde.
»Schluss jetzt! Ihr alle!«, rief sie und ihre Tochter verschwand ins Unterholz. Im gleichen Moment kam Ace mit einem kleinen Reptil im Maul zum Nistplatz zurück.
»Was ist denn das hier für ein Krach?«, fragte er in die Runde, während sich die jüngsten Familienmitglieder sofort auf den toten Waren stürzten, den er vor sich ablegte.
»Wir haben euch Ersatz für das gestohlene Ei mitgebracht«, verkündete Celine stolz, erntete jedoch auch von Ace argwöhnische Blicke.
»Sind das Velociraptor-Eier?«, fragte er, als er das Gelege beschnüffelte.
»Veloci-, was haben sich diese dreisten Dinger dabei gedacht?«, grummelte Diana. »Holt sie sofort wieder aus meinem Nest heraus oder ... ach, lasst gut sein. Wir essen sie einfach zum Abendbrot. Dann war euer Stören nicht ganz umsonst. Nur die angesabberten nicht, die kann Al gern selbst fressen.«
»Wir haben sie nicht als Nahrung mitgebracht«, schimpfte Sophie, der Tränen in die Augen schossen. »Die Eltern der Eier wurden von einem Ceratosaurus gefressen und da ihr eure letzte Brut verloren habt, dachten wir –«
»Ihr dachtet, dass wir uns stattdessen um diese Bastarde kümmern?«, ergänzte Diana Sophies Satz und sträubte ihr Gefieder. »Das ist wirklich herzallerliebst. Als ob diese hinterlistigen Velociraptoren mit uns vergleichbar wären. Ich habe noch nie etwas Lächerlicheres gehört.«
»Was man macht, macht man verkehrt«, sagte Sophie kopfschüttelnd und drehte sich um.
»Die beiden haben es gut gemeint«, sprach Ace mit seiner Partnerin. »Vielleicht haben sie recht. Ohne ihre Eltern hätten diese Jungen keine Überlebenschance und im Kampf gegen Discordia kommt es auf uns alle an. Wir sind nicht in der Position, uns über andere Dinosaurier zu stellen und –«
»Oh, sicher«, unterbrach Diana ihren Partner und stellte die Arme vom Körper ab. »Als Nächstes kommen womöglich die Sauropoden und bitten uns, auf ihre Kinder aufzupassen.«
»Diana, es reicht. Ich finde, die Mädchen haben gutherzig gehandelt. Beiden Familien kann damit geholfen werden. Sie sind hier, um genau dies zu tun. Sehen wir es als ihren ersten Versuch an, unsere Gemeinschaft zu stärken.« Ace stieß Diana beiseite und setzte sich auf das Nest. Er rückte die Eier zurecht und bedeckte sie schützend mit seinen Federn.
»Ace, was ist in dich gefahren? Komm sofort von diesen Eiern runter!«, zeterte Diana und verlor vor Schreck drei Federn.
»Klasse, Ace«, ermutigte Al seinen Freund. »Endlich setzt du dich gegen sie durch. Weiter so.«
»Misch dich da nicht ein! Allosaurier haben keine Ahnung von so was«, knurrte Diana Al an. »Ihr werdet unter Hügeln aus Erde und Moos ausgebrütet und nicht mit eigener Körperwärme. Dieser Zeit- und Energieaufwand sollte nur und ausschließlich –«
»Keiner hat gesagt, dass du dich draufpacken sollst, Diana. Ich mache das«, unterbrach diesmal Ace seine Frau. »Und, hey! Ich, ich glaube in einem Ei bewegt sich bereits etwas!«
»Wirklich? Oh, wie schön. Dann waren wir noch nicht zu spät, um die Kleinen zu retten«, freute sich Celine und selbst Al machte einen Hüpfer vor Wonne.
»Wir hatten Glück, dass die Eltern noch nicht lange fort waren und die Sonne auf das Nest geschienen hat. Sie kommen bestimmt durch. Danke, Ace.« Al wirkte gerührt und zeigte damit eine weitere Seite von sich, neben dem Pausenclown zu Beginn der Begegnung.
»So ein Unsinn«, störte Diana die Freude und stapfte zu ihrem Mann, der stolz auf dem Nest hockte und dabei kaum von einem heutigen Vogel zu unterscheiden war. »Woher will ein Hahn wissen, dass sich da was bewegt. Ihr seid viel zu hohlköpfig für so was. Das ist Hennensache. Los, geh runter, ich will das überprüfen.« Grob wie immer stieß sie Ace vom Nest, um sich selbst drauf zu setzen.
Gespannt sahen alle zu ihr. Einige Zeit tat sich nicht, dann hellte sich ihr Gesichtsausdruck auf und Diana schnupperte an einem der Eier herum.
»Ace hat recht. In einem Ei ist Leben drin«, verkündete sie strahlend und schien schlagartig ihre Vorbehalte gegen die Velociraptor-Eier vergessen zu haben. Diana begann überdies das Gelege gegen die neugierigen Jung-Dinos zu verteidigen, was ein gutes Zeichen für das Ungeborene war.
»Herrlich, wir haben es geschafft und mindestens einen kleinen Velociraptor gerettet. Unsere erste gute Tat in dieser Welt«, lachte Celine und Diana sah schnaubend zur Seite.
»Vielen Dank, ihr zwei. Ihr dürft euch einen Namen für das Jungtier aussuchen, wenn es geschlüpft ist«, schlug Ace vor.
»Liebend gern. In Namen auswählen, sind wir geübt. Das Thema erinnert uns allerdings an Hinz und Kunz, unsere beiden Compsognathus-Brüder. Wir haben sie in unserer Welt verloren und wissen nicht, wie wir sie jemals wiederfinden können«, erzählte Sophie von dem Problem, welches sie in all der Aufregung vergessen hatten.
»Vielleicht kann er euch weiterhelfen«, antwortete Al und blickte gen Himmel.
Ein großer Schatten huschte über den Boden und bewegte sich in Richtung der kleinen Lichtung. Sophie erkannte sofort, wer diesen Schattenwurf verursachte.
»Das ist Hermes! Jetzt lernst du ihn endlich richtig kennen, Cel«, rief Sophie und rannte dem Flugsaurier aufgeregt hinterher.
Der imposante Ornithocheirus setzte zur Landung an, was bei über acht Metern Spannweite auf dieser spärlichen Fläche nicht einfach war.
»Achtung, aus dem Weg!«, rief er den Schwestern zu, die sich gerade noch abducken konnten, um dem Tier auszuweichen. Etwas ungelenk kam der grazile Pterosaurier letztendlich zum Stehen. Er sortierte seine mit Flughäuten bespannten Flügel, bevor er mit Sophie und Celine sprach. Was er ihnen zu sagen hatte, löste in den Mädchen neuerliches Unbehagen aus.
»Ich fürchte, es gibt ein Problem.«
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