[10] Discordia

CELINE SASS AUF dem Bett und auf ihrem Schoß hockte das kleine Federtier, welches sie geistesabwesend streichelte. Vor ihrem inneren Auge spielten sich alle Geschehnisse der vergangenen Nacht ab. Alles, was sie bis eben für einen Traum gehalten hatte, war nun Realität. Sophie sagte das und auch Celine selbst war sich dessen wieder bewusst.

Sie waren in einer Welt voller Dinosaurier gewesen.

»Und wir müssen ihnen helfen, sich gegen Discordia zur Wehr zu setzen«, sagte Sophie ernst und schaute ihre jüngere Schwester besorgt an. Sie fragte sich, ob die Elfjährige dieser Aufgabe wirklich gewachsen war.

Doch auch ihre Großmutter war nicht viel älter gewesen, als sie in diese Parallelwelt hineinschlitterte und ebenso ihre Ahnin, die berühmte Fossiliensammlerin Mary Anning.

Celine spielte die Worte Poseidons, dem alten Liopleurodon in ihrem Kopf erneut ab. Er erklärte ihnen, dass Oma Willi ihrer Zeit begonnen hatte, gegen Discordia und die Rauisuchier anzukämpfen. Diese triassischen Archosaurier begehrten zu dieser Zeit auf, um die Vorherrschaft in dieser Welt an sich zu reißen. Sie wollten das erreichen, was ihnen ihrer Meinung nach in der damaligen Zeit nicht gelang. Denn in der Welt in der Celine und Sophie lebten, starb diese Reptiliengruppe am Ende der Trias aus und ihre Verwandten, die Dinosaurier, besetzten ihre ökologischen Nischen.

Discordia war damals ein junges und aufbegehrendes Postosuchus-Weibchen, die ursprünglich einen anderen Namen trug – Effyís, die Aufgeweckte.

Irgendwann war sie von der Idee besessen, die Ordnung in ihrer Welt auf den Kopf zu stellen. Sie scharte weitere Archosaurier um sich und baute ihre Schreckensherrschaft auf. Doch sie sollte schon bald Widestand erfahren. Denn ein Sauropode stellte sich ihr in den Weg. Concordia, Eintracht – Lillys Ur-Großmutter. Ihr zum Spott nannte Effyís sich fortan Discordia, was Zwietracht bedeutete.

Wilhelmine stieg damals den Kampf gegen Discordia und ihre Truppe ein und gemeinsam gelang es ihr und den Wieder-Geborenen, einen Plan zu entwickeln, um die Rauisuchier an ihrem Vorhaben zu hindern. Doch Wilhelmine konnte diesen nicht mehr zu Ende verfolgen, da sie aufgrund ihrer Schwangerschaft die Dinosaurier-Welt für immer verlassen musste.

Den Wieder-Geborenen gelang es dennoch, Discordia auf die andere Seite des großen Flusses zu vertreiben. Sie hatten sich an Willis Vorschlag gehalten, dass sie gegen ihre Feinde ankämpfen können, wenn sie alle zusammenhalten würden. Sie versprachen Discordia im Gegenzug, dass sich auf ihrer Seite des Flusses keine Dinosaurier, Pterosaurier und Vögel aufhalten werden. Demnach hätten die Rauisuchier dadurch ihr eigenes Reich, über das sie ungestört herrschen könnten.

Jedoch blieb ihr ursprünglicher Plan, die gesamte Welt für sich zu gewinnen, in ihren Köpfen verankert und wurde auch an die nächsten Generationen weitergegeben. Nachdem für einige Jahrzehnte kein menschlicher Auserwählter mehr in die Welt der Dinosaurier gekommen war, erstarkte Discordia erneut und die Zahl ihrer Anhänger wurde größer als jemals zuvor.

Es wurden erst vereinzelte und später immer mehr Rauisuchier über den Fluss geschickt, um kleine Dinosaurier oder Gelege zu attackieren.

Zunächst nahm man dies nicht als Bedrohung wahr, da man von Einzelfällen ausging. Es werden wohl junge Saurier sein, die einfach ihre Grenzen austesten wollten, war man sich sicher. Doch diese Unachtsamkeit wurde von Discordia registriert und mit weiteren Überfällen quittiert.

Sie befahl ihren Anhängern schließlich, Dicynodontia-Herden über das Gebirge an der Quelle des großen Flusses entlang auf das Dinosaurier-Land zu treiben. Damit sollte nach und nach sichergestellt werden, dass ihre bevorzugten Beutetiere sich dort vermehren würden.

Bis zum heutigen Tag haben sich die triassischen Reptilien wieder zahlreich auf Dino-Land vermehrt und gingen sehr gezielt gegen Brutgebiete ihrer Verwandten vor. Die Dinosaurier setzen jetzt jede Hoffnung in die beiden Schwestern, die diesem Treiben Einheit gebieten sollten.

»Wie sollen wir das anstellen?«, fragte Celine und schaute ihren kleinen Compsognathus hilfesuchend an.

