[22] DER WITZBOLD

»SCHEISSE, VERFLUCHT! DAS hast du jetzt davon!« Celine war die Erste, die das sich ihnen nähernde Tier erkannte.

Es war ein Raubdinosaurier, jedoch ein sehr viel größerer, als die Raptoren von eben. Bis zur Schwanzspitze maß er etwa viereinhalb bis fünf Meter. Seine Schulterhöhe betrug um die zwei Meter. Damit war er zwar kleiner und leichter gebaut als Scotty, der Tyrannosaurus, aber nicht minder furchterregend anzuschauen. Vor allem, wenn er direkt auf einen zugelaufen kam.

»Los, hoch da!«, wies Sophie ihre jüngere Schwester an, auf einen dicken Baum zu steigen.

»Ich kann nicht klettern!«, rief Celine mit bebender Stimme und blickte sich zu ihrem Verfolger um. »Er ist weg.«

»Weg? Dann hat er eventuell doch das Othnielia weiterverfolgt. Gott sei Dank«, wiegte sich Sophie in Sicherheit.

»Ich kann mir das nicht vorstellen. Er war direkt hinter uns und so groß wie der ist, kann er nicht einfach vom Erdboden verschwinden«, grübelte Celine, während sie sich abmühte, den alten Baumfarn heraufzuklettern.

»Kann doch sein, dass wir ein Erdloch, Treibsand oder was auch immer, übersehen haben, als wir geflohen sind.«

»Dann können wir froh sein, dass wir nicht ebenfalls da reingefallen sind«, stellte Celine fest, die es aufgab, weiter zu klettern. »Aber es ist so still plötzlich. Kein Vogel singt mehr. Wie die Ruhe vor dem Sturm.«

»Komm, lass uns wieder zu der Lichtung zurückgehen und nochmal mit Ace reden, wo wir hingehen können«, schlug Sophie vor. »Wenn doch nur Scotty hier wäre, um uns zu beschützen.«

»Scotty? Als ob der besonders nützlich wäre. Wenn seine Mami dabei ist, vielleicht.«

Eine unbekannte Stimme drang den Schwestern in den Kopf, aber sie konnten nicht sagen, woher sie kam.

»Wer war das?«, hauchte Sophie und traute sich nicht zu bewegen.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Celine und bewegte nur die Augen, als sie den Dschungel nach einer weiteren Person, beziehungsweise einem fremden Dinosaurier absuchte.

»Denkst du, das ist der Große von eben?«, wagte Sophie sich, die Vermutung auszusprechen.

»Der Große. Wow. So hat mich noch keiner genannt«, sprach die unbekannte Stimme erneut. »Eigentlich denken die meisten, dass ich noch ein kleiner Junge sei. Dabei bin ich bereits ein super Jäger und dieses Othnielia hätte ich erwischt, wenn ihr es nicht verscheucht hättet. Ach, übrigens sehr amüsant, euch zuzuhören. Was seid ihr für welche, dass ich eure Worte verstehen kann? Allosaurier offensichtlich nicht, möchte ich meinen und auch kein anderer mir bekannter Dinosaurier.«

»Verdammt, das ist der Räuber. Aber wo steckt er?« Sophie fasste ein wenig Mut, nachdem sie bemerkt hatte, dass der große Fleischfresser mit ihnen kommunizieren konnte. Sie bewegte sich ein paar Schritte den Weg zurück, den sie gelaufen sind und suchte den Wald nach dem Allosaurus ab.

»Guck, guck!«, ertönte die Stimme abermals, doch die Mädchen konnten ihren Verfolger nicht finden.

»Ein Scherzvogel, dieser Typ«, murmelte Celine und lies endgültig von dem dicken Baumstamm ab, um sich ihrer Schwester bei der Suche nach dem Unbekannten anzuschließen.

