[15] Kunibert, der Entenschreck

»HALTET IHN! HALTET meinen Hund auf!« Ein Mann mittleren Alters kam auf die Schwestern zu gerannt und wedelte hektisch mit den Armen.

Dann sahen Sophie und Celine einen kleinen Hund an sich vorbeirasen. Die langen Schlappohren des Dackelmischlings wehten waagerecht hinter ihm her. Es war nicht genau festzustellen, ob der Hund etwas jagte oder selbst gejagt wurde. Er schien wie von Sinnen zu sein und beachtete sein panisch brüllendes Herrchen gar nicht. Erst ein undurchdringlicher Ginsterbusch konnte das Tier stoppen und dem Mann ermöglichen, es wieder an die Leine zu nehmen. Beide, Zwei- und Vierbeiner zitterten wie Espenlaub, als sie den Park verließen.

»Was war das denn?«, fragte Celine und schaute dem Gespann ratlos hinterher. »Hat der Hund ein Gespenst gesehen oder was?«

»Einen Geist nicht, aber etwas ähnlich Unheimliches. Ein gefiedertes Reptil, welches er nicht sehen konnte«, beantwortete Sophie die Frage ihrer Schwester und deutete mit einer leichten Kopfbewegung in Richtung des Teiches.

Dort war einer der Compies am Ufer unterwegs und schien etwas fixiert zu haben. Die Mädchen mussten nicht lange suchen, um das Objekt seiner Begierde ausfindig zu machen. Ein paar Enten trieben friedlich auf der Wasseroberfläche und ahnten nicht, wem sie geradewegs in die vor Aufregung flatternden Arme schwammen.

»Was sollen wir denn machen? Wir können die Vögel doch nicht in ihr Unglück treiben lassen«, überlegte Celine und kratzte sich nervös am Kinn.

»Gehen wir unauffällig zu ihm – ich glaube, es ist Hinz – und locken ihn von da weg. Dann suchen wir Kunz und hauen von hier ab.« Celine stimmte dem Vorschlag ihrer Schwester zu und sie lustwandelten weiter durch den Park und taten so, als ob sie nichts Ungewöhnliches sehen würden.

»Hey, habt ihr den Köter gerade gesehen!«, schrie auf einmal jemand hinter den Mädchen. Ein Junge um die acht bis zehn Jahre, mit rotblondem Haar und auffälligen rosafarbenen Flecken im Gesicht hüpfte aufgeregt auf und ab und zeigte dabei auf den Teich.

»Pscht!«, konnte sich Sophie eine Maßregelung des Knaben nicht verkneifen, doch der achtete gar nicht darauf und erzählte strotzend vor Begeisterung, was er erlebt hatte.

»Der Hund war voll krass drauf!«, fuhr er wild gestikulierend fort. »Der hat erst ganz normal geschnüffelt und da hinten an den Baum gepisst und auf einmal hat er angefangen, zu kläffen wie ein Blöder. Ich konnte nur nicht sehen, was er da angebellt hat. Er ist richtig verrückt geworden und hat sich wie ein Irrer im Kreis gedreht und immer wieder nach irgendwas geschnappt. Dann hat er plötzlich aufgejault und ist wie ne Rakete davongerast. Das war so lustig, ey!«

»Ich finde das nicht witzig, wenn es einem Tier nicht gut geht«, sagte Celine, malte sich aber in Gedanken bereits aus, was dem Hund tatsächlich widerfahren sein könnte. Stumm nickte sie ihrer älteren Schwester zu und dann setzten sie ihren Weg fort.

Der Junge hatte allerdings eigene Pläne, die sich mit denen der Mädchen nicht vertrugen. Laut lachend lief er geradewegs Richtung Teich und genau auf die Stelle zu, an der Hinz auf die Ankunft der Enten wartete.

»Bleib hier! Hey!«, rief Sophie dem Wildfang hinterher, doch warum sollte dieser auf sie hören?

Das Unglück nahm seinen Lauf, als der Bub einen Stock aufheben wollte, auf dem der Compsognathus mit einem Fuß drauf stand. Dieser zögerte nicht und biss dem Kind mit seinen spitzen Zähnen in die Hand. Das Geschrei war groß – auch das der Enten, die nun über das Wasser zur anderen Seite des Teiches flatterten.