»Er wird es dir nicht beantworten können«, sagte Sophie und sah mit dieser Frage ebenso überfordert aus wie ihre jüngere Schwester. »Er kann leider nicht mit uns sprechen, er und sein Bruder.« Sie schaute zu ihre eigenen Füße hinunter, an denen ein weiterer Compie damit beschäftigt war, an ihren Schnürsenkeln zu knabbern.

»Aber warum sind sie hier? Das sollte doch nicht sein, dass die Dinosaurier in unsere Welt gelangen, wenn ich mich richtig erinnere«, überlegte Celine und versuchte krampfhaft sich alle Worte Poseidons ins Bewusstsein rufen. »Er sagte, dass das auch unsere Aufgabe ist – das Gleichgewicht der beiden Welten aufrecht zu erhalten.«

»Ganz richtig, aber du hast eine Sache wohl vergessen«, begann Sophie ihre Schwester aufzuklären. »Als wir schon fast wieder auf dem Weg nach Hause waren, kam Scotty noch einmal auf uns zu und meinte, dass wir die beiden mitnehmen sollten.«

»Ja! Jetzt erinnere ich mich!«, rief Celine und ihr Compsognathus sprang vor Schreck von ihrem Schoß herunter. »Sie dienen als Ausgleich. Quasi die Gegengewichte zu uns beiden. Zwei Menschen dort, zwei Dinos hier.«

»Mhm, ja«, bestätigte Sophie Celines Erinnerungen. »Allerdings sind sie für alle anderen Menschen nicht sichtbar, da wir mit unseren Opalen eine Art Unsichtbarkeitszauber auf sie legen. Dennoch können sie hier einigen Blödsinn anrichten, weshalb wir gut auf die beiden aufpassen sollten. Dafür ist das, ähm, Gate zur Dino-Welt für alle anderen Saurier jetzt wieder verschlossen. Nessie sollte also so schnell nicht mehr auftauchen. So jedenfalls die Theorie. Poseidon hat bei diesem Thema etwas gedruckst. Er schien besorgt darüber, dass der Opal in zwei Teile geteilt wurde. Keine Ahnung, warum. Ich bin ehrlich gesagt auch noch ganz verwirrt. Vor allem, weil wir da so eine große Rolle spielen in dieser Sache. Es ist ja nicht gerade etwas Alltägliches, eine ganze Welt zu retten.«

Celine nickt stumm und starrte die beiden Compsognathus an, die sich durch ihr Zimmer jagten und fröhlich quietschten.

»Warum können uns gefährliche Raubsaurier sehen und die beiden sind für andere Menschen unsichtbar? Ist das nicht kontraproduktiv? Wenn wir doch so wichtig sind, dann sollten wir doch besser geschützt sein. Oder?«, brannte der Elfjährigen die nächste Frage auf den Nägeln.

»Ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass wir im Gegensatz zu den Compies in Mesozoic World etwas bewirken müssen, also dort eingreifen sollen. Dazu müssen wir wohl für alle Echsen sichtbar sein.« Celine bemerkte die gleiche Unsicherheit bei Sophie, die auch sie quälte und entschloss sich, die Stimmung aufzuheitern.

»Die beiden haben keine Namen, oder?«, fragte sie ihre Schwester, die sich neben sie aufs Bett setzte und ebenfalls auf die kleinen Dinos starrte.

»Nein, ich glaube, sie haben keinen Namen. Wenn, dann können sie es ja nicht einmal Lilly sagen«, sagte Sophie und atmete schwer aus, so, als würde auch sie noch einmal alles sacken lassen müssen, was sie erlebt hatte.

»Dann geben wir ihnen doch einen Namen«, schlug Celine vor. »Max und Moritz?«

»Was? Nein! Zu 08/15. Das können wir besser«, legte Sophie Widerspruch ein. »Eddy und Freddy?«

»Das ist auch nicht gerade kreativ«, sagte Celine und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. »Hinz und Kunz!«

In diesem Moment blickte die beiden Dinos aufmerksam zu den Schwestern und schwangen ihre langen Schwänze im Gleichtakt hin und her.

»Das scheint ihnen zu gefallen. Aber gefällt es uns?«, fragte sich Sophie und ließ ihren Compie auf ihren Schoß hüpfen.

»Heinrich und Kunibert, kurz Hinz und Kunz«, sagte Celine und nickte entschlossen mit dem Kopf.

»Okay«, überlegte Sophie und blickte kichernd von einem Dino zum anderen. »Ich denke, damit kann ich mich abfinden. Klingt, wie zwei schrullige Grafen aber irgendwie passt es zu diesen Filous.«

»Seid ihr damit einverstanden, ihr zwei?«, fragte Celine und erhielt lediglich ein neutrales Piepsen zur Antwort. »Na ja, dann wäre das beschlossen.

Herzlich willkommen in unserer Welt, Hinz und Kunz!«

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