»Offensichtlich und noch dazu gut getarnt, das muss man ihm lassen.« Sophie stemmte die Hände in die Hüften und sah aus, wie eine Lehrerin, die ungeduldig auf einen ihrer unartigen Schüler wartet, dem sie eine Standpauke verpassen will. Schließlich wurde ihre Geduld belohnt und hinter ein paar Baumfarnen und Cycadeen trat ein waschechter Allosaurus hervor.

»Übertreibt es nicht mit den Lobeshymnen, sonst werde ich noch eingebildet«, begrüßte dieser die beiden Weltenwandlerinnen und reckte dabei seinen hübschen Kopf in die Höhe.

»Keine Angst, jemandem, der uns derart erschreckt hat, dem werden wir kein Honig ums Maul schmieren«, antwortete Sophie und zog die Stirn kraus.

»Wolltest du uns fressen?«, stellte Celine völlig unverblümt die entscheidende Frage und sah den Fremden mit einer Mischung aus Furcht und Faszination an.

»Was glaubt ihr denn? Und jetzt, da ich euch endlich dazu gebracht habe, euch freiwillig zu mir zu gesellen, ist das auch keine Schwierigkeit mehr. Also dann, sagt Lebewohl zu dieser wunderschönen Welt.« Der Allosaurus machte mit weit geöffnetem Maul einen Satz auf die Schwestern zu und brachte diese damit zum Kreischen, während sie erneut die Flucht antraten.

»Hahahahaha! Ihr seid wirklich urkomisch«, fing der Räuber daraufhin an, tiefe gurrende Geräusche von sich zu geben, die in den Köpfen der Mädchen als aufrichtiges Lachen übersetzt wurden. »Kommt zurück. Ich esse nichts, was ich nicht kenne.«

»Lass dich nicht verarschen, Cel. Lauf weiter. Ich habe kein gutes Gefühl, mit einem fremden Allosaurus allein im Wald zu sein.« Sophie schubste ihre jüngere Schwester vor sich her durch die unebenen Wege, die sie mehr als einmal zum Stolpern brachten.

»Ihr seid aber nicht allein mit mir«, rief der Allosaurus ihnen nach, der sie auch aus dieser Entfernung noch hören konnte. »Hier in der Gegend gibt es weitere Allosaurier und ein paar Ceratosaurier. Vor allem in der Richtung, in die ihr gerade lauft. Ich wollte es nur gesagt haben und hoffe, dass ihr euch in deren Gegenwart wohler fühlt.«

»Denkst du, der will uns warnen?«, fragte Celine und verlangsamte ihren Schritt.

»Vor den andren Fleischfressern?«

»Ja. Es könnte doch sein, dass die alle zu den Erstgeschlüpften gehören und auf solche Begegnungen habe ich keine Lust.«

»Und den Kerl da hinten können wir vertrauen, meinst du?«, fragte Sophie und drehte sich zu dem humorvollen Allosaurus um, der ihnen mit schiefgelegtem Kopf nachsah.

»Ace sprach doch von einem Freund und er versteht uns. Ich kann mir gut vorstellen, dass er ihn gemeint hat«, überlegte Celine und legte unwillkürlich ihren Kopf ebenfalls schief, als sie den Allosaurus betrachtete. »Wie war das denn mit dir und Scotty? Ab wann warst du dir sicher, dass er dir nichts tut?«

»Scotty hat einfach keine so gefährliche Ausstrahlung, wie ich. Stimmts?«, mischte sich von Weitem der Allo wieder ein.

»Also ich finde ihn ziemlich furchteinflößend. Sein Maul ist viel größer als deins«, sprach Sophie laut und deutlich, sodass der Raubsaurier sie gut hören konnte.

»Verscherzt es euch nicht mit mir. Bis eben wart ihr mir sympathisch«, reagierte der Allosaurier auf Sophies Bemerkung. »Ich überleg es mir anders und fresse euch doch. Dann werdet ihr schon merken, wie gefährlich ich bin!«

»Ganz bestimmt!«, riefen Celine und Sophie gleichzeitig und fingen an zu lachen.

»Ich glaube, der ist in Ordnung«, gab Sophie das Okay, dem Allosaurus eine zweite Chance zu geben.

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