»Aua! Verdammt, mich hat was gebissen!«, schrie der Junge und die rosafarbenen Flecken in seinem Gesicht nahmen eine tiefrote Farbe an, während er seine Hand begutachtete.

Erneut überschlugen sich die Ereignisse:

Der Bengel rannte heulend zu seiner Mutter, die gerade in ein Gespräch mit einer weiteren Frau vertieft war. Die Enten wurden auf der anderen Seite des Sees von Kunz angegriffen und Hinz war vor Schreck auf einen Baum geklettert und außer Sichtweite.

»Was ist denn hier bloß los, heute?«, fragte sich ein älterer Herr, der seinen Münsteraner enger an die Leine nahm und sofort die Richtung seines Spazierganges änderte.

Eine junge Frau lief zu den Enten, die nach wie vor mit Kunibert zu tun hatten. Eine hatte er erwischt und es geschafft, sie auf den Rücken zu legen. Sie quakte lauthals und verlor vor Schreck haufenweise Federn. Zum Glück war sie stärker und auch schwerer als der kleine Dinosaurier und schaffte es endlich, sich aus dessen Fängen zu befreien. Dennoch erwischte Kunz sie noch an einem Fuß, sodass der Wasservogel nicht davon fliehen konnte.

»Hilfe! Helft mir mal, hier drüben!«, rief die junge Frau und lief auf die Szenerie zu, von der sie nur einen Teil sehen konnte. »Die Ente scheint festzuhängen! Helft ihr doch!«

»Wir sind schon unterwegs!«, rief Celine noch, doch die Frau war bereits dabei, herzhaft nach dem wehrlosen Vogel zu greifen. »Fassen Sie die Ente nicht -« Die Warnung kam zu spät.

»Aua! Verflucht, was war das?« Die Dame hielt sich den blutenden Zeigefinger, als Celine und Sophie näherkamen.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Sophie die Fremde und betrachtete die Verletzung der Entenretterin. Nicht nur aus Sorge um die Frau, sondern vor allem, um sicher zu sein, dass keine Bisswunde zu erkennen war. Doch dem war leider nicht so.

»Geht da lieber weg, Mädchen. Da ist bestimmt eine Schlange oder irgendwas im Gras. Das hat mich gebissen, das Mistvieh. Scheiße, verdammt.« Mit schmerzverzerrtem Gesicht verließ die junge Frau den Ort des Geschehens und schnellen Schrittes den Park.

Die Ente konnte sich dadurch, dass Kunz abgelenkt war, aus den Fängen des Dinosauriers befreien und saß einige Meter weiter auf einem Baumstumpf und putzte hektisch ihr Gefieder. Die anderen Wasservögel waren nach wie vor nervös und schwammen quakend ziellos übers Wasser.

»Was machen wir, wenn die zum Arzt geht und der die Bissspuren entdeckt?«, fragte Celine und ließ den Compsognathus ihrer Schwester dabei nicht aus den Augen.

»Nichts. Was sollen wir da schon machen?«, antwortete Sophie schulterzuckend. »Da wird ja kaum jemand auf die Idee kommen, dass wir damit etwas zu tun haben könnten, oder? Haben wir auch nicht. Es sind diese kleinen Biester. Ich denke, wir sollten sie in ihre Welt zurückbringen und dafür sorgen, dass sie dortbleiben. Das können die unmöglich von uns verlangen, dass wir auf diese Störenfriede aufpassen müssen. Sie gehören hier einfach nicht her und lassen sich nicht erziehen.«

Celine seufzte leise. »Ja, vermutlich ist es das Beste. Aber ich werde sie vermissen.«

»Im Ernst? Nach allem, was sie hier angestellt haben?«, zeigte sich Sophie empört. »Dann kannst du auch alleine auf beide aufpassen. Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Wer weiß, in welche Schwierigkeiten sie uns noch bringen. Das war schon genug, für einen Tag und der ist längst nicht vorbei.«

»Hast ja recht«, knickte die Jüngere der beiden schließlich ein. »Sie in diese Welt zu schicken war eine blöde Idee von Poseidon. Das müssen wir richtigstellen, denke ich.«

»Mhm, dafür müssen wir sie aber erstmal wieder einfangen.« Sophie deutete mit einer Kopfbewegung zur anderen Seite des Sees, wo Hinz in der Zwischenzeit den krummen Baum an dessen Ufer erklommen hatte.

»Dann mal los, lass es uns versuchen. Komm mit, Kunz!« Celine versuchte, den Entenschreck Kunibert zu sich zu locken. »Na los, Kunz. Hilf uns, deinen Bruder zu ködern.«

Erstaunlicherweise nahm der Mini-Dino Blickkontakt zu dem Mädchen auf, gab einen kurzen Piepton von sich und folgte ihr anschließend. Vielleicht lag das auch nur daran, dass in diesem Augenblick keine Enten mehr in greifbarer Nähe zu dem flinken Räuber waren. Die Schwestern versuchten, so unauffällig wie möglich zurück zu dem Baum zu gehen, auf dem Teil zwei der Racker saß.

»Wenn wir noch länger so tun müssen, als wären wir total normal, dann werde ich wirklich verrückt«, murmelte Sophie vor sich hin, als sie einen Stein auf ihrem Schuh balancierte und dabei immer wieder den krummen Baum heraufschaute.

»Ich hab ihn entdeckt«, flüsterte Celine, nachdem sie eine Bewegung wahrgenommen hatte.

Der Baum trug noch relativ viel Laub und es war nicht einfach, die schlanke Gestalt des Compies darin ausfindig zu machen. Doch dann fanden sie ihn. Heinrich hatte es sich auf einem dicken Ast bequem gemacht, den Schwanz um seinen zierlichen Körper gewickelt und den Kopf unter seinen linken Arm gesteckt.

»Er schläft!?«, rief Sophie schockiert aus.

»Sieht ganz danach aus«, gab ihr Celine Recht. »Wie sollen wir ihn denn jetzt von da runterbekommen?«

»Frag mich was Leichteres.«

»Mit Steinen bewerfen?«

»Das arme Vieh!«

»Eben konntest du ihn nicht leiden.«

»Das habe ich nie gesagt«, verteidigte sich die Vierzehnjährige. »Ich habe nur gemeint, dass wir ihn in seine Welt zurückbringen sollten.«

»Schon gut. Ich bewerfe ihn nicht«, grübelte Celine. »Also müssen wir wohl hier warten, bis er wieder aufwacht und hoffen, dass er dann von allein zu uns kommt.«

»Na, wunderbar. Und wie lange schläft so ein Compsognathus?«

»Was weiß denn ich?«

Sophie trat missmutig den Stein auf ihrem Schuh weg. »Also müssen wir den ganzen Tag an diesem dämlichen Teich rumsitzen, wenn es dumm läuft.«

»Vielleicht.«

»Hatte Oma auch solche Probleme?«

Celine zuckte nur mit den Schultern.

»Wenn wir wenigstens was zu Essen mitgenommen hätten.«

»Da hinten sind ein paar Imbisse.«

»Mhm. Ente süßsauer vom Asiaten. Wenn das mal nicht die passende kulinarische Ergänzung zu diesem Irrsinn ist.« Sophie wusste nicht, ob sie lachen oder fluchen sollte, als eine fremde Stimme durch den Stadtpark schallte.

»Wir bitten Sie, diesen Park unverzüglich zu verlassen!«, rief der Mann mit der dunkelblauen Jacke.

»Guck mal, das ist doch einer vom Ordnungsamt, oder?«, fragte Celine ihre ältere Schwester.

»Ja und ich ahne, um was es geht.«

»Nochmal: Dieser Park wird vorübergehend geschlossen. Bitte begeben Sie sich umgehend zu den Ausgängen und warten Sie weitere Anweisungen ab.« Der Ordnungsamtsmitarbeiter kam auf die Mädchen zu.

»Tut mir leid, ihr müsst die Parkanlage erstmal verlassen«, sprach er sie an und suchte den Boden mit ernstem Blick ab. »Mir wurde gemeldet, dass hier irgendein bissiges Tier hocken soll. Wir können nicht ausschließen, dass es gefährlich ist«, erklärte er. »Heutzutage kaufen sich die Leute alle möglichen exotischen Viecher, kriegen irgendwann Schiss und lassen sie laufen.«

»Ähm, ja. Äh, wir gehen dann mal«, gab sich Sophie folgsam und schob ihre Schwester vor sich her an den Mann vorbei.

»Und jetzt?«, fragte Celine, während sie sich immer wieder zu dem Baum umdrehte, auf dem Hinz friedlich schlummerte.

»Er sieht ihn ja nicht, also haben wir nichts zu befürchten.« Sophie konnte nur hoffen, dass sie recht behalten würde.